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SCHÜLER UND SEIN TEAM

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Das Vorhaben des umtriebigen Südbahnmanagers, der 1884 die österreichische Staatsbürgerschaft annimmt, ist komplex, gilt es doch einerseits die Finanzierung der geplanten Großhotels in einer Umgebung ohne entsprechende Infrastruktur auf die Beine zu stellen, andererseits aber auch das Projekt mit Leben zu erfüllen und die richtigen Männer – „Promotoren“ – dafür zu finden. Erstes Ziel ist es jedoch, das Areal mit der Villa Angiolina zu erwerben, und man muss sich beeilen, denn inzwischen ist bereits eine andere Interessensgruppe, „sogenannter Gründer“, an den Grafen Chorinsky mit einem Kaufangebot herangetreten. Schüler beauftragt den ortskundigen Heinrich Noe mit der Führung der Gespräche und tatsächlich gelingt es dem enthusiastischen Bayern, Chorinsky vom Angebot der Südbahngesellschaft zu überzeugen, und das obwohl er nicht der Bestbieter ist – der Graf zieht jedoch das Angebot der Südbahn vor, von „deren Verwaltung er sicher sein konnte, dass sie mit ihren auf die Hebung des Verkehrs und auf den allgemeinen Nutzen gerichteten Bestrebungen bei ihren technischen und anderen Mitteln, bei dem Einflusse, welcher ihr zur Verfügung stand, aus seinem unvergesslichen Besitz am Südmeer etwas anderes zu machen wissen werde, als eine Gruppe von Spekulanten, deren nächste Absichten nur die einer rücksichtslosen Ausbeutung sein konnten“. Am 18. Juli 1882 wird der Kaufvertrag unterzeichnet – für 100.000 Gulden geht das „Object“ an die Südbahn; ein angemessener Preis, wenn man bedenkt, dass 1910 die Villa Angiolina zusammen mit dem Park um stolze 2,5 Millionen Kronen verkauft werden wird.


Friedrich Julius Schüler

Sofort danach beginnen die Bauarbeiten, die Pläne dazu hat man bereits fertig in der Schublade. Auch an die Versorgung der zu erwartenden Gäste mit frischem Obst und Gemüse wird gedacht: In dem kleinen Dorf Ika, zwischen Abbazia und Lovrana gelegen, erwirbt die Südbahngesellschaft einen der größten Landwirtschaftsbetriebe der Gegend, die „Campagna Colona“, zu der damals auch noch Weingärten gehörten.

Nicht ganz einfach ist es, das für den Hotelbetrieb notwendige weibliche Dienstpersonal zu finden. Wichtigster Arbeitgeber der Region für junge Frauen ist die Zigarrenfabrik in Fiume, bekannt für ihre Virginias. Etwa 2.000 Arbeiterinnen sind hier bei relativ gutem Lohn beschäftigt, ein Wechsel ins Hotelgewerbe daher für sie uninteressant. So ist man gezwungen, Köchinnen und „Kammerzofen“ aus Böhmen und Ungarn anzuwerben; die Kellner kommen aus Wien.

Für den Posten des Chef-Kurarztes hat Schüler einen aufstrebenden Wiener Mediziner im Visier, der sich auf Balneologie spezialisiert hat und inzwischen in Rohitsch-Sauerbrunn (heute: Rogaška Slatina) als „landschaftlicher Brunnenarzt“ praktiziert und an der Universität Graz Hydrotherapie und Balneotherapie lehrt: Dr. Julius Glax (1846 – 1922), den Sohn des Historikers Heinrich Glax. Durch erste wissenschaftliche Arbeiten hat sich Glax den Ruf eines Reformers und kompetenten Kritikers erworben, eines Mannes, der modern und zukunftsorientiert denkt. Die Diskussion um Abbazia kann diesem engagierten Arzt nicht verborgen bleiben: Angeregt durch die begeisterten Schilderungen Schweiger-Lerchenfelds (siehe unten), reist Glax, der sich 1876 in Graz habilitiert hat und 1880 vom Kaiser zum k. k. Universitätsprofessor ernannt worden ist, zum ersten Mal im September 1883 nach Abbazia und begibt sich dann nach Wien, wo er zunächst dem Wirtschaftsfachmann Wilhelm Freiherrn von Schwarz-Senborn seine Eindrücke schildert, und dieser vermittelt ihm schließlich eine Unterredung mit Schüler.


Lenkt als Vorsteher der Kurkommission jahrzehntelang die Geschicke des Seebads: Dr. Julius Glax.

Glax erkundigt sich dabei ausführlich nach den Plänen der Südbahn: Wolle man nur eine Hotelanlage errichten oder tatsächlich einen Kurort gründen? Falls man Letzteres anstrebe, müsse die Gesellschaft auch die Schaffung „entsprechender Einrichtungen wie Wasserleitung, Kanalisation, Bäder, hydropathische Anstalt, Milchwirtschaft“ im Auge haben, weiters sieht das sehr fortschrittliche „Hygienekonzept“ des ambitionierten Balneologen die „einwandfreie Beseitigung der Abfallstoffe, geeignete Isolierrräume für infektiöse Kranke, Desinfektion und Desinfektionsräume, Leichenkammern, entsprechende Einrichtungen für Krankenpflege, Krankentransport, Rettungswesen und Feuerwehr, Überwachung der Kurmittel und ihrer Verabreichung“ und auch eine „Überwachung der Lebensmittel“ vor, daneben müsse aber auch die „Ruhe im Kurort“ gewährleistet sein. Als sich Schüler mit diesen zum Teil sehr kostenintensiven Forderungen konfrontiert sieht, gibt er offen zu, dass man sich noch nicht endgültigfestgelegt habe, lädt aber Glax zu einem längeren Aufenthalt in Abbazia ein, was dieser ab dem Oktober 1885 auch wahrnimmt. Da sich zu dieser Zeit auch der angesehene Müchner Laryngologe Max Joseph Oertel (1835 – 1897) und der berühmte Chirurg Theodor Billroth (1829 – 1894) in Abbazia aufhalten, bittet Schüler die drei Mediziner zu einem Consilium über die Zukunft Abbazias – auf Anraten der drei Gelehrten entscheidet sich Schüler endgültig für eine Zukunft Abbazias als Kurort. So vertritt der celebre Münchner Mediziner, der sich auch noch in den 1890er-Jahren am Quarnero aufhalten wird, die Meinung, dass sich Abbazia wegen seines hohen Luftdrucks – 760 Millimeter im Mittel – und seiner „staub- und keimfreien Seeluft“ vor allem als Kurort für Herzkranke eigne und als solcher in die „vorderste Linie“ zu stellen sei.

Julius Glax verlegt ab 1885/​86 seine Winteraufenthalte und ab Sommer 1887 seinen ständigen Wohnsitz nach Abbazia; gemeinsam mit seinem Freund Graf Benedikt Giovanelli, dem Statthaltereirat von Triest, arbeitet er die Kurordnung für Abbazia aus, die zur Grundlage des Landesgesetzes vom 4. März 1889 wird, mit dem der Ort das Kurstatut verliehen erhält. Im Oktober 1887 wird er von Schüler zum „dirigierenden Arzt der Kuranstalten der k. k. privileg. Südbahn-Gesellschaft“ berufen und als solcher den Aufstieg Abbazias vom „Kurort-Baby“ zum „Weltkurort“ entscheidend mitgestalten. Theodor Billroth würdigt 1888 in der Wiener klinischen Wochenschrift diese Entscheidung Schülers: „Die Südbahn hat an Herrn Professor Glax eine ungewöhnlich glückliche Acquisition gemacht, wozu man den Kurort nur beglückwünschen kann; es ist das ein Vorzug von Abbazia, den ich ganz besonders hervorhebe, und den meine Kollegen zu würdigen wissen werden.“ Gleich nach Amtsantritt drängt Glax auf den Bau einer neuen Wasserleitung vom Monte Maggiore, um den Kurort mit tadellosem Trinkwasser versorgen zu können, stößt hier aber auf den Widerstand Schülers, der zuerst die bestehende Wasserleitung zu den Hotels der Gesellschaft von den sogenannten „Klara-Quellen“ südlich von Abbazia durch weitere Bohrungen absichern möchte. Das Problem der Klara-Quellen ist, dass sie in „intermittierender“ Beziehung zum Meer stehen und bei gewissen Seewasserständen Brackwasser liefern (siehe dazu auch das Kapitel „Kur-Alltag mit grantigem Halden“). Die Wasserleitung von den Hochquellen des Monte Maggiore wird schließlich erst 1897 in Betrieb genommen, der in diesem Jahr projektierte Bau des Kanalisationsnetzes 1907 fertiggestellt.

1889 wird Julius Glax Mitglied der Kur-Kommission, 1899 übernimmt er als Kurvorsteher den Vorsitz in dieser Institution und führt diesen durch zwei Jahrzehnte hindurch bis 1919. Ob Unterhaltungsveranstaltungen für die Kurgäste oder Ausflüge in die Umgebung, ob der Ankauf eines Müllverbrennungsofens oder das Anlegen eine neuen Friedhofs – ohne Glax geht nichts; Abbazia ist Glax und Glax ist Abbazia. Zu seinen prominenten Patientinnen und Patienten zählen Kronprinzessin Stephanie, die Gattin Kronprinz Rudolfs, das rumänische Königspaar Carol I. und Elisabeth (Carmen Sylva), Prinz Peter KarageorgeviĆ, der spätere König von Serbien, Prinzessin Klementine von Sachsen-Coburg-Gotha und Fürst Johannes II. von und zu Liechtenstein sowie der eigenwillige Großherzog Adolph von Luxemburg. 1894 betreut Julius Glax die Söhne des deutschen Kaiserpaars während ihres Aufenthalts in Abbazia (siehe dazu auch das Kapitel „Kaisertreffen am Quarnero“) und auch Schauspielstar Alexander Girardi, der Liebling des Wiener Theaterpublikums, der nach der Auseinandersetzung mit seiner Frau Helene Odilon im Frühjahr 1897 Erholung in Abbazia sucht, legt Wert darauf, vom „Herrn Professor“ persönlich untersucht und betreut zu werden.

Eine zweite wichtige Personalentscheidung Schülers betrifft die Direktion der Hotels und Kuranstalten der Südbahn in Abbazia, und auch hier beweist er das richtige Gespür: Am 12. September 1889 ernennt er Anton Silberhuber (1839 – 1899), den Präsidenten des Österreichischen Touristenklubs und ehemaligen Inhaber eines Reisebüros in Wien, zum Direktor und bindet damit einen der besten Tourismus-Fachleute der Habsburgermonarchie in sein Imperium ein. Silberhuber ist seit 1881 Präsident des ÖTK, der unter seiner Leitung einen enormen Aufschwung genommen hat, und Chefredakteur der Österreichischen Touristen-Zeitung; als Reisebegleiter Kronprinz Rudolfs hat er bei Hochtouren und Bergbesteigungen auch Kroatien kennen gelernt. Beinahe ein Jahrzehnt lang wird von nun an Anton Silberhuber die Geschicke Abbazias mitbestimmen; erst mit der Verpachtung der Südbahn-Hotels an die Internationale Schlafwagengesellschaft geht seine Ära zu Ende. Am 15. Juni 1898 verlässt er den Kurort und geht nach Wien, wo er noch als „Reisemarschall“ eine Nordlandfahrt Erzherzog Karl Ludwigs und der ihm bestens bekannten Kronprinzessin-Witwe Stephanie organisiert. Anton Silberhuber stirbt am 7. März 1899.

Nachfolger Silberhubers als Direktor der Kuranstalten wird der 38-jährige Wiener Alfred Pachler, der von der Internationalen Schlafwagengesellschaft aus dem Pariser Hotel Continental nach Abbazia berufen wird. Pachler, der in Paris als Direktor-Stellvertreter tätig war, bietet, wie die Hygiea rühmend schreibt, das „ungemein ansprechende Characterbild eines zielbewussten Mannes in der Vollkraft der Jahre, der mit den höchsten fachlichen Erfordernissen ausgerüstet ist. Zu diesen gehören zunächst Weltkenntnis, Gewandtheit im Umgange und gründliche Sprachenkenntnisse; diese Erfordernisse vereinigt Herr Director Pachler im ungewöhnlichsten Maße in sich. Die Liebenswürdigkeit seiner Umgangsformen sichert ihm das höchste Ansehen unter den distinguirten Curgästen.“ Das „Corps seiner Untergebenen“ zählt 180 Menschen; bald bewundert man Pachlers Geschick, mit dem er unter seinen Mitarbeitern Disziplin zu halten weiß.


Aus dem verträumten Fischerdorf ist innerhalb weniger Jahre ein mondäner Kurort geworden: Panoramablick auf den Quarnero mit Abbazia und Volosca. Photochromdruck, um 1890.

Zu jenen Autoren, die bereitwillig die Werbetrommel für die Vision Schülers rühren, zählt auch Amand von Schweiger-Lerchenfeld (1846 – 1910), ehemals k. u. k. Offizier und Veteran der Schlacht von Custozza 1866, der sich mit Talent und enormem Fleiß zum wohl führenden „Sachbuchautor“ der Monarchie emporgeschrieben hat. 1883 veröffentlicht er sein Buch Abbazia. Idylle von der Adria, das in geradezu hymnischer Weise das Loblied auf das „Paradiesesgestade“ am Quarnero singt und dessen „Befähigung zu einem Winterasyle“ nachdrücklich dartun möchte. Mit den Bauplänen der Südbahngesellschaft – er spricht diskret von einer „großen Unternehmung“ – zum ersten Hotel und zu einem „still gelegenen Sanatorium“ offensichtlich bereits vertraut, greift er der Zeit voraus und denkt sich den „freundlichen Platz mit Gästen aus nah und fern bevölkert“, geschickt streut er in seinen Bericht die Versatzstücke mediterraner Traumwelten mit ein; er zitiert antike Mythen, Lord Byron und Goethe am Strand von Taormina, im Mittelpunkt stehen die einzigartige Natur und schöne Frauen, immer wieder versteht er es, Bezüge zu bekannten und touristisch bereits erschlossenen Orten am Mittelmeer zu knüpfen: „Dieser Blüthenduft zu Abbazia ist ein einziger langwährender Athemzug, den der Süden über Meere und Länder haucht. Auch in dieser Richtung schweift die Erinnerung gerne aus und schließt den Zauberring, der um das Mittelmeer und seinen schönsten Golf – die Adria – herumläuft. So ein duftumhauchtes Lauschplätzchen am Gestade von Abbazia streicht Raum und Zeit aus ihrem Zusammenhange. Man denkt an Cannes, wo die laue Seebrise über die Halbinsel von La Croisette streicht und mit frischem Blüthen-Athem die Locken schöner Frauen bethaut; oder man gedenkt jener Zauberstunde, wo im Palmenschatten der ,Promenade des Anglais‘ zu Nizza das Herz von zwei Magneten zugleich sich angezogen fühlte, von leuchtenden Frauenaugen und den Kindern Florens in den im Abendwind aufschauernden Blüthenbeeten; oder man frischt die Erinnerung an jenen Genuß auf, den man während einer Raststunde in den Gärten von Sorrent empfunden, wo man den blauen Himmel nur zwischen goldrothen Orangen sieht, und im Frühling das Haupt in den Duftwolken von Millionen von Orangenblüthen sich badet.“ In Abbazia, so Schweiger-Lerchenfelds Resümee, habe man all die Vorzüge der anderen Orte gemeinsam „zur Hand, und keinen schönern Märchengarthen gibt’s, als den, welchen wir hier durchwandern“, wer sich die Kindlichkeit des Gemüts bewahrt und die „eitle Weltlichkeit“ abgestreift habe, könne so durch „die unendliche Tiefe der Ahnungen, welche der Naturgenuß in uns erweckt“, seinen geistigen Horizont „bis auf Sonnenweiten“ öffnen und ausdehnen. Abbazia, so das erklärte Ziel, könne so etwas wie ein nationaler „Haltepunkt“ werden, eine „Localität“, einzig in ihrer Art, in der sich die Sehnsucht eines ganzen Volkes kristallisiere, ein „Altar im großen Tempel der Natur“, nur „schwerlich“ aber „ein Tummelplatz für Weltkinder“ – eine Einschätzung, mit der sich der Naturschwärmer Schweiger-Lerchenfeld kräftig irren sollte. Ein „fieberhafter Aufschwung“, so meint er warnend, könne für Abbazia nur schädlich sein, man dürfe seine „keuschen Naturreize“ nicht durch „betäubenden Luxus“ ersticken und solle es nicht zu „jenem fashionablen Cannes“ auswachsen lassen, „wo nur die britischen Erzmillionäre und depossedierte Fürsten in ihre Zaubervillen unterkriechen“, denn dann hielte die „Langeweile ihren Einzug und ertödtete das naive Vergnügen“. Die „Begründung des erforderlichen Comforts“ will er durchaus zugestehen, „fashionablen Luxus“ lehnt er jedoch ab, seine Forderung daher: „Man verschone diesen traulichen Erdenwinkel mit Cercles und Clubs, mit Taubenschießen und Theater, mit rauschendem Festgepränge und verdächtigem Spielgelichter, das bisher noch jeden aufblühenden Curort discreditiert und unleidlich gemacht hat. (…) Im Übrigen mag Abbazia bleiben, was es ist: ein trauliches Asyl für Alle, die einen grünen, sonnigen Küstenstrich aus anderen Gründen aufsuchen, als jene Weltkinder, die ohne Spiel und Sport, ohne Residenz-Odeur und Demimonde nirgends auf dieser Welt existieren können, und wäre es das leibhafte mesopotamische Paradies der Bibel.“


Gedenktafel für „Promotor“ Theodor Billroth am Lungomare.

Abbazia

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