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1. Ur- und Vorzeit.
Оглавлениеann der Mensch seine Fußstapfen dem deutschen Boden eingedrückt habe; das ist die eine Frage, welche beantworten zu wollen selbst die Phantasie nicht Kühnheit genug besitzt, geschweige die Wissenschaft. Dagegen vermag diese doch mit einiger Sicherheit zu sagen, dass schon in jener nebelgrauen Vergangenheit, als da, wo jetzt der Bodensee flutet, ein Eiszeitgletscher starrte, das schwäbische Land von Menschen bewohnt oder wenigstens durchschweift sein müsse. Um ein Beträchtliches jünger sodann sind die Spuren, welche Muscheln essende Bewohner nordgermanischer Küsten von ihrem Dasein in vorgeschichtlicher Zeit hinterlassen haben. Der geschichtlichen Zeit aber und damit auch der Vorstellbarkeit bedeutend näher gerückt ist, was uns die Pfahlbauten aus der „Steinzeit“ offenbarten, der Überreste in den Seen und Torfmooren der Schweiz aufgefunden wurden.
Die Hinterlassenschaft der Pfahlbauten, deren jüngste den Übergang vom Steinalter zur „Bronzezeit“ aufzeigen, während die ältesten den Pyramiden von Gizeh an Alter gleichkommen oder gar vorgehen mögen.
Er erbringt den deutlichen Beweis, dass der menschliche Gedanke und die menschliche Arbeit mitsammen dazumal bereits zu großen Ergebnissen gelangt sein müssten. Denn die Bewohner der Pfahlbaudörfer lebten ja seßhaft und gesellig. hielten Haustiere, Rindvieh, Schafe, Ziegen, dörrten für diese zum Winterfutter das Wiesengras, wie für sich selber die Frucht des wilden Apfelbaums, trieben Ackerbau und buken Brot. In ihren „Bäumen“, wie ihre aus Baumstämmen zugehauenen und gehöhlten Kähne hießen, fuhren sie zum Fischfang und sicherlich auch auf Raub aus. Schon wärmte sich an ihrem Herdfeuer die gezähmte Katze und war der Hund der Wächter ihrer Inselhütten und ihr Führer auf der Fährte vom Ur und Elenn,
Von welcher Herkunft und Rasse die uranfänglichen menschlichen Betreter deutscher Erde gewesen sein mögen, ist selbst der Vermutung entrückt. In den Pfahlbauern dagegen Menschen kaukasischer Rasse und Sprößlinge der großen arischen oder indogermanischen (indoeuropäischen) Familie zu erkennen, wird durch keinen triftigen Grund verwehrt. Auch nicht, sie dem arisch-keltischen Zweige dieser großen Familie zuzuteilen. Denn es darf ja für eine sichere Tatsache gelten, das; bei der Einwanderung der Indogermanen aus Asien in das nördliche und mittlere Europa die Kelten den Germanen und Slaven vorangezogen waren.
Die Einbildungskraft mag mit den Jahrtausenden spielen, welche verflossen sind, seit unsere Urahnen mit denen ihrer Stammesbrüder, der Inder, Iraner, Hellenen, Italiker, Kelten und Slaven, in der arischen Urheimat, im Alpenlande des Hindukusch, in den Quellengebieten des Indus und des Oxus, zusammengesessen und gemeinsam zu den Urgöttern aller „Arja“, zu den Lichtgeistern — denn auf die Wurzel div (leuchten) ist ja der arische Gottesbegriff dêva und das gesamte indogermanische Gottesbewusstsein zurückzuführen — gebetet haben. Die Wissenschaft aber besitzt kein Mittel, diese Zeitfernen zu messen. Sie weiß auch die Ursachen, wodurch die arische Völkerlawine ins Rollen gekommen und warum oder wie sie nach verschiedenen Richtungen, in die Gangeshalbinsel, ins Hochland von Baktrien und Iran, gegen den Ural, den Kaspiasee, den Ponteuxin hin, auseinandergeborsten, nicht einmal ahnungsweise zu erraten. Ebenso wenig, wie aus dem ursprünglich gemeinsamen Ariertum der andern ebenfalls nach Europa wandernden Indogermanen, also der Hellenen und Italiker, der Kelten und Slaven, die germanische Eigenart scharf und immer schärfer sich herausgebildet habe. Endlich ist es kein sicheres Wissen, sondern nur eine durch die vergleichende Sprachenkunde an die Hand gegebene Aufstellung, dass die Trennung der Germanen von der arischen Familie vor sich gegangen sein müsse, bevor die Arja von der niedrigeren Kulturstufe des Hirtendaseins zu der höheren des Ackerbaulebens völlig sich erhoben hatten, also jedenfalls vor dem 12. Jahrhundert vorchristlicher Zeitrechnung.
Der Volksname „Germanen“ ist, wie gerade hier gesagt sein mag, ebensowenig ein ursprünglicher wie die Namen der übrigen Reste des arischen Stammes. Jedoch sind unsere Altvorderen unter diesem Namen in die Geschichte eingetreten. Er soll, wie behauptet und geglaubt worden, Speermänner bedeuten, als vom alten Worte Ger, d. i. Speer stammend, also Kriegsleute, und dieser Sinn des Namens bliebe, auch wenn die Herleitung desselben aus dem Keltischen („gairm“ oder „garm“) die richtigere sein sollte, weil er auf den von feindlichen Kelten gekennzeichneten germanischen Brauch, mit Ruf und Sang in die Schlacht zu gehen, hinwiese. Möglich auch, dass der Name Germanen, welchen Gallier zuerst dem Stamme der Tungern gegeben und den von diesen allmälig ihre sämtlichen Volksgenossen entlehnt haben sollen, ursprünglich ein keltischer Schimpf- und Spottname gewesen — („Gairmanen“, Lärmer, Schreier, Praler) — aber aus einem solchen, weil von den Verspotteten trotzig festgehalten und mit Stolz getragen, nach und nach zu einem Ehrennamen geworden. Ist es doch in späteren Zeiten mit berühmten Parteischimpfnamen gerade so gegangen („Geusen“, „Hugenotten“, „Chouans“, „Whigs“, „Tories“). Die Vermutung, dass unser Volk anfänglich Teutomannen oder Teutonen geheißen haben könnte, und zwar zu Ehren seiner mythischen Stammväter Teut (Thuisko, Thuisto) und Mannus, ist eine immerhin statthafte, weil sich bei einem römischen Autor, dem älteren Plinius, die aus dem Reiseberichte des Griechen Pytheas und demnach aus dem vierten vorchristlichen Jahrhundert stammende Angabe findet, dass ein den Guttonen, welche an der Ostsee hauseten, benachbarter Stamm den Namen der Teutonen geführt habe. Als aber dieser Name verhältnismäßig sehr spät, im 10. Jahrhundert, unter der Kaiserschaft Otto’s des Großen wieder auftauchte und zwar zunächst in lateinischer Form („Theutones“, „Theutonici“), als dann mälig die Bezeichnung „Deutschland“ für unsere Gesamtheimat und der Name „Deutsche“ für sämtliche Stämme bräuchlich wurden, da konnte von dem Wiederaufleben einer Erinnerung an so urzeitlich Mythisches, wie die Vorstellung vom göttlichen oder halbgöttlichen Stammvater Teut gewesen, freilich keine Rede sein. Das Dasein der „deutschen“ Sprache, als einer der lateinischen und den romanischen Mischidiomen gegenüberstehenden Nationalsprache, ist frühestens im Jahre 813 urkundlich bezeugt und diese unsere Sprache selbst nun leitet uns an, den Ursprung unseres Volksnamens „Deutsche“ auf das gotische Wort „Thiuda“ (althochdeutsch „Diota“, Volk, das Volk, nämlich das eigene Volk im Gegensatze zu sämtlichen fremden) zurückzuführen und in unserem heutigen „Deutsch“ die späte Enkelin der Urahne „Thiudiska“ zu erkennen.
Vom Sonnenaufgang her waren also unsere Altvorderen gen Sonnenuntergang gezogen und in Europa eingewandert. Warum, wann, wie, auf welchen Wegen, — das alles war schon in das Schweigen der Vergessenheit versenkt, als die Germanen zuerst in den Umkreis geschichtlicher Helle traten. Eine leise Erinnerung an die arische Urheimat und die indogermanische Urgemeinschaft scheint das deutsche Gemüt allerdings bewahrt zu haben in einzelnen Anklängen der germanischen Götter- und Heldensage an die altindische und altiranische. Allein dieser unbewusste Nachhall längst verstummter Laute hinderte unsere Ahnen nicht, sich für ein „Urvolk“ zuhalten, welches vom Urbeginn an mit seinem, dem deutschen Heimatlande verwachsen gewesen sei. Dem war aber schon darum nicht so, weil die Germanen ihren Wanderzug vom Ural her nicht geradewegs nach Deutschland, sondern allem nach zuvörderst nach Skandinavien gerichtet hatten. Dort in der halbinsularen Entlegenheit der skandinavischen Länder hat sich denn auch das germanisch-heidnische Wesen lauterer und länger erhalten als anderswo, und als ihm auch dort Verunreinigung und Vergewaltigung durch das eindringende Christentum drohte, fand es auf der fernen Eis- und Feuerinsel Island eine letzte Zuflucht, welche ihm gestattete, vor seinem Untergange noch seine heiligen Überlieferungen, seinen Götterglauben und seine Heldensänge schriftlich aufzuzeichnen und. also eine germanische Bibel, genannt die „Edda“ (Urahne), den nachgeborenen Geschlechtern als ein unschätzbares Vermächtnis zu hinterlassen.
Kimbrische Priesterinnen.
Der Mehrzahl der Germanen hatte es aber auf dem kargen Boden Skandinaviens nicht lange gefallen können. Während der kleinere Teil des Volkes dort zurückblieb, war der größere wieder auf die Wanderschaft gegangen und hatte sich über Deutschland ergossen, ein gewaltsamer Strom, welcher die daselbst vorgefundenen Kelten vernichtend überflutete oder aber aus dem Lande schob, südwärts und westwärts. Dann war der germanische Wanderstrom vorerst zum Stauen und Stehen gekommen und hatten unsere Altvorderen angefangen, in den weiten Landen zwischen der Nord- und Ostsee, der Donau und den Alpen, zwischen Oder. Elbe und Rhein häuslich sich einzurichten. dass dieses in der Form ackerbaulicher Seßhaftigkeit geschehen sei, muss im Allgemeinen angenommen werden, obzwar es fraglich, dass schon sämtliche germanische Stämme zur Ackerbaustufe der Zivilisation vorgeschritten sein mochten. Unzweifelhaft aber waren sie es zur Zeit, als sie zuerst in die Geschicke der griechisch-römischen Welt einzugreifen begannen und damit ihr geschichtliches Dasein anfingen.
Das geschah im Jahre 113 vor Christus, als die Wanderheere der Kimbrer und Teutonen, welche, sagten sie, durch eindringende Meeresfluten aus ihren Wohnsitzen an den Nord- und- Ostseegestaden vertrieben worden, in der Steiermark und in Kärnten an die Gebirgspässepforten der römischen Reichsgrenze klopften und Einlass begehrten. Schon dazumal regte sich in den deutschen Seelen die noch heute wache Sehnsucht nach dem blauen Himmel und der Fülle des Daseins jenseits der Alpen. Allein dieses Vorspiel der Völkerwanderung, welches den Schatten von Zukünftigem mehrere Jahrhunderte weit voranwarf und den „kimbrisch-teutonischen Schrecken“ in der Welthauptstadt Rom sprichwörtlich machte, schloss tragisch mit der Vernichtung der beiden germanischen Wanderstämme, deren ungestüme Tapferkeit bei und Vercellä (102 und 101 v. Chr.) der römischen Staats- und Kriegkunst erlag. Was uns die Sieger von den Besiegten gemeldet haben, ist namentlich für dass Wesen germanischer Weiblichkeit kennzeichnend. Diese erscheint nicht anmutig, aber großartig in den Gestalten jener kimbrischen Priesterinnen, welche im Lager den grausen Brauch des Menschenopfers vollzogen. Barhäutig und barfüßig, das weiße Linnengewand mit ehernem Gürtel unter der Brust befestigt, blanke Schwerter in den Händen haltend, so umschritten sie feierlich einen auf hohem Gerüste stehenden Kessel aus Erz. Gefangene Römer wurden herbeigeführt, die Priesterinnen nahmen sie in Empfang und bekränzten sie wie Opfertiere. Die Oberpriesterin stieg zu dem Kessel empor, einer der Gefangenen nach dem andern wurde zu ihr hinaufgehoben, über den Kesselrand gebeugt und einem nach dem andern durchschnitt sie die Kehle. Aus dem Blute, welches in den Kessel geflossen, weissagte sie. Schon hier also, beim ersten geschichtlich beglaubigten Auftreten der Germanen, erscheint bedeutsam das frauliche Priester- und Prophetentum derselben, während die Erinnerung an den urgermanischen Opferkessel bis zur Stunde noch unter uns fortlebt in der Vorstellung vom Hexenkessel. Germanische Keuschheit sodann offenbarte sich in waldursprünglicher Herbigkeit, wenn die Frauen der besiegten Kimbrer und Teutonen sich, wie sie taten, den Tod gaben, um nicht dem Mutwillen der Sieger preisgegeben zu sein. Was die Männer angeht, so ist für sie vor allen der Zug charakteristisch, dass sie mittels einer ihnen eigenen naiven Ritterlichkeit den Gegensatz ihrer Nationalität und Bildungsstufe zu der kühlrechnenden römischen markierten. So, wenn Bojorix, der Herzog, der Kimbrer, vor der Entscheidungsschlacht an den römischen Lagerwall heranritt und den Marias aufforderte, ihm Ort und Tag zu bestimmen, wo und wann sich die Römer den Germanen zum Kampfe stellen wollten, und der römische General seinerseits erklärte, seine Landsleute wären nicht gewohnt, über das Wo und Wann einer Schlacht zuvor mit den Feinden zu ratschlagen. Er bestimmte aber doch die Ebene von Vercellä zur Walstatt, weil er dort die ganze Überlegenheit seiner Reiterei ausnützen konnte, und Bojorix nahm den Vorschlag an, weil er einmal seinen Gegner aufgefordert hatte, einen zu machen.
Der Art begann der weltgeschichtliche Gegensatz von germanischem und romanischem Wesen. Seit nahezu zweitausend Jahren ist er da, hat im Laufe dieser Zeit verschiedene Formen angenommen, ist aber im Wesen derselbe geblieben und noch heute der Pol, um welchen die Entwickelung Europas sich dreht.
Die römische Politik war zunächst das Schicksal für Germanien. Genau in demselben Maße, in welchem Rom der großen Krisis des Überganges von der Republik zur Monarchie zueilte, steigerte sich die römische Ausdehnungskraft und die römische Eroberungsgier. Unfreie Völker sind ja vom Bejochungsteufel allzeit besessen. Schon Julius Cäsar trug sich während seiner Statthalterschaft in Gallien mit Eroberungsentwürfen gegen Germanien, hatte sich aber zuvörderst in seiner Provinz selber der germanischen Waffen zu erwehren. Der König der Sueben, Ariovist, war, als von den gallischen Sequanern gegen ihre Landsleute, die Aeduer, zur Hilfe gerufen, über den Rhein gezogen und hatte sich, da ihm das Land wohlgefiel, drüben festgesetzt. Cäsar, welchem dieser germanische Einbruch sehr unliebsam sein musste, versuchte zuerst mittels diplomatischer Kunst die Eingebrochenen zur Rückkehr über den Rhein zu bewegen. Um so mehr, als der „kimbrisch-teutonische Schrecken“ den Römern noch immer in den Gliedern lag und durch das, was die Gallier von ihren gefürchteten Nachbarn zu erzählen wussten, noch verstärkt wurde. Denn, so lauteten gallische Aussagen, wie Cäsar selbst sie uns überliefert hat, — die Germanen wären mächtig groß und stark und besäßen eine unglaubliche Tapferkeit, eine wundersame Fertigkeit in der Waffenführung; oft hätten sie, die Gallo-Kelten, es mit den Germanen aufzunehmen versucht, aber nicht einmal den Feuerblick der germanischen Augen zu ertragen vermocht. Der römische Heerführer hatte große Mühe, die nach seiner eigenen Schilderung bis zum Kindischen gehende Angst seiner Offiziere und Soldaten zu verscheuchen. Nachdem ihm dies aber gelungen, konnte es seiner strategischen Genialität, unterstützt von der taktischen Überlegenheit des römischen Heerwesens über das germanische, nicht allzu schwer werden, im Jahre 52 v. Chr. unweit von Mümpelgard den Ariovist zu schlagen, zu vernichten. So misslang den Sueben, was ein Halbjahrtausend später einem anderen germanischen Volksstamm, den Franken, gelang: germanische Festsetzung und Herrschaft in Gallien. Cäsar selbst hat seine mittels zweimaligen Rheinübergangs ins Werk gesetzten Eroberungspläne gegen Germanien bald wieder aufgegeben. Dagegen ist es ihm gelungen, das leidige deutsche Söldnerwesen in Gang zu bringen. Er war es, welcher, die uralte germanische Abenteuer-, Rauf- und Beutelust schlau benutzend und nährend, germanische Häuptlinge und Dienstmannen unter die römischen Feldzeichen lockte. Damit hob die deutsche Landsknechtschaft an, welche so oder so durch die Jahrhunderte herab bis heute gewährt und nur allzu häufig dem eigenen Lande zu großem Schaden gereicht hat. Jedennoch darf nicht übersehen werden, dass in dem Solddienste der Germanen bei Fremden, zunächst bei den Römern, auch ein höchst wirksames zivilisatorisches Element sich regte und betätigte. Die nationale Empfindsamkeit mag es beklagen, dass dem deutschen Volke nicht gegönnt gewesen, seine Eigenart in völlig selbständiger, von fremdem, also hier von romanischem Wesen unberührter Weise zu entwickeln. Allein die Kulturgeschichte arbeitet ja nicht mit schönen Gefühlen, sondern vielmehr mit harten Tatsachen und sie bestätigt daher allenthalben die Tatsache, dass, wo eine niedrigere Kultur mit einer höheren in Berührung kommt, jene von dieser beherrscht oder wenigstens stark beeinflusst wird. Es kann auch gar nicht anders sein. Ganz naturgemäß also nahm der Einfluss Roms auf Germanien seit den Tagen Cäsars beständig zu, an Umfang und an Kraft, und die tätigste Vermittler-in dieses Einflusses war eben die germanische Söldnerei, welche vom Anfang der römischen Kaiserzeit bis zum Ende derselben in die Geschicke Roms häufig genug eingegriffen hat. Die germanischen Leibgarden spielten in den römischen Palastrevolutionen vortretende Rollen, germanische Fürsten und Krieger stiegen im römischen Dienste zu den höchsten Hof- und Staatswürden empor und lenkten als Minister und Generale die Geschäfte des römischen Reiches. Allerdings haben diese Beziehungen — mächtig unterstützt durch die römische und römisch-gallische Handelstätigkeit — ihre volle Wirkung erst später getan, erst dann, als der römische Kriegs- und Zivildienst zugleich eines der bedeutendsten Mittel der anhebenden Verchristlichung der Germanen geworden war. Indessen hatten die Wechselberührungen von Rom und Germanien doch schon viel früher, schon beim Beginne der christlichen Zeitrechnung, eine beträchtliche Ausdehnung gewonnen.
Die zwingende Notwendigkeit der monarchischen Politik hatte den Oktavianus Augustus vermocht, die Entwürfe seines Großoheims in umfassenderem Maße wieder aufzunehmen und auszuführen. Demzufolge hatten in Süd- und Westgermanien, in den Donau-, Rhein- und Moselgegenden, nicht allein Roms Standarten, sondern hatte auch der ganze Apparat römischer Zivilisation festeren Fuß gefasst. Zur Zeit, wo, wie die christliche Mythologie später dichtete, der „Heiland der Welt“ arm und bloß in der Krippe zu Bethlehem lag, hatte es ganz den Anschein, als würde in dem römischen-Staatshandbuch bald von einer „Provinz Germanien“ die Rede sein, wie sie von einer „Provinz Gallien“ war. An Verräterei und Verwelschungseifer hat es damals unter den deutschen Großen so wenig gefehlt als zu Anfang des 19. Jahrhunderts und der alte Cheruster-Häuptling Segest konnte wohl einem modernen Rheinbundsfürsten zum Vorbilde dienen. Es ist auch wahr, dass die Rettung der Reinheit und Selbständigkeit deutscher Nationalität, wie sie durch Segests Tochtermann und Gegner Armin bewerkstelligt worden, keineswegs ein reiner Triumph germanischer Mannhaftigkeit gewesen ist. An der Ermöglichung der von Armin an der Spitze der verbündeten Germanen im Jahre 9 n. Chr. über die vom Prokonsul Varus befehligten römischen Legionen im teutoburger Waldgebirge gewonnenen Entscheidungsschlacht hat ja auch die Politik der Schlauheit und Verstellung, wie der germanische Edeling sie im römischen Dienste den Römern abgelernt hatte, einen nicht zu unterschätzenden Anteil gehabt. Immerhin jedoch muss Armin als der Bewahrer unserer Deutschheit vor Romanisierung angesehen und darf als ein Nationalheld im Hochsinne des Wortes gefeiert werden. Schon darum, weil der hochbegabte und warmfühlende Mann, nicht zufrieden, mittels der teutoburger Waldschlacht und mittels seines späteren höchst geschickt geführten Heerbefehls gegen die Römer die Eroberung und Bejochung seines Landes verhindert zu haben, den deutschen Grundschaden, die politische Zersplitterung, deutlich erkannte, als Heilmittel den großen Gedanken der nationalen Einheit aufstellte und der Eifersucht und Selbstsucht seiner Mitfürsten zum Opfer gefallen, der erste Blutzeuge dieses Gedankens geworden ist.
Ohne ihn hätte der römische Historiker Tacitus, als er auf der Grenzmarke des ersten und zweiten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung sein berühmtes Büchlein „Germania“ schrieb, um seine Landsleute über deutsches Land und Volk aufzuklären, nicht sagen können, die Deutschen seien ein „eigenartiger, reiner, nur sich selbst ähnlicher Menschenstamm“.
Diesen wollen wir uns sehe näher ansehen. Tacitus selber soll uns in erster Linie die Mittel zu dieser Rückschau auf das Sichhaben und Gebaren unserer Altvorderen liefern. Andere viele müssen wir von anderwärtsher holen, aus den Berichten griechischer und römischer Schriftsteller, aus einheimischen Überlieferungen und aus den alten, in lateinischer Sprache verfassten Gesetzbüchern der deutschen Volksstämme. Denn die Absicht geht dahin, alle Charaktermerkmale des germanischen Daseins während der sogenannten heidnischen Zeit in den Kreis dieser Schilderung zu ziehen und demnach von unseren Vorfahren zu reden, wie sie leibten und lebten bis zur Zeit, wo mit dem durch Karl den Großen angebahnten Sieg der christlich-romanischen Weltanschauung über das germanische Heidentum das deutsche Mittelalter anhob.