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Jesu Kommen nach Kapharnaum Markus 1, 21–31.32–34

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21–22 Einleitung

23–28 Die Entgeisterung eines Besessenen

29–31 Die Heilung der Schwiegermutter des Petrus

32–34 Erster Bericht vom Andrang der Menschen

21 Und sie wandern hinein nach Kapharnaum.

Und gleich am Sabbat,

nachdem er in die Synagoge hineingegangen war,

begann er zu lehren.

22 Und sie gerieten außer sich wegen seiner Lehre,

denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat,

und nicht wie die Schriftgelehrten.

23 In ihrer Synagoge war da gerade

ein Mensch mit einem unreinen Geist,

und er schrie auf,

24 sagend:

»Was (ist mit) uns und dir

(Ri 11,12; 1 Kön 17,18; 2 Kön 3,13; vgl. Mk 5, 7),

Jesus, Nazarener?

Ich weiß, wer du bist,

der Heilige Gottes!«

25 Doch Jesus fuhr ihn an,

sagend:

»Verstumme

und geh heraus aus ihm!«

26 Da ging der unreine Geist heraus aus ihm,

wobei er ihn (hin und her) zerrte

und mit lauter Stimme rief.

27 Und sie erschraken alle zusammen,

so dass sie miteinander disputieren,

sagend:

»Was ist dies?«

»Eine neue Lehre in Vollmacht!«

»Den unreinen Geistern befiehlt er,

und sie gehorchen ihm.«

28 Und die Kunde von ihm ging aus sogleich

überallhin in das ganze Umland Galiläas.

29 Als sie aus der Synagoge hinausgegangen waren,

gleich kamen sie mit Jakobus und Johannes

in das Haus von Simon und Andreas.

30 Die Schwiegermutter Simons aber lag fiebernd,

und sogleich sagen sie ihm von ihr.

31 Nachdem er herzu getreten

und die Hand ergriffen hatte,

richtete er sie auf.

Da verließ sie das Fieber,

und sie begann ihnen zu dienen.

32 Am Abend aber, als die Sonne unterging,

brachten sie zu ihm all die Kranken und die Besessenen.

33 Die ganze Stadt war da versammelt vor der Tür.

34 Und er heilte viele Kranke mit verschiedenen Krankheiten

und trieb viele Dämonen aus.

Doch den Dämonen gestattete er nicht zu reden,

denn sie kannten ihn.

Und sie wandern hinein nach Kapharnaum. Jesus ist mit seinen Jüngern, den Brüderpaaren Simon (Beiname Petrus, vgl. 3,16) und Andreas sowie Jakobus und Johannes, mit Fischern, die er am Galiläischen See (See von Gennesaret) von ihrer Arbeit rief, unterwegs. Ein Für und Wider gab es nicht. Er rief sie, und sie folgten ihm nach (vgl. 1,16–20). Zunächst nach Kapharnaum. Simon und wohl auch Andreas wohnten dort. Das Fischerstädtchen war ein Grenzort zwischen Galiläa und der Gaulanitis und lag am Nordwestufer des Sees etwa vier Kilometer westlich der Mündung des Jordan. Vom Aufschlagen des Quartiers in Kapharnaum wird nicht erzählt, sondern von anderem.

Und gleich am Sabbat, nachdem er in die Synagoge hineingegangen war, begann er zu lehren. In der Synagoge versammelte sich die Gemeinde unter der Leitung des Synagogenvorstehers zu Schriftlesung mit anschließendem Lehrvortrag, den ein Schriftgelehrter hielt. Gebet, Gesang und Segenshandlung gehörten ebenfalls dazu. In der Synagoge wurde auch Schule abgehalten und Recht gesprochen. Jesus begann zu lehren. Was und wie er lehrte, bleibt vorerst offen. Mitgeteilt wird uns zunächst nur die Wirkung des Lehrens Jesu auf die im Lehrhaus Versammelten. Sie gerieten außer sich wegen seiner Lehre. Und zwar gerieten sie deshalb außer sich, weil er sie lehrte wie einer, der Vollmacht hat, anders als ihre Schriftgelehrten.

Gemeint ist nicht, dass Jesus eine andere Sprache sprach als jene oder sich neuer Redeformen bediente. Gemeint ist auch nicht die Wohlgeformtheit seiner Rede, nicht eine originelle Vortragsweise, nicht eine seine Hörer in Bann ziehende Redekunst oder einfach etwas Neues, das die in der Synagoge Versammelten ganz aus dem Häuschen brachte. Das alles können andere schließlich auch und vielleicht sogar besser als er. Aber nein, Jesus lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat, so wie keiner der anderen, wie keiner von ihren Schriftgelehrten. Jesus redete nicht über Gott, Mensch und Welt wie jene, sondern er selbst ist das in ihre Mitte gekommene und sie lehrende Wort Gottes. Er ist der Mensch, auf den der Geist herabkam wie eine Taube (vgl. 1,10), und der die Nähe der Gottesherrschaft kündet (vgl. 1,15). Er spricht. Er agiert. Da geht es sofort zur Sache, wie uns im folgenden Abschnitt demonstriert wird.

In ihrer Synagoge war da gerade ein Mensch mit einem unreinen Geist, und er schrie auf. – Unreiner Geist war die damals geläufige Bezeichnung für finstere oder böse Kräfte, die den Menschen durchdringen und beherrschen, ihn an Leib und Seele krank machen, ihn geradezu zerstören oder für zerstörerische Werke in Besitz nehmen konnten. Man sagte dann nicht, dass ein solcher von allen guten Geistern verlassen, sondern dass er von bösen Geistern besessen sei. Aber das musste sich äußerlich gar nicht zeigen. Ein unreiner Geist kann in einem Menschen auch einfach nur schlummern. So einer also war da in ihrer Gemeindeversammlung, unauffällig und friedlich. Plötzlich aber schrie der Mensch mit dem unreinen Geist auf. In Sorge oder in Not, manchmal in Freude, in auswegloser Bedrängnis schreit einer auf.

Was wurde geschrien? »Was ist mit uns und dir, Jesus, Nazarener? Bist du gekommen, uns zu vernichten? Ich weiß, wer du bist, der Heilige Gottes!« Mit einer abwehrenden Frage geht es los: ›Was ist mit uns, was haben wir mit dir zu tun, Jesus von Nazareth? Wir haben doch eigentlich und noch besser nichts miteinander zu tun!‹

Wer spricht? Spricht der unreine Geist, der den Menschen hat, oder spricht der Mensch, der den unreinen Geist hat? Sprechen beide im Chor, oder versteckt sich da jemand? ‹Was haben wir mit dir zu tun?› Auf jeden Fall wissen sie, mit wem sie es zu tun haben, ohne dass Jesus sich ihnen vorgestellt hätte. Sie wissen um ihn ganz genau. »Bist du gekommen, uns zu vernichten?«, lautet ihre nächste, ihre besorgte Frage. Und dann hat das Versteckspiel unvermittelt ein Ende. Nun hat nur noch der unreine Geist das Wort und unternimmt einen Beschwörungsversuch: »Ich weiß, wer du bist, der Heilige Gottes!«

Doch Jesus lässt sich von diesem wahren und schönen Bekenntnis nicht ins Bockshorn jagen. Unreines wird nicht rein und Böses wird nicht gut, dass es die Wahrheit weiß. Das zieht bei dem Heiligen Gottes nicht. Jesus fuhr den unreinen Geist an und sagte: »Verstumme und geh heraus aus ihm!« Verhandelt wird nicht, nicht mal ein bisschen, und schon gar kein Kompromiss geschlossen. Jesus fährt dem Unhold sofort in die Parade und befiehlt ihm, auf Deutsch gesagt: Halt die Klappe und zieh Leine!

Da half dem unreinen Geist alles nichts. Er verließ den Menschen, wobei er ihn hin und her zerrte, sich in jeder Beziehung von ihm losreißen musste und entsetzlich schrie wie einer, dem die Wohnung samt Hab und Gut genommen ist und sogar die Sprechmöglichkeit. Und das war es dann. So verfährt der Träger des heiligen Geistes mit bösen Geistern. In seiner Nähe halten sie es nicht aus. Da wird nicht diskutiert. Da wird nicht gerungen. Da wogt der Kampf nicht hin und her, sondern da wird befohlen, und da werden Befehle ausgeführt. Ein Machtwort, und der unreine Geist nimmt schreiend Reißaus.

Von dem entgeisterten Menschen wird uns nichts berichtet. Nur noch von der Reaktion der anderen. Und sie erschraken alle zusammen, so dass sie miteinander disputieren. Den Erschrockenen blieben nicht die Worte im Hals stecken wie dem bösen Geist. Sie wurden gesprächig. »Was ist dies?«, fragten sie. »Eine neue Lehre in Vollmacht!«, sagten sie. »Den unreinen Geistern befiehlt er, und sie gehorchen ihm!«, stellten sie fest. So lehrte Jesus von Nazareth in der Synagoge zu Kapharnaum in Vollmacht, anders, ganz anders als ihre Schriftgelehrten. Und die Kunde von ihm ging aus sogleich überallhin in das ganze Umland Galiläas. Das blieb nicht geheim. Die Kunde von ihm sprach sich herum. Nicht nur im Land, sondern über die Landesgrenzen hinaus.

Während die Kunde von Jesus in die Lande ausging, ging auch Jesus mit seinen Jüngern aus Kapharnaums Synagoge hinaus. Erst jetzt wird erwähnt, dass sie dabei waren. Sie waren freilich nur dabei, wortlos und tatenlos, als Jesus gelehrt hatte. Danach fand ein Ortswechsel statt – vom Gemeindehaus ins Wohnhaus, aus der Öffentlichkeit ins Private, ins Haus von Simon und Andreas. Jakobus und Johannes gingen mit. Doch auch in diesem Haus stand es nicht zum Besten. Simons Schwiegermutter lag mit Fieber im Bett. Warum und wieso? Wir erhalten keine Auskunft. Ganz nebenbei erfahren wir, dass Simon verheiratet war (vgl. 1 Kor 9, 5). Seine Frau jedoch wird nicht eigens erwähnt. Nichts wird erwähnt außer der Kranken in seinem Haus. Die Jünger haben keine Scheu. Sogleich sagen sie ihm von ihr. Sie schildern ihm kurz und knapp die Lage. Das genügt.

Nachdem er herzu getreten und die Hand ergriffen hatte, richtete er sie auf. Etwas Besonderes geschieht nicht. Jesus tritt herzu, wie man an ein Krankenbett tritt, die Hand des Kranken ergreift und ihn, wenn er will, ein wenig aufrichtet. So oder so ähnlich hat es jeder bei einem Krankenbesuch bestimmt schon einmal getan. Hier geschieht es ebenso, aber auch anders. Da er herzu trat, ihre Hand ergriff und sie aufrichtete – verließ sie das Fieber. Dabei sprach er kein Wort, keinen Zauberspruch, wie es in der Antike bei der Bekämpfung des Fiebers üblich war. Wie sein Kommen in die Synagoge zuvor des unreinen Geistes Verschwinden war, so ist hier sein Kommen, sein Reichen der Hand, sein Aufrichten der Kranken des Fiebers Gehen. Dann stand die Frau selber auf und begann – als wäre sie nicht krank gewesen und als müsste sie nicht noch ein wenig ruhen – ihnen zu dienen, das heißt, sie zu bewirten. Nicht nur ihren Wohltäter, sondern sie alle im Haus. So demonstrierte sie ihnen, dass sie genesen war. Ihr Tun am Sabbat – dankbarer Dienst.

Wie Jesus diese Frau geheilt hat oder zu heilen vermochte, wird nicht erzählt. Dass er in Vollmacht lehrte, in Vollmacht handelte, ist auch hier die einzige Erklärung, die uns gegeben wird.

Am Abend aber, als die Sonne unterging, brachten sie zu ihm all die Kranken und die Besessenen. Die ganze Stadt war da versammelt vor der Tür. – Nicht nur über die Landesgrenzen hinaus, sondern auch in Kapharnaum selbst hatte sich die Kunde des Nazareners, von seiner Art, Menschen mit Vollmacht zu lehren, wie ein Lauffeuer ausgebreitet. Als der Sabbat vorüber war, am Abend, als die Sonne unterging, hob die Geschäftigkeit in der Stadt wieder an. Anders als sonst. Da brachten sie all die Kranken und die Besessenen, das heißt die mit Bosheit Geschlagenen oder mit Bösem sich Plagenden, zu ihm. Auf Tragen oder an der Hand, notdürftig gesichert oder nicht gesichert, wie auch immer. Die ganze Stadt war da auf den Beinen und versammelt vor der Tür, wo Jesus eingekehrt war.

Und er heilte viele Kranke mit verschiedenen Krankheiten und trieb viele Dämonen aus. Doch den Dämonen gestattete er nicht zu reden, denn sie kannten ihn. Jesus ließ nicht lange auf sich warten. Er kam vor die Tür und half den Menschen vor Einbruch der Dunkelheit in der Kraft des Geistes, die mit ihm war, so dass Kranke gesund und Besessene ihre Plagegeister loswurden. Wie das im Einzelnen aussah, ist der Fantasie des Lesers überlassen. Dem Evangelisten kommt es auf etwas anderes an. Darauf, dass Jesus viele Kranke heilte, nicht nur eine oder einen, und dass er mit verschiedenen Krankheiten fertig wurde, nicht nur mit einer oder einigen. Ferner, dass er viele Dämonen austrieb. Viele heißt viele, aber nicht alle. An jenem Abend heilte Jesus viele, aber nicht alle Kranken von all ihren Krankheiten und Gebrechen. Er schlug viele, aber nicht alle Dämonen samt ihren Dämonien aus dem Feld. Viele von jenen, die da erwartungsvoll Simons Haus in Kapharnaum belagerten, werden erleichtert, viele möglicherweise auch enttäuscht gewesen sein, dass Jesus, ein Mann mit diesen Fähigkeiten, nicht zu ihnen oder den Ihrigen gekommen war an diesem Abend. Noch ist nicht aller Tage Abend.

Statt dies näher zu erklären, wird noch erzählt, dass Jesus den Dämonen Redeverbot erteilte. »Ich weiß, wer du bist, der Heilige Gottes!« Mit diesen Worten hatte der böse Geist am Morgen in der Synagoge Jesus aufzuhalten versucht, gegen ihn vorzugehen. Denn wer seinen Namen kennt, den kann er nicht vernichten, ohne sich in Selbstwidersprüche zu verwickeln. Den muss er gewähren lassen, ja ihn retten und schützen (vgl. Ps 91,14–16)! Doch da hatte der schriftgelehrte böse Geist die Rechnung ohne den Heiligen Gottes gemacht. Der verschloss ihm das Maul und trieb ihn samt seinen Flausen mit einem Machtwort aus dem Menschen hinaus.

An unserer Stelle ist es nun ein wenig anders. Jesus möchte nicht, dass die Dämonen ihn bekannt machen. Denn sie kennen ihn. Sie wissen, wer er ist. Sie schreien auf, wenn er kommt, und bangen um ihr Leben. Doch ihr Wissen um ihn, das sie, sobald sie es mit ihm zu tun bekommen, herausschreien (vgl. auch Mk 3,11 f), soll ihnen im Hals stecken bleiben. Sie sollen niemand damit kommen. Weshalb? Könnte es die Menschen nur verwirren, sie nur in Angst und Schrecken versetzen, sie aber nie und nimmer befreien? Würde es Jesus selbst auf seinem Weg im Wege stehen und ihn behindern? Wird nur einer ihn bekannt machen, wie er will, und wann er will, und wem er es entdecken will, aber kein Dämon, kein unreiner, kein unheiliger Geist? Es ist wohl so gemeint.

Dann brach die Nacht herein. Jesus beendete sein Tagewerk, und alles verlief sich. Die Menschen begaben sich nach Hause. Morgen ist auch noch ein Tag. Dass Jesus nachts wie alle anderen ruhte, wird vorausgesetzt, aber nicht erzählt.

Der kommende Mensch

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