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4. Kapitel.
Mark Halahan
ОглавлениеEs war mehr als drei Jahre her, daß Felicia Drew aus Abenteuerdrang ihrem Bruder Dick nach Amerika gefolgt war. Dick war aber bald darauf in Kentucky gestorben, und sie stand nun allein in der fremden Welt. Sie hatte dann eine Stellung als Sekretärin auf einer Baumwollfarm in Georgia gefunden. Ihr Gehalt reichte gerade, um leben zu können; aber sie war zu stolz gewesen, sich um Unterstützung an ihre Tante Honoria zu wenden. So hatte sie, sozusagen in der Wildnis und fern von aller Kultur, drei Jahre in Georgia zugebracht. Erst vor einem Monat, als sie zufällig vom Tode ihrer Tante Honoria erfuhr, schrieb sie an ihren einzigen noch lebenden älteren Verwandten, an Onkel Mark Halahan, für den sie Zuneigung hegte. Onkel Mark schickte ihr darauf ein Telegramm, daß sie so schnell wie möglich nach London kommen solle, und überwies ihr zugleich sechzig Pfund.
Nur dieses Telegramm war der Grund gewesen, daß sie Amerika wieder verlassen hatte. An eine große Erbschaft dachte Felicia nicht im entferntesten. Wenn sie aber das Telegramm des Onkels schon überrascht hatte, so war sie noch mehr erstaunt, als sie an Bord ihren Vetter Sinclair traf. Dan Ricardo kannte sie nicht näher. Sie erinnerte sich nur dunkel, ihn einmal irgendwo in Georgia gesehen zu haben. –
Sofort nach der Landung der »Armentic« in Southampton wurde Felicia dieser Brief eingehändigt:
Pelham, Weeks & Pelham – 300 Mecklenburg Square.
An Miß Felicia Drew – S/S »Armentic«
Sehr geehrtes Fräulein! Wir bitten Sie, uns so bald wie möglich zu besuchen. Es handelt sich um eine außerordentlich wichtige Besprechung in der Erbschaftssache der verstorbenen Miß Honoria Drew. Jedenfalls dürfen wir erwarten, daß Sie uns alsbald von Ihrem Eintreffen telephonisch verständigen.
Stuart Pelham.
Was sollte das bedeuten? Es konnte sich wohl nur um Geld handeln, obwohl sich Honoria bei Lebzeiten kaum um ihre Nichte gekümmert hatte. Diese Pelham und Weeks waren offenbar die Anwälte ihrer verstorbenen Tante. Sie las den Namen dieser Anwaltsfirma nicht zum erstenmal: schon in New York hatte sie eine Anzeige dieser Herren gelesen, in der sie aufgerufen und aufgefordert wurde, sich sofort mit diesen Herren in Verbindung zu setzen. –
Trotz diesem dringenden Schreiben hätte Felicia aber in Southampton die Verhandlung gegen Kirkpatrick abgewartet, um ihn durch ihre Aussage helfen zu können. Da sie aber auf ihr Briefchen keinerlei Antwort erhalten, sah sie keinen Grund, sich für diesen unhöflichen Menschen noch weiter zu bemühen und ihm ihre Hilfe aufzudrängen.
* * *
In London fuhr Felicia nicht sofort zu den Anwälten, sondern erst zu ihrem Onkel Mark, der den dritten Stock eines eleganten Mietshauses der Pont Street in Mayfair bewohnte. Es schien ihm also zurzeit wirtschaftlich ganz gut zu gehen.
Ein Dienstmädchen öffnete auf Felicias Läuten. Als Felicia ihren Namen nannte, fühlte sie sich von dem sonderbar stechenden und schielenden Blick dieses Dienstmädchens scharf gemustert. Dann aber sagte das Mädchen höflich: »Wollen Sie gefälligst hier eintreten, Miß!« – und öffnete die Tür eines Wohnzimmers.
Im nächsten Augenblick erschien Mark Desmond Halahan. Er hatte die Sechzig schon überschritten. Er war kräftig gebaut, hatte weißes, dichtes Haar, und die Augen in seinem sympathischen Gesicht glichen ganz denjenigen eines Jungen.
Mark Halahan schloß seine Nichte kräftig in die Arme. Nachdem sie die ersten lebhaften Worte der Begrüßung getauscht und Onkel Mark seiner schönen Nichte ein paar Liebenswürdigkeiten über ihr Äußeres gesagt, fügte der alte Herr seufzend hinzu: »Und so einem Mädel will man nun gewaltsam alle Freude am Dasein vergällen! – Oder weißt du am Ende noch gar nicht, was man mit dir vor hat?«
Felicia schaute sehr verblüfft drein: »Mit mir vor hat? – Ich weiß überhaupt noch nicht, wozu ich nach London zitiert worden bin. – Nur diesen Brief hier habe ich in Southampton erhalten.« Sie reichte dem Onkel das Schreiben der Anwälte.
Halahan überflog die Zeilen schnell. »Ja, das sind die Anwälte Honorias«, sagte er dann. »Genau so verknöchert und versauert, wie sie selbst war. – Hm, das Büro ist aber schon um sechs geschlossen. Heute kannst du sie nicht mehr antreffen. Um aber deine Geduld nicht aus eine zu harte Probe zu stellen, werde ich dir das Testament vorlesen. Ich habe eine Kopie hier. – Aber setze dich lieber, denn die Sache wird dich vielleicht etwas mitnehmen.« Er schloß seinen Schreibtisch auf und entnahm ihm etliche Papiere.
Felicias Augen wurden immer größer, als sie nun nach und nach erfuhr, welches Vermögen ihr zugedacht war und welche Bedingungen sich daran knüpften.
Da ging ihr plötzlich das Benehmen Sinclairs wieder durch den Kopf: Also deswegen …! dachte sie spöttisch. Dann aber überwältigte sie die Freude über ihr unerwartetes Glück. Sie wurden durch den Eintritt des schielenden Dienstmädchens unterbrochen, das Mister Halahan auf einem Tablett einen unfrankierten Brief überreichte.
Als das Mädchen wieder hinausgegangen war, meinte Felicia: »Die sieht aber sonderbar aus. Wie lange hast du die schon? Einen schauderhaften Blick hat sie. Ich hoffe, daß sie sich die Augen nicht beim Spionieren durchs Schlüsselloch verdorben hat.«
Halahan hatte den Brief geöffnet und dann bald wieder beiseite geworfen. Jetzt lachte er über Felicias Bemerkungen und sagte: »Wie kommst du auf eine solche Idee? Ich lege bei einer Magd mehr Wert aus pünktliche und ruhige Bedienung als auf Schönheit. Ich habe sie übrigens erst einen Monat. Bisher bin ich mit ihr aber sehr zufrieden.«
Felicia war schon längst wieder in Gedanken bei der Erbschaft. »Wie lange sagtest du, daß ich warten muß?«
»Bis du zweiundzwanzig bist.«
»Das wären also … Heute ist der Zwölfte, also morgen in vier Monaten!« jubelte Felicia.
»Du wirst dich bei deinem Temperament aber höllisch vorsehen müssen, um nicht gegen die Bedingungen zu verstoßen und das ganze Geld zu verlieren. Am besten wäre es, wenn du dich in der Zeit von allem und jedem fern …«
»Ich soll also das Leben einer Nonne führen?« unterbrach Felicia fast entsetzt.
Halahan musterte sie ein Weilchen, und sein Blick wurde plötzlich melancholisch. »Felicia«, sagte er dann seufzend, »ich habe so ein Gefühl, als wenn du das Vermögen nicht bekämst.« – Aber seine Nichte lachte ihn nur aus. –
Am Abend speisten Onkel und Nichte bei Ritz und besuchten dann eine Revue.
Als sie nachts in die Wohnung zurückgekehrt waren, plauderten sie noch ein wenig im Wohnzimmer.
»Morgen mußt du also vor allem die Anwälte aufsuchen, Felicia«, sagte Mark Halahan. »Und auch ich will zu meinem Rechtsbeistand, um mein Testament zu machen. Ich hatte es schon lange vor. Du wirst auch meine Universalerbin, Felicia. Mehr als zweitausend Pfund beträgt mein Vermögen zwar nicht. Dafür wird mein Testament aber auch nicht solche verzwickte Bedingungen enthalten.«
»Das ist rührend von dir, liebster Onkel«, erwiderte das junge Mädchen. »Aber es tut mir weh, wenn du vom Testamentmachen sprichst. An den Tod solltest du noch lange nicht denken.«
Halahan widersprach nicht, aber er lächelte leise. Erst neulich war er bei einem Spezialisten gewesen, der ihm nur noch eine kurze Lebensspanne prophezeit hatte.
»Wieviel Geld besitzt du eigentlich noch?« fragte er dann ablenkend.
»Fünf Pfund – der Rest von dem Geld, das du mir geschickt hast. Außerdem besteht meine ganze Habe noch aus ein paar billigen Kleidern, ein paar Toilettesachen und einer Taschenpistole, die mich ganze fünfzehn Dollars gekostet hat.«
»Was willst du denn damit?« fragte Mark Halahan erstaunt. »Kannst du überhaupt damit umgehen?«
»Oh, ich habe oft geübt. Du mußt wissen, daß es in Georgia mitunter noch recht wild hergeht.«
»Zeig mir doch mal das Ding«, bat Mark, und Felicia holte die Waffe. Halahan drehte sie flüchtig in der Hand, dann meinte er: »Ohne Waffenschein darf man so ein Ding hier in England überhaupt nicht besitzen. Und dann: Schußwaffen und rote Haare vertragen sich nicht gut. – Ich werde dir das Spielzeug aufbewahren.« –