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John Marten Tailor
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
©2017 John Marten Tailor
Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved.
www.john-marten-tailor.com
E-mail: Martin.Tailor@web.de
Titelbild: ©Bianka Baumhöfner
Umschlaggestaltung: Michael Preissl, www.voodoo-press.com
Verlag: Martin Schneider
Windelsbleicher Str. 195a
33659 Bielefeld
Druck: epubli, ein Service der neopubli GmbH, Berlin
SINODIS
Die Auserwählte
Ein Roman von John Marten Tailor
Dieser Roman, seine Figuren und manche Orte sind frei erfunden. Ähnlichkeiten zu lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig. Historische Details wurden von mir nach bestem Wissen und Gewissen recherchiert, trotzdem kann ich für eine hundertprozentige Richtigkeit nicht garantieren.
Geschrieben aus dem Verlust einer Liebe ...
Die Auserwählte
Erster Teil
Zitat von Ovid in Ars Amatori
»Tief durchbebe das Weib im innersten Marke die Wollust, und es erfreue den Mann gleiches Entzücken mit ihr.«
Inhaltsverzeichnis
03 - Nichts ist, wie es scheint 34
14 – Pläne 114
16 – Aufbruch 131
17 – Unerwartet 135
18 – Paris 138
19 – Der Kontakt 140
21 – Unter Wasser 171
23 – Schock 197
26 – Entschluss 278
. 298
28 – Training 299
29 – Ausgesetzt 319
31 – Schießtraining 354
31.1 Bergung 358
31.2 Schießtraining 360
33 – Keine Zeit für Trauer 379
34 – Charlotte 384
35 – Denkzettel 391
37 - Hochzeitsgeschenk 410
38 - Offenbarung 431
Epilog 446
Danksagung 447
Prolog
Tag x, Mai
Ich lag hüllenlos schwitzend auf dem Bett, das war der derzeit herrschenden Schwüle in Norddeutschland geschuldet, und träumte immer noch von Jack. Von meiner Eroberung, die ein verdammtes Raubein aber auch ein Gentleman gewesen war. Nach der großen Enttäuschung in Hamburg, die gerade erst hinter mir lag, hatte ich von Männern nichts mehr wissen wollen, aber das Leben schrieb seine eigenen Gesetze. Auf Kuba hatte ich ihn kennengelernt, mich Hals über Kopf verliebt, was gar nicht meine Art war, und das in der ersten Urlaubswoche. Ich hatte im Treppenaufgang eines heruntergekommenen Hauses vor dem prasselnden Regen Schutz gesucht, ursprünglich auf der Suche nach einer typisch einheimischen Bar, die sich in unmittelbarer Nähe befinden sollte. Doch was ich stattdessen fand, stellte jegliche Erwartungen in den Schatten. Den Tipp mit der Bar hatte ich von einer erfahrenen Reisenden, einer Pool-Bekanntschaft, bekommen, um dem stereotypen All-Inclusive-Einerlei zu entfliehen. Bedauerlicherweise wollte sie mich nicht begleiten und so trat ich alleine den Fußmarsch von knapp zwei Kilometern an. Problemlos hätte ich auch ein Taxi nehmen können, aber es zog mich in die Freiheit, um die Luft des kubanischen Alltags zu schnuppern. Ich trug ein luftiges Sommerkleid und bequeme Espadrilles und fühlte mich mit meiner kleinen Umhängetasche bewaffnet bereit, Varadero zu erkunden. Auf dem Weg durch die Stadt öffnete der Himmel nach ein paar hundert Metern seine Schleusen für einen tropischen Regenguss, der in Sekunden bis auf die Haut vordrang. Als der Schauer endlich nachließ und ich es wagen wollte, meinen Unterstand zu verlassen, trat ein großgewachsener kräftiger Mann von links an mich heran und bat in akzentfreiem Englisch um Feuer. Ich schaute in seine braunen Augen und rang nach Luft. Ich hätte darin versinken können, daher verfiel auch ich automatisch ins Englische und stotterte:
»Sorry, ich habe kein Feuer. Ich rauche nicht.« Der Duft seines Rasierwassers hüllte mich ein, und ich begann tatsächlich, mich zu einem wildfremden Menschen hingezogen zu fühlen. Was war nur mit mir los? Jetzt bloß die Contenance bewahren. Er hatte offenbar nicht bemerkt, dass ich mich wie eine Idiotin benahm. Glück gehabt. Er sah umwerfend aus, wie er dastand, die Haare von der Luftfeuchtigkeit wirr. Ich spürte die Wärme seiner Hand auf meinem Rücken, die eine Welle der Sinnlichkeit durch meinen Körper jagte. Er presste dreist die Lippen auf die meinen, zärtlich, unmissverständlich, hielt mich an den Hüften fest. Er hätte eine Ohrfeige verdient, doch er küsste zu gut. Sollte ich davonlaufen oder es genießen? Ich entschied, es zu genießen, so lange es dauerte. Nur ein einziger Kuss von ihm setzte alle Regeln außer Kraft, die mir bisher heilig waren. Mein Herz raste, Sehnsucht regierte das Geschehen und im Geiste wünschte ich mir einen Stall voller Kinder von ihm. Ich hatte sie immer für dummes Geschwätz gehalten, die Sache mit der Liebe auf den ersten Blick, doch nun schien es mich gepackt zu haben, ich war Sklavin meiner Gefühle, sie hatten das Kommando übernommen.
»Kannst du haben, Kleines«, kam prompt die Antwort. Was? Bitte sag, dass ich das nicht laut ausgesprochen habe! Oh Gott! Ich quietschte auf, als er mich mit einer Leichtigkeit hochhob, als wäre ich eine Feder und keine erwachsene Frau von fünfzig Kilo. Ich wollte protestieren, doch der Blick in sein schelmisches Gesicht ließ mich alle Vorsicht vergessen. Mit einem charmanten Lächeln trug er mich durch ein dunkles Treppenhaus und die knarzende Treppe des gleichen alten Hauses hinauf. Oben schloss er eine Tür auf und stieß diese wenig später mit der Ferse wieder zu, als wir in einem schmalen Flur standen, von dessen Wänden die Farbe in großen Placken abblätterte.
Herrje, kann mir mal jemand verraten, was ich hier eigentlich mache? Ein Kerl lächelt dich an und du wirfst alle Vorsicht über Bord? Mama wäre stolz auf dich.
»Eine schicke Wohnung hast du«, ließ ich ablenkend verlauten, als er mich in seiner Küche wieder auf meine Füße stellte.
»Möchtest du einen Kaffee?«
»Ja, gerne«, entgegnete ich hölzern und kaum hörbar. Eigentlich hatte ich sagen wollen: »Für einen Kaffee würde ich sterben.« Er lehnte sich an mir vorbei, um Tassen aus dem Hängeschrank hinter mir zu nehmen. Oh Mann, riecht der gut, schoss es mir durch den Kopf.
»Du aber auch.« Er küsste mich einmal mehr. Hatte ich das schon wieder laut ausgesprochen? »Hast du.«
»Verdammt!« Mein Blutdruck hatte Hochkonjunktur. Das Zimmer drehte sich in einem Schwindelanfall, mein Schoß verlangte nach ihm.
»Wie heißt du eigentlich? Ich finde es an der Zeit, uns vorzustellen.«
»Amily«, fiepte ich wie eine winzige Maus. »Und wie heißt du?«
»Man nennt mich Jack. Hier ist dein Kaffee, Amily. Woher hast du deinen schönen Namen?« Schweratmend antwortete ich:
»Von meiner Mutter!« Oh nein, in Gedanken schlug ich mir die flache Hand vor die Stirn. Das war an Peinlichkeit nicht mehr zu überbieten. Ich biss mir auf die Unterlippe. Ein amüsiertes Funkeln trat in seine Augen.
»Ein seltener Name. Woher stammt der?«
»Aus dem Französischen, soweit ich weiß.« Er lehnte bequem am Küchentresen und trank seinen Kaffee, ohne seinen Blick von mir abzuwenden.
»Ach so.«
»Meine Mutter hat französische Wurzeln. Und du? Bist du etwa Kubaner?« Ich nippte an dem starken Gebräu.
»Nein, Halb-Spanier.«
»Ach, echt?« Er nahm meine freie Hand, zog mich an sich und küsste mich erneut so unverschämt gut, dass ich weiche Knie bekam. »Vorsicht!«, rief ich und knallte die Tasse auf die Ablagefläche der Küche, dass der Kaffee herausspritzte. Er umschlang mich mit beiden Armen und bedeckte meinen Hals mit Küssen. Ich schloss die Augen. Seine Hände glitten zu meinen Hüften hinunter und ich erschauderte. Es war ein angenehmes Schaudern, aber die Situation wurde brenzlig.
»Olè!«, rief ich aus, eines der wenigen spanischen Worte, die ich fehlerfrei verwenden konnte. »Ich sollte vielleicht besser gehen ...«, versuchte ich, mich aus der Affäre zu ziehen. Mein Innerstes war in Aufruhr, ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, mein Magen protestierte nervös. Das machte mich noch kribbeliger, während diese wunderbaren Hände leicht um mein Steißbein kreisten und ich dabei war, mich immer mehr in diesen Mann zu verlieben - in einen völlig Fremden, in dessen Wohnung ich mich befand, in einem exotischen Land. Das ungewohnte Klima musste schuld sein, oder der Jetlag, daheim wäre mir so etwas im Leben nicht passiert.
»Hast du eine Verabredung?«
»Ja! – Ja, hab ich«, log ich. Jack war keinesfalls entgangen, dass ich ihm hoffnungslos verfallen war. Er zog mich seelenruhig und mit einer Selbstverständlichkeit, die mich erschreckte, in sein Schlafzimmer. Dort öffnete er den Reißverschluss meines Kleides, streifte mir unter Küssen das Blümchenkleid von den Schultern und betrachtete mich eingehend. Er ging auf die Knie und schob mir im Zeitlupentempo die Panty von meinen Hüften. Seine Hände streichelten über die Hüften zu meinem Po, sein Mund bedeckte liebevoll meinen Intimbereich. Wie konnte ich meine Erregung jetzt noch verbergen? Mein Schoß hatte seine eigenen Gesetze und bereitete sich auf eine Verköstigung der Superlative vor. Jack stand nun wieder aufrecht vor mir, erwiderte meinen Blick, jedoch nicht, ohne vorher seine magischen Augen bewundernd über meinen athletischen Körper wandern zu lassen.
»Amily, du bist eine wunderschöne Frau.« Geschmeichelt und ermutigt zugleich knöpfte ich automagisch sein Leinen-Hemd auf und streifte es von seinem muskulösen Oberkörper. Ich öffnete seinen Gürtel und ließ seine schwarze Stoffhose auf die Holzdielen fallen. Meine Hände streichelten über seinen Bauch bis hin zu seinem erregten Penis unter der Boxershorts. Ich tat so, als wäre ich nicht überrascht. Immer wieder musste ich Jack küssen. Langsam wanderten meine Lippen nach unten zu seiner Brust, seinem Bauch und zu seinem harten Glied unter dem Stoff. Dabei vernahm ich ein wohliges Aufstöhnen, das er gewiss nicht hatte preisgeben wollen. Also hatte auch Jack weiche Knie bekommen. Ich streifte ihm bewusst langsam seine Unterwäsche von den Hüften, betrachtete ihn nun genauer - und war beeindruckt. Sanft knetete ich seinen Penis mit warmen Händen, ihn hingebungsvoll liebkosend. Unweigerlich stöhnte Jack auf.
»Jack, du bist ein schöner Mann.« Seine Erregung stand plakativ vor mir und er grinste.
»Du unanständiges Mädchen.«
»Und das bin ich gerne, Jack«, erwiderte ich provozierend. Wenigstens hatte ich inzwischen meine Stimme wiedergefunden und stand auf. Ich legte meine Arme auf Jacks Schultern, zog ihn so nah, wie die physikalischen Gesetze es zuließen, an mich heran, unser warmer Atem vermischte sich mit der Neugier aufeinander. Sein steifes Glied zwängte sich zwischen meine Beine, berührte meine empfindlichste Stelle. Bloß nicht in Ohnmacht fallen, flehte ich innerlich und kniff die Augen zusammen. Ich atmete stoßweise durch den Mund. Jack hielt mich, streichelte meinen Rücken. Meine Beine vermochten mich längst nicht mehr zu tragen. Er fasste unter meinen Po und hob mich etwas höher und drang ganz behutsam, aber unerhört tief in mich ein. Die Festspiele der Lust waren eröffnet und die Gefühle übernahmen das Kommando. Wie von Sinnen verschaffte ich uns mehr Lust, indem ich mein Becken auf und ab bewegte. Sein Mister Jack erteilte mir die erste Unterrichtsstunde zum Thema Stellungen. Jack brachte uns auf dem Bett in die Horizontale und das unbändige Verlangen nach ihm stellte nach wenigen Minuten meine Lust zur Schau. Die Phase der absoluten Ekstase ließ nicht lange auf sich warten. Wir bettelten einander um mehr an und verschmolzen miteinander. Ein altmodischer Deckenventilator rackerte sich damit ab, einen kühlen Luftzug über uns zu hauchen, während unser lautes Stöhnen Jack und mich in eine unbekannte Welt riss.
Er hatte mich gefunden. Ich schaute unentwegt in seine Augen, die ein Spiegel seiner Seele darstellten. Das Knistern war nahezu greifbar, wir wollten es jetzt zu Ende bringen. Ich spürte seine erregten Blicke, seine Hitze und meinen Schweiß, der aus sämtlichen Poren rann. Er leckte das salzige Nass von meiner Haut. Jetzt sollte ich Jacks ganze Energie zu spüren bekommen. Die Flut der Gefühle stürzte mich ins Chaos, meine alte Welt existierte nicht mehr. Noch nie hatte mich ein Mann dermaßen in Ekstase versetzt. Doch Jack konnte meine verborgensten Wünsche lesen.
Die erste Lust war gestillt. Nachdem wir gemeinsam den Höhepunkt erlebt hatten, küssten wir uns zärtlich. Ich flüsterte in sein Ohr: »Ich bin längst nicht fertig mit dir.«
»Das glaube ich dir gerne«, antwortete er amüsiert, dann ließ er von mir ab und ging in die Küche, um etwas zu trinken. Ich folgte ihm, stellte mich dicht hinter ihn und umschlang seinen muskelbepackten Oberkörper, sodass sich meine Brüste gegen sein Kreuz pressten, streichelte ihm liebevoll über den flachen Bauch.
»Du böses, böses Mädchen.«
»Ach, findest du? Ich war bloß von dir und deinem - du weißt schon - von Mr. Jack so überwältigt, ich konnte gar nicht anders ... Na ja, ich habe lange keinen so zärtlichen Mann mehr gehabt.« Er schaute fragend. »Ich bin noch nie so innig, so leidenschaftlich geliebt worden, Jack.«
»Noch nie? Ich bitte dich. Das machen doch alle Männer so«, behauptete er, aber ich senkte den Kopf. »Hey, Kleines. Was ist denn?«
»Nein, das ist es ja. So wie du, Jack, lieben nur wenige Männer.« Dabei strich mein Zeigefinger über seine vollen Lippen.
»Das muss mein südländisches Temperament sein«, feixte er und leitete bewusst oder unbewusst einen Themenwechsel ein. Ich hatte keine Lust über die leidige Thematik zu sprechen, denn damit hätte ich weder mir noch meiner Eroberung einen Gefallen getan. Schließlich war daran vor kurzem meine letzte Beziehung gescheitert.
»Das wird es sein. Küss mich einfach«, bat ich. Er sah mich erst nur schweigend an, so als müsse er über etwas nachdenken, dann sagte er:
»Nichts lieber als das. Dann komm mit.« Nebenan legte ich mich erwartungsvoll auf das Bett. Seine Hände brachten meine Haut zum Prickeln und versetzten mich in absolute Alarmbereitschaft. Er küsste meine Brüste und lächelte genießerisch. Dann beugte er sich über mich und schenkte mir einen sinnlichen Kuss. Als ich meine Augen öffnete, setzte er ein freches Grinsen auf.
»Was ist los, Amily?«
»Nichts, mach weiter! Ich habe es nie für möglich gehalten, so zu empfinden. Ich habe einfach nicht mehr daran geglaubt, Jack.« Wir lagen auf der Seite und schauten uns verliebt an. »Du siehst glücklich aus.«
»Ja, das bin ich.«
»Und ich verdurste gleich«, ließ ich ihn wissen. Jack holte eine neue Flasche Wasser, öffnete sie und trank, ohne mir etwas anzubieten. Meine bösen Blicke reichten aus, mir die Flasche Wasser zu überreichen. Dann legte er sich hinter mich und liebkoste meinen Nacken. Die Gänsehaut ließ nicht lange auf sich warten, er hörte nicht auf, meinen Rücken zu streicheln. Der warme Atem verriet mir trotz geschlossener Augen seine unmittelbare Nähe, es kribbelte überall. Ich rieb meinen Po an seinem Penis, doch er schlief ein - und ich? Ich war überglücklich, einen zärtlichen Liebespartner gefunden zu haben, der eine solche Leidenschaft mit mir teilte. Mit diesem wohligen Gedanken glitt auch ich ins Land der Träume.
Wir schliefen lange. Der schöne Mann hatte Frühstück zubereitet: Croissants, rein zufällig mit meiner Lieblingsmarmelade Waldfrucht, Rührei und frisch gebrühten Kaffee.
»Mmh, schmeckt das gut.« Ich lächelte Jack zufrieden an.
»Viel besser als im Hotel.« Als ich aufstand, um ins Bad zu gehen, wurde ich meiner wackeligen Beine vom Sex gewahr. Verträumt betrachtete ich mein Abbild im Spiegel. Die Frau darin war eine ganz andere Amily. Eine glückliche, braungebrannte Person, die ein gewisses Strahlen umgab. Leider hatte ich weder eine Zahnbürste noch sonstige Pflegeprodukte dabei, daher spülte ich mir nur den Mund aus und richtete mein Haar so gut es ging. Gut gelaunt ging ich zurück in die Küche, aber Jack war mit unseren Kaffeetassen ins Schlafzimmer umgezogen. Ich beugte mich nackt über ihn, völlig frei und sehr vertraut. Er strich spielerisch über meinen Po und glitt dann mit einem Finger in mich.
»Jack, nicht!« Ich keuchte auf, fragte mich gleichzeitig, ob ich mehr wollte, was ich bedingungslos bejahen konnte. Allerdings wollte ein Teil von mir meinen Adonis gern näher kennenlernen, bevor ich mich noch weiter auf ihn einließ. Er hingegen hinterließ eine Spur der Lust an meinem G-Punkt, als er seinen Finger aus mir herauszog und ablutschte. Bei diesem Anblick war es schier unmöglich, nicht mehr zu wollen. Er hatte meinen schwachen Punkt gefunden, von Gefühlen überwältigt kniff ich die Beine zusammen. Ich spürte die Röte meine Wangen hochkriechen, aber ich hatte Prinzipien.
»Jack, die letzte Nacht war unglaublich aufregend. Niemals hätte ich erwartet, so etwas hier zu finden und ich habe mich, glaube ich, ernsthaft verliebt.« Zur Bestätigung überschüttete ich ihn mit Küssen.
»Wow«, kam von ihm als Antwort. »Glaubst du?«
»Ja«, ich strich eine imaginäre Haarsträhne aus meinem Gesicht. Obwohl er jedes Detail meines Körpers gesehen hatte, war es mir trotz allem peinlich, mein Seelenleben vor einem Mann auszubreiten, den ich keine vierundzwanzig Stunden kannte. Wie albern. Außerdem fürchtete ich mich vor dem Zeitpunkt des Abschieds. »Ich glaube, meine Beine sind aus Pudding«, meinte ich nur, um etwas zu sagen und lachte auf.
»Wenn du mich doch in Hamburg besuchen könntest! Ich weiß, dass es viel zu weit weg ist. Aber ich möchte dich besser kennenlernen. Ich schreibe dir meine Adresse auf. Moment.« Dann notierte ich die Anschrift auf einer Ansichtskarte, die ich geplant hatte zu verschicken.
»Das werde ich tun, verlass dich darauf. Wie wäre es, soll ich dir ein heißes Bad einlassen? Danach geht es auch deinen Beinen wieder besser.«
»Prima Idee.« Während die Wanne volllief, legte ich meine Silberkette, die mit einem mythischen, uralten Symbol versehen war, auf die Ablage. Die genaue Bedeutung oder den Ursprung des Symbols hatte ich trotz Internetrecherche bislang nicht herausfinden können, aber irgendwann würde die Zeit dafür kommen. Das Erbstück meiner Mutter bedeutete mir sehr viel und ich hütete es wie meinen Augapfel. Das Wasser war nun wohltemperiert und von einer Schaumkrone bedeckt. Ich glitt hinein, dachte aber immer nur an den Einen. Ich verfiel abermals der Lust und gab mich ihr hin. Schon wieder erreichte ich den Höhepunkt und hoffte, dass Jack mich nicht gehört hatte. Ich lehnte mich zurück, dann fielen mir die Augen zu.
Wie lange war ich jetzt schon im Bad? Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren und musste eingenickt sein. Anscheinend schon sehr lange, denn meine Haut an den Fingerkuppen war aufgeweicht wie die einer Wasserleiche. Ich spülte rasch den Schaum weg und trocknete mich ab, dabei umfing mich eine eigenartige Stille. Ich rief nach meiner Eroberung, aber es regte sich nichts. Ich ging ins Schlafzimmer zurück, um nach ihm zu schauen, aber von Jack keine Spur. Alles, was ich vorfand, war eine Holzpuppe mit meinen Kleidern darauf ... Das Zimmer war im wahrsten Sinne des Wortes leer. Wie konnte das sein, war ich doch gerade erst ins Bad gegangen?
Ich nahm zitternd meine Sachen von der Schneiderpuppe, zog mich verunsichert an und fragte mich, wo verdammt noch mal Jack war. Aufgelöst lief ich in die Küche, aber auch die wirkte unbewohnt, ausgeräumt. Alles, mit dem wir in Berührung gekommen waren, war fort. Keine Spur verriet die Anwesenheit eines Bewohners. Wie war das möglich? Waren die letzten vierundzwanzig Stunden nur ein Traum gewesen? Aufgeregt und panikerfüllt rief ich unaufhörlich nach ihm ... Jack. Meine Worte hallten in den kargen Räumen und verdeutlichten bloß die Trostlosigkeit des Ortes. Ich verstand die Welt nicht mehr. Auf dem Weg zur Tür fand ich einen Zettel, nach dem ich mich bückte und auf dem stand:
Ich werde dich finden, egal wo du bist. Versprochen. Kuss Jack.
Mein Herz machte einen Hüpfer. Ich zog die Tür hinter mir zu, lief hurtig nach unten, und natürlich war ich immer noch auf Kuba, in meinem verdammten Traumurlaub. Die Sonne stand bedenklich tief und ich musste zusehen, dass ich in mein Hotel kam, bevor es dunkel wurde.
01 – Hamburg
Von meinem Traumurlaub zu Hause in Hamburg in meiner Zwei-Zimmer-Wohnung in bester Innenstadt-Lage angekommen, dachte ich darüber nach, den Mann meiner Träume gefunden und gleich wieder verloren zu haben. Kein Wunder, dass ich mich einfach nur hundsmiserabel fühlte und unsagbar enttäuscht war. Immer noch kämpfte ich gegen die Tränen an, betrat die kleine Wohnung, die ich mein Eigen nannte, warf vor Verzweiflung Koffer und Handtasche achtlos in den Flur, zerrte mir die Klamotten vom Leib und stieg erst einmal unter die Dusche. Der Schweiß der anstrengenden Reise wollte abgewaschen werden, aber die Enttäuschung blieb. Ich heulte mir die Seele aus dem Leib, wimmerte leise unter der Dusche:
»Bitte, Jack, wo bist du? Bitte, bitte.« Mein Mantra der letzten Tage. Ich werde dich finden, egal wo du bist. Was hatte ich von einer Urlaubsliebelei erwartet? Den Mann fürs Leben? Dabei hatten wir noch nicht mal viel miteinander gesprochen. Was wusste er von mir? Was wusste ich von ihm? Nur seinen Vornamen. Ich stellte das Wasser ab und cremte mechanisch meinen Körper ein, dabei registrierte ich verspätet, dass in Deutschland mittlerweile der Frühsommer Einzug gehalten hatte. Der Kalender wies den Monat Mai aus, das Thermometer zeigte 26 Grad. Rasch verfasste ich eine SMS an meine Mutter Sophie im Elsass mit den Worten:
Bin gut angekommen, habe Jetlag. LG.
In Gedanken versunken räkelte ich mich auf meinem Bett. Die Erinnerungen wirbelten durch meinen Schädel wie ein Tornado, kreisten immer noch um den Einen, es war zum Verrücktwerden. Ich sehnte mich doch nach ihm, streichelte mich selbst, versuchte, meinen Bauch zu beruhigen, der allein bei der Erinnerung an Jack nervös wurde. Ich stellte mir vor, wie es wäre, wenn er hier bei mir wäre, mich glücklich machen könnte. Dann schlief ich unzufrieden ein.
Am kommenden Morgen weckten mich die Düfte von Kaffee und warmen Brötchen. Ich schnupperte. Das konnte nicht stimmen, denn ich lebte alleine. Wer sollte mir Frühstück machen? Mir ging es miserabel, ich musste wohl im Schlaf geweint haben, denn meine Augen waren ganz verschwollen. So konnte das nicht weitergehen! Ich folgte dem Wohlgeruch in die Küche und erstarrte vor Schreck. Auf dem Tisch standen wahrhaftig dampfender Kaffee und Brötchen, frisch vom Bäcker. Mir schwante Böses. Ich schrie auf und rannte zur Tür, um zu schauen, ob diese verschlossen war. Dort klebte ein Zettel:
Mach bitte immer deine Tür zu. Ich hoffe, das mit dem Kaffee und den Brötchen ist dir recht. Habe dich die ganze Nacht weinen gehört. Gruß Marten.
Nicht doch. Das brachte das Fass zum Überlaufen. Ich sackte zusammen. Was hatte Jack mit mir angestellt, dass ich sogar meine Wohnungstür offen stehen ließ? Mir fiel das Atmen schwer, mein Herz raste wie wild vor Aufregung, doch nach einer Weile hatte ich mich halbwegs beruhigt und ging zum Frühstücken in die Küche. In drei Tagen würde ich auf der Arbeit erwartet werden - in meinem jetzigen mentalen Zustand und mit den rot verquollenen Augen undenkbar. Ich konnte die Lästereien der Kollegen im Büro schon in meinen Ohren klingeln hören. Ich arbeitete in einem produzierenden Betrieb, der seine Eigenkonstruktionen in Sachen Anlagenbau vermarktete, als Maschinenbau-Ingenieurin und kämpfte mich erfolgreich durch diese rein von Männern dominierte Welt. Dabei gehörte meine eigentliche Leidenschaft der Archäologie. Von Kindesbeinen an wollte ich in die Fußstapfen großer Archäologen treten, forschen, mit den eigenen Händen etwas ausgraben, um einen der Funde schlechthin zu machen: den Schatz Alexander des Großen. Nur meiner alleinerziehenden Mutter Sophie zuliebe, die meinte, ich solle etwas Vernünftiges lernen, hatte ich Maschinenbau studiert und es machte mir Spaß.
Ich zog mir einen Slip über, mehr nicht, denn es war mittlerweile brütend heiß geworden. Verträumt ging ich zur Balkontür, die Kaffeetasse in der Hand, schob die Gardine zur Seite, lugte vorsichtig durch die Scheibe. Von meinen Nachbarn war niemand zu sehen, was mir sehr entgegenkam. Ich öffnete die Balkontür vollständig, eine leichte Brise wehte in das stickige Wohnzimmer. Endlich ein Hauch Luft. Doch nicht nur das. Da war auch noch etwas anderes. Ich zog die Gardine zu und wandte meinen Blick in Richtung Geräuschquelle. Der Schreck fuhr mir erneut in die Glieder.
»Du?« Jack stand in meiner Wohnung, als wäre es das Natürlichste der Welt. Als Nächstes wurde mir ganz schummrig.
Ich fand mich auf dem Sofa wieder. Meine Sicht nahm an Schärfe zu. Wie kamen die Blumen auf den Tisch? Da stand ein wunderschöner Strauß, der einem das Herz aufgehen ließ. Ein mir bekanntes Gesicht beugte sich über das meine. Überrumpelt von diesem Anblick brachte ich kein Wort über die Lippen.
»Hallo Amily!« Die Stimme passte zu dem Bild, aber wie hatte er ohne Schlüssel meine Wohnung betreten können?
»Ich glaub, ich spinne! Wo kommst du denn her?« Die geballte Wut kam von ganz tief in mir hoch und ich schrie den Mann an, den ich so sehr mochte: »Du Schwein, was hast du getan? Ich war ganz alleine! Kuba war die Hölle für mich, nachdem du weg warst.« Ich sank in Jacks Arme und schluchzte.
»Ich habe doch versprochen, ich finde dich«, murmelte er kleinlaut und streichelte über mein Haar. Sicher hatte er sich das Wiedersehen etwas anders vorgestellt, aber ich konnte nicht aus meiner Haut. »Wer konnte denn ahnen, dass du gleich umkippst, wenn du mich siehst.«
»Das …, das lag nur daran, weil ich zu wenig getrunken habe«, log ich. »Da macht mein Kreislauf nicht mit.«
Er brachte mich ins Schlafzimmer, entkleidete sich und schmiegte sich dicht an mich. Ich spürte die Hitze seines Körpers, wimmerte verletzt und verliebt zugleich:
»Hast du überhaupt eine Ahnung, was du mir damit angetan hast, du Schuft? Weißt du das?« Wahrscheinlich wusste er es nicht. Wie konnte er ahnen, wie schrecklich die restlichen Urlaubstage nach unserer Begegnung für mich gewesen waren? Wie ich wie ein Zombie durch die Gegend gewandelt bin, mein Gesicht hinter einer riesigen Sonnenbrille aus dem Souvenirshop verborgen? Wie ich von Appetitlosigkeit geplagt vor dem ausladenden Buffet gestanden und zu einem Stückchen trockenem Baguette gelangt hatte? Wie konnte er auch? Ich schlug blindlings auf ihn ein, bekam einen Weinkrampf, aber er sagte noch immer keinen Ton, als hätte ihm jemand die Zunge rausgeschnitten.
»Ich liebe dich und du verschwindest ohne ein Wort! Jetzt sag doch mal was! Du machst mich wahnsinnig.« Abermals sank ich schluchzend in seine Arme. Er hörte mir schweigend zu, küsste ganz zärtlich meine Schulter. Ich fauchte: »Lass das! Gib mir lieber endlich eine Antwort.« Stattdessen wiegte er mich beruhigend, gab mir ein Gefühl von Geborgenheit und letztendlich schlief ich ein.
Jacks Schnarchen holte mich irgendwann aus dem Schlaf. Ich schaltete die Nachttischlampe ein und entdeckte eine frische Wunde an seinem Oberkörper, die mir bisher nicht aufgefallen war, weil ich mich viel zu sehr in meinen Schmerz hineingesteigert hatte. Wer hatte ihm so zugesetzt? Er flehte im Schlaf: »Tut ihr nichts!«, um dann zu verstummen. Ich streichelte vorsichtig über seinen geschundenen Körper, drehte ihn behutsam auf den Rücken, um zu sehen, wie viele Narben er noch davongetragen hatte. Verdammt, ich zählte fünf Wunden und faustgroße Blutergüsse. Ich schmiegte mich eng an, um ihm das Gefühl von Sicherheit zu geben. Die restliche Nacht schliefen wir tief und fest durch.
Als ich erwachte, war es an der Zeit, Klartext zu reden.
»Jack, aufwachen! Wir haben etwas zu klären!«, keifte ich ihn an. Er schaute mich aus verschlafenen Augen an.
»Moment, Amily, bitte.« Er hielt mich eng an seinen Körper gepresst und flüsterte mir ins Ohr: »Ich liebe dich wie verrückt, das musst du mir glauben. Ich habe nur versucht, die Gefahr abzuwenden, aber das erkläre ich dir später. Ich kann dir nur eins sagen: Seitdem ich dich getroffen habe, ist alles anders für mich.«
»Auf die Erklärung bin ich gespannt«, giftete ich, doch er küsste mich sanft.
»Entspann dich.«
»Na, du bist gut!« Mein Schoß stand in Flammen. Küsse, die liebevoller nicht sein konnten, ließen meinen Zorn verrauchen. Gerade als ich anfing, mich ihm hinzugeben, begannen seine Arme unkontrolliert zu zittern und er sank in die Bewusstlosigkeit.
»Oh nein! Jack, was ist? Sag doch was, verdammt!« Nichts. Ich zog mir in Windeseile einen Morgenmantel an und alarmierte meinen netten fürsorglichen Nachbarn Marten von gegenüber, der als Arzt in einem Krankenhaus in der Stadt arbeitete. Er sah nach Jack und meinte lapidar:
»Der hat ganz schön was einstecken müssen, aber das wird wieder. Herz und Puls sind in Ordnung. Es sieht schlimmer aus, als es ist. Keine Sorge, Amily.«
»Ich danke dir, Marten«, sagte ich und brachte ihn zum Ausgang. »Dafür, dass du nach Jack gesehen hast – und für das andere auch.« Gerade als ich die Tür schließen wollte, streckte mir eine behandschuhte Hand eine Pistole entgegen. Ich war wie erstarrt. Jack stand mittlerweile im Flur und schrie:
»Mach die verdammte Tür zu!« Ein Schuss löste sich, als ich mich aus meiner Starre erwacht gegen das Türblatt stemmte, und mit letzter Kraft die Tür ins Schloss rammte, so dass die Pistole klappernd direkt vor meinen Füßen landete. Komisch, der Schuss war gar nicht so laut, wie man das als Laie erwartete. Im nächsten Moment lag ich im Flur, sah eine ganze Menge Blut und wusste nicht, wie mir geschah.
»Amily!«
Ich starrte auf das Blut, das meinen Oberarm entlang rann. »Da ist überall Blut!«
»Halb so wild, nur ein Streifschuss«, versuchte Jack mich zu trösten, dabei war er so kreidebleich, als hätte er einen Geist gesehen. Ich atmete immer schneller.
»Oh, toll. Ich … verstehe nur nicht, … warum man auf uns schießt. Wir müssen die Polizei rufen.«
»Nein! Vertrau mir, die brauchen wir nicht.«
Jack schleifte mich ins Schlafzimmer, ich hinterließ einen Blutstreifen auf dem Laminat. Er legte mich auf die Matratze, dann musste er selbst kurz verschnaufen.
»Es tut so weh.« Mein Oberarm brannte wie Feuer. Der Schmerz war mit nichts vergleichbar, das ich kannte, er strahlte bis in die Schulter aus. Schließlich wurde unsereins nicht jeden Tag angeschossen.
»So, dann wollen wir mal sehen.« Er hatte den Verbandskasten im Flur gefunden und presste Mullbinden auf die blutenden Wunden auf Höhe meines Schlüsselbeines und fixierte alles mit Pflastern. »Fertig. Du bist sehr tapfer, Amily.« Ich lächelte schwach.
»Nein, bin ich nicht. Bist du auch verletzt?«, fragte ich besorgt. Kopfschüttelnd antwortete er:
»Nein. Du bist wichtig, nur du.« Er gab mir einen Kuss.
»Jack?«
»Ja, Amily?«
»Für dich würde ich sterben.« Er sah mich lange an, bevor er entgegnete:
»Ich weiß. Ich auch für dich. Liebe dich, okay?« Dann wurde mir schwarz vor Augen.
Zwei Tage später erwachte ich. Sofort durchbohrte der Schmerz meinen geschwächten Körper und erinnerte mich daran, was passiert war. Es musste später Vormittag sein, so wie das Licht durch das Schlafzimmerfenster fiel. Von Jack keine Spur. Nicht noch mal! Vor Wut darüber, dass er noch mal abgehauen sein könnte, hievte ich meinen malträtierten Leib aus dem Bett und schleppte mich mit schmerzverzerrtem Gesicht in die Küche. Wehe … »Jack?« Er saß auf einem Stuhl, das Kinn auf der Brust. Er musste über mich gewacht haben, bis ihm die Augen zugefallen waren.
»Komm ins Bett, Jack. Du musst dich ausruhen. Wie lange sitzt du denn da schon?« Er schlug die Augen auf, murmelte etwas wie: »Ich muss eingeschlafen sein«, stand auf und folgte mir wie in Trance ins Schlafzimmer. Jetzt war es an mir, über ihn zu wachen, also legte ich mich zu ihm. Er drehte sich um, nahm mich in den Arm, wobei er seine morgendliche Erregung kaum zu verbergen vermochte.
»Jack, ich hatte tierische Angst um dich, ich will das mit uns nicht missen.« Ich küsste seine vollen Lippen.
»Ich will dich auch nicht missen.« Er sagte das so überzeugend, ich glaubte ihm auf Anhieb.
»Aber ich verstehe einfach nicht, was das alles soll! Warum hat Marten auf uns geschossen? Es muss Marten gewesen sein.«
»Marten?« Jack klang verwirrt.
»Der Arzt. Mein Nachbar!«
»Ach so. Kann mir auch nicht vorstellen, warum.«
Nachdem wir ein paar Stunden geruht hatten, stand ich auf, um uns mit den Resten, die ich noch im Haus hatte, ein schönes verspätetes Frühstück zu zaubern. Es war kein üppiges Mahl, eher etwas für den kleinen Hunger, denn obwohl mein Arm weniger wehtat, fielen mir die alltäglichen Handgriffe nicht so leicht wie normal. Ich wollte Jack gerade rufen, da stand er schon im Adamskostüm direkt hinter mir. Überall Muskeln. Was für ein Mann! Schnell wendete ich den Blick ab, nahm die H-Milch aus dem Kühlschrank und schenkte Kaffee ein. »Ich wollte dir gerade Bescheid sagen. Es gibt was zu essen.« Er presste seinen verschwitzten Körper an meinen.
»Meine kleine Amily, ich bin zum ersten Mal in meinem Leben wahrhaftig verliebt, ich kann nicht beschreiben, wie sehr. Und das seit dem ersten Moment, als ich dich gesehen habe.«
»Ach, Jack! Wie romantisch.« Bitte sag das nur, wenn du es auch so meinst, flehte ich in Gedanken. Ich wandte mich ihm zu, reichte ihm den Becher, betrachtete ihn im Ganzen, so wie er es mit mir gemacht hatte, lehnte mich zurück und genoss nicht nur den Kaffee, sondern den Anblick von Mr. Jack. Bei dieser Gelegenheit gestand ich Jack, dass es vorher keinen Mann in meinem Leben gegeben hatte, bei dem ich auch nur annähernd ein so ausgeprägtes Verlangen nach Sex und Liebe empfand. Er starrte mich nur verständnislos an.
»Aber was sage ich. Genug davon, sonst kommen mir gleich die Tränen. Also, was machen wir Schönes?«
»Wollen wir an der Elbe spazieren gehen? Soll schön sein, hab ich gehört. Und dann vielleicht eine Kleinigkeit essen?«, schlug Jack vor. »Vorausgesetzt du fühlst dich gut genug, natürlich.« Freudig erwiderte ich:
»Die Schmerzen haben schon nachgelassen. Also gern. Ich brauche nur fünf Minuten.« Ich hatte vor, seine Blicke zu schärfen, und zwar so, dass ihm später als einzige Option der Weg ins Schlafzimmer blieb. Deshalb suchte ich das schönste Minikleid aus, das ich besaß, dazu passend eine dünne Jacke, falls es kühl werden sollte, kombiniert mit Sneakers. Ich gab Jack lächelnd einen Klaps, als ich an ihm vorbeiging, schlich in den Flur und schaute durch den Türspion.
»Was machst du, Amily?«
»Die Luft ist rein. Wir können gehen.«
02 - Lagerhalle
Ich nahm ein Stück schwarzes Klebeband aus dem Schubladenschrank, öffnete die Tür und klebte damit Martens Türspion zu. Sicher ist sicher. Es lag auf der Hand, dass er derjenige gewesen sein musste, der den Schuss abgefeuert hatte. Keine Ahnung, weshalb er das tun sollte, zumal er mir kurz vorher noch Frühstück gebracht hatte. Ich vermutete zwar schon länger, eigentlich seit einem Nachbarschaftsfest vor zwei Jahren, dass Marten heimlich in mich verschossen war, aber als Mann war er leider gar nicht mein Typ - etwa gleichaltrig und ein erfolgreicher Arzt, aber sowas von langweilig.
»Komm, Jack, keiner da«, wisperte ich, schnappte mir noch meine Schlüssel, und dann stahlen wir uns durch den Hinterausgang. Die Sonne brannte hell und heiß, Jack fühlte sich unübersehbar wohl in meiner Begleitung. Wie sehr hatte ich mir einen Mann an meiner Seite gewünscht, der mich liebte, wie ich war. Wir schlenderten in Richtung des neuen Hafenviertels. Ich mochte dieses trendige Quartier mit der modernen, spannenden Architektur. Selbst als Einheimische entdeckte ich jedes Mal etwas Neues, und das wollte ich natürlich meinem Liebsten zeigen.
»Beeindruckend«, gestand mein Gast aus der Ferne.
»Nicht wahr? Gut, dass heute nicht so viel los ist. Muss an der Wärme liegen.« Ich blieb irgendwann mitten auf dem Gehweg stehen und Jack drängte sich nah an mich heran, um mir bei der Gelegenheit schelmisch ins Ohr zu flüstern:
»Hast du eigentlich immer so wenig an, Amily?« Ich errötete.
»N... nein Jack, das ist nur für dich. Das habe ich noch nie getan, ehrlich. Mein Verlangen nach dir ist gewaltig, trotzdem habe ich Angst, dass es nicht genug sein könnte.«
»Aber nein, was redest du da. Alles was du von Herzen gibst, ist genug.«
»Ja, schon, aber ich bin ständig hungrig auf dich, und das kenne ich nicht von mir. Es macht mich nervös. Du machst mich nervös.«
Es war kaum zu überhören, wie sich mehrere Gestalten um uns scharten und sich gar über uns lustig machten. Deren pöbelhafter Tonfall erregte meine Aufmerksamkeit.
»Sind sie nicht süß, die beiden? Da seid ihr ja, ihr Turteltauben. Haben wir euch endlich gefunden!« Ich stand wie erstarrt, unfähig zu reagieren, aber wenigstens mein Mundwerk funktionierte noch.
»Was wollen Sie? Ich kenne Sie nicht.«
»Halt die Klappe!«, befahl einer von ihnen. Jack schätzte die Lage ab, griff dann nach meinem Ellenbogen, um mich vor einer Dummheit zu bewahren. Wir waren umringt von etlichen Herren, die uns vor den Blicken der Passanten abschirmten und dann wenig zimperlich zwei Seile um uns schlangen. »Vorsicht, mein Arm!«, fauchte ich, und dann geschah, was ich nie für möglich gehalten habe. Mit einem Ruck wurden wir über die Kaimauer gezerrt, dann sechs Meter in das brackige Wasser des Hafenbeckens hinabgelassen – und niemand scherte sich darum. Ich zappelte nach Leibeskräften, fügte mir aber nur selbst Schmerzen zu.
»Jack! Hilfe!« Meine letzten Gedanken galten der Tatsache, dass ich den Gestank aus den Klamotten nie wieder herausbekommen würde, und dann ... erwachte ich mit dröhnendem Schädel in einer erbärmlich stinkenden Lagerhalle, in einer Affenhitze. Das Dach bestand aus einfachem Wellblech und hatte sich durch die Sonne aufgeheizt wie ein Backofen. Ich kannte solche Hallen, aber die Perspektive, aus der ich sie betrachtete, verwirrte mich. Ich drehte leicht den Kopf und stellte fest, dass man mich an Armen und Beinen aufgehängt hatte, wie in einem Schlachthaus. Der Schmerz von der Schusswunde, die wieder blutete, malträtierte mein Hirn. Über meine verhunzten Klamotten brauchte ich mir nicht mehr den Kopf zerbrechen, denn man hatte mich entblößt aufgehängt wie Schlachtvieh beim Metzger. Die Tatsache für sich genommen machte mich nur wütend. Als ich den Kopf anhob, sah ich Jack dort ebenso unbekleidet hängen – eineinhalb Meter von mir entfernt. Weit und breit war keine Menschenseele außer ihm zu sehen. Ich konnte aber nicht erkennen, ob er wach war. Die Halle war wohl seit langem verwaist, hatte etwas von einem in Vergessenheit geratenen Schrottplatz. Überall lagen leere Fässer, Kanister und Maschinenteile verstreut. Es gab Gruben für Maschinen wie beispielsweise monströse Pressen, die ein Betonbett benötigten. Damit kannte ich mich aus. Ich hatte ja Maschinenbau studiert. Den penetranten Geruch schrieb ich Diesel oder Altöl zu.
»Jack!«, rief ich. »Sag, was haben die mit dir angestellt?« Er hob mühsam seinen Kopf. Wenigstens war er bei Bewusstsein. »Du meine Güte, was ist mit deinem Gesicht passiert? Was wollen die von dir?« Es kostete ihn Mühe, zu antworten.
»Weiß nicht. Sie fragen ständig nach einer Rolle.«
»Rolle? Was für eine verdammte Rolle?« Ich verstand nur Bahnhof. Sämtliches Blut staute sich mittlerweile in meinem Kopf.
»Keine Ahnung. Wenn ich das wüsste. Wir müssen hier weg. Schaffst du es, dich mit den Armen aus den Gurten zu befreien? Es sind ungefähr drei Meter bis zum Boden. Wenn du deine Hände zusammenführen könntest, kannst du vielleicht die Schnalle öffnen.«
»Unmöglich, das schaffe ich nicht.«
»Komm, versuch es! Bitte, Amily, für uns. Bitte.« Ich atmete dreimal durch und hangelte mich dann an einer der Ketten hoch bis zur Schnalle. Mit dem kleinen Finger friemelte ich die Schnalle aus der Öse. Das tat weh. Und dann - fiel ich kraftlos in meine Ausgangsposition zurück. Auf diesen gewaltigen Ruck in den Handgelenken folgte ein heftiger Schmerz.
Jack fand immer wieder die richtigen Worte, um mich anzutreiben:
»Mach schon. Amily, du hast es gleich. Du bist ein starkes Mädchen«, sagte er, dann kam von ihm kein Laut mehr. »Nein, nein, Jack! Lass mich nicht im Stich.« Voller Verzweiflung entfesselte ich Kräfte, die mir bislang verborgen gewesen waren, packte die Kette, zog mich bis zur Schnalle hoch und schob den verdammten Stift aus dem Loch. Meine erste Hand war frei. Wenn ich eine Hand befreien konnte, dann auch die andere. Nach dem dritten Versuch konnte ich auch die zweite Schnalle lösen, holte Schwung und fiel, bis die Fußfessel mich stoppte. Was für eine blöde Idee, stellte ich schmerzerfüllt fest. Als ich da hing, sah ich das ganze Ausmaß von Jacks Verwundungen. Meine verletzte Seele schrie nach Vergeltung, wem auch immer diese galt. Mein Zorn überwand jegliche Grenzen der Physik. Den Oberkörper nach oben gestemmt, klammerte ich mich an der Kette fest. Mit letzter Kraftreserve – die Schusswunde blutete jetzt wieder stärker - öffnete ich die Schnalle, dabei glitt der Fuß heraus. Frei. Ich konnte mich nirgends mehr festhalten, die Ketten der Armfessel waren für mich nicht erreichbar, deshalb schnellte mein Körper nach unten. Es knackte heftig im Fußgelenk, doch die lederne Schnalle riss dabei ab. Aus einem Reflex heraus schützte ich meinen Kopf, krachte mit voller Wucht auf den harten Betonfußboden und verlor das Bewusstsein.
Nach einer gefühlten Ewigkeit schlug ich die Augen auf, sah Jack bewusstlos in den Ketten hängen. Selber kaum in der Lage, mich zu rühren, probierte ich, meine Hände aufzustützen, aber mein Körper gehorchte mir nicht. Ich hörte eine Tür schlagen, versuchte wegzukriechen, doch es ging nicht, meine Gliedmaßen waren nicht bereit, den nächsten Schritt zu tun. Also entschied ich einfach, die Augen geschlossen zu halten. Tote Frau spielen. Ich atmete möglichst flach. Nach den Schritten zu urteilen, handelte es sich um zwei oder drei Personen. Sie blieben vor mir stehen, diskutierten in einer Sprache von der ich annahm, dass es Spanisch sei, ich aber kein Wort verstand. Zugern hätte ich gewusst, worum es ging. Es wurde immer anstrengender, meine Atmung zu kontrollieren. Hört auf zu palavern!
Jemand schnappte meine Beine, schleifte meinen nackten, stark blutenden Körper über den schmirgelpapierartigen Betonfußboden. Nach einigen Metern ließen sie meine Füße fallen. Ich musste mich fürchterlich zusammenreißen, bei dieser zweifelhaften Methode keine Miene zu verziehen oder gar laut aufzuschreien. Kalter Schweiß benetzte jeden Quadratzentimeter meiner Haut. Mit geschlossenen Augen vernahm ich das Quietschen von Metallrollen, Ketten, die klirrend aneinanderschlugen. Daraus schloss ich, dass sie Jack herabließen, um wiederholt auf ihn einzuschlagen. Irgendetwas brach, ein dumpfes Geräusch, als würde ein Körper auf dem Beton aufschlagen. Einer der Männer murmelte:
»Wer hätte das gedacht, er hat sie wohl doch nicht. Verflucht!«
»Mist, wir haben die Falschen. Und nun?«
»Lass mich nochmal versuchen.« Daraufhin brüllte der Kerl Jack in einem letzten Versuch an:
»Wenn du die Rolle doch hast, töten wir jeden, der dir nahesteht, dann wirst du sehr, sehr einsam sterben, mein Freund.« Die Männer gingen zum Ausgang. Einer von ihnen drehte sich auf seinen Ledersohlen noch einmal um, Stoff raschelte, ich hörte das Entriegeln einer Schusswaffe und dann einen Knall. Mein Körper produzierte einen Hitzeschub, der in ein brachiales Brennen überging. Mein Oberschenkel fühlte sich an, als gehörte er nicht zu mir. Ich war viel zu entsetzt, um zu schreien.
»Okay, vergiss es, die ist mausetot«, grölte einer der Männer, sie lachten lauthals.
Hauptsache, ihr habt Spaß. Ich schwor, Rache zu nehmen. Für Jacks Qualen und die verlorene Liebe. Ich würde herausfinden, wer dahintersteckte und dann ... Ich weinte lautlos, ängstlich, nicht das Richtige zu tun. Die Tür schlug zu. Ich wartete regungslos, bis es dunkel wurde, um sicherzugehen, dass unser Überleben verborgen blieb, dann befahl ich mir:
Komm, raff dich auf, kümmere dich um Jack! Du bist an der Reihe. Nur allzu schwerfällig gehorchten meine Arme, stemmten meinen geschwächten Oberkörper in die Höhe. Ich sah Jack in drei Metern Entfernung auf dem Boden liegen. Kein Lebenszeichen ging von ihm aus.
»Los, Amily, auf die Beine!«, trieb ich mich unter unerträglichen Schmerzen an. Ich erlangte meinen Geruchssinn zurück, der schlug Alarm. Es stank bestialisch nach Öl und Benzin. Ich wankte zu dem Reglosen.
»Steh auf, Jack! Steh auf!« Nur allmählich kehrte Leben in seinen geschundenen Körper zurück.
»Bist du okay, Amily?«
»Ja, geht schon. Komm, wir müssen hier raus, es riecht hier furchtbar nach Brennstoff.«
Jack kam nur unter großen Anstrengungen auf die Beine, aber endlich stand er, und ich selbst blutete noch immer.
»Haben die Schweine etwa auf dich geschossen?« Der Zorn loderte in seinen Augen.
»Unwichtig, wir müssen hier raus! Ich habe so ein komisches Gefühl, dass die wiederkommen.« Wir schleppten uns gebeugt zur Seitentür, mühten uns gemeinsam mit der Klinke ab, aber die war festgerostet. Nichts rührte sich. Plötzlich riss jemand die größere Tür an der Stirnseite auf, die der Haupteingang sein musste. Erschrocken fuhren wir herum. Einer unserer Peiniger tat einen Schritt ins Innere. Ich rechnete fest damit, dass er uns erschießen würde. Er bemerkte abfällig:
»So, ihr lebt doch noch. Ihr zwei erstaunt mich immer mehr.« Dann warf er unter höhnischem Gelächter sein brennendes Feuerzeug in eine der schimmernden Pfützen, was rasend schnell ein Feuerinferno entfachte, das rasch um sich griff. Der Mann verließ die Halle und schlug die Tür zu. Wir waren gefangen im Flammenmeer! Mittlerweile war es kochend heiß.
»Jack, mach die verdammte Tür auf!« Die Rauchentwicklung nahm zu, ich begann zu husten. Jack zog und zerrte an der Tür. Vergeblich. Auch er hatte Luftnot, seine Augen tränten und er keuchte verzweifelt:
»Ich versuch’s. Es geht nicht! Scheiße, das ist eine Schiebetür.« Mit dieser Erkenntnis setzten wir alles daran, sie endlich zu öffnen. Die Flammen kamen bedrohlich näher. Erst drückten wir nach links, falls sich unter der Tür ein Keil befinden sollte. So war es auch, die Tür ließ sich endlich aufschieben. Wir keuchten und rangen nach Luft. In dem Moment, als der Sauerstoff ungehindert eindringen konnte, geschah es: Jäh raste eine Feuerwalze auf uns zu. Es ging alles viel zu schnell. Jack drehte sich mit dem Rücken zum Feuer, stellte sich beschützend vor mich, und schrie mich an:
»Vertrau mir!« Er hielt mich fest umschlossen. Ich vertraute ihm. Die Feuerwalze trieb eine gewaltige Druckwelle vor sich her, welche uns dann aus dem Gebäude katapultierte.
03 - Nichts ist, wie es scheint
Gott weiß, wie lange wir da im Dunkeln gelegen hatten. Es dauerte eine geraume Weile, bis ich mich orientieren konnte. Trotz des Infernos vor unserer Nase war mir bitterkalt. Schnell wurde man der lodernden Flammen und der Verpuffungen gewahr, eine ganze Heerschar von Einsatzkräften rückte an. Im Zuge der Löscharbeiten stolperten sie quasi über uns.
»Hierher!« Ich streckte einen Arm in die Höhe, um auf uns aufmerksam zu machen. Zig Retter eilten herbei, ein Helikopter schwebte über uns. Da waren flackernde Lichter in Rot und Blau und Suchscheinwerfer. Die helfenden Hände, die nicht mit den Löscharbeiten betraut waren, waren bemüht, uns zu versorgen. Ich schloss die Augen, konnte endlich loslassen.
Erst im Krankenhaus erlangte ich das Bewusstsein wieder. Ein Alarm vom Überwachungsmonitor gab Meldung über mein Erwachen. Sofort erschienen ein Arzt und zwei Pfleger, um nach mir zu sehen.
»Sie sind wach. Wie schön. Ich bin Dr. Paul Brenner, Chefarzt. Können Sie mir sagen, wie Sie sich fühlen?« Mir brannte nur die eine Frage auf der Seele:
»Jack? Wo ist er denn? Geht es ihm gut?« Der Arzt schaute überrascht.
»Beruhigen Sie sich. Ihr Jack ist bald wieder auf den Beinen. Und Sie natürlich auch.« Seine Verletzungen seien nur oberflächlich. Neben zwei Schusswunden, hätte ich allerdings böse Hautabschürfungen, Prellungen und einen verstauchten Knöchel davongetragen, der dick bandagiert war. Zudem würden ein paar Leute von der Bundespolizei mit mir reden wollen, für die ich gar nicht schnell genug das Bewusstsein wiedererlangen konnte. Ob das in Ordnung sei.
»Na schön, aber ich möchte nicht mit denen alleine sein.« Dr. Brenner wirkte in einer Art und Weise angenehm beruhigend auf mich, die ich nicht definieren konnte.
»Lässt sich einrichten. Mein Kollege hier gibt Ihnen etwas gegen die Schmerzen. Ich bitte die Polizisten herein. Machen Sie sich keine Sorgen. Wie heißen Sie eigentlich, junge Dame?«
»Mein Name ist Amily Simon«, sagte ich, während der Pfleger sich an meinem Arm zu schaffen machte.
»Na dann, Amily, tief durchatmen. Ich hole die Beamten und bleibe bei Ihnen, versprochen. Ist das okay?«
»Ja, gut.«
Es verstrichen nur wenige Sekunden, bis eine Frau auf der Bildfläche erschien. Sie war klein, blond und sehr mager, sah aus wie eine zu dünne Puppe von schätzungsweise fünfunddreißig Jahren und war auf Anhieb ein rotes Tuch für mich. Ein großer dunkelhaariger Mann, etwa vierzig Jahre alt, begleitete sie. Er war die sympathischere Hälfte dieses Dream-Teams. Dr. Brenner, den sie vor die Tür schicken wollten, ließ keine Zweifel aufkommen, wer das Sagen hatte. Auch mein Veto war ihnen gewiss:
»Der Arzt bleibt, sonst sage ich kein Wort.«
»Na schön«, lenkten die Beamten ein. »Keine Aufregung.« Die Frau warf ihrem Partner sonderbare Blicke zu und übernahm dann das Reden.
»Meier und Schmidt von der SOKO Hamburg.« Sie deutete dabei auf ihren Partner Schmidt. »Wir ermitteln wegen des Brandes auf dem Hafengelände, da erheblicher Sachschaden entstanden ist. Sie wurden in unmittelbarer Nähe zum Tatort aufgefunden, deshalb haben wir ein paar Fragen an Sie. Es wird nicht allzu lange dauern. Nennen Sie uns bitte vorab Ihren Namen und Ihr Geburtsdatum.«
Ich antwortete artig, während das Schmerzmittel Wirkung zeigte und ich mich etwas entspannte. Richtig, mein Sternzeichen war Löwe. Ich hatte am achtundzwanzigsten Juli Geburtstag, wobei uns Löwefrauen nicht nur durchweg positive Eigenschaften zugeschrieben wurden.
»Okay. Und Sie leben in Hamburg?«
»Ja.« Ich nannte der Beamtin meine Adresse, die sie notierte und auch noch meine Arbeitsstelle. Wenn ich morgen nicht erschien, würde man mich vermisst melden.
»Schön. Und, Frau Simon, wie sind Sie und Ihr Begleiter denn nun in dieses Gebäude gelangt und warum waren Sie unbekleidet?«
»Na, Sie sind gut. Ich weiß weder das eine noch das andere. Herrje! Wir wollten doch nur spazieren gehen.« Mir kamen die Tränen, ich schluchzte leise.
»Spazieren, ah ja. Gewiss.« Sie glaubte mir kein Wort, das war ihr anzusehen.
»Wo ist Jack?«
»Jack? Ist das Ihr Begleiter?«
»Ja doch. In Kuba hat alles angefangen, und in Hamburg spitzte sich die Sache zu. Ein Mann war in meiner Wohnung. Dr. Marten, mein Nachbar, der auf mich geschossen hat, glaube ich.« Hier wurde ich unterbrochen.
»Moment, Moment. Es wurde auf Sie geschossen? In Ihrer Wohnung? Und Sie haben nicht die Polizei gerufen?«
»Nein. Ich wollte ja, aber dann … Und bei dem Spaziergang wurden wir entführt. Ich kann nicht sagen, warum, aber die suchen irgendeine vermaledeite Rolle. Drei Männer. Mehr weiß ich auch nicht, wirklich, ich habe keine Ahnung. Das macht alles überhaupt keinen Sinn ...« Mein Blick suchte Dr. Brenner. Ich war so müde, wollte einfach nur schlafen. Er erkannte mein Flehen und verwies die Beamten auf die nächsten Tage.
»Wir haben aber noch Fragen, was diese hanebüchene Geschichte mit dem Nachbarn betrifft«, protestierte die Beamtin.
»Gönnen Sie der Patientin ein wenig Ruhe. Sie hat viel durchgemacht. Wenn ich Sie nun bitten dürfte …« Als die Besucher widerwillig gegangen waren, lobte mich der sympathische Arzt:
»Das haben Sie gut gemacht, Amily. Ruhen Sie sich jetzt aus.« Ich versuchte ein schiefes Lächeln.
»Die weiß doch irgendwas. Wieso sagt sie es nicht?«, hörte ich die Beamten auf dem Gang schimpfen, dann schlief ich ein.
Es war am anderen Morgen, als der Duft nach frischem Kaffee meinen Schlaf unterbrach. Ich sprang auf und stürzte mich auf diesen Kerl, einen Schatten über mir, der mir zuvor die Schusswunde zugefügt hatte. Bei genauerem Hinsehen entpuppte der sich als Dr. Brenner.
»Amily, nein!« Ich sank zurück auf mein Kissen.
»Oh, bitte entschuldigen Sie meinen Angriff. Ich dachte, Sie wären der andere Arzt, der mich angeschossen hat. Der Kaffeeduft war wohl der Auslöser. Es tut mir leid.«
»Keine Sorge. Ich bin seit siebenundzwanzig Jahren Arzt und habe schon so einiges erlebt. Ihr Freund fragt ständig nach Ihnen. Wollen Sie ihn sehen?« Ja, unbedingt wollte ich das. »Er liegt nur zwei Räume weiter. Wenn Sie möchten, hole ich einen Rollstuhl ...«
»Keinen Rollstuhl, bitte. Ich schaffe das schon. Wenn eine Schwester oder Sie mich stützen, bekomme ich das gewiss hin.«
»Ich übernehme das.« Er bot freimütig seinen Arm an. Nur mit dem dünnen Krankenhausnachthemd bekleidet schleppte ich mich zur Tür, öffnete diese vorsichtig, warf einen Blick auf das rege Treiben im Gang. »Es ist nur zwei Türen weiter links.« Nur zwei Zimmer weiter?
»Das bekomme ich hin. Doktor, Sie bleiben doch besser hier, ich versuche es alleine.«
»Wie Sie meinen. Rufen Sie mich, wenn Sie Hilfe brauchen.« Mit größter Mühe hielt ich mich aufrecht und stand schließlich atemringend vor dem Zimmer mit der Nummer dreihundertdrei. Dr. Brenner warf mir aufmunternde Blicke zu. Die wenigen Meter waren in meiner Lage anstrengender gewesen als ein Marathon. Ich klopfte an, doch es kam keine Reaktion.
»Jack? Ich bin’s.« Ich öffnete die Tür, trat ein. Eine Gestalt lag dort, zugedeckt bis zur Nasenspitze, ich schloss die Zimmertür von innen. »Schatz?« Vielleicht schlief er. Ich näherte mich dem Krankenbett, die Hand schon ausgestreckt, um nach dem Laken zu greifen. In meinem Bauch kribbelte es wieder. Hinter dem Bett kam die Blondine zum Vorschein, ich zuckte zusammen, versuchte, mir nichts anmerken zu lassen.
»Dachte ich es mir doch. Du bist gar keine Polizistin, du Miststück!«
»Nein, Schlaumeier. Ich bin diejenige, die dir das nette Andenken verpasst hat.«
»Du? Du Schlampe! Tut das Handgelenk wenigstens noch weh?«, erwiderte ich kalt lächelnd. Damit wäre das Geheimnis um den Schützen gelöst. Sie bemerkte abfällig:
»Nicht der Rede wert - Berufsrisiko.«
Im nächsten Augenblick stieß Barbie mit einem langen Kampfmesser nach mir. So haben wir nicht gewettet! Reflexartig wich ich seitwärts aus. Ein Blitz raste von den Nervenenden meines verletzten Beins direkt ins Hirn. Ich war hellwach, packte mit der linken Hand einen ihrer Arme und zog ihren Oberkörper nach vorne. Mit der rechten ergriff ich ihren anderen Arm, den mit dem Messer, und rammte ihr die dreißig Zentimeter lange Klinge in den Bauch. Woher ich die Kraft dazu nahm, war mir ein Rätsel. Es fuhr ins Fleisch wie in Butter. Angeekelt ließ ich das Messer los, das noch in ihr steckte. Sie sackte am Fußende des Bettes zusammen, die Hände auf den Bauch gepresst. Der Blick aus ihren entsetzt dreinblickenden Augen wurde glasig. Es gab noch ein dumpfes Röcheln, dann herrschte Stille im Raum ...
Ich riss die Bettdecke zurück. Als hätte ich es geahnt! Das war nicht mein Jack. Wo die eine war, konnte der andere nicht weit sein. Schmidt grinste.
»Lassen Sie mich raten, Sie sind die Heldin, die gedroht hat, alles um sich herum zu töten, falls Jackyboy etwas zustoßen würde. Also hier bin ich«, sagte der Pseudopolizist, den ich vorhin noch sympathisch gefunden hatte, mit einer einladenden Geste. »Leider wird dir deine Tapferkeit rein gar nichts nützen, denn du wirst dir jetzt das Leben nehmen, springst einfach aus dem Fenster. Sowas passiert jeden Tag, überall auf der Welt.«
»So, tue ich das?« Ich war wild entschlossen, Jack und mich zu beschützen. »Ich wüsste nicht, wieso.«
»Los, rüber zum Fenster!« Er winkte mich mit seiner schalldämpferbestückten Pistole in der Hand nach rechts. »Mach es auf!« Unbeholfen machte ich mich am Fenster zu schaffen. So sehr ich mich auch bemühte, denn mit dem Kerl war nicht zu spaßen, aber der Griff rührte sich keinen Millimeter. Ich zerrte und riss an dem Hebel. Erfolglos.
»Mach schon!«
»Es geht nicht.« Ich gab es auf, hatte ja eh nicht vor ... Mein Trommelfell vibrierte, als sich ein Schuss löste. Ich sprang zur Seite und schrie vor Schmerzen auf. Die plötzliche Bewegung tat mir gar nicht gut. Er hatte den Griff abgeschossen, und das Fenster schwang nun von selbst auf.
»Zu blöd, ein Fenster aufzumachen. Los, spring jetzt, du dämliche Kuh!«
»Nein! Niemals.« Der Kerl packte hart in mein Genick und drückte mich über das Sims. Er war ziemlich sauer. Doch ich hatte nicht vor, jetzt zu sterben. Herr Schmidt war doch nicht so gut in Form, wie er selbst gern hätte, das spielte mir in die Hände. Ich drehte mich geschickt nach links, zurück in den Raum, damit hatte er nicht gerechnet. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte rücklings aus dem Fenster. Das Glück war heute eindeutig auf meiner Seite. Ich erhaschte noch einen Blick in seine kalten Augen. Ihm kam kein Laut über die Lippen, er feuerte aber unkontrolliert um sich. Die Kugeln schlugen zum Glück nur in der Fassade ein. Dann ein dumpfes Geräusch und dann – nichts mehr.
»Was ist hier los? Es klang wie Schüsse.« Dr. Brenner stürzte atemlos in den Raum, sah die Polizistin tot in einer Blutlache am Boden liegen, blickte auf das offene Fenster und begriff.
»Alles in Ordnung, Amily?« Ich nickte und deutete nach draußen. Der Doktor schaute erst auf die andere Leiche im Garten und dann auf mich.
»Sie kann man nicht eine Minute aus den Augen lassen.«
Welche Reaktion auch immer ich erwartet hatte, diese jedenfalls nicht.
»Wo ist denn Jack?«, wollte ich wissen.
»Ja, wo ist er?«, fragte Brenner erstaunt. Im gleichen Augenblick trommelte jemand von innen gegen den verschließbaren Wäscheschrank. »Aha!« Der Arzt befreite den Gefangenen umgehend.
»Oh, Jack!«, rief ich aus.
»Bist du okay, Amily?«, fragte er kurzatmig und ich nickte. »Ich habe Schüsse gehört.«
»Ja, das stimmt. Was ist mit dir? Geht es dir gut?«
»Entschuldigt die Unterbrechung, aber ihr müsst weg von hier. Kommt!« Wir begaben uns Richtung Lastenaufzug, der in unserer Etage gewartet hatte, und fuhren aufwärts.
»Was soll das alles?«, fragte ich.
»Ich will euch helfen.«
»Aber wieso?« Dr. Brenner überreichte uns eine Kreditkarte, Bargeld und etwas, das wir sicher nicht erwartet hatten: Eine Rolle für alte Dokumente oder Skizzen, die er unter seinem Kittel verborgen hatte. Jetzt wurde mir einiges klar. Die Männer in der Lagerhalle hatten auch von einer Rolle gesprochen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um zwei verschiedene handelte, war mehr als gering. Nur was bitte hatten Jack und ich damit zu tun? Ich wollte noch so viele Fragen loswerden. Der Aufzug stoppte und entließ uns ins Freie.
»Ein Hubschrauber wartet auf dem Dach. Ihr müsst diese Rolle unbeschadet nach Miami bringen. Ihr bekommt dabei jegliche Hilfe, die ihr braucht«, versprach Dr. Brenner und umarmte mich kurz. »Pass auf dich auf, Amily. Viel Glück.« Dann flüsterte er mir ins Ohr: »Erinnere dich, du warst schon mal dort. Erinnere dich, Sacré Coeur de Montmartre!«
»Nein«, protestierte ich. »Unmöglich!« Eine Kugel durchschlug die Mauer zum Helikopterdeck und durchbohrte Dr. Brenners Rücken. Sein Gesichtsausdruck ließ nur den Schluss zu, dass es sehr ernst um ihn bestellt sein musste. Er befahl uns, endlich abzuhauen.
»Los doch, geht! Seht nicht zurück!«
»Aber …« Sein Blick barg dennoch einen Funken Hoffnung.