Читать книгу Das Ende des Laissez-faire. Mit einem Essay von Nikolaus Piper. - John Maynard Keynes - Страница 7
II
ОглавлениеIch habe ausgeführt, dass es die Ökonomen waren, die jenen wissenschaftlichen Vorwand lieferten, durch den der Mann der Praxis den Widerspruch zwischen Egoismus und Sozialismus auflösen konnte, der sich aus dem Philosophieren des 18. Jahrhunderts und dem Niedergang der Offenbarungsreligion ergeben hatte. Doch nachdem ich dies in dieser Kürze dahingesagt habe, möchte ich jene Aussage qualifizieren. Angeblich haben die Ökonomen so etwas behauptet. Doch tatsächlich lässt sich keine derartige Doktrin in den Schriften der größten Autoritäten des Fachs finden. Solches haben lediglich die Popularisierer und Vulgarisierer behauptet. Dies war, was die Utilitaristen, die gleichzeitig Humes Egoismus und Benthams Egalitarismus anhingen, glauben mussten, wollten sie beide zusammendenken.6 Die Sprache der Ökonomen bot sich zwar zur Interpretation des Laissez-faire an. Doch die Beliebtheit der Lehre muss eher den politischen Philosophen jener Tage zugeschrieben werden, denen sie gerade zupasskam, als den politischen Ökonomen.
Die Maxime Laissez-nous faire wird herkömmlicherweise dem Kaufmann Legendre24 zugeschrieben, der sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts an Colbert25 wandte.7 Es besteht jedoch kein Zweifel daran, dass der erste Schriftsteller, der diesen Ausdruck verwendet hat, und zwar in deutlicher Verbindung mit der entsprechenden Lehre, gegen 1751 der Marquis d’Argenson26 war.8 Der Marquis war der erste Mensch, der angesichts der wirtschaftlichen Vorteile einer Nichteinmischung der Regierung in den Handel heftig ins Schwärmen geriet. Um besser zu regieren sagte er, muss man weniger regieren.9 Die wahre Ursache für den Niedergang unserer Manufakturen, erklärte er, ist die Protektion, die wir ihnen angedeihen ließen.10 »Laissez faire, telle devrait être la devise de toute puissance publique, depuis que le monde est civilisé.« [›Gewähren lassen, das sollte, seit die Welt zivilisiert ist, die Devise aller öffentlichen Gewalt sein.‹] »Détestable principe que celui de ne vouloir grandir que par l’abaissement de nos voisins! Il n’y a que la méchanceté et la malignité du cœur de satisfaites dans ce principe, et l’intérêt y est opposé. Laisez faire, morbleu! Laissez faire!!« [›Es ist ein abscheuliches Prinzip, nur durch die Herabsetzung unserer Nachbarn wachsen zu wollen! Nur Boshaftigkeit und Tücke des Herzens freunden sich mit einem solchen Prinzip an, und das (nationale) Interesse steht ihm entgegen. Lassen Sie gewähren, zum Donnerwetter! Lassen Sie gewähren!!‹]
Da ist sie, die ökonomische Doktrin des Laissez-faire in voller Montur, mit ihrem glühendsten Ausdruck in der Lehre vom Freihandel. Diese Formulierungen und die Idee selbst müssen in Paris von da an zwar weithin kursiert haben. Doch in der Fachliteratur fassten sie nur langsam Fuß; und die Tradition, die sie mit den Physiokraten27 in Verbindung bringt, insbesondere mit de Gournay28 und Quesnay29, findet in den Schriften dieser Schule nur wenig Unterstützung, obwohl sie natürlich Verfechter einer grundsätzlichen Harmonie zwischen gesellschaftlichen und individuellen Interessen waren. Der Ausdruck Laissez-faire findet sich nicht in den Werken von Adam Smith, von Ricardo oder von Malthus. Selbst die Idee als solche kommt bei keinem dieser Autoren in dogmatischer Form vor. Adam Smith war, natürlich, ein Befürworter des Freihandels und ein Gegner vieler Handelsbeschränkungen im 18. Jahrhundert. Doch seine Haltung gegenüber den Schifffahrts- und den Wuchergesetzen zeigt, dass er hier keineswegs dogmatisch war. Selbst seine berühmte Passage über die »unsichtbare Hand« spiegelt eine Philosophie wider, die wir viel eher mit Paley verbinden, und nicht das ökonomische Dogma des Laissez-faire. Wie Sidgwick30 und Cliff Leslie31 hervorgehoben haben, leitet sich Adam Smiths Befürwortung des »offensichtlichen und einfachen Systems der natürlichen Freiheit« eher von seiner theistischen und optimistischen Sicht der Weltordnung ab, wie sie in seiner Theory of Moral Sentiments [Theorie der ethischen Gefühle] dargelegt ist, als von irgendeinem Postulat der politischen Ökonomie selbst.11 Der Ausdruck Laissez-faire wurde in England meines Erachtens durch eine berühmte Passage von Dr. Franklin erstmals in den allgemeinen Sprachgebrauch eingeführt.12 Erst wenn wir zu den späteren Werken Benthams kommen (der übrigens gar kein Ökonom war), entdecken wir das Vorherrschen von Laissez-faire, und zwar in der Form, in der unsere Großväter es kannten, aufgenommen in die Dienste der utilitaristischen Philosophie. In A Manual of Political Economy13 schreibt er beispielsweise: »Die allgemeine Regel lautet, dass die Regierung nichts tun oder versuchen sollte; das Motto oder die Losung der Regierung sollte bei diesen Gelegenheiten sein – Sei ruhig … Die Bitte, die die Landwirtschaft, Fabrikanten und der Handel an die Regierungen richten, ist so bescheiden und vernünftig wie die, die Diogenes an Alexander richtete32: Geh mir aus der Sonne.«
Von dieser Zeit an waren es die politische Kampagne für den Freihandel, der Einfluss der sogenannten Manchester-Schule und der Bentham’schen Utilitaristen, die Äußerungen zweitrangiger ökonomischer Autoritäten und die Bildungsgeschichten von Miss Martineau und Mrs Marcet33, die Laissez-faire als die praktische Schlussfolgerung der orthodoxen politischen Ökonomie im Volksgeist verankerten – dies jedoch mit dem großen Unterschied, dass, nachdem die Malthus’sche Auffassung vom Wachstum der Bevölkerung, inzwischen von derselben Denkrichtung akzeptiert worden war, das optimistische Laissez-faire der letzten Hälfte des 18. Jahrhunderts durch das pessimistische Laissez-faire der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ersetzt wird.14
In Mrs Marcets Conversations on Political Economy ([Philadelphia] 1817) beharrt Caroline so lange, wie sie nur kann, auf einer Kontrolle der Ausgaben der Reichen. Doch auf Seite 418 muss sie ihre Niederlage eingestehen:
CAROLINE. Je mehr ich über dieses Thema in Erfahrung bringe, umso mehr komme ich zu der Überzeugung, dass die Interessen von Nationen sowie die von Einzelnen im vollkommensten Einklang miteinander stehen und weit davon entfernt sind, sich zu widersprechen.
MRS B. Liberale und erweiterte Ansichten werden immer zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommen und uns lehren, die Gefühle des universellen Wohlwollens zwischen den Menschen zu schätzen; daher rührt die Überlegenheit der Wissenschaft über bloßes praktisches Wissen.
Bereits im Jahr 1850 ließen die Easy Lessons for the Use of Young People [London 1845] von Erzbischof Whately34, die die Gesellschaft zur Förderung christlicher Erkenntnis in großem Stil vertrieb, nicht einmal jene Zweifel zu, die Mrs. B. Caroline noch bisweilen zugestand. »Wahrscheinlich entsteht mehr Schaden als Heil«, so schließt das Büchlein, »durch beinahe jede Einmischung der Regierung in die Geldtransaktionen der Menschen, ob es sich um Vermietung oder Verpachtung oder Kauf und Verkauf jeglicher Art handelt.« Die wahre Freiheit besteht darin, »dass es jedermann freistehen sollte, über seinen eigenen Besitz, seine eigene Zeit, Kraft und Fertigkeiten zu verfügen, und zwar so, wie er es für richtig hält, vorausgesetzt, er fügt seinen Nächsten kein Unrecht zu.«
Kurz: Das Dogma hatte von der Bildungsmaschinerie Besitz ergriffen; es wurde zu einer Maxime für Schulhefte. Die politische Philosophie, die das 17. und 18. Jahrhundert geschmiedet hatten, um Könige und Prälaten zu stürzen, wurde in den Babybrei gerührt und bereits im Kinderzimmer verabreicht.
Schließlich erreichen wir in den Werken von Bastiat35 den extravagantesten und schwärmerischsten Ausdruck der Religion des politischen Ökonomen. In seinen Harmonies Economiques [Paris 1850] tritt er
den Nachweis der Harmonie dieser Gesetze der Vorsehung an, die die menschliche Gesellschaft regieren. Was diese Gesetze harmonisch und nicht disharmonisch macht, ist die Tatsache, dass alle Prinzipien, alle Motive, alle Triebfedern des Handelns, alle Interessen zu einem großen Endergebnis zusammenwirken … Und dieses Ergebnis ist die endlose Annäherung aller Klassen an ein Niveau, das immer ansteigt; mit anderen Worten, die Angleichung der Einzelnen in der allgemeinen Verbesserung.
Und wenn er, ganz priesterlich werdend, sein Glaubensbekenntnis verfasst, lautet das folgendermaßen:
Ich glaube, dass Er, der das materielle Universum eingerichtet hat, Seinen Blick nicht von den Einrichtungen der gesellschaftlichen Welt abgewendet hat. Ich glaube, dass Er freie Akteure sowie träge Moleküle miteinander verbunden und veranlasst hat, sich in Harmonie miteinander zu bewegen … Ich glaube, dass eine ständige Annäherung der Menschen an ein gemeinsames moralisches, geistiges und körperliches Niveau der unerschütterliche Trend des gesellschaftlichen Lebens ist, wobei sich dieses Niveau gleichzeitig Schritt für Schritt und endlos hebt. Ich glaube, dass alles, was für die allmähliche und friedliche Entwicklung der Menschheit notwendig ist, darin besteht, dass ihre natürlichen Neigungen weder gestört werden noch die Freiheit ihrer Bewegungen zunichte gemacht wird.
Seit der Zeit von John Stuart Mill36 haben maßgebliche Ökonomen heftig gegen diese Ideen opponiert. »Kaum ein einziger angesehener englischer Ökonom«, wie Professor Cannan37 es formulierte, »wird sich einem Frontalangriff auf den Sozialismus im Allgemeinen anschließen«, wenngleich, wie er außerdem hinzufügt, »fast jeder Ökonom, ob er Ansehen genießt oder nicht, immer bereit ist, Mängel an den meisten sozialistischen Vorschlägen aufzuweisen.«15 Die Ökonomen haben keine Verbindung mehr mit den theologischen oder politischen Philosophien, aus denen das Dogma der sozialen Harmonie hervorging, und ihre wissenschaftliche Analyse führt sie zu keinen solchen Schlussfolgerungen.