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Buenos Aires 2017

Der Schuss war dumpf.

„Das war knapp“, flüsterte eine Frauenstimme.

Erschrocken reiße ich die Augen auf. Ein kühler Lufthauch bewegt die Gardine des Schlafzimmers. Tausend Sonnenpünktchen wecken mich.

„Guten Morgen Buenos Aires“, murmle ich, die Vorhänge öffnend.

Unter mir liegt die bunte Magistrale. Wie eine Ameisenstraße fließt ein farbiger Strom aus Menschen, Autos und Bahnen auf ihr entlang. Ich höre den Rhythmus und spüre die Faszination dieser Metropole.

„Guten Morgen, Schatz“, höre ich Marias Stimme, die sanft, mit einem zarten Kuss auf die Schulter, in mein Ohr dringt.

Bedächtig drehe ich den Kopf zu ihr, drücke sie an mich, flüstere ihr: „Schön das es dich gibt!“ zu.

Als sie ihren Kopf an meine Brust legt, fühle ich unseren Tango von gestern abend.

Schwarz umhüllte uns der Raum in dem behaglichen Café. Nach Minuten hob uns ein gelber Lichtstrahl aus der Finsternis.

„Ahora Con todo“, raunte Maria.

Wir gaben alles. Ich drückte ihr zart die Hand.

„Ja“, hauchte ich.

Mehr bekam ich nicht heraus. Maria trug ein rotes, nach unten ins schwarze auslaufendes Kleid. Der Schlitz offenbarte betörend ihre reizvollen Beine. Die langen Handschuhe bildeten das vollendete Gegenstück zu ihren sorgfältig gesteckten nachtschwarzen Haaren. Unsere Freunde verlangten zu sehen, wie wir den Tango tanzen. Wir tanzten ihn, den Soldatenstiefel. Mit Schnelligkeit, betörenden Schrittkombinationen, gefolgt von schwindelerregenden Drehungen. Rasend hakeln die Beine bei den Ganchos ineinander, fliegen die Unterschenkel bei den Voleos im Halbkreis um die Achse.

Kräftiger Akkord.

Schlusspose.

Aus.

Marias Augen blitzten. Erschöpft standen wir ein paar Minuten. Unsere Freunde schienen erstarrt. Ich sah, dass Carlos dem Orchester ein Zeichen gab.

Es spielte einen gefühlvollen Tango. Die Melodie einer schmerzenden Seele im Tango Alma es Pensa erklang. Mühelos führte ich Maria zu den wehmütigen Akkorden. Hautnah. Zwei Herzen zu einem vereint und auf vier Beinen tanzend. Es gab nichts um uns herum. Bis heute höre ich die sanften Klänge, das Klacken der Absätze auf dem Boden. Unsere Freunde standen auf, um zu applaudieren. Marias rasendes Herz an meiner Brust wahrnehmend, bemerkte ihren heißen Atem im Gesicht. Ihre nasse Stirn an mich gedrückt, folgte ich mit ihr in eine Mischung aus Applaus und Musik. Der Tango gibt uns Kraft, das Letzte zu wagen. Weiterzumachen, um fehlerloser zu werden. Ich empfand, dass ich jede Sekunde bis auf den Grund meines Herzens auskostete.

Maria sieht mich mit ihren funkelnden schwarzen Augen an.

„Du, Alexander“, sagt sie verschmitzt lächelnd, mich aus den Gedanken reißend, „ich habe Lust auf einen würzigen Kaffee, du ebenfalls?“

„Ja, du weißt, davon bekomme ich nie genug, genau wie von dir“, antworte ich ihr.

Begleitet vom Zischen des Kaffeeautomaten ruft Maria: „Wir müssen mit der Choreografie deiner Geschichte anfangen, die Carlos als Show auf die Bühne bringt.“

Carlos, ein Produzent und Regisseur, gehört zu den ersten Freunden, die wir hier fanden. Er lebt mit und für den Tango. Produziert Filme, Shows, stellt manche Geschichte aus dem Leben auf die Bühne.

Maria balanciert mit zwei Tassen würzig duftenden Kaffees in meine Richtung. Behutsam stellt sie jene auf den im Sonnenlicht stehenden Tisch unserer Loft-Wohnung. Wir haben erst vor einigen Wochen dieses geräumige, behagliche wie ansprechende Appartement in der obersten Etage eines Hochhauses mitten in Buenos Aires gemeinsam gekauft. Von hier aus sehen wir oft auf die Stadt, erleben all die Hektik, die Wehmut der argentinischen Seele. Glutrot hängt die Sonne mittlerweile über den Dächern. Die Klimaanlage verbreitet flüsternd kühle Luft. Die automatische Außenjalousie will uns vor der Wärme schützen. Maria springt auf, erreicht mit einigen Milongaschritten den Schalter der Jalousie. Stellt diesen mit einer elanvollen Armbewegung auf Handbetrieb und trippelt zurück.

„Genießen wir entspannt die Morgensonne“, meint sie lachend und springt wie eine Feder neben mich auf den Tisch.

„Wir können auf diese Weise besser nachdenken“, flüstert sie erotisierend durch mein Haar streichend.

Ihre Oberschenkel spüren meine Hand.

„Das ist wohltuend“, raune ich, ihren Schenkel beherzter drückend.

Aufgezogen springt Maria vom Tisch, um diesen zu umrunden. Mir gegenüber angekommen, rückt sie ihren Stuhl zurecht. Nimmt Platz. Legt ihren Kopf in die Hände und sieht mich mit ihren schwarzen Augen an. Minutenlang.

„Lass uns anfangen!“

Greift lächelnd nach der Tasse Kaffee ohne ihr Gesicht von mir zu wenden.

Mit der Frage im Kopf, ob es gut ist, es ihr zu erzählen, fange ich unbedarft an.

Tango mit dem Teufel

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