Читать книгу Schtraworski - John Otis - Страница 6
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ОглавлениеEr schwankt. Die ganze Zeit. Er ist gefangen in der Ambivalenz der Eltern, zwischen Neid und Stolz. Deswegen ist es schwer ihn zu hassen und schwer ihn nicht zu hassen. Wir reden über die Zukunft, meine Zukunft.
„Was willst du vom Leben?“ Fragt mein Vater.
Ich bleib die Antwort schuldig. Keine Ahnung, vielleicht dass es aufhört?
„Dass es nicht mehr zum Kotzen ist?“, stammle ich. Er räuspert sich, schaut mich verlegen an, als ob er mich erst jetzt verstehen würde. Auch er bleibt eine Antwort schuldig. Vielleicht hasst er mich deswegen so sehr, weil er selbst keine Antwort hat.
Er blättert in seiner Zeitung, murmelt irgendwas, trinkt sein Kaffee, isst nen Keks.
„Die sind echt gut“, sagt er bloß.
Am Horizont verglühen die Wolken, die Sonne taucht sie in Scharlachrot und da vorne über dem See hängt der Nebel. Ich habe mir Zigaretten gekauft. Das mache ich manchmal. Wie ein kleines Kind versteck ich mich dann und rauche. Ich steh am Waldrand und zieh auf Lunge, kotz sie dabei halb aus. Mir wird schwindelig. 20 Meter weg, da vorne steht der Baum meines geplanten Ablebens. Keine Ahnung, warum ich hierher gekommen bin.
Er keucht wie Sau. Ich hör ihn lang bevor ich ihn seh. Sein Kopf wackelt, als ob er gar nicht festgemacht wär, seine Haare stehen in alle Richtungen. Er kommt die Böschung hoch, sein Atem kondensiert in der klirrenden Kälte. Irgendwie hab ich das Gefühl, ihn schon ewig zu kennen.
„Hallo“, sagt Sammy.
„Was geht?“ Frag ich, hab das mal jemand sagen hören, das scheint mir gerade angebracht.
„Nich viel“, seine Augen werden zu kleinen Schlitzen, der rote Himmel blendet ihn, er grinst.
„Deine Hände krepieren“, sagt er. Ich starr auf die blauen Bollen, die mal meine Finger waren, mein Körper kann nichts, nicht mal Heizen. Ich schüttel sie, sie sind fast eingefroren.
Sammy joggt, „komm doch mit joggen“, sagt er, „sonst schimmeln dir die Teile noch ab“, ich glotz immer noch auf meine Hände, sterb ich gleich an Unterkühlung? Das wär ein ziemlich bekloppter Tod.
„Stopf sie dir in die Hose und halt deine Klöten fest“, schlägt er vor.
Klingt gut. Jetzt steh ich da, meine Arme versunken in meiner Hose und knabber an meiner Unterlippe.
„Und sonst so?“ Frag ich.
„Naja, läuft läuft.“ Kurze Stille, dann: „muss dann auch mal weiter“, sagt er. Wir verabreden uns für morgen zum Laufen.
Ich schmeiß Kleider durch die Luft. Knie vor meim Schrank, da ist nur Scheiße drin. Ganz viel altes Zeugs von meinem Vater. Ist da auch Scheiße drauf? Kleiner brauner Fleck auf meiner einzigen kurzen Sporthose. Das wär ja nochmal ne Spur härter, wenn mir mein Vater immer auf die Klamotten kackt, wenn ich schlafe. In dem Tangar hier kann ich eh nicht raus. Meine Eier hängen schon tiefer, als der Stoff geht. Und zu kalt ists sowieso. Ich wag mal was.
„Vater, kauf mir ne neue Jogginghose“, sag ich.
„Jetzt werd hier mal nicht frech“, sagt er, er ist halbwegs gut gelaunt.
„Ich brauch aber eine.“
„Was ist mit meiner alten kurzen?“
„Da fällt mir immer der Schwanz raus, wenn ich zu schnell laufe.“
„Dann lauf doch nicht so schnell...“
„Aber ich will draußen laufen...“, sag ich kleinlaut.
„Wenn du zeigst, dass du wirklich ernsthaft Sport betreiben willst, kauf ich dir nen Trainer, ne chice Ausrüstung und einen von diesen verfickten Startblöcken!“ Mein Vater lacht. Er lacht mich aus. Das kriegst du nie hin, denkt er, nur weil er selbst so fett ist. Ich geb auf. Und jetzt?
Ich hab bloß eine richtige Hose und wenn ich die kaputt oder dreckig mach, lässt mich mein Vater bestimmt nackt in die Schule gehen...
Die Bärchenhose? Ich zieh lange Unterwäsche an, drüber die gefütterte, alte Pyjamahose mit zwei, drei grinsenden Bären-Fressen drauf. Eigentlich doch scheiß egal? Sammy wird wohl kaum auf meine Hose glotzen? Sicherheitshalber mal ich den Bären grimmige Edding-Augenbrauen und Spitze Zähne an. Das wird meinen Coolness-Faktor bestimmt steigern...
Und Sammy wird mich respektieren, weil er mich fürchten wird!!!
Es klingelt.
„OH MEIN GOTT DAS IST ER, OH MEIN GOTT DAS IST ER!“ Kreische ich schrill, hüpfe hysterisch umher. Zum Glück ist mein Vater irgendwo anders, er hätte mir wohl, während ich noch am Hüpfen bin, einfach in die Eier getreten.
Ich öffne die Tür, sage möglichst gelangweilt:
„Hi.“
„Na, kanns losgehen?“ Fragt Sammy.
„Ich bin immer bereit“, sage ich ein bisschen verschwörerisch.
„Hast du so was schon mal gemacht?“
„Ich“, sag ich noch ein bisschen verschwörerischer, „mach so was immer.“
„Hä? Das ergibt doch jetzt gar keinen Sinn?“
„Tut es das?“
„Hm... aufwärmen?“
Ich mache Knie-Bäugen wie bekloppt. Sammy dehnt sich. Ich will endlich losrennen, damit er nicht merkt wie nervös ich bin und dass ich ein bisschen zittere. Wir joggen los. Der Schnee knarzt unter unsren Schritten. Die kalte Luft schnürt mir die Kehle zu. Speichel sammelt sich auf meiner Zunge, ich spucke aus.
„Bäh!“ Sagt eine Passantin, die uns beim Laufen zuguckt, „bäh bäh bäh!“ Wie wir an ihr vorbei sind, dreh ich mich kurz um, sie schaut mich noch immer angeekelt an. Sammy zuckt mit den Schultern. Ich hätte ihr den Finger zeigen sollen.
Am Stadtrand kann ich nicht mehr. Ich wechsle über in einen flotten Power-Walk. Sammy zeigt sich nicht sonderlich beeindruckt. Er ist wirklich verflucht athletisch, zieht an, springt über den verschneiten Feldweg. Ich bleib stehen, keuche, setz mich in den harten Schnee. Ich dampfe wie ein gegrilltes Spanferkel. Mein Kopf ist klar und leer. Sammy macht seine Runde, holt mich wieder ab.
Bei ihm schlürfen wir blaues Gatorade, ich bin zu kaputt, um nervös zu sein.
„Power-Riegel?“ Fragt er, gibt mir son Dings mit viel Zeugs drin. Wir machen sie super stark, nein ehrlich, steht da auf der Verpackung und man sieht einen pervers muskulösen Mann, der sich so nen Riegel in den Mund stopft. Da sind alle Vitamine von A-Z drinnen. Und noch ganz viel Brokkoli. Schmeckt aber wie Schokolade.
„Wie gefällts dir hier eigentlich? Bist ja neu hergezogen“, frag ich, ein bisschen leise.
„Kenn hier noch kein Schwein.“
Ich nicke. Ich auch nicht, will ich sagen, aber lieber nicht.
„Morgen mal die Schule anschaun...“, sagt er.
„Bist aufm Gymi?“
„Ja ja.“
„Da bin ich auch.“
Joggen war leichter. Da muss man bloß rennen und nicht riskieren zu zeigen, dass man jemanden interessant findet.
„Ich muss gehen“, sag ich. Sammy guckt mich überrascht an.
„Schätze sehn uns in der Schule“, sagt er. Ich stapf den Weg zurück nach hause.