Читать книгу Professor Hicks erklärt das Higgs-Teilchen - John Ullmann - Страница 4

Einstein krümmt den Raum im Schiffsrestaurant auf dem Neckar

Оглавление

Professor Hicks saß an seinem Lieblingsplatz, an einem der Hecktische des Schiffsrestaurants auf dem Neckar. Die Wellen der auf dem Fluss auf- und abfahrenden Schiffe ließ das Restaurant sanft auf- und ab- und hin- und herschaukeln. Professor Hicks genoss dieses Gefühl beim Anblick der Alten Brücke, den Blick über den Fluss bis zum Schloss am Hang des Königstuhls, dessen Bäume so langsam wieder in das frische Grün des Frühlings getaucht wurden.

„Was darf`s denn sein Herr Doktor?“, fragte ihn die gepflegte und aufgeputzte Bedienung.

„Einen Tee mit Zitrone und einen warmen Apfelstrudel mit Vanilleeis und Sahne, bitte.“

Professor Hicks war es gewohnt, dass man hier jeden älteren Herrn, der sichtlich des Lesens und Schreibens kundig war, devot mit „Herr Doktor“ anredet, wobei je nach Lage der Dinge eine anerkennende wie auch abfällige Absicht dahinter steckte.

Professor Hicks schrieb wieder einmal am Manuskript seines neuesten Buches „Professor Hicks erklärt das Higgs-Teilchen“ weiter.

In konservativer Abneigung gegenüber dem elektronischen Schnickschnack, wie er die modernen Kommunikationsmittel nur nannte, schrieb er noch mit der Hand und dem Tintenfüller auf Papier, vielleicht in der tiefen Hoffnung, dass die Nachwelt noch eine Reliquie seines Schaffens in Händen halten kann.

Und so begann Professor Hicks zu Schreiben.

„Der französische Mathematiker Jules Henri Poincaré versuchte als erster sich ein mathematisch exaktes Bild von der Welt zu machen, indem er den skurrilen Zweig der Mathematik, die Topologie, begründete. Wenn Sie in einem Mathematikbuch einen Schwimmring oder einen Gymnastikball mit zwei Henkeln sehen, dann befinden Sie sich auf den Seiten der Topologie.

Poincaré wollte die Gestalt der Welt sozusagen durch die Möglichkeiten der räumlichen Verformung des Universums darstellen. Das entspricht der Tatsache, dass alle Teile der Welt aus einer Ganzheit hervorgehen und irgendwie miteinander verbunden sind.

Wenngleich die Kräfte bei der Gestaltung der Welt hier noch keine Rolle spielen, so zeigt sich bereits bei Poincarés topologischen Überlegungen die wichtige Erkenntnis, dass nicht alle Figuren, die man sich vorstellen kann, aus diesem Verformungsprozess des Weltenraums hervorgehen können. In der Welt der materiellen Wirklichkeit ist nicht alles möglich, was wir uns in unserer Welt der Vorstellung so ausdenken können.“

Plötzlich setzte er ab.

Die Bedienung war erschienen und kredenzte den Tee und den Apfelstrudel. Genussvoll teilte er sich mit der Breiseite der kleinen Kuchengabel ein Häppchen des in der lauwarmen Frühlingsluft dampfenden Apfelstrudels ab und aß es mit leicht zerdrückendem Biss.

Dann folgte mit dem kleinen Löffel ein Span des mit Sahne überhäuften Vanilleeis` zur Ablöschung des noch im Gaumen breitgekauten und warmen Strudelteigs. Anschließend spülte er das Ganze durch einen Schluck heißen Tee hinunter, wodurch er den Gaumen für die nächste Ladung wieder geschmacklich neutralisierte. So hatte er es kürzlich mit der wissenschaftlichen Akribie eines deutschen Professors seiner Sekretärin, Frau Schwiering, erklärt, die sich darüber äußerst belustigte, indem sie ihn drauf hinwies, dass er sich dabei nicht vor lauter Nachdenken beim Essen und Trinken verschlucken soll.

Dann schrieb er wieder an seinem Text weiter, wobei er zwischendurch immer wieder sich seinem leiblichen Wohl widmete.

„Poincarés Weltbild ist aber noch rein mathematischer und damit theoretischer Natur. Erst Einstein folgert die Gestalt der Welt aus den Kräften und schuf damit ein reales und damit physikalisches, präzises Weltbild. Nach seiner allgemeinen Relativitätstheorie wirken die Kräfte nicht nur auf die Körper, sondern auch auf Raum und Zeit.

Das nun ist wirklich revolutionär und wirkt zunächst verwirrend und absurd. Doch die weitere Entwicklung der modernen Physik konnte diese kühne Behauptung experimentell beweisen und ihr Bild von der Gestalt der Welt in dieser Hinsicht erfolgreich ausbauen.

Tatsächlich ließ sich, die von Einstein postulierte Krümmung des Raums, durch die Abweichung in der Bahn des Planeten Merkur vom klassischen Newtonschen Gravitationsgesetz, sowie durch die Krümmung des Lichts beim Vorbeigang an den schwarzen Löchern nachweisen.

Zunächst mag man den Effekt der Krümmung des Raums, etwa die Abweichung der Bahn des Planeten Merkur für unerheblich betrachten, was sie zahlenmäßig auch ist. Doch bei Zunahme der Gravitationskräfte, wie dies beim Zusammenbruch der Sterne der Fall ist, tritt dieser Effekt immer stärker auf und wird letztlich, wie es das Beispiel des schwarzen Lochs zeigt, zum zentralen physikalischen Problem in Einsteins Kosmologie.“

Eine japanische Touristengruppe, die aufgeregt schnatterte und kicherte, nachdem sie mit ihren Kameras die nackte Studentin auf der Neckarwiese fotografiert hatten, ließ Professor Hicks aufhorchen und ihn in seinen Schreiberein innehalten sowie ihn wieder seinem leiblichen Wohlergehen zuwenden, bevor er dann weiterschrieb.

„Das was Einstein mit seiner umständlichen und komplizierten, allgemeinen Relativitätstheorie uns sagen wollte, ist, dass der Raum um die kosmischen Massen, sich in Richtung ihres Mittelpunktes immer mehr krümmt. Das führt auf die Bildung der schwarzen Löcher, von deren Geheimnis auch jeder physikalische Laie fasziniert ist.

In den schwarzen Löchern ist der physikalische Raum so stark gekrümmt, dass das Licht nicht mehr herauskann und wir folglich nicht mehr direkt erfahren können, was sich dort drinnen abspielt.

Während in der klassischen Physik Raum und Zeit von der Materie unabhängig sind, sind nach Einsteins Gravitationstheorie die Gestalt des Raums und der Ablauf der Zeit an die Materie gebunden. Demnach krümmt sich der Raum und verlangsamt sich der Gang der Uhren bei Annäherung der Körper an eine kosmische Masse, also sozusagen im Gleichschritt mit den Kräften des Gravitationsfelds.

Und da es die Eigenschaft aller Massen ist, schwer zu sein, unterliegt alle Materie den Kräften des Gravitationsfelds. Folglich bestimmt das Gravitationsfeld die Gestalt der materiellen Welt.

Das ist aber nicht unbedingt revolutionär, dass die Gravitationskräfte die Verteilung der Massen im Universum bestimmen und damit die Gestalt des Weltraums formen, werden Sie sagen.

Doch Einstein ging bei seinen Überlegungen eben noch einen gewaltigen Schritt weiter und kam dabei letzten Endes zu der unglaublichen Behauptung, dass die Kräfte des Gravitationsfelds ganz auf die Krümmung des Raums zurückzuführen seien, dass also die leere Raum-Zeit-Welt eine physikalische Realität sei.

Das hört sich nun wirklich revolutionär an, das müssen Sie zugeben.

Sie müssen sich das so vorstellen, dass ein hochgeworfener Körper in dieser leeren gekrümmten Raum-Zeit-Welt sich wie auf einer Rutschbahn auf die Erde zurückbewegt. Dabei beschleunigt sich natürlich seine Bewegung durch das Gefälle der raum-zeitlichen Rutschbahn in Richtung Erde, er bewegt sich schneller durch Raum und Zeit. Diese Rutschbahn bildet also die leere vierdimensionale Raum-Zeit-Welt. Das bedeutet, dass die Gestalt der Welt durch die Kräfte von Einsteins vierdimensionaler Raum-Zeit-Welt geformt wird.

Und da Einstein seine Gravitationstheorie aus seiner allgemeinen Relativitätstheorie entwickelte, gelten deren Gesetze an jedem Ort des Universums absolut gleich für jeden Beobachter. Es sind absolut gültige Gesetze.

Nach der Bibel hat Gott die Menschen aus einem Klumpen Lehm geformt. Einsteins Theorie von der Formung der Welt benötigt aber keinen Gestalter und Former von außen. Die vierdimensionale Raum-Zeit-Welt organisiert und entwickelt sich aus sich selbst.

So kam Einstein also mit seiner Kosmologie schließlich auf die Idee des Urknalls, wonach die materielle Welt sich aus einem Punkt, der sogenannten Singularität des leeren metrischen Raums explosiv entwickelt haben soll. Und da die Astronomen auch heute noch die Ausbreitung des Universums nachweisen können, müsste es wohl auch so gewesen sein, als die Welt entstand. “

Selbstzufrieden über seine geglückten Formulierungen auf dem Blatt, legte Professor Hicks seinen Federhalter nieder und massierte sich die leicht verkrampften Finger seiner rechten Hand.

*

Der Student Sparlinek, der sich zufälligerweise auf der entgegengesetzten Seite des Schiffes aufhielt, wo er zwei Latte Macchiato und drei Stück Schwarzwälder Kirschtorte verzehrt hatte und gerade im Aufbruch war, sah plötzlich Professor Hicks.

„Hallo Herr Professor“, was machen Sie hier?“

„Das wollte ich gerade auch Sie fragen. Ich habe mir gerade das aufgeschrieben, was Sie in der nächsten Vorlesung hören werden und was ich als Buch veröffentlichen will, Herr Sparlinek. Es geht dabei um die Einsteinsche Kosmologie, die Sie ja bereits angesprochen haben.“

Und nach einem mitleidig lächelndem Blick auf den Studenten Sparlinek, der mit den modernsten Kopfhörern und einem wirren Wust von elektronischem Schnickschnack überladen war, meinte Professor Hicks noch: „Sie sind ja komplett verkabelt, als seien Sie mit irgendeiner Weltzentrale verbunden.“

„Man muss immer auf dem neuesten Stand sein, wenn man heut vorne mitmischen will, Herr Professor. Womöglich möchten Sie Ihr Buch noch mit Bleisatz drucken lassen, mit beweglichen Lettern, wie es anno Tobak hieß.

Gutenberg war gestern, Herr Professor.

Wenn Sie mir das geben, Herr Professor, dann kann ich das ins Netz stellen. Und dann können Sie sich Ihre Vorlesungen sparen. In Zukunft findet die Uni sowieso zu Hause vor dem Bildschirm statt.“

„Danke, für den diskreten Hinweis. Aber ich glaube, dass die Menschen immer die Live-Auftritte bevorzugen werden. Frische Kost ist immer besser und gesünder als aus der Konservendose.“

„Das ist die Meinung Ihrer Generation auf dem sterbenden Stern von gestern. Meine Generation ist mit dem Handy und dem Internet aufgewachsen. Wir denken da anders. Ich setze Ihre Vorlesungen sowieso immer ins Netz. Da können Sie gar nichts dagegen tun, sonst kommen die Piraten über Sie. Und denken Sie daran. Wer nicht mit der Zeit geht, der muss mit der Zeit gehen. Honecker hat es vorgemacht, machen Sie`s ihm nicht nach, ha, ha.“

„Wie Recht Sie haben. Jetzt wird’s Zeit, dass ich gehe. Auf Widersehen, Herr Sparlinek“, entgegnete Professor Hicks leicht verwundert über die stupende Art des Auftretens des Studenten Sparlinek und dessen unermüdliche Eloquenz.

„Hoffentlich nicht so bald wieder“, dachte sich Professor Hicks, nahm seinen Panamahut, welchen schon sein Vater trug, und den dieser auf dem Flohmarkt in Paris erstanden hatte, vom Haken und ging.

Hausmeister Karels Leerauftrag und Einsteins Ende im Chaos

In seinem Institut für interdisziplinäre Forschung hatte Professor Hicks die bis jetzt von Hand geschriebenen Manuskriptseiten seines neuen Buches seiner Sekretärin, Frau Schwiering, zum Schreiben gegeben.

„Also endlich haben Sie auch einmal an mich gedacht, die isch das Ganze schreiben muss. Endlich mal ganz normale Buchstaben und nicht bloß die verschlungenen Formeln mit den seltsamen Sonderzeichen, Herr Professor.

Aber die Sache, dass die Gestalt der Welt durch die Krümmung des Raums bestimmt wird, das ist doch ein bissel zu wenig, Herr Professor.“

Dr, Fitzroy, der neben seinem Chef bereit stand, meinte mit seiner spitzen Zunge zu dem polnischen Hausmeister, der gerade die Papierkörbe des Sekretariats leerte: „Für den Karel reicht`s aber allemal, nicht wahr Karel.“

„Wenn von Papier spreche, dann reicht wirklich. Is jeden Tag voll davon alle Milleimer in Institutt.“

„Sie haben eben einen Leerauftrag“, gab Dr. Firtzroy zum Besten.

„Also Herr Dr. Fitzroy, ich bitte Sie. Sind Sie nicht so wüscht zu dem armen Mann, der tut genauso seine Arbeit wie Sie und isch auch“, entrüstete sich Frau Schwiering.

Professor Hicks versuchte diesen für ihn peinlichen Zwischenfall zu verdrängen, indem er direkt auf Frau Schwierings fachlichen Einwand einging: „Sehen Sie Frau Schwiering, auch Ihr Pullover wurde einmal aus einem Knäul Wolle hergestellt. Er unterscheidet sich also lediglich in der räumlichen Krümmung der Wollfäden des ehemaligen Wollknäuels, aus dem er hervorging. Das, was Sie vorher ein Wollknäul nannten, bezeichnen Sie jetzt als Pullover. Und dieser entstand durch die räumliche Krümmung der Wollfäden mittels der Stricknadeln. So einfach ist das.“

„Ja, wenn Sie das so sagen, dann leuchtet mir das jetzt ein. Doch dafür brauch isch nur ein Strickmuster und keine Formle, ha, ha.“

Dann ergriff sie den roten Schnellhefter, der auf ihrem Schreibtisch lag.

„S`wird Zeit meine Herrn. Da sind noch die ganze Unnerlage für Ihre weitere Vorlesung dabei, die isch geschrieben habe!“, wandte sie sich besorgt an Professor Hicks.

Professor Hicks verstaute die Unterlagen in seiner Aktentasche und machte sich mit Dr. Fitzroy auf den Weg zur Universität. Als sie ins Freie traten, schickte Hausmeister Karel beim Leeren der Papierkörbe in die Abfallcontainer noch einen Fluch auf Polnisch, einer Verbindung zwischen der geschlechtlichen Vulgärsprache mit dem polnischen Marienkult, an die Adresse Dr. Fitzroys.

Die beiden Akademiker verschwanden nach draußen. Dr. Fitzroy zwängte wieder einmal mit missmutigen und verächtlichen Bemerkungen seine lange Gestalt in den ganz nach hinten gestellten Beifahrersitz mit dem abgeschossenen und durchlöcherten Bezug. Dann startete Professor Hicks seinen Polo nach längeren Gehakel mit der Gangschaltung.

„Da ist wohl nicht mehr genügend Kupplungsspiel vorhanden. Außerdem scheint ihr Auspuff völlig am Arsch zu sein, wie der klingt. Der ist wohl schon total wurmstichig. Da schrecken ja die Rentnerinnen bei ihrem Kaffeklatsch in den Straßencafés zusammen. Den müssen Sie demnächst auswechseln lassen, Herr Hicks!“

„Der Karel hat sich auf dem Schrottplatz beim Türken schon umgesehen, aber noch keinen passenden gefunden.“

„Ach, der Karel, beim Türken, auf dem Schrottplatz. Einen Auspuff bekommen Sie doch selbst bei ATU für diese alte Karre schon für eine Hand voll Euros.

Also das nächste Mal fahren wir wohl wieder besser mit meinem Wagen, bis ihre abgefuckte Ratter- und Knatterkiste wieder in Schuss ist.“

Wortlos und mit leichter Verstimmung setzten beide die Fahrt bis zur Universität fort.

Professor Hicks parkte seinen geliebten Polo, den er mit furchterregendem Krach und Getöse durch die zartwarme Maienluft zur Universität chauffiert hatte, in einer Nische auf dem Gehweg des Collegium Academicums hinter der Neuen Universität.

Nach seinen handschriftlichen Berechnungen war die Summe aus den zu erwartenden gebührenpflichtigen Verwarnungen der Stadt geringer, als die anfallenden Parkgebühren in den umliegenden Parkhäusern, zumal beide Gebühren in Heidelberg besonders hoch sind.

Als sie ausgestiegen waren, nahm zuerst Dr. Fitzroy wieder den Disput auf: „Der reinste Panzer. Klein aber Schwein. Da ist der Auspuff schon durchlöchert an Ihrem alten Umweltschänder.“

„Sehen Sie, das ist der große Irrtum. In Deutschland wird ein Auto im Schnitt nur acht Jahre lange gefahren, dann wird es verschrottet und wird ein neues gekauft. So habe ich es zumindest in der ADAC-Zeitschrift beim Zahnarzt gelesen. Ich befolge beim Auto das Nachhaltigkeitsprinzip. Sie dagegen kaufen sich ja sogar fast jedes Jahr ein neues.“

„Das ich aber dann an einen anderen weiterverkaufe, Herr Hicks.“

„Wenn Sie`s nicht vorher zu Schrott gefahren haben, mein Lieber.“

„Das war doch nur letztes Mal. Ein Mal. Und da hatte ich keine Promille.“

„Ach, ja, welch ein Zufall!

Aber wenn Sie also die ehrliche Umweltbilanz aufmachen, in der Sie den Material- und Energieverbrauch bei der Erzeugung der Autos berücksichtigen, dann bin ich mit meinem 38 Jahre alten Polo einer der umweltschonendsten Autofahrer der Nation. Dieser Polo ist mein erstes und einziges Auto bisher. Mein Vater hatte einen Borgward Isabella, wenn Ihnen das etwas sagt, bis zum Ende seines Lebens gefahren. Das war vor neun Jahren.“

„Borgward, die haben doch längst Pleite gemacht. Doch Borgward hin und Polo her. Nur mein Kreuz schont er nicht, ihr alter Polo. Da wäre wohl sogar der Borgward bequemer gewesen. Wenn Sie eine ehrliche Sozialbilanz aufmachen, in der Sie die Kosten für die Behandlung der Haltungsschäden Ihrer Mitfahrer berücksichtigen, dann ist dieser 38 Jahre alte Polo die sozialschädlichste Kiste der Nation.“

„Sie sind eben zu groß und zu steif, Herr Fitzroy. Sie sind nicht genug anpassungsfähig. Sie müssen etwas gelenkiger und flexibler werden.“

„Das sagt der Richtige, der konservative Sportmuffel.“


*

Nach weiteren gegenseitigen Frotzeleien waren sie endlich in der Uni angekommen und Professor Hicks begann mit seiner Vorlesung.

„Letztes Mal hatte ich Ihnen Einsteins Idee des gekrümmten Raums vorgestellt. Aus ihr folgt zum Beispiel die Existenz der schwarzen Löcher, die auch tatsächlich nachgewiesen werden konnten. Manche Physiker behaupten sogar, dass es solch skurrile Gebilde wie Wurmlöcher gäbe und sprechen auch von Zwillingswelten und andere Merkwürdigkeiten. Sie werden nun fragen, wie diese Physiker ernsthaft auf solche Theorien kommen. Nun, sie leiten es aus den berühmten Einsteinschen Feldgleichungen ab. Das klingt allerdings nach höherer Mathematik. Und da werden viele von Ihnen gleich das Genick einziehen.

„Mathe ist Scheiße und Physik sein Bruder“, so las ich es bei einem Jugendlichen auf seinem T-Shirt auf Gran Canaria. Ich finde diesen Sponti-Spruch nicht nur originell, sondern auch bemerkenswert. Er sollte uns Naturwissenschaftler und Mathematiker auch zum Nachdenken darüber veranlassen, was man gegen diese „Scheiße“, wenn ich das einmal so zitieren darf, tun kann.“

„Nicht reintreten!“ bemerkte der Student Sparlinek und erntete abermals einen allgemeinen Lacherfolg, selbst bei Professor Hicks, obwohl er sich schon durch den zänkischen Disput mit Dr. Fitzroy über seinen Polo genervt fühlte, von dem er normalerweise diese albernen und infantilen Sprüche zu hören bekam. Doch getreu seines Mottos: „Jeder Angriff geht ins Leere“, setzte er mit seinen Ausführungen nahtlos fort.

„Viele Mathematiker und Naturwissenschaftler sind wirklich nur Zahlenknechte und Messdiener. Mit Messdiener meine ich natürlich nicht den Diener des Pfarrers, den Messner, der ihm den Weihwasserkessel nachträgt, sondern den Naturwissenschaftler, der mit der Messlatte durch die Gegend läuft. Doch auch dieser wird wie der mathematische Zahlenknecht bei jeder technischen Neuentwicklung benötigt.

Die Mathematik ist jedoch nicht nur reine Zahlenspielerei, sie leistet auch mehr als nur die Umstellung von Termen und die Lösung von Gleichungen, wie dies hauptsächlich in den Schulen geschieht. Sie beschreibt uns auch die logischen Prinzipe nach denen die Welt und unser Leben abläuft und die wir teils unbewusst und aus Erfahrung heraus automatisch auch im Alltag ständig anwenden, um Entscheidungen zu treffen und Probleme zu lösen. Dazu möchte ich Ihnen ein nettes Beispiel für logisches Denken im Alltag schildern.

In seinem Buch „In achtzig Tagen um die Welt“ schildert der Autor Helge Timmerberg, wie er in Indien einen Guru besuchte und ihn um teuren Rat bat. Er sollte ihm den weiteren Weg seiner Reise um die Welt weisen, da er sich nicht zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden konnte. Daraufhin empfahl ihm der Guru, den Wurf einer Münze entscheiden zu lassen, mit der Begründung, dass beide Möglichkeiten für ihn wohl gleichwertig seien und dass es folglich egal sei, für welche er sich entscheide. Lässt er also den Wurf der Münze entscheiden, dann verliere er nichts. Könnte er sich dagegen nicht entscheiden, dann verliere er auf alle Fälle etwas. Das ist zweifelsfrei logisch und richtig.

Hätte aber Helge Timmerberg seinen eigenen Verstand etwas stärker genutzt, dann hätte er dies billiger haben können.

Aber mir scheint es, dass sich viele Menschen davor genieren, ihren eigenen Verstand zu benutzen. Sie lassen lieber für sich denken, im Glauben, dass andere das für sie besser könnten. Doch diese anderen denken, wie jeder Mensch, an sich selbst zuerst. Und in diesem Sinne, ließ sich der Guru für seinen Rat fürstlich entlohnen, denn die Tugend des materiellen Verzichts galt wohl nur für seine Schüler nicht für ihn selbst.

Wenn Sie nun von den berühmten Einsteinschen Feldgleichungen hören, dann werden Sie auch meinen, dass das nur eine Sache für ganz kluge Spezialisten ist. Das ist richtig, denn diese Gleichungen besitzen sehr komplizierte Lösungswege, die oft im Chaos enden. Es ist also dabei die Kunst, die Lösungen herauszufinden, die zu einem sinnvollen Ergebnis führen. Das überlassen wir also den mathematischen Grüblern.

Wir beschäftigen uns hier lieber mit dem Erkennen der strukturellen Prinzipien der Welt, insbesondere mit jenen, die sich in ähnlicher Form bei allen Erscheinungen der Welt zeigen, also ganz im Sinne meines Instituts für interdisziplinäre Forschung.“

„Bravo!“, entfuhr es dem Studenten Sparlinek, der damit wieder rundum einen Lacherfolg erzielte und dem Professor Hicks spontan konterte: „Wir sind hier nicht im Theater und noch nicht am Ende, falls dies schon Ihre Beifallsäußerung für meine Vorstellung hier gewesen sein soll, Herr Kommilitone.“ Dann fuhr er unversehens mit seinem Vortrag fort.

„Aus diesem Blickwinkel betrachtet, beschreiben Einsteins Gravitationsgleichungen nur die kosmischen Strukturen der Welt.

Doch wir wollen uns darüber hinaus auch ein Bild von der Entwicklung der vielfältigen Dinge in dieser Welt machen.

Da zeigen sich jedoch die Grenzen von Einsteins Kosmologie. Um das zu verstehen unternehmen wir in der nächsten Vorlesung einen Ausflug in die Evolutionsgeschichte der Lebewesen im Rahmen der Biologie.

*


Dieses Mal musste Professor Hicks in seinem Polo auf Dr. Fitzroy warten, da dieser sich mit der rassigen Mexikanerin mit den schulterlangen schwarzen Haaren und den mandelförmigen dunklen Augen unterhalten hatte. In ihren Adern schien etwas indianisches Blut zu fließen, was Dr. Fitzroy sichtlich in Wallung brachte.

Die Mexikanerin, Carmen Gonzales, war ihm schon seit der ersten Vorlesung angenehm aufgefallen und es musste andererseits ihr aufgefallen sein, dass sein etwas wilder Blick häufig an ihr hängen blieb. Während Dr. Fitzroy sofort an ihrem Äußeren Feuer fing, war aber Carmen Gonzales lediglich an ihrer universitären Karriere interessiert, als sie ihm unumwunden zu einem Date zusagte.

Mit Flausen im Kopf und Schmetterlingen im Bauch hastete

Dr. Fitzroy zu seinem schon unruhig gewordenen, wartenden Chef, der schon mit laufendem Motor bereit stand.

„Entschuldigen Sie. Ich hatte da noch eine interessante Diskussion mit einer Studentin“.

„So, so, Herr Fitzroy“, meinte Professor Hicks, „bestimmt wollen Sie ihr noch Ihren Quantencomputer vorführen. Ich nehme an in Ihrem

Privatappartement.“

„Besser als die Briefmarkensammlung, die Sie vielleicht früher gezeigt haben oder hätten, wenn überhaupt.

Glauben Sie mir, Herr Hicks, Ich bin echt überrascht wie die Girls da an Ihrer Vorlesung interessiert sind. Und das ausgerechnet bei Ihnen.“

„ Trotz Ihres leicht unterschwellig abschätzig klingenden Tons muss ich Ihnen sagen, Sie unterschätzen eben meine Ausstrahlung auf die Frauen, Herr Fitzroy. Frauen gehen nicht nur nach äußeren Werten, so wie Sie, sie stehen auch auf innere Werte, aber die scheinen Ihnen ja zu fehlen. Frauen haben einen feineren Geschmack als Männer.“

„Ja, ja, alles Geschmackssache, sagte der Schuster als er sein Vesperbrot mit Schuhwichse bestrich. Mal sehen, wie lange die geschmackvollen Girls Ihrer Vorlesung treu bleiben.

Also ich habe da bestimmt nichts gegen sie, insbesondere, was einige betrifft, ha ha. Da macht das Denken und die Arbeit erst so richtig Spaß, insbesondere im Team, wenn man mit ihnen möglicherweise in den Clinch geht.“

„Also Herr Fitzroy, ich muss doch sehr bitten“, erregte sich Professor Hicks „denken Sie daran, dass diese jungen Frauen von Ihnen abhängig sind und…“

Ein plötzlicher Knall unterbrach Professor Hicks, der gegen den knatternden Lärm des durchlöcherten Auspuffs angeschrien hatte.

„Kawums, bumms, fauch, zisch… schepper… ratsch …kratsch!“ Kurz vor dem Hoftor des Instituts hatte der stark abgeblasste und verbeulte Polo einen wuchtigen Knall von sich gegeben. Ein kleiner Feuerschweif war dabei aus seinem Hinterteil geschossen und gleichzeitig der Motor dabei ausgegangen.

„Jetzt hat der Auspuff endgültig Adieu gesagt“, meinte Dr. Fitzroy ganz trocken. Und als Professor Hicks den Motor erneut angelassen hatte, machte es „ratsch“ und ließ sich das Kupplungspedal wie Butter durchtreten, so dass die Kupplung nicht ausrückte und er keinen Gang mehr einlegen konnte. So mussten sie den Wagen auf der Straße vor dem Hoftor erst einmal stehen lassen und aussteigen.

„Na jetzt haben wir den absoluten Super-GAU, Auspuff ab und Kupplung total am Arsch“, meinte Dr. Fitzroy als sie aus dem

maroden Gefährt ausgestiegen waren.

„Habe Sie das gehört und gesehe, Karel?“

Von ihrem Schreibtisch aus hatte die, durch das Krachen und Knallen aufgeschreckte Frau Schwiering wie immer alles rund ums Institut in ihrem Blickfeld und im Griff.

„Das hat ja gekracht wie im Krieg. Hoffentlich ist den beiden Herren dabei nichts passiert.“

„Ach, is alte Schrotthobel von Professor. Wann schmeißt endlich weg. Will dranschweiße Griff, damit wegwerfe kann, bevor noch in Luft fliegt das ganze Ding! Außer, wenn lange Doktor alleine drin. Dann nicht schade.“

„Also, warum unser Professor in so einem alten Auto rumkurvt geht mir nicht in den Kopf, wo der nur all sein Geld hat bei seiner Sparsamkeit. Aber unserem Doktor wünschen Sie auch nicht das Beste. Man weiß ja warum.”

„Ist auch nur Witz gewese. Will auch für ihn bete. Jetzt aber will nausgehe und helfe die zwei Geister.“

Inzwischen hatte Hausmeister Karel seinen Mercedes vom ersten Parkplatz des Instituts weggefahren. Dann schoben sie mit missmutiger Mine zu dritt den Polo von Professor Hicks dort hin.

„Kann ich vielleicht besorge neue Auspuff von Tierke, wenn wolle, Herr Professor. Kann dann auch frage wege Kupplung. Ist nur Kupplungszug gerisse, meglich vielleicht, weil Pedal sich lässt durchtrete ganz leicht.“

„Ja, das wäre sehr nett von Ihnen, Karel. Sie sind ja da firm in Sachen Auto.“

„Der ist reif für den Schredder, wenn Sie mich fragen, Herr Hicks. Beim nächsten Furz reißt es die Sprungfedern aus dem Sitzpolster und die stechen einem dann in die Hinterbacken. Die kratzen einem ja jetzt schon am Hintern, schlimmer als die Hämorrhoiden.“

„Nicht immer gleich so ordinär, Herr Fitzroy, ich bitte Sie um dieses Wort! Außerdem habe ich Ihnen ja bereits erklärt, dass ich das Prinzip der Nachhaltigkeit für ein grundlegendes Prinzip im Alltag halte.“

Dann verschwanden sie ins Institut.

Professor Hicks erklärt das Higgs-Teilchen

Подняться наверх