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ОглавлениеKapitel 2
Am nächsten Tag lag Werenfels im Spital. Soweit Violette es mitbekommen hatte, musste er zu Hause die Treppe hinunter gestürzt sein und sich dabei eine Rückenverletzung zugezogen haben. Gleich am frühen Morgen herrschte Ratlosigkeit in der Weinhandlung, doch Buchhalter Mangold forderte alle auf, mit der Arbeit wie üblich weiter zu machen.
»Jetzt spielt sich der Zahlenkrämer Mangold wohl als neuer Chef auf!«, bemerkte Hardmeier, als er kurz vor zwölf Uhr die Post in Violettes Büro holen kam. »Aber das mache ich nicht mit!«, garantierte er, »denn von dem lasse ich mir nichts vorschreiben!«
Violette reagierte nicht darauf.
»Es ist doch so, oder«? Hardmeier blieb dicht vor ihrem Schreibtisch stehen und schaute sie fragend an.
»Herr Werenfels wird vermutlich bald wieder da sein«, sagte sie dann, obwohl sie das ja nicht wusste.
»Meinen Sie«? Er hatte noch immer denselben, fragenden Ausdruck im Gesicht. »Da wäre ich mir aber nicht so sicher!«
»Das ist ja auch nicht ihr Problem, Herr Hardmeier!«, erwiderte Violett ohne ihn dabei anzuschauen.
»Warum sind Sie eigentlich immer so unfreundlich zu mir?«, wollte Hardmeier wissen. »Man könnte direkt meinen, Sie hätten etwas gegen mich.«
Sie warf ihm einen flüchtigen Blick zu.
»In dieser Bruchbude hier gibt es niemanden, mit dem man ein anständiges Wort wechseln kann!«, regte er sich auf. »Dabei sind Sie die einzige, von der ich annehme, dass sie im Grunde schon in Ordnung sind!«
Das Telefon klingelte. Violette nahm den Anruf entgegen, notierte eine Bestellung, legte wieder auf.
Hardmeier war die ganze Zeit vor dem Schreibtisch stehen geblieben und wartete darauf, dass ihm Violette auf sein Kompliment – wie er das vermutlich auffasste – reagierte.
»Die Post schließt in zehn Minuten«, sagte sie nur. »Ich würde mich also langsam auf den Weg machen!«
»Na dann – keine Antwort ist auch eine Antwort!« Er lachte kurz und etwas zu laut, holte dann die Briefe von der Ablage und verließ das Büro.
Diesmal hatte er wenigstens die Tür nicht offen gelassen. Aber sein Benehmen wirkte heute besonders locker. Vermutlich gefiel es ihm, dass Werenfels nicht anwesend war, für die nächste Zeit vermutlich nicht anwesend sein konnte.
Über die Mittagszeit blieb Violette immer in ihrem Büro. Mangold aß auch etwas in seinem Büro, kam überhaupt nie raus. Hardmeier und Brenner besuchten – trotz ihres nicht gerade guten Verhältnisses – zusammen meistens ein Restaurant, das sich gleich in der Nähe befand.
Der Regen hatte – wie schon gewohnt – tagsüber aufgehört. Diesmal sah der Himmel allerdings nicht mehr so dunkel aus.
Violette holte einen Apfel aus ihrer Handtasche, setzte sich auf dem hölzernen Stuhl gerade hin, legte eine Papierserviette auf einem freien Stück der Schreibtischfläche aus, und begann damit, die Frucht mit einem kleinen Küchenmesser zu schälen.
Gewöhnlich machte sie eine Stunde Mittagspause, wobei sie im Sommer manchmal nach hinten zur Laderampe ging, weil die Sonne dort an warmen Tagen den Stein aufwärmte.
Die Tür hinter Violette wurde so leise geöffnet, dass sie es zuerst gar nicht bemerkte. Dann erschrak sie, drehte sich ruckartig um und entdeckte Mangold, der sein blasses Gesicht vorsichtig hereinstreckte. »Darf ich Sie kurz stören?«, fragte er leise.
»Natürlich«, antwortete Violette und bemühte sich, die Serviette mit der Apfelschale wegzuräumen. Sie warf diesen Abfall nie in den Papierkorb, sondern hinten im Flur gab es einen Abstellraum, wo sich ein blecherner Mistkübel befand. Etwas unbeholfen, die beutelartig geformte Serviette in der Hand, erhob sich Violette und blieb neben dem Stuhl stehen.
»Es wird einen Monat oder gar länger dauern, bis hier alles wieder wie früher ist«, fing Mangold an, wobei er einen Schritt von der Tür weg in den Raum hinein machte. »Sie wissen doch, wegen Herrn Werenfels Unfall. Vorher kann er unmöglich entlassen werden, sagen die Ärzte, zumindest hat es mir seine Frau am Telefon so mitgeteilt.«
»Das ist schlimm«, bemerkte Violette mit teilnahmsvollem Gesicht. Doch wenn sie ehrlich war, hatte sie wenig Mitgefühl mit ihrem nicht gerade freundlichen Chef.
»Und in der Zwischenzeit muss es hier trotzdem weitergehen«, erklärte Mangold in seinem ruhigen Ton, »was wir sicher schaffen werden.«
»Natürlich«, bestätigte Violette.
»Und da ich am längsten für die Firma tätig bin, möchte Herr Werenfels, dass ich in der Zeit seiner Abwesenheit – nun ja, Sie wissen schon. Er hat mich damit beauftragt, als sein Stellvertreter nach dem Rechten zu sehen.«
»Das finde ich gut.« Sie lächelte zurückhaltend.
»Sollte es irgendwelche Probleme geben, dann wenden Sie sich an mich, Frau Girod.«
»Ja, das werde ich tun.«
Mangold wandte sich wieder der Tür zu.
»Und die Post, die an Herrn Werenfels persönlich adressiert ist, soll ich die jeweils ihnen übergeben?«, fragte Violette.
Mangold blieb unter der Tür stehen, drehte sich etwas steif um. Seine ganze Erscheinung wirkte abgespannt. Mit der Hand griff er nach seiner Stirn, fuhr streichelnd den Haaransatz entlang, als suche er dort eine Unebenheit. »Nein, die können Sie wie üblich in das Büro des Chefs legen«, antwortete er dann.
Violette nickte.
»Dann will ich wieder an die Arbeit gehen«, sagte Mangold, und schon war er draußen.
Violette wartete bis sich der Buchhalter in seinem Büro befand, dann eilte sie in den Abstellraum am Ende des Flurs und warf dort die Papierserviette in den Abfalleimer. Kaum saß sie wieder an ihrem Schreibtisch, als Hardmeier und Brenner vom Mittagessen zurückkamen. Hardmeier betrat Violettes Büro, schloss sogar die Tür hinter sich, um sich dann in recht lässiger Haltung auf die Ecke des Schreibtischs zu setzen. Es war das erste Mal, dass ihn Violette so erlebte. Die Abwesenheit des Chefs schien ihm Mut zu machen.
»Sehen Sie, ich habe mir das mit dem Türeschließen zu Herzen genommen«, sagte er mit gespieltem Stolz. »Aber ich frage mich, warum Sie über die Mittagszeit immer in diesem engen Büro bleiben?« Er konnte ein breites Grinsen nicht verkneifen.
»Mir gefällt es«, antwortete sie.
»Sie könnten doch mit uns essen kommen«, schlug er vor. »Mal raus aus der muffigen Bude!«
Violette passte es gar nicht, wie er auf ihrem Schreibtisch saß. „Können Sie sich nicht benehmen!«, sagte sie. »Stehen Sie bitte auf!«
»Wie meine Mutter!«, bemerkte er und blieb sitzen. »Dabei sind Sie doch noch jung, mein Fräulein! Also etwas lockerer, wenn ich bitten darf!«
Violette spürte, dass er sie provozieren wollte. Werenfels Abwesenheit schien für den Fahrer das Signal dafür zu sein, sich nicht mehr so wie bisher benehmen zu müssen. Aber auch wenn sich Violette dadurch ein wenig verunsichern ließ, beeindrucken konnte er sie damit bestimmt nicht.
»Machen Sie sich an die Arbeit«, sagte sie. »Ich habe heute Morgen einen ganzen Stapel Lieferscheine zu Herrn Brenner gebracht. Die Kundschaft muss rechtzeitig beliefert werden, auch wenn der Chef im Krankenhaus liegt.«
»Eine treu ergebene Mitarbeiterin, was!«, spöttelte Hardmeier. »Der alte Geizkragen muss ihnen ganz schön ans Herz gewachsen sein!«
»Ich erledige nur meine Arbeit«, konterte sie.
Der Fahrer rutschte vom Schreibtisch. »Ich werde mich sowieso nach einem neuen Job umsehen«, sagte er. »In dem Laden hier ist nichts los! Sogar das Radio für den Lieferwagen musste ich aus eigener Tasche bezahlen.«
Violette schaute kurz auf ihre Armbanduhr. »Es ist halb zwei«, sagte sie vorwurfsvoll.
Er schritt auf und ab. Violette fand sein Benehmen lächerlich. Hardmeier blieb bei der Briefablage stehen, obwohl es dort um diese Zeit keine Post zu holen gab. Er trommelte mit den Fingern gegen die hölzerne Unterlage. Dabei starrte er Violette an. Sie fand ihn in dieser Haltung abstoßend.
»Die Kundschaft wartet«, ermahnte sie ihn.
»Das läuft schon«, meinte er. »Da müssen Sie sich keine Sorgen machen! Aber was mich vielmehr interessiert, ist ihr abweisendes Verhalten mir gegenüber. Es beschäftigt mich. Habe ich ihnen etwas getan? Erklären Sie mir das doch!«
Violette wurde es peinlich. Sie senkte den Kopf, holte die Bestellformulare zu sich heran, überlegte, ob sie nicht mit dem Schreiben der Rechnungen anfangen sollte und hoffte, dass das Telefon klingeln würde.
»Wir könnten doch wirklich mal zusammen ausgehen«, schlug er dann vor. »Ganz seriös und anständig, versteht sich!«
Sie konnte hören, wie er auf ihren Schreibtisch zu kam. Ihr Kopf schoss hoch. »Was fällt ihnen ein!«, reagierte sie gereizt. »Gehen Sie endlich an ihre Arbeit!«
Er grinste übers ganze Gesicht, richtete seinen Oberkörper auf, wobei sich seine Muskeln als Wölbungen unter dem gespannten Hemd abzeichneten. Nun lehnte er sich sogar vor, stützte sich mit seinen großen Händen auf der Schreibtischplatte ab, wobei sein Kopf eine gewisse Grenze durchstieß und bei Violette das Gefühl von Bedrängung auslöste. Sie konnte sich nicht mehr zurückhalten. »Nun verschwinden Sie endlich aus meinem Büro!«, befahl sie in einer Lautstärke, die sie an sich gar nicht kannte. Dabei wich sie zurück und spürte die harte Lehne des Stuhls im Rücken.
Hardmeier blieb in derselben, vorgebeugten Haltung stehen und fragte mit leicht abschätziger Stimme: »Warum so aufgeregt? Ich vergreife mich schon nicht an ihnen!«
Welche Erlösung – das Telefon klingelte! Und es schien, als würde dieses Geräusch Hardmeier zur Besinnung bringen, jedenfalls nahm er wieder eine aufrechte Körperhaltung ein und distanzierte sich aus der für Violette als so unangenehm empfundenen Nähe.
Frau Werenfels, die Gattin des Chefs, war am Apparat. Sie wünschte Mangold zu sprechen. Violette verabschiedete sich höflicher als sonst und stellte die Verbindung mit dem Buchhalter her.
»Nun mischt sich die auch noch ein, was!«, kommentierte Hardmeier den Anruf.
Violette legte langsam den Hörer zurück. Warum ging der Fahrer nicht endlich! Er hatte hier nichts mehr zu suchen. Sie fing damit an, Lieferscheine zu schreiben.
»Ich warte«, sagte Hardmeier.
»Und ich arbeite«, erwiderte sie ohne ihn eines Blickes zu würdigen.
Gab er nun endlich auf? Sie schrieb weiter, als wäre er nicht da. Es tat ihr gut, ihn so zu ignorieren. Etwas wie Stärke kam in ihr auf. Nun würde er gehen müssen!
Die Tür wurde geöffnet. Violette spürte, wie Hardmeier sofort eine andere Haltung annahm. Sie selbst hob langsam den Kopf und entdeckte den Buchhalter, der das Büro betrat und auch gleich zur Seite ging, weil er vermutlich annahm, dass der Fahrer sich nur für einen kurzen Botendienst hier befand und den Raum gleich verlassen würde. Doch Hardmeier blieb neben dem Schreibtisch stehen. Für Sekunden entstand eine schwebende, unschlüssige Stimmung.
»Bitte entschuldigen Sie die Störung«, brach Mangold das kurze Schweigen, wobei er sehr leise sprach und sich dabei ausschließlich an Violette wandte. »Ich möchte ihnen mitteilen, dass Sie auch die Post für Herrn Werenfels direkt an mich weiterleiten sollen.« Danach blickte er zu Hardmeier, der erstaunlicherweise noch immer da stand und sogar mit interessiertem Gesicht zuhörte.
»In Ordnung«, sagte Violette und tippte weiter.
»Gibt es Probleme?«, wandte sich Mangold dann an den Fahrer.
»Probleme?«, wiederholte der. »Brenner macht hinten die Lieferung fertig, aber Probleme gibt es keine.«
»Ich benötige Sie nun nicht mehr, Herr Hardmeier«, mischte sich Violette ein. Sie fand das sehr geschickt, denn nun musste er das Büro verlassen!
Hardmeier schritt durch die Tür, die er, diesmal bestimmt absichtlich, offen ließ.
»Was hat Herr Hardmeier denn um diese Zeit in ihrem Büro zu suchen?«, wollte der Buchhalter wissen.
»Vielleicht hat er etwas gesucht«, antwortete sie.
»Bitte, Fräulein Girold«, sagte Mangold noch immer sehr leise, trat aber einen Schritt näher. »Ich will mich nicht einmischen, aber Sie wissen, dass der Chef die privaten und die geschäftlichen Angelegenheiten gerne getrennt sieht.«
Nun schaute Violette ihn direkt an, doch er wich ihren Augen aus. »Was meinen Sie damit?«, fragte sie.
»Ich wollte Sie nur daran erinnern – jetzt, wo der Chef nicht im Hause ist«, erwiderte er, drehte sich in seiner steifen Art um und verließ das Büro.
Was war hier los? Violette spürte, dass sich seit dem Morgen etwas verändert hatte. Nur mühsam konnte sie wieder in ihre Arbeit zurückfinden.
Kurz vor drei Uhr polterte es draußen im Flur. Jemand hatte die Eingangstür aufgestoßen und – vermutlich durch das Hantieren mit einem Regenschirm – den blechernen Kübel, der als Schirmständer diente, umgeworfen. Einige undeutliche Worte folgten, aus denen Verärgerung herauszuhören war. Dann klopfte es an die Bürotür, die, bevor Violette etwas sagen konnte, geöffnet wurde.
Es war Frau Werenfels, die, in einem schwarzen Pelzmantel und Entschlossenheit im Gesicht, den Raum betrat. Auf dem Kopf trug sie eine Mütze, die aus dem gleichen Pelz wie der Mantel gefertigt war, ein breites, rundes Ding, unter dem streng frisiertes, nicht sehr langes, graues Haar hervorschaute. Etwas außer Atem holte sie mit dem Arm zu einer dominanten Geste aus. »Was ist denn das für eine Unordnung bei den Regenschirmen draußen!«, fing sie mit krächzender Stimme an. »Sehen Sie nur!«, fuhr sie fort und hob dazu ihren blauen Regenschirm in die Luft. »Wo soll ich den nun ablegen?«
»Guten Tag, Frau Werenfels«, begrüßte Violette die Frau freundlich, erhob sich von ihrem Stuhl, um ihr behilflich zu sein.»Machen Sie mal Ordnung in diesem Schirmständer«, wurde Violette von ihr weiter angefahren. »Und nehmen Sie mir endlich den Schirm ab!« Mit nervösem Blick schaute sie sich um und schenkte Violette keine Beachtung, als die ihr vorsichtig den Regenschirm abnahm.
»Wohin gehen Sie damit?«, rief ihr Frau Werenfels nach, als Violette das Büro verlassen wollte.
»Ich schaue nach, ob es im Schirmständer nicht doch einen Platz gibt.«
»Das habe ich selber schon versucht.« Frau Werenfels schüttelte verständnislos den Kopf. »Kaum ist mein Mann nicht hier, geht es mit der Unordnung los!«
Violette trat trotzdem in den Flur hinaus. Der blecherne Kübel lag auf dem Boden. Wenn er auch nicht groß war, so gab es dennoch Platz für einen weiteren Schirm. Sie hob den Kübel auf, stellte ihn wieder neben die Tür und stellt den Schirm von Frau Werenfels sorgfältig hinein.
Kaum befand sich Violette wieder im Büro, sagte Frau Werenfels: »Nur die Büroangestellten dürfen ihre Schirme dort abstellen. Die Lagerarbeiter haben bei sich genügend Platz.«
Violette nickte nur und wollte sich an ihren Schreibtisch setzen.
»Und mein Mantel?«, fragte die Frau des Chefs. »Denken Sie, ich werde hier einfach so stehen bleiben! Nun helfen Sie mir schon!«
Violette half ihr aus dem Mantel. Die lacklederne Handtasche war dabei im Weg, doch Frau Werenfels umklammerte sie fest, wechselte sie dann in die andere Hand, um aus dem Ärmel schlüpfen zu können. Hinter der Tür gab es drei Haken an der Wand. Dort hängte Violette das Kleidungsstück sorgfältig mit einem Kleiderbügel auf. Die Pelzmütze blieb allerdings auf dem Kopf der Frau.
»Sie sind doch dieses Fräulein Girold«, stellte Frau Werenfels mit abschätzigem Blick fest. »Ich muss sagen, ich habe Sie ganz anders in Erinnerung.«
»Ach ja«, sagte Violette.
»Nicht so klein und dünn«, kam direkt die Antwort.
Das war doch beleidigend! Aber was konnte Violette dagegen unternehmen? Sie musste es einfach über sich ergehen lassen.
»Aber die Hauptsache ist«, fuhr die Frau des Chefs weiter, »dass man sich auf Sie verlassen kann.« Die Art, wie sie dies aussprach, verriet, dass sie nicht wirklich an Violettes Zuverlässigkeit glaubte.
»Wollen Sie zu Herrn Mangold?« fragte Violette Girold. Die Dame reagierte nicht darauf, sondern schritt, mit den Augen alles prüfend, den Raum ab. »Was ist denn das hier?«, fragte sie plötzlich und hielt einige Papiere, die sich neben der Postablage befanden, in die Luft.
»Das muss noch abgelegt werden«, erklärte Violette und schaffte es endlich, sich an den Schreibtisch zu setzen. »Dann tun Sie es!«, bekam sie zu hören. »Wie ich gerade feststelle, werde ich mich während der Abwesenheit meines Mannes hier umsehen müssen! Wir können es uns nicht leisten, Kundschaft zu verlieren, nur weil hier schlampig gearbeitet wird!«
Violette fing zu arbeiten an.
»Wo sind die anderen Angestellten?«, fragte Frau Werenfels.
„Herr Mangold befindet sich in seinem Büro, Herr Brenner ist im Lager und Herr Hardmeier wird mit dem Lieferwagen unterwegs sein.«
»So.« Frau Werenfels senkte den Kopf etwas, wobei ihr Doppelkinn hervortrat und die breite, runde Pelzmütze einen dunklen Schatten in ihr unzufriedenes Gesicht warf. »So ist das also«, redete sie mehr zu sich selbst, und dann wieder lauter: »Melden Sie mich nun bei Herrn Mangold an.«
Violettes Hand griff zum Telefon und teilte Mangold den Besuch der Frau des Chefs mit. Kaum hatte sie aufgelegt, als der Buchhalter auch schon eintrat. Mit einem für ihn ungewöhnlich wippenden Gang eilte er mit zur Begrüßung ausgestrecktem Arm Frau Werenfels entgegen. Die fuhr ihn aber gleich an: »Wenn ich mir schon die Mühe mache, mich um die Geschäfte meines Mannes zu kümmern, dann verlange ich zumindest, dass eine gewisse Ordnung herrscht. Nicht einmal meinen Schirm konnte ich abstellen!«
Er zog die Hand zurück, entschuldigte sich. Die Handtasche noch immer umklammernd, ging Frau Werenfels gleich vor. Mangold folgte ihr mit gesenktem Kopf, schloss dann die Tür hinter sich zu. »Es geht einfach nicht, dass während der Abwesenheit meines Mannes solche Vorfälle – «, drängte sich die krächzende Frauenstimme durch den Flur, bevor sie, durch das Schließen von Mangolds Bürotür, zu einem unverständlichen, dumpfen Geräusch wurde.