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Drittes Kapitel

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Der Verfasser kommt an den Hof. Die Königin kauft ihn von seinem bisherigen Herrn. Er disputiert mit den größten Gelehrten Seiner Majestät. Bei Hofe wird ein Zimmer für den Verfasser eingerichtet. Er erwirbt sich die Gunst der Königin. Er vertritt die Ehre seines Vaterlandes. Er zankt sich mit dem Zwerg der Königin.

Leid und Mühseligkeiten, die ich jeden Tag ertragen mußte, bewirkten eine beträchtliche Verschlechterung meiner Gesundheit. Je mehr Geld mein Herr durch mich erlangte, desto größer wurde seine Habgier. Ich hatte bereits die Rundung meines Bauches verloren und war beinahe zum Skelett geworden. Der Pächter bemerkte dies und vermutete, ich würde in kurzem sterben; er beschloß deshalb, noch so viel Geld wie möglich durch mich zu erwerben. Während er dies überlegte, kam ein Sardral oder Kammerherr auf Befehl des Hofes und befahl, mich sogleich zur Unterhaltung der Königin und ihrer Hofdamen in den Palast zu bringen. Einige von ihnen hatten mich schon gesehen und merkwürdige Dinge von meiner Schönheit, meinem feinen Betragen und meinem gesunden Verstande erzählt. Ihre Majestät war nebst ihrer Umgebung über mein Benehmen entzückt. Ich fiel auf die Knie und wollte den erhabenen Fuß küssen, allein die gnädige Fürstin reichte mir nur ihren kleinen Finger, als ich auf dem Tische stand. Ich umarmte diesen Finger nun mit beiden Armen und legte in höchster Demut seine Spitzen an meine Lippen. Sie richtete an mich mehrere allgemeine Fragen über mein Vaterland und meine Reisen, die ich sehr deutlich und so kurz wie möglich beantwortete. Sie fragte, ob es zu meiner Zufriedenheit geschehe, wenn ich am Hofe bliebe; ich verbeugte mich bis auf das Brett des Tisches und erwiderte demütig: Ich sei der Sklave meines Herrn. Stände ich jedoch zu meiner eigenen Verfügung, so würde es mir zum Stolze gereichen, wenn ich mein Leben dem Dienste Ihrer Majestät widmete. Sie fragte dann meinen Herrn, ob er willens sei, mich zu einem guten Preise zu verkaufen. Da er nun besorgte, ich würde keinen Monat mehr leben, so verlangte er tausend Goldstücke, die sogleich auf Befehl der Königin herbeigeschafft wurden und wovon jedes Stück ungefähr die Dicke von achthundert portugiesischen Dukaten betrug. Vergleicht man die Verhältnisse dieses Weltteils mit dem europäischen und den damit zusammenhängenden Wert des Goldes, so betrug die Summe kaum soviel wie tausend Guineen in England. Hierauf sagte ich der Königin: Da ich jetzt Ihrer Majestät demütiger Sklave und Vasall sei, müsse ich um die Gnade bitten, daß Glumdalclitch, die mich stets mit so viel Sorgfalt und Güte gepflegt habe und dies auch so trefflich verstände, ebenfalls in den königlichen Dienst treten und auch ferner meine Wärterin und Lehrerin bleiben dürfe.

Ihre Majestät gewährte meine Bitte und erlangte ohne Mühe die Zustimmung des Pächters, der sich nicht wenig freute, seiner Tochter eine Stelle bei Hofe verschaffen zu können. Das gute Mädchen aber konnte ihr Entzücken nicht verbergen. Mein Herr entfernte sich hierauf, indem er von mir Abschied nahm, und sagte, er habe mir einen sehr guten Dienst verschafft, worauf ich kein Wort erwiderte, sondern nur eine leichte Verbeugung machte.

Die Königin bemerkte diese Kälte und fragte nach dem Grunde, sobald der Pächter das Zimmer verlassen hatte. Ich war so kühn, Ihrer Majestät zu sagen, meinem bisherigen Herrn sei ich Dank nur deshalb schuldig, weil er einem armen, durch Zufall auf dem Felde gefundenen Geschöpf das Hirn nicht eingeschlagen habe; dieses Verdienst werde aber durch den Gewinn, den er durch mich im halben Königreiche erlangt habe, und durch den hohen Verkaufspreis genugsam aufgewogen. Das Leben, das ich seither geführt, sei so mühselig gewesen, daß sogar ein Tier von zehnfacher Kraft hätte unterliegen müssen. Meine Gesundheit sei durch die ewige Plackerei zur Unterhaltung der Leute untergraben worden; hätte mein Herr nicht geglaubt, mein Leben sei in Gefahr, so würde Ihre Majestät mich nicht zu so wohlfeilem Preise erhalten haben. Da ich aber gegenwärtig unter dem Schütze einer so großen und guten Monarchin, dem Schmuck der Natur, dem Liebling der Welt, dem Entzücken ihrer Untertanen, dem Phönix der Schöpfung, keine schlechte Behandlung mehr befürchte, so hoffe ich auch, die Besorgnis meines vorigen Herrn werde sich als grundlos erweisen; ich fände bereits, wie meine Lebenskraft durch den Einfluß Ihrer hocherhabenen Gegenwart wieder erwache.

Dies war der Hauptinhalt meiner Rede, die ich nur mit Schwierigkeit und öfterem Stocken hersagte. Der letzte Teil war in dem Stile abgefaßt, der diesem Volke eigentümlich ist. Ich hatte nämlich von Glumdalclitch, als sie mich an den Hof brachte, mehrere Phrasen gelernt.

Die Königin war sehr nachsichtig mit meinen Mängeln im Ausdrucke, erstaunte jedoch über so vielen Witz und gesunden Verstand in einem solchen Dimunitivtiere. Sie nahm mich auf ihre Hand und trug mich zum Könige, der sich gerade in seinem Kabinett befand. Seine Majestät, ein Fürst von ernstem Charakter, mit strengen Gesichtszügen, konnte beim ersten Anblick meine Gestalt nicht richtig erkennen und fragte die Königin in kühler Weise, seit wie lange sie an einem Splacknuck so viel Vergnügen finde. Wie es schien, hielt er mich nämlich für ein solches kleines Tier, als ich in der rechten Hand Ihrer Majestät auf meiner Brust lag. Allein diese Fürstin, die außerordentlich viel Verstand und guten Humor besaß, stellte mich sanft auf den Schreibtisch und befahl mir, ich solle selbst dem Könige über mich Bericht erstatten, was ich denn auch in wenigen Worten tat. Hierauf erhielt auch Glumdalclitch, die vor der Tür des Kabinetts wartete und die Trennung von mir nicht ertragen konnte, sogleich Zutritt und bestätigte alles, was sich seit meiner Ankunft in ihres Vaters Hause mit mir zugetragen hatte.

Der König, obgleich er ebenso gelehrt ist wie irgendeiner seiner Untertanen, war besonders in Philosophie und Mathematik unterrichtet worden; als er jedoch meine Gestalt genau bemerkte und sah, wie ich aufrecht einherging, hielt er mich, bevor ich zu sprechen begann, für eine Art Automaten (in Verfertigung dieser Maschinen ist nämlich das Volk von Brobdingnag zur größten Vollkommenheit gelangt), der von irgendeinem großen Künstler erfunden sei. Als er aber meine Stimme vernahm und bemerkte, was ich sagte, bestehe aus regelmäßig gebauten Sätzen mit vernünftigem Sinn, da konnte er sein Erstaunen nicht verhehlen. Er war keineswegs mit dem Berichte zufrieden, den ich ihm über meine Ankunft im Königreiche gab, und glaubte, diese Geschichte sei nur zwischen Glumdalclitch und ihrem Vater verabredet, die mir eine Anzahl Wörter beigebracht hätten, um mich zu desto höherem Preise verkaufen zu können. In dieser vorgefaßten Meinung legte er mir mehrere Fragen vor und erhielt stets vernünftige Antworten, die in keiner anderen Hinsicht mangelhaft waren, als daß ich in fremdem Akzent sprach, bis jetzt noch eine unvollkommene Kenntnis der Sprache besaß und mehrere bäurische Ausdrücke gebrauchte, die ich im Hause des Pächters gelernt hatte, die sich aber für den zierlichen Stil des Hofes nicht eigneten.

Seine Majestät ließ drei große Gelehrte kommen, die gerade nach Landessitte den Wochendienst hatten. Diese Herren untersuchten eine Zeitlang meine Gestalt mit großer Genauigkeit und waren in bezug auf mich verschiedener Meinung. Alle drei stimmten darin überein, daß ich nicht nach den regelmäßigen Naturgesetzen geschaffen sein könne, weil ich nicht zur Erhaltung meines Lebens durch Erklettern der Bäume oder durch Eingraben in die Erde eingerichtet sei. Sie sahen ferner aus meinen Zähnen; die sie sehr genau in Augenschein nahmen, ich sei ein fleischfressendes Tier; da jedoch die meisten Vierfüßler mich an Kraft bei weitem überträfen und Feldmäuse sowie einige andere viel zu behende seien, konnten sie sich nicht vorstellen, wovon ich lebte, wenn ich mich nicht von Schnecken oder Insekten ernähre; zugleich aber erboten sich alle drei, durch sehr gelehrte Gründe zu beweisen, auch dies sei nicht wohl möglich. Einer dieser hochgelehrten Herren behauptete, ich könne ein Embryo oder eine Frühgeburt sein. Diese Meinung wurde aber von den beiden anderen verworfen, die meine Glieder als vollkommen ausgebildet erkannten. Sie bemerkten ferner, ich habe schon mehrere Jahre gelebt, wie man aus meinen Bartstoppeln schließen könne, die ganz deutlich durch ein Vergrößerungsglas erkannt würden. Die drei Herren wollten mir auch nicht zugestehen, ich sei ein Zwerg, denn meine Kleinheit lasse sich mit nichts vergleichen. Der Königin Lieblingszwerg, der kleinste, den es jemals im ganzen Reiche gegeben habe, sei doch wenigstens dreißig Fuß hoch. Nach langen Verhandlungen erklärten sie einmütig, ich sei nur Replum Scalcath, ein Wort, das der Ausdruck lusus naturae (Naturspiel) wiedergeben kann. Dieser Beschluß war auch gewiß der neueren europäischen Philosophie vollkommen angemessen, deren Professoren diese wunderbare Lösung aller Schwierigkeiten zum sicheren Fortschritt der menschlichen Kenntnisse erfunden haben, indem sie den alten Kniff der verborgenen Ursachen vermeiden, womit die Anhänger des Aristoteles vergeblich ihre Unwissenheit zu verdecken suchten.

Nach diesem entscheidenden Schluß wagte ich die Bitte, man möge zwei bis drei Worte von mir anhören. Ich wandte mich an den König und gab Seiner Majestät die Versicherung, ich käme von einem Lande, in dem mehrere Millionen beider Geschlechter von meiner Gestalt und Größe lebten, wo Tiere, Bäume, Häuser in demselben Verhältnisse gestaltet seien und wo ich mich deshalb ebensogut verteidigen und ernähren könne wie irgendein Untertan Seiner Majestät in ihren Staaten, und dieses halte ich für eine genügende Antwort auf die Beweisführung der gelehrten Herren. Diese aber antworteten mir allein mit einem verächtlichen Lächeln und fügten dann noch hinzu, der Pächter habe mir in meiner Geschichte gehörigen Unterricht gegeben. Der König jedoch, ein verständiger Mann, entließ die Gelehrten und befahl, den Pächter herbeizurufen, der glücklicherweise die Stadt noch nicht verlassen hatte. Als dieser nun zuerst im geheimen befragt und dann mit seiner Tochter konfrontiert worden war, begann Seine Majestät unserem Bericht Glauben zu schenken. Er bat die Königin, Befehle zu geben, daß man mich mit besonderer Sorgfalt behandele, und war der Meinung, Glumdalclitch solle ihr Amt, mich zu warten, auch noch ferner behalten, weil er bemerkt habe, daß wir beide große Zuneigung zueinander hegten. Ein passendes Zimmer wurde dann für sie bei Hofe eingerichtet, sie erhielt eine Art Gouvernante, ein Kammermädchen zum Ankleiden und zwei Mägde zu geringeren Diensten; meine Wartung wurde aber ihr ausschließlich übertragen. Die Königin befahl ferner ihrem Hoftischler, eine Schachtel zu verfertigen, die mir zum Schlafzimmer dienen solle und über deren Modell ich mit Glumdalclitch übereinkommen müsse. Dieser Tischler war ein trefflicher Handwerksmann und vollendete unter meiner Anleitung in drei Wochen eine hölzerne Schachtel von sechzehn Quadratfuß Umfang und zwölf Fuß Höhe, Ziehfenstern, einer Tür und zwei kleineren Nebengemächern, wie dies bei den Schlafzimmern in London der Fall zu sein pflegt. Das Brett, das die Decke bildete, konnte mittels zweier Haspen befestigt und abgenommen werden, um ein fertiges und von den Tapezierern Ihrer Majestät mit Matratzen und Kissen versehenes Bett hineinzustellen, das Glumdalclitch, um es zu lüften, täglich herausnahm und, nachdem sie es mir mit eigener Hand gemacht hatte, wieder hineinstellte, worauf sie dann das Dach über meinem Haupte schloß. Ein geschickter Tischler, der wegen seines künstlichen Spielzeugs berühmt war, unternahm die Verfertigung zweier Stühle mit Seiten- und Rückenlehnen aus einem dem Elfenbein ähnlichen Stoffe sowie auch von zwei Tischen und einem Schrank, in den ich meine Sachen hineinlegen konnte. Das Zimmer war an allen Seiten sowie auf dem Fußboden und an der Decke gepolstert, um irgendein Unglück zu verhüten, das durch die Sorglosigkeit derer entstehen könnte, die mit meinem Transport beauftragt waren, sowie auch, um die Stärke der Erschütterung zu mildern, wenn ich in einer Kutsche fuhr. Auch bat ich um ein Schloß für meine Türe, um zu verhindern, daß Ratten und Mäuse hinein kämen. Der Schmied verfertigte nach mehreren Versuchen das kleinste Schloß, das jemals in Brobdingnag gesehen wurde, und ich selbst habe in England kein größeres an einem Haustore gesehen. Ich versuchte es, den Schlüssel in meiner eigenen Tasche zu verwahren, denn ich befürchtete, Glumdalclitch möchte ihn verlieren. Die Königin befahl, auch das dünnste Seidenzeug herbeizuschaffen, um mir Kleider verfertigen zu lassen, die viel dicker als eine englische Bettdecke und mir im Anfang lästig waren, bis ich mich daran gewöhnt hatte. Die Kleider waren nach der Mode des Königreichs zugeschnitten und ähnelten teilweise der chinesischen und teilweise der persischen, waren aber ein sehr ernstes und würdevolles Kostüm.

Die Königin fand so viel Behagen an meiner Gesellschaft, daß sie ihr Mittagsmahl nicht ohne mich halten konnte. Ein Tisch für mich nebst einem Stuhl wurde auf die Tafel gesetzt, wo Ihre Majestät speiste, und Glumdalclitch stand auf einem Schemel nahe bei meinem Tische, um mir zu helfen und aufzuwarten. Ich hatte ein vollständiges Silberservice von Schüsseln und Tellern sowie anderen Gerätschaften, das im Verhältnis zum Service der Königin nicht größer war als Spielzeug der Art, wie ich es in London bei einem Kaufmann zur Möblierung eines Puppenhauses gesehen habe. Meine liebe Wärterin verwahrte diese Geräte in ihrer Tasche, und zwar in einer kleinen silbernen Schachtel, und reichte sie mir beim Essen, sobald ich ihrer bedurfte, nachdem sie zuvor von ihr selbst gereinigt worden waren. Niemand speiste mit der Königin als die zwei königlichen Prinzessinnen, wovon die eine sechzehn und die andere dreizehn Jahre und einen Monat alt war. Ihre Majestät legte gewöhnlich ein Stück Fleisch auf meine Schüssel, das ich mir selbst zerschnitt, und sie fand Vergnügen daran, mich so in Miniatur essen zu sehen; sie selbst (und sie hatte wirklich nur einen schwachen Magen) nahm auf einen Bissen so viel in den Mund, wie zwölf englische Pächter in einer Mahlzeit nicht essen können, ein Umstand, der mir anfangs sehr abstoßend vorkam. Sie pflegte den Flügel einer Lerche, Knochen und Fleisch, mit den Zähnen zu zerreißen, obgleich er neunmal größer war als der eines gemästeten welschen Hahnes; ihre Bissen Brot waren sogar so groß wie ein Dreigroschenlaib. Sie trank aus einem goldenen Becher, und bei jedem Schluck eine Menge, die dem Umfang eines Bierfasses gleichkam. Ihr Messer war so lang wie eine auf dem Stiel geradegebogene Sense. Löffel, Gabel und anderes Gerät zeigten dasselbe Verhältnis. Wie ich mich erinnere, war ich einst neugierig, eine Tafel bei Hofe zu sehen, und Glumdalclitch trug mich deshalb zu einer hin, bei der ein Dutzend dieser ungeheuren Messer und Gabeln in Bewegung gesetzt wurden. Ich muß aber gestehen, daß ich zuvor nie einen so furchtbaren Anblick gesehen habe.

Es ist Hofsitte, daß der König, die Königin und die königlichen Prinzen beider Geschlechter an jedem Mittwoch, der, wie gesagt, in Brobdingnag als Sonntag gilt, in den Zimmern des Königs, dessen Gunst ich in hohem Maße erlangt hatte, zusammen speisen; dann wurden mein kleiner Stuhl und Tisch ihm zur Linken neben einem Salzfaß hingestellt. Dieser Fürst fand viel Vergnügen an meiner Unterhaltung und erkundigte sich nach den Sitten, der Religion, den Gesetzen, der Regierung und der Gelehrsamkeit in Europa, worüber ich ihm dann einen so vollständigen Bericht abstattete, wie es mir möglich war. Sein Verstand war so klar und seine Urteilskraft so ausgezeichnet, daß er sehr verständige Bemerkungen über alles, was ich sagte, äußerte. Ich bemerke jedoch, daß ich einmal über mein geliebtes Vaterland, unsere See- und Landkriege, unsere Religionsspaltungen und politischen Parteien sehr weitläufig sprach; da aber wirkten die Vorurteile seiner Erziehung so stark, daß er mich auf seine rechte Hand nahm, herzlich auflachte, mir mit der anderen Hand einen sanften Schlag gab und mir die Frage vorlegte, ob ich Whig oder Thory sei. Dann wandte er sich zu seinem Premierminister, der mit einem weißen Stabe ehrerbietig hinter seinem Stuhle stand (dieser Stab war so lang wie der Hauptmast des englischen Linienschiffes »Royal Sovereign«), und sagte, wie verächtlich doch die Menschengröße sein müsse, da solche Diminutivinsekten wie ich sie nachahmen könnten. Ja, ja, sagte er, diese Geschöpfe haben gewiß ihre besonderen Titel und Rangunterschiede; sie bringen kleine Nester und Kaninchenbaue zustande, die sie Häuser und Städte nennen; sie paradieren mit Kleidern und Equipagen; sie lieben, kämpfen, zanken, betrügen und verraten. In dieser Weise sprach er längere Zeit, während ich voll Unwillen die Farbe wechselte, als ich mein edles Vaterland, so ausgezeichnet durch Künste und Waffen, die Geißel Frankreichs und die Gebieterin Europas, den Sitz der Tugend, Frömmigkeit, Ehre, Wahrheit, den Stolz und den Neid der Welt, so verächtlich behandeln und verlästern hörte. Da ich mich nun aber nicht in der Lage befand, Beleidigungen zu rächen, so begann ich nach reiflicher Überlegung zu begreifen, daß ich überhaupt nicht beleidigt sei. Weil ich nämlich schon mehrere Monate an den Anblick und das Gespräch mit diesen Leuten gewöhnt war und jeden Gegenstand, worauf mein Blick fiel, nach seiner verhältnismäßigen Größe betrachtete, so war der Schauder, den ich zuerst wegen ihrer Größe empfand, so weit verschwunden, daß ich eine Gesellschaft von englischen Lords und Damen in vollem Putz zu sehen glaubte, die auf die feinste Weise ihre Rollen im Sichbrüsten, Verbeugen und Schwatzen spielten. Um die Wahrheit zu reden, ich kam mehreremal in Versuchung, über sie ebenso zu lachen, wie der König nebst seinen Großen über mich spottete. Auch konnte ich es nicht unterlassen, über mich selbst zu lächeln, wenn die Königin mich auf ihrer Hand vor einen Spiegel hielt, so daß unsere beiden Gestalten in voller Größe von diesem wiedergegeben wurden; nichts hätte dann so albern sein können wie ein Vergleich zwischen uns, und es schien mir wirklich, meine Gestalt sei um mehrere Grade zusammengeschrumpft.

Niemand ärgerte und kränkte mich jemals so sehr wie der Zwerg der Königin. Da dieser nämlich so klein war, wie man bisher noch niemand im Lande gesehen hatte (ich glaube wirklich, daß er nicht höher als dreißig Fuß war), wurde er so unverschämt, als er ein noch unter ihm stehendes Geschöpf erblickte, daß er sich stets zu blähen und großzutun pflegte, sooft er im Vorzimmer an mir vorüberging, während ich auf dem Tische stand und mich mit den Herren und Damen unterhielt. Dann unterdrückte er selten einige spitze Worte über meine Kleinheit. Ich rächte mich an ihm dadurch, daß ich ihn Bruder nannte, ihn zum Ringen herausforderte und ihm Erwiderungen gab, wie sie im Munde der Hofpagen üblich sind. Eines Tages war diese boshafte, junge Katze über etwas, das ich ihm sagte, so verdrießlich, daß er auf die Seitenlehne des Armstuhls Seiner Majestät kletterte, mich um die Mitte meines Leibes packte, als ich, ohne an Arges zu denken, ruhig dasaß, in eine silberne Schale voll Milch hineinwarf und dann so schnell wie möglich fortlief. Ich kam mit dem Kopfe unter die Oberfläche der Milch, und wäre ich kein guter Schwimmer gewesen, so hätte es mir schlimm ergehen können. Glumdalclitch befand sich damals gerade am anderen Ende des Zimmers, und die Königin war so erschrocken, daß es ihr an Geistesgegenwart fehlte, mir zu helfen. Allein meine kleine Wärterin lief herbei, um mich zu retten, und zog mich heraus, nachdem ich ungefähr ein Quart Milch verschluckt hatte. Ich wurde zu Bett gebracht, erlitt jedoch keinen anderen Schaden, als daß mein Anzug vollkommen verdorben war. Der Zwerg wurde tüchtig gepeitscht und mußte außerdem zur Strafe die Milch, in die er mich geworfen, austrinken; auch erhielt er nie wieder die Gunst der Königin, und Ihre Majestät verschenkten ihn bald darauf zu meiner großen Freude an eine Frau von hohem Stande, sonst würde der boshafte Kobold seine Rache sicherlich bis zum Äußersten getrieben haben.

Schon früher spielte er mir einen Streich, über den die Königin lachen mußte, obgleich sie sich zugleich herzlich darüber ärgerte und ihn auf der Stelle kassiert haben würde, wenn ich nicht so großmütig gewesen wäre, Fürsprache für ihn einzulegen. Ihre Majestät hatten einen Markknochen auf ihren Teller genommen und stellte diesen, nachdem sie ihn vom Marke geleert, wieder aufrecht in die Schüssel, wie er zuerst gestanden hatte. Der Zwerg nun benutzte einen Augenblick, wo Glumdalclitch an den Kredenztisch gegangen war, stieg auf den Schemel, auf dem meine Wärterin, um beim Essen zu bedienen, vorher gestanden, packte mich mit beiden Händen, drückte meine Beine zusammen und quetschte sie in den Markknochen bis über meinen Leib hinein, wo ich dann einige Zeit steckenblieb und eine sehr lächerliche Figur machte. Ich glaubte, man wußte eine ganze Minute lang überhaupt nicht, was aus mir geworden war, denn ich glaubte, es sei unter meiner Würde, laut aufzuschreien. Da aber alle Gerichte nur selten warm auf eine fürstliche Tafel gebracht werden, wurde die Haut meiner Schenkel nicht verbrannt, und nur die Strümpfe und die Beinkleider gerieten in einen schlimmen Zustand. Der Zwerg erhielt auf meine Bitte keine andere Strafe als eine genügende Anzahl derber Peitschenhiebe.

Die Königin spottete häufig über meine Furchtsamkeit und fragte mich gewöhnlich, ob alle Leute in meinem Vaterland dieselbe Feigheit wie ich besäßen. Die Veranlassung war folgende: Das Königreich wird im Sommer sehr durch Fliegen überschwemmt, und die verhaßten Insekten, von der Größe einer Lerche, gönnten mir durch ihr ewiges Summen an meinen Ohren keinen Augenblick Ruhe; oft setzten sie sich auf meine Nahrung und ließen dort ihren ekelhaften Unrat und ihre Eier zurück, die mir, aber nicht den Eingeborenen des Landes, sichtbar waren, weil diese für kleinere Gegenstände kein scharfes Gesicht besitzen. Bisweilen setzten sie sich mir auf Nase und Stirn und beängstigten mich dadurch bis zum äußersten, denn zugleich stanken sie auch auf höchst ekelhafte Weise; ich konnte sogar jene klebrige Materie genau sehen, die diese Geschöpfe, nach Behauptung unserer Naturforscher, instand setzt, an den Zimmerdecken einherzuspazieren. Die Abwehr dieser verabscheuungswürdigen Tiere kostete mich viel Mühe, und es war mir unmöglich, nicht zurückzufahren, sobald sie auf mein Gesicht zuflogen. Der Zwerg spielte mir gewöhnlich den Streich, daß er eine Anzahl Insekten, wie Schulknaben bei uns, mit der Hand fing und sie dann plötzlich unter meine Nase fliegen ließ, um mich zu erschrecken und die Königin zu amüsieren. Mein Gegenmittel bestand aber darin, daß ich sie, während sie in der Luft flogen, mit meinem Messer zerschnitt, und da ich mir viel Gewandtheit in diesem Verfahren erwarb, habe ich auch zugleich viele Bewunderung damit erregt.

Wie ich mich erinnere, hatte Glumdalclitch mich einst in der Schachtel vor ein offenes Fenster hingesetzt, was sie an schönen Tagen, damit ich frische Luft schöpfte, zu tun pflegte. Ich wagte es nämlich nie, meine Schachtel an einen Nagel außerhalb des Fensters hinhängen zu lassen, wie dies bei uns in England mit Käfigen gemacht wird. Ich schob eines meiner Fenster in die Höhe und setzte mich an einen Tisch, um ein Stück süßen Kuchen zum Frühstück zu verzehren. Da aber drangen zwanzig Wespen, durch den Geruch herbeigelockt, in das Zimmer und brummten dabei lauter als ebenso viele Maultrommeln oder Dudelsäcke. Einige von ihnen ergriffen meinen Kuchen und trugen ihn stückweise fort, andere flogen mir um Kopf und Gesicht, betäubten mich mit ihrem Geräusch und versetzten mich in die äußerste Furcht vor ihren Stacheln. Ich hatte jedoch den Mut aufzustehen, mich mit dem Messer zu verteidigen und sie in der Luft anzugreifen. Vier wurden von mir getötet, die übrigen flogen fort, und ich schloß mein Zimmer. Diese Insekten waren so groß wie Rebhühner; ich zog die Stacheln aus den Leichen und fand, daß sie anderthalb Zoll lang und so scharf wie Nadeln waren. Ich habe sie sämtlich mit Sorgfalt aufbewahrt, zeigte sie nach meiner Rückkehr mit anderen Merkwürdigkeiten in mehreren Teilen von Europa, schenkte drei Stacheln der Schule von Gresham und behielt den vierten für mich selbst.

Inselabenteuer. Von Schatzsuchern und Gestrandeten

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