Читать книгу Inselabenteuer. Von Schatzsuchern und Gestrandeten - Jonathan Swift - Страница 6
I
ОглавлениеPope, Gay, Arbuthnot und Swift bildeten im »Scriblerus Club« des Jahres 1714 in London ein »Viermännerkomitee« des Witzes; sie kamen auf den Gedanken, gemeinsam das Leben des Martinus Scriblerus zu schreiben; auch Schriften dieses imaginären Herrn sollten verfaßt werden. Er war gedacht als eine Art Personifikation all dessen, was an der damaligen Gelehrsamkeit lächerlich war. Ohne Zweifel war Swift bei diesem gemeinsamen Werk die Aufgabe zuerteilt worden, die Reisen des Scriblerus zu beschreiben; aber der Plan als solcher scheiterte, weil der Klub sich auflöste und die Freunde sich in alle vier Winde zerstreuten. Nur die »Memoiren des Scriblerus«, in deren Autorschaft vor allem Arbuthnot und Pope sich teilten, erschienen 1741. Jene Reisen werden im 13. Kapitel erwähnt, und die Stelle beweist, daß in diesem Plan der Keim zu unserm Buch gegeben war.
Um das Jahr 1720 etwa nahm Swift den alten Gedanken wieder auf. In Briefen an Swift ist von ihm die Rede; und Miss Vanhomrigh (siehe Einleitung zum 3. Band der »Prosaschriften«) liest Teile des Manuskripts.
Man beachte, daß dies die Zeit ist, um die Swift in Irland seinen Riesenkampf für die Nationalität eines geknechteten Volks begann und führte: vielleicht liegt darin eine Erklärung der ungeheuren Sachlichkeit, mit der sich jenes Geplänkel auswuchs zum Duell um eines Einzelnen, den nichts als Beifall stützte, wider ein Ministerium und ein ganzes Volk. Erbitterung, Menschenhaß und zynische Verachtung schlugen in diesem Vulkan, als den wir Swift heute sehen, immer höhere Wogen und fanden schließlich ihren Ausfluß, ihren verheerenden Durchbruch in diesem Buch, das dasteht als ein Riesenmonument jener drei Empfindungen.
In den folgenden Jahren werden die Anspielungen in der Korrespondenz des Autors seltener. Aber 1725 begannen sie von neuem. Im Juli 1726 schreibt Bolingbroke (St. John) einen Brief an Swift, Pope und Gay als an die »drei Yahoos von Twickenham«.
Kaum aber war das Buch am 28. Oktober 1726 erschienen, so beginnt das Verleugnen. Eben die Freunde, die durch ihre Briefe bewiesen hatten, daß ihnen selbst Einzelheiten des Werks vom Verfasser mitgeteilt worden waren, ergehen sich nun in Vermutungen über die Autorschaft. Swift selber schreibt im November an Pope:
»Ich habe eben einen Brief der Mrs. Howard beantwortet, der in so mystischen Wendungen geschrieben ist, daß ich den Sinn niemals herausbekommen hätte, wäre mir nicht gleichzeitig ein Buch zugegangen, das sich »Gullivers Reisen« nennt, und von dem auch Sie in Ihrem Brief soviel reden. Ich habe das Buch gelesen und finde im zweiten Band mehrere Stellen, die offenbar zusammengeflickt und geändert sind; ich müßte mich sehr irren, oder der Stil wird da ein ganz anderer. Usw.«
Es war wohl schwerlich allein die Furcht vor den gefährlichen Folgen, die Swift zu dieser Heimlichkeit trieb. Ein Autor, der »Isaac Bickerstaff«, »M. B.«, den Tuchhändler, und »Samuel Gulliver« erfand und zu individuellen Persönlichkeiten ausgestaltete, um ihnen seine Werke in die Taschen zu schieben, muß eine groteske Freude darin gefunden haben, unbekannt den Erfolg zu kosten und nur den Beifall seiner Freunde zu genießen.
Aber jener zweite Passus des oben zitierten Briefes deutet schon darauf hin, daß nicht der treue Text gebracht worden war. Wie ging das zu?
Von allen Büchern, die Swift schrieb, ist dieses das einzige, das seinem Verfasser nachweisbar Geld einbrachte. Nun schreibt Swift in einem Briefe vom 12. Mai 1735 an Pulteney (s. »Prosaschriften« Bd. I, S. 337): »Ich habe nie durch irgend etwas, was ich geschrieben habe, einen Heller verdient, ausgenommen vor etwa 8 Jahren, und das lag nur an Herrn Popes klugen Verhandlungen in meinem Interesse.« Also war Pope derjenige, der sich unter dem Pseudonym von Richard Sympson verbarg1.
Die kurze Korrespondenz zwischen Pope und Motte, dem Verleger, die diese Verhandlungen beleuchtet, folge hier in wörtlicher Übersetzung.
London, den 8. August 1726.
Geehrter Herr!
Mein Vetter, Herr Samuel Gulliver, hat mir vor einiger Zeit ein Manuskript seiner »Reisen« anvertraut; was ich Ihnen schicke, ist ein Viertel, denn ich habe sie, wie Sie aus meiner Vorrede an den Leser erkennen werden, stark gekürzt. Ich habe sie vielen Leuten von großer Urteilskraft und trefflichem Verstand gezeigt, und sie sind überzeugt, daß sie einen guten Verkauf erzielen werden. Und obgleich einige Teile dieses und der folgenden Bände an ein oder zwei Stellen als ein wenig satirisch gelten können, so sind sie sich doch darüber einig, daß sie keinen Anstoß erregen werden; aber darüber müssen Sie selbst urteilen und den Rat Ihrer Freunde einholen; und wenn dann Sie oder Ihre Freunde andrer Meinung sind, so wollen Sie es mich wissen lassen, sobald Sie diese Blätter zurückgeben; ich erwarte, daß das in spätestens drei Tagen geschieht. Das gute Bild, das man mir von Ihnen entworfen hat, treibt mich, ein so wertvolles Objekt vertrauensvoll in Ihre Hände zu legen; und ich hoffe, Sie werden mir keinen Grund geben, es zu bereuen; in dieser Zuversicht wünsche ich auch, daß Sie diese Blätter keine Sekunde aus den Augen lassen.
Da der Druck dieser Reisen Ihnen wahrscheinlich großen Verdienst eintragen wird, so erwarte ich, als Bevollmächtigter meines Freundes und Vetters, daß Sie ein gebührendes Honorar dafür zahlen werden, denn ich weiß, daß der Verfasser den Verdienst für den Nutzen armer Seeleute bestimmt, und man hat mir geraten, Ihnen zu sagen, daß 200 Pfund die niedrigste Summe sind, die ich für ihn annehmen werde; sollte sich aber herausstellen, daß der Verkauf meiner Erwartung und meinem Glauben nicht entspricht, so soll alles, was, selbst nach Ihrer eigenen Angabe, als zuviel gezahlt gelten kann, treulich zurückgezahlt werden.
Vielleicht werden Sie finden, daß ich einem Kaufmann gegenüber merkwürdig vorgehe; doch da ich mit einem so großen Vertrauen Ihnen gegenüber, den ich doch nie auch nur gesehen habe, beginne, so scheint mir, als sei es nicht zuviel verlangt, daß Sie mir ein gleiches Vertrauen entgegenbringen; wenn Sie es also nach drei Tagen der Lektüre und Überlegung für gut befinden, meinem Vorschlag zuzustimmen, so können Sie mit dem Druck beginnen; und die folgenden Teile sollen Ihnen nacheinander in weniger als einer Woche zugehn; vorausgesetzt, daß Sie unmittelbar, nachdem Sie sich zum Druck entschlossen haben, innerhalb dreier Tage eine Bankanweisung über zweihundert Pfund, verpackt in Form eines Paketes, eben der Hand übergeben, aus der Sie dieses erhalten werden; der Mann wird genau in der gleichen Weise am Donnerstag, das heißt, am 11. des laufenden, präzise 9 Uhr, zu Ihnen kommen.
Wenn Sie dem Vorschlag nicht zustimmen, so geben Sie diese Papiere dem Mann, der am Donnerstag kommen wird, zurück.
Wenn Sie sich dafür entscheiden, die Papiere zurückzugeben, so machen Sie weiter keinen eignen Vorschlag, sondern schreiben Sie nur auf einen Zettel, daß Sie mein Angebot nicht annehmen.
Ich verbleibe, geehrter Herr, Ihr ergebner Diener
R. Sympson.
PS. Ich möchte, daß beide Bände zugleich herauskommen und spätestens bis Weihnachten erscheinen.
Geehrter Herr!
Ich gebe Ihnen Ihr Manuskript mit vielem Dank zurück und versichere Ihnen, daß ich mich, seit es in meiner Hut war, der guten Meinung von meiner Zuverlässigkeit, die Sie aussprachen, würdig gezeigt habe; aber Sie haben mein Vermögen stark überschätzt, wenn Sie glaubten, ich könne in den Hundstagen (der totesten Zeit des Jahres) in so kurzer Frist eine so beträchtliche Summe, wie 200 Pfund es sind, hinterlegen. Indem ich die Papiere dem Überbringer zurückgebe, stelle ich die Lage wieder her, in der sie waren, ehe ich sie sah; wenn Sie aber meinem Versprechen trauen oder irgendeine Sicherheit, die Sie sich denken oder wünschen können, annehmen wollen, dafür, daß das Geld in sechs Monaten gezahlt wird, so will ich mich jedem Ausweg, den Sie in diesem Sinne vorschlagen mögen, fügen. Inzwischen will auch ich Ihrer Ehrenhaftigkeit und Ihrem Versprechen vertrauen, daß zurückgezahlt werden soll, was den Wert des Erfolges übersteigen mag; genau wie Sie sich auf gebührende Honorierung verlassen können, wenn der Erfolg der Erwartung entspricht oder sie übersteigt.
Auf Grund dieser Bedingungen erfolgte der Abschluss. Am 27. April 1727 erhielt dann Motte folgenden, wahrscheinlich von Swift selbst in verstellter Handschrift geschriebenen Brief:
Herrn Motte!
Ich schicke Eingeschlossenes durch einen Freund, damit es Ihnen übergeben werde. Wollen Sie sich in das Haus des Erasmus Lewis, Cork Street, hinter Burlington House, begeben und ihm sagen, Sie kämen in meinem Auftrag; besagtem Herrn Lewis habe ich Vollmacht erteilt, über meines Vetters Gulliver Buch zu unterhandeln; was er und Sie abmachen, dem werde ich beistimmen; in diesem Sinne habe ich ihm geschrieben. Sie suchen ihn am besten frühmorgens auf.
Ich verbleibe Ihr ergebener Diener
Richard Sympson.
Auf demselben Blatt folgt dann die Notiz:
London, den 24. Mai 1727. Ich bin vollauf befriedigt.
E. Lewis.
Durch dieses Verfahren bei der Publikation ist die Möglichkeit der Verstümmelung zur Genüge erklärt. Einige weitere Zitate werden diesen Punkt noch deutlicher beleuchten. Charles Ford, ein Freund Swifts, schrieb schon am 3. Januar 1727 aus Dublin an Motte:
Geehrter Herr!
Ich habe hier die »Reisen des Kapitäns Gulliver« gekauft, die Sie herausgegeben haben, sowohl weil ich viel von ihnen hörte, wie auch infolge eines Gerüchts, daß ein Freund von mir im Verdacht steht, der Verfasser zu sein. Ich habe das Buch zweimal mit großer Sorgfalt und unter vielem Vergnügen durchgelesen; zu meinem Bedauern muß ich Ihnen sagen, daß es von groben Druckfehlern wimmelt; ich schicke Ihnen eine Liste derer, die ich finden konnte, nebst den Verbesserungen, zu denen der klare Sinn führen muß; ich hoffe, Sie werden sie berücksichtigen, wenn Sie eine neue Ausgabe veranstalten.
Ich habe die größte Hochachtung vor dem Andenken der verstorbenen Königin, und ich freue mich stets, wenn andre desgleichen bekunden; aber der Abschnitt, der sich auf sie bezieht, scheint mir so sehr nebens Ziel zu treffen, daß ich nicht glauben kann, er sei von demselben Verfasser geschrieben. Ich wollte, Sie und Ihre Freunde erwögen das, und er bliebe in der nächsten Ausgabe fort. Denn er irrt peinlich sogar in den Tatsachen, da alle Welt weiß, daß die Königin während ihrer ganzen Regierung stets durch Vermittlung des einen oder andern Ministerpräsidenten regierte2. Auch sehe ich nicht, daß der Verfasser irgendwo der Schmeichelei ergeben wäre oder sich überhaupt irgend einem Fürsten oder Minister günstig zeigte.
Ich teile Ihnen das aus dem größten Wohlwollen für den Verfasser und Sie heraus mit, und ich hoffe, Sie werden mich verstehen, der ich verbleibe,
geehrter Herr, Ihr treuer Freund und Diener
Charles Ford.
Im Jahre 1733, als Faulkner seine vierbändige Dubliner Ausgabe von Swifts Werken vorbereitete und offen zugab, daß er sie auch gegen Swifts Wunsch drucken würde, schrieb Swift im Juni an Ford: »Sie wollen sich gefälligst entsinnen, wie sehr ich mich darüber beklagte, daß Motte einen seiner Freunde (ich vermute, es war Herr Tooke, ein jetzt verstorbener Geistlicher) nicht nur allerlei streichen ließ, was seiner Meinung nach Anstoß erregen konnte, sondern auch vieles hinzufügen, was dem Wesen, dem Stil und der Absicht des Verfassers widersprach …« In einem andern Brief sagt er: »Vielen Stellen, die man mildern wollte, fehlt der ganze Stachel. Der Stil ist gemein, der Humor vernichtet, der Inhalt fade.«
Faulkners Ausgabe widersprach in jeder Hinsicht Swifts Wünschen. Er wollte nichts mit ihr zu tun haben. Aber als Gulliver gedruckt werden sollte, konnte er es doch nicht übers Herz bringen, ihn weiter so umlaufen zu lassen, wie Motte ihn herausgegeben hatte. Denn wenn auch die kleinen Druckfehler Fords oben zitiertem Brief gemäß verbessert worden waren, so entsprachen viele Stellen doch längst noch nicht Swifts Absicht. Nun ließ Ford ein Exemplar mit Schreibpapier durchschießen und stellte den Text wieder her. Dieses Exemplar, das wohl nicht sehr übersichtlich war (siehe Fords Brief vom 6. Nov. 1733), sollte auf Swifts Wunsch Faulkners Druck zugrunde gelegt werden, und so geschah es angeblich; aber Faulkners Ausgabe war trotzdem kaum korrekter als die Mottes: das ist leicht nachweisbar, da Ford sein durchschossenes Exemplar herstellte nach einem breitrandigen Exemplar der ersten Ausgabe; in dieses hatte er nach eigner Anweisung Swifts handschriftlich alles eingetragen, was geändert werden sollte, und dieses breitrandige Exemplar ist erhalten (Forster Collection, South Kensington).
Sonderbarerweise ist aber bis zum Jahre 1905 selbst in England keine einzige Ausgabe erschienen, die die authentischen Verbesserungen Fords, die durch mehrere Briefe Swifts beglaubigt werden, konsequent benutzt hätte. Selbst Sir Walter Scott hat die große Stelle im 3. Kap. der Reise nach Laputa (von »About three years …« bis »… change the government«) nicht an ihren Platz gerückt. 1905 veröffentlichte Temple Scott seine Ausgabe, die den Gulliver zum ersten Mal so brachte, wie Swift ihn geschrieben hat. Die vorliegende deutsche Ausgabe bringt im Jahre 1909 diesen ersten korrekten und vollständigen Text (von den hunderttausend »Bearbeitungen« ganz zu schweigen) als überhaupt erste vollständige Übersetzung eines in der ganzen Welt berühmten Buches in irgend eine fremde Sprache! Nil admirari …!
1 Pope leugnete im Dezember 1726 ausdrücklich, den Autor zu kennen und das Buch vor dem Druck gesehen zu haben. Seine Briefe an Swift beweisen aber das Gegenteil.
2 Die betreffende Stelle im 6. Kapitel der »Reise zu den Houyhnhnms« behauptete das Gegenteil.