Читать книгу Schatzsuche wider Willen Band 2 - Jonathan Turner E. - Страница 4

Kapitel 2

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„Wisset, wer da des Weges kam, war kein Einheimischer und auch kein Gesandter des großen Königs von Ogoloffloff“, sprach einer der Schauspieler der Cranberry-Island-Hill-Theater-Truppe in dramatischer Erzählerpose auf einer Bühne stehend. Er ließ das Ende des Satzes in einem geheimnisvollen Flüstern enden, das gerade noch so von allen Anwesenden im Theater wahrgenommen werden konnte. Der Schauspieler stand, nur mit einem Lendenschurz bekleidet, auf einem runden Holzpodest, das von Besucherbänken umgeben war. Sonnenlicht knallte ihm direkt auf seine weiße Perücke, aber das schien ihm nicht im mindesten etwas auszumachen. Er schwitzte noch nicht einmal.

Auf einer der Bänke saß Hank direkt neben einem fetten, schwitzenden Touristen in einem knallig bunten Hawaiihemd, der immerzu Fotos von dem Schauspiel machte. Während der korpulente Tourist ganz Feuer und Flamme zu sein schien, setzte Hank einen mürrischen Gesichtsausdruck auf. „Wann kommen die denn endlich zu der Stelle, wo Cranberry Island Cranberry Island getauft wurde?“, quengelte er und rutschte unruhig hin und her. Viel Platz dafür blieb ihm allerdings nicht, da der Fette ihm sowieso schon halb auf dem Schoß saß. Dass Hank ihm von Zeit zu Zeit in die Rippen stieß, kommentierte der Dicke nicht einmal. Hank fragte sich ernsthaft, ob die Schläge überhaupt die Speckschicht durchdrangen.

„Psst, gleich kommt’s“, flüsterte der fette Tourist und unterbrach seine Knipserei für ein paar Sekunden. Er setzte einen verträumten, in seligen Erinnerungen schwelgenden Blick auf. Hank hätte am liebsten gekotzt. Mit Schuld an Hanks Brechreiz war aber auch der intensive Schweißgeruch, der aus den tiefen Niederungen der Achselhöhlen des Dicken kam.

„Wissen Sie, ich war schon vier Mal hier im Urlaub und ich komme immer wieder hier her“, fuhr der Dicke fort. „Die Show hat einen gewissen Esprit und ist zum Schluss einfach nur spitze, das kann ich Ihnen sagen!“

„Dann kennen Sie also das Ende des Stücks?“ Hank schöpfte Hoffnung, dass doch gleich noch etwas Aufregendes auf der Bühne passieren würde.

Der fette Tourist knipste unterdessen wieder weiter. „Ja, aber ich verrate es Ihnen nicht. Ich werde doch nicht spoilern!“

„Spoilern?“, fragte Hank begriffsstutzig.

„Ja, das bedeutet verraten“, erklärte der Dicke, ohne auch nur eine Sekunde lang mit seinem Geknipse aufzuhören.

Hank sah den Mann böse an, aber bevor er ihm etwas an den Kopf werfen konnte, fuhr der Schauspieler in seinem schier endlosen Monolog fort, was Hanks Aufmerksamkeit wieder auf ihn lenkte.

„Es war niemand Geringeres als ein Tourist, der da des Weges kam. Und was hatte er da im Mundwinkel?“ Der Schauspieler ließ theatralisch seinen rechten Zeigefinger in die Höhe schießen und bückte sich gen Publikum. Hank glaubte, ein Raunen durch die Menge gehen gehört zu haben. Wie konnten die anderen Leute nur so einfältig sein, dass sie dieses groteske Schauspiel als eine dramatische Glanzleistung feierten? Er fand keine Antwort darauf, daher wendete er sich wieder dem Dicken zu. „Ja, was hatte er denn da im Mundwinkel?“

Der Fette knipste ungestört weiter, als würde er an einer Stop-Motion-Produktion des Stückes arbeiten. Hank tat derjenige jetzt schon leid, der die ganzen Fotos vorgeführt bekommen sollte. Er stellte sich gedanklich einen ähnlichen Stuhl vor wie der, in dem der Bösewicht von ‚A Clockwork Orange‘ festgeschnallt wurde und die Augen mit Klammern aufgehalten bekam. Die Szene lief vor seinem inneren Auge ab wie ein Film: Der Fette saß in einem schwülen, abgedunkelten Kabuff und führte einer jungen Familie mit Kindern die Dias vor. Dabei kam nicht ein kühles Lüftchen aus der defekten Klimaanlage und die bereits servierten Drinks waren so warm, dass sie bald zu kochen anfingen. Die fettigen Snacks, die auf mit Essensabfällen besudelten Tischen standen, wurden noch nicht einmal von den Kindern angerührt. Nur der Fette schien eine ungebrochene Motivation zu versprühen ...

Hank schüttelte wild den Kopf. Er hatte sich wieder einmal in einen Tagtraum hineinziehen lassen. Das geschah oft, wenn er sich, wie eben in diesem Augenblick, langweilte.

„Psst, das Beste kommt doch jetzt erst!“, war der einzige Kommentar des Dicken, bevor er die nächste Bilderserie knipste. Hank sah wieder zu dem Schauspieler hinauf, der vor lauter Dramatik in seiner Darstellung endlich seine Stimme wiedergefunden hatte.

„Er aß Cranberries. Preiselbeeren! Und er stopfte sie sich mit Gusto in den Mund.“

„Was? Das ist alles?“, fragte Hank enttäuscht den Dicken. „Waren Sie das etwa? Ich meine: Handelt das Stück von Ihnen?“

„Psst, nein. Warten Sie ab. Jetzt kommt erst das Beste!“, zischte der Dicke hinter dem Objektiv hervor.

Hank riss die Augen auf. Er konnte es nicht fassen. „Was? Wie kann das noch getoppt werden? Die Geschichte ist ein typischer Fall von schwach gestartet und stark nachgelassen.“

„Psst, Sie Nörgler!“ Der dicke Tourist knipste ununterbrochen weiter. Er war wie besessen von der Idee, alles auf Fotos festzuhalten.

Ein anderer, hagerer Schauspieler in Shorts, weißem T-Shirt und einer trichterförmigen Papiertüte mit Cranberries in der Hand, betrat von rechts kommend die Bühne und aß laut schmatzend die Beeren. Dabei verdrehte er genießerisch die Augen. „Mmmhh.“

Noch ein anderer Schauspieler, ebenso wie der Erzähler bloß mit einem Leinenschurz gekleidet, lief dem Touristen-Schauspieler nach und hatte dabei einen übermäßig staunenden Gesichtsausdruck aufgesetzt.

„So kann man ein Stück auch zu Tode spielen!“, meinte Hank genervt, verschränkte die Arme und ließ sich in seinem Stuhl nach unten rutschen.

„Was geschah an diesem schicksalhaften Tag, werden Sie sich fragen, verehrte Zuschauer“, fuhr der Erzähler voller Erregung fort.

„Nein, eigentlich nicht“, meinte Hank etwas lauter, als er eigentlich beabsichtigt hatte. Er bekam dafür aus dem Publikum böse Blicke zugeworfen und der Erzähler sah ihn leicht vorwurfsvoll an, fuhr dann aber unbeirrt fort: „Tja, der Tourist ließ eine Cranberry fallen.“

Der Schauspieler, der einen Eingeborenen darstellte, blieb stehen, bückte sich und hob sie auf. „Hey, Mister!“, rief er dem anderen nach, der bereits am anderen Ende der Bühne angekommen war. „Sie haben da etwas verloren! Was ist das?“

Der Schauspieler, der den Touristen spielte, blieb stehen und drehte sich langsam, fast wie in Zeitlupe um.

„Und der wunderbare, unbekannte Fremde blieb stehen und sah ihm in die Augen!“, schilderte der Erzähler mit viel Gefühl. Hank meinte bei dem Erzähler die eine oder andere Träne in den Augen gesehen zu haben.

„Es ist eine Cranberry“, erwiderte der Touristen-Schauspieler lakonisch.

„Dann zog er von dannen und ließ den verwunderten Jüngling zurück“, donnerte plötzlich der Erzähler los.

Hank fuhr vor Schreck zusammen. Diese Inbrunst und Leidenschaft hatte ihn absolut überrumpelt. Mit weit aufgerissenen Augen und voller Verwunderung starrte er dieses bizarre Schauspiel weiterhin an.

Der Eingeborenen-Schauspieler hob die Cranberry gen Himmel. „Von nun an werde ich dafür sorgen, dass diese Insel Cranberry Island heißt! Und wenn es das Letzte ist, was ich tue!“ Er drohte mit der Faust gen Himmel.

Hank wollte nur noch raus hier. Ein derart pathetisches Schauspiel hatte er noch nie in seinem Leben gesehen.

„So schwor er sich das“, fuhr der Erzähler pathetisch fort, „brachte es dem Gemeinderat vor und so geschah es, dass noch am selben Nachmittag dieses wunderbare Paradies ...“ Der Erzähler machte ein weit ausladende Geste. „... Cranberry Island getauft wurde!“

Die Zuschauer begannen begeistert loszuklatschen. Einige pfiffen sogar vor Freude.

„Langweilig!“, warf Hank lautstark ein. Als ihn alle verständnislos anblickten, fügte er dem Vorangegangenen noch hinzu: „Ich will verdammt noch mal mein Geld zurück!“

Old Bob bekam von all diesen Vorgängen natürlich überhaupt nichts mit. Er lag völlig entspannt auf einer Liege im Schatten neben einem der vielen Pools, die es hier in der Ferienanlage gab. Ein Ventilator blies ihm sanft kühlen Wind ins Gesicht, sodass er nicht schwitzte. Über der Szenerie lag ein samtiger Vanillegeruch, den Old Bob mochte. Er schmatzte zufrieden. Es war nahezu perfekt hier. Er hoffte, dass er auch einmal in einem solchen Paradies seine letzten Jahre verbringen konnte. Old Bob sah zu, wie kleine Kinder und einige Erwachsene mit einem bunten, aufgeblasenen Ball im Wasser spielten, und ließ im wahrsten Sinne des Wortes seine Seele baumeln.

Leider baumelte sie nicht allzu lange, denn schon nach zwei Stunden Erholungsaufenthalt kam der Poolaufseherrobot auf ihn zugerollt. Es war ein kleines Modell auf vier Vollgummirädern, mit einer silbernen Trommel als Körper und einen zusammengepressten, schnabeltierähnlichen Kopf, der über einen ultraflachen Lautsprecher eine hohe Piepsstimme ausspuckte. „Sir, ich habe Sie die ganze Zeit beobachtet, seit Sie sich hier an den Pool gelegt haben“, brachte der Roboter die Tatsachen ohne Umschweife auf den Tisch.

„Ja, das stimmt. Ich habe hier gelegen“, gab Old Bob vollkommen relaxt zu. „Nach sieben anstrengenden Tagen habe ich mir einen kleinen Urlaub redlich verdient.“ Er wandte wieder den Blick von dem kleinen Roboter ab und lachte über eine akrobatische Einlage eines Kleinkindes im Poolabschnitt für Kinder. Er mochte Kinder und liebte es, daheim auf der Erde mit seinen Enkelkindern zu spielen. Eines Tages würde er sie wiedersehen und dann ...

„Das mag schon sein, Sir“, fuhr der Poolaufseherrobot unbeirrt fort und unterbrach somit Old Bobs Gedankengänge, „aber darf ich dann bitte schön Ihren Club-Mitglieds-Ausweis sehen?“

Old Bob hob erstaunt den Kopf. Mit so einer Frage hatte er nicht gerechnet. „Welchen Club-Mitglieds-Ausweis?“

„Aha, Sie geben also zu, dass Sie kein Mitglied sind und sich hier unberechtigterweise aufhalten?“ Der kleine Roboter fuhr aufgeregt hin und her. Es schien fast so, als ob er sich freue, dass er endlich mal etwas zu tun bekam.

„Äh ...“, äußerte sich Old Bob verlegen. „Ich brauche aber jetzt meine Ruhe! Ich bin auch ganz friedlich hier und störe niemanden.“ Old Bob hoffte, dass seine diplomatische Antwort den Roboter besänftigte.

„Das ist mir egal“, fuhr der Robot ungebremst fort. „Sie sind kein Mitglied unserer Anlage, also müssen Sie jetzt gehen und Ihren Platz für die anderen Mitglieder freimachen.“

„Welche anderen Mitglieder?“ Old Bob erhob sich erneut und sah sich um, konnte aber genügend freie Liegeplätze entdecken, denn bis auf ein paar Liegen, die von Familien benutzt wurden, waren fast alle Plätze rund um den Pool noch zu haben. „Hier ist doch niemand!“

„Die Mitglieder unseres Clubs, die jetzt nicht hier sind, aber hier sein könnten, weswegen Sie jetzt das Feld räumen müssen!“ Der Robot fuhr dicht an Old Bob heran, und aus der silbernen Trommel kamen kleine Greiferchen heraus. Mit ihnen zerrte er an Old Bobs Liege.

„Nein, lass das gefälligst, du miese Rostlaube!“, keifte Old Bob plötzlich lautstark. Er verpasste dem Roboter ein paar Schläge, sodass dieser sich außerhalb Old Bobs Reichweite in Sicherheit bringen musste. „Du Schrotteimer! Ich will meine Ruhe und ich will sie jetzt!“ Er konnte es nicht fassen, dass es außer Hank und Johnny noch jemanden gab, der ihn so auf die Palme bringen konnte, aber dieser Roboter sollte sich noch wundern! Er würde in ihm seinen Meister gefunden haben.

Einige Besucher sahen dem Treiben am Pool interessiert zu.

„Nein, Sie müssen jetzt gehen, sonst muss ich den Sicherheitsdienst rufen!“, bestand der Roboter weiterhin auf seinem Recht und zerrte an einer anderen Stelle von Old Bobs Liege.

„Ich will aber nicht!“, protestierte Old Bob weiterhin trotzig und trat mit einem Fuß nach ihm.

Dieses Mal schaffte es der Robot, rechtzeitig aus der Bahn zu fahren. „Dann müssen Sie Mitglied des Clubs werden und Geld für Ihren Liegeplatz bezahlen!“ Der Poolaufseherrobot hörte auf, an Old Bobs Liege zu rütteln, und öffnete ein kleines Fach an seinem Körper, wo man Geld reinstecken konnte.

„Was? Ach, daher weht der Wind!“, schimpfte Old Bob aufgebracht. „Ich soll auch noch Geld dafür bezahlen? Ich ruhe mich doch bloß ein paar Minuten hier aus. Außerdem habe ich kein Geld bei mir, denn ich wurde entführt! Da hebt man nicht noch mal eben ein paar hundert Dollar am Automaten ab, vor dem der Entführer geduldig wartet!“

„Ein paar Stunden sind keine Minuten, Sir!“, erwiderte der Robot mit Grabesstimme, dann klappte er beleidigt das Fach wieder zu. „Na, dann haben Sie jetzt eben ein Problem.“ Er trillerte laut mit seiner eingebauten Poolaufseherpfeife nach dem Sicherheitsdienst.

„Das werden wir ja sehen!“, schimpfte Old Bob und klammerte sich stur an die Liege. Niemand würde ihn von hier vertreiben können. Das würden sie nicht wagen, wer immer ‚sie‘ auch waren.

Johnny, der Weltraumpirat, war mittlerweile am Strand von Cranberry Island angekommen. Der Strand sah wie jeder x-beliebige Strand in der irdischen Südsee aus. Es gab hier Palmen, einen scheinbar unendlichen Sandstrand, eine super bräunende Sonne und kristallklares Wasser, so weit das Auge blicken konnte. Eine bildschöne Urlaubsidylle. Hier gab es definitiv nichts, das ihn seinem Ziel näher gebracht hätte.

Ein Einheimischer ging an ihm vorüber. Johnny spielte kurz mit dem Gedanken, ihn auszurauben, einer inneren Eingebung folgend, ließ er es jedoch sein. Der Einheimische trug nämlich nur einen Lendenschurz. Er würde garantiert kein Geld oder gar Kreditkarten bei sich haben.

Johnny verschränkte die Arme vor der Brust und blickte sich um. Ein paar Kinder spielten mit ihren Eltern im strandnahen Wasser. Johnny fand diese Idylle einfach nur zum Kotzen. Etwa zwanzig Meter weiter vor ihm sonnten sich mehrere braungebrannte Schönheiten. Diese ließen sein Herz etwas aufgehen. Vielleicht sollte er mal zu ihnen rüberstapfen, überlegte er sich. Möglicherweise ergab sich die Chance zu einem heißen Flirt. Dem Scharm eines gefürchteten Weltraumpiraten würden sie bestimmt erliegen!

Plötzlich sah er aus den Augenwinkeln heraus, wie der Einheimische, der gerade an ihm vorübergegangen war, verschwand. Johnny glaubte seinen Augen nicht und glotzte irritiert hinüber zu dem nahen Palmenhain, wo der Kerl gerade eben noch entlang getrottet war. Ganz eindeutig! Der Einheimische war weg! Johnny rieb sich ungläubig die Augen. Das konnte doch nicht wahr sein! Oder war der Kerl einfach nur weggerannt, weil er jemanden gesehen hatte, der ihn nicht sehen sollte? Johnny zuckte mit den Achseln. Eine Täuschung. Ja, das musste es gewesen sein. Der Einheimische schuldete bestimmt einem anderen etwas und hatte sich bei dem Anblick des Kredithais verdünnisiert.

Johnnys Gedanken kreisten jedoch weiterhin um dieses wunderliche Ereignis. Da am Strand ja keine Vegetation außer dem Palmenhain war, hätte der Typ also nicht so urplötzlich verschwinden können sollen. Oder versteckte er sich hinter einer der Palmen? Johnny zuckte abermals mit den Schultern und tat es als Hirngespenst ab. Er wollte schon das Küken aus seiner Schatulle herausholen, als auf einmal ein ‚Plopp‘ ertönte und derselbe Einheimische wieder von links an ihm vorbeigewatschelt kam. Johnny starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Er war so perplex, dass er absolut nichts unternahm, als der Eingeborene direkt vor seiner Nase den Strand entlang in Richtung Palmenhain ging.

Johnny ließ ihn nicht eine Sekunde aus den Augen. Das war definitiv derselbe Einheimische wie vorhin. Daran gab es nicht den geringsten Zweifel. Das konnte aber gar nicht sein, obwohl er sich dessen ziemlich sicher war. Johnny glaubte, seinen Verstand zu verlieren. Er wollte wieder den Blick von dem Typ abwenden, als dieser mit einem leisem ‚Plopp‘ ins Nichts verschwand. Aufgeregt rannte Johnny zu dem Palmenhain hinüber, wo der Fremde verschwunden war. Und tatsächlich: Die Fußabdrücke im Sand führten bis hier her und nicht weiter. Wer immer hier auch gewesen war, er verließ den Ort auf einem Weg, der dem Weltraumpiraten unbekannt war. Johnny dachte an einen dummen Scherz. Jemand wollte ihn garantiert veräppeln, daher warf er vorsichtshalber einen Blick nach oben zur Spitze der Palmen. Doch dort saß niemand, der sich über ihn kaputtlachte.

Der Einheimische war also kein einfacher Zauberer, sondern beherrschte wohl entweder richtige Magie, oder er war möglicherweise ein Teleporter, der nur mit der Kraft seiner Gedanken von einem Ort zum anderen gelangen konnte.

Oder hatte er sich gar mit Hilfe einer Tarnvorrichtung unsichtbar gemacht? Wenn ja, könnte er sie ihm abnehmen. Das wollte Johnny überprüfen und streckte daher beide Arme aus. So rannte er quer durch den Palmenhain. Er konnte aber mit den Händen nichts Unsichtbares zu fassen bekommen. Da eine der heißen Frauen zu ihm hinüber sah, hörte er mit seiner Untersuchung augenblicklich auf und tat so, als hätte er nichts unternommen, um dem Geheimnis des seltsamen Typen auf die Spur zu kommen. Er lächelte schelmisch und winkte ihr kurz zu. Sie blickte desinteressiert weg und Johnny nutzte nun die Gelegenheit, um das Küken aus der Schatulle herauszuholen.

„Ich wette, dass du das eben nicht mitbekommen hast“, eröffnete Johnny dem Küken.

Das glotzte ihn bloß mit seinen beiden Kulleraugen an und meinte cool: „Der Typ, der gerade eben zweimal verschwunden ist? Doch hab ich.“

„Was?“ Johnny konnte nicht fassen, was er da gerade von dem Vieh hörte. Wieso wusste es davon? Es war doch die ganze Zeit über eingesperrt. „Ja, aber ...“

„Ihn musst du fragen. Lass mich mal draußen und geh’ zurück zu dem Punkt, wo du ihn zum ersten Mal gesehen hast.“

„OK“, antwortete der Weltraumpirat perplex. Er steckte die Schatulle ein und hielt das Küken fest umschlossen in seiner rechten Hand, dann folgte er den Spuren am Strand.

Da kam ihm auf einmal wieder der Einheimische entgegen. ,Niemand macht mit mir mehrmals hintereinander dasselbe Spiel!‘, dachte Johnny wütend und rannte dem Einheimischen entgegen. Kurz bevor er ihn erreicht hatte, rief er ihm zu: „Was bist du denn für einer, Mann?“

Der Einheimische mit seinem hellblauen Lendenschurz hielt an und sah Johnny mit großen Augen an, antwortete aber nicht auf dessen Frage.

„Psst“, machte das Küken. „Frag ihn nach der Schatzsuche! Der seltsame Kerl weiß was!“

Johnny nickte dem Küken zu und als er den Eingeborenen erreicht hatte, fragte er ohne Umschweife mit zusammengekniffenen Augen: „Hey, weißt du etwas über eine intergalaktische Schatzsuche?“

„Kann sein. Kann nicht sein“, entgegnete der Eingeborene geheimnisvoll mit rauchiger Stimme. Er machte ein geheimnisvolles Gesicht und runzelte geheimnisvoll die Stirn.

Johnny blickte das Küken fragend an.

„Lass dich nicht abwimmeln. Meine Sensoren haben ihn als nächste Auskunftsquelle identifiziert.“ Das Küken warf daraufhin dem Eingeborenen einen finsteren Blick zu.

Der Insulaner glotzte erstaunt das Plüschküken in der Hand des Fremden an.

„Über welche Art von Sensoren verfügst du denn, dass du den Typ damit ‚identifizieren‘ kannst?“, wollte Johnny wissen, der schon längere Zeit darüber nachgedacht hatte, wie das Küken zum nächsten Hinweis fand, wenn es mal keine Daten eingespeist bekam.

„Ich verfüge nicht über einfache Sensoren! Pah! Die kann ja jeder eingebaut bekommen. Ich, Mister Weltraumpirat, verfüge über Detektomatik-4000-Sensoren!“, gab ihm das Küken altklug zu verstehen.

„Verflucht noch eins! Mir doch egal, wie die heißen“, herrschte Johnny das Küken an.

„Schon gut, du Grobian“, meinte das Küken verstimmt. „Wahrscheinlich wurde ihm ein Biochip implantiert. Damit kann man auch Zielpersonen markieren, die ich dann detektieren kann, oder die Ahnungslosen als ‚toten Briefkasten‘ benutzen und jedweden Datenmüll in ihnen ablegen.“

Der Insulaner starrte das Küken fassungslos an. „Wo denn? Wer denn? Wie denn?“

Das Küken kicherte vergnügt und meinte dann: „Am Hintern, die Schatzverwaltung auf Centauri IX und mit einer Biochip-Implantierungs-Zange. Das sollte alle Fragen beantworten.“

„Ui“, stöhnte der Insulaner. Sein Gesicht wurde kreidebleich, als er seinen Hintern abtastete.

„Fummel da nicht rum! Rede, wenn du etwas weißt, Mann!“ Johnny drohte dem Braungebrannten mit der Faust.

„Ich weiß gar nichts.“ Der Einheimische hob abwehrend seine Hände. „Nur die Leute vom Club der seltsamen Wunderwesen wissen was über diese Unternehmung“, verkündete der Lendenschurzträger noch geheimnisvoller klingend.

„Was? Der Club der seltsamen Wunderwesen?“ Johnny war perplex. „Was ist denn das? Wer sind die?“

„Tja.“ Der Einheimische blickte nachdenklich in den Himmel. „Sie sollten auf keinen Fall persönlichen Kontakt mit ihnen aufnehmen. Das bringt nur Ärger und Sie womöglich auch in Lebensgefahr.“ Er blickte wieder Johnny in die Augen. „Oder wie mir einen Biochip in den Allerwertesten.“ Er deutete dann auf sich selbst. „Ich habe nach dem Kontakt mit ihnen diese seltsame Gabe der Teleportation geschenkt bekommen.“

„Aha. Immerhin erklärt das Ihr seltsames Treiben von vorhin“, schlussfolgerte der Weltraumpirat.

Der Insulaner nickte. „Das ist meine Art, einen abendfüllenden Spaziergang an meinem Lieblingsstrandabschnitt zu machen. Aber um auf die Wunderwesen zurückzukommen ... Wir Eingeborenen haben von ihnen verlangt, dass sie sich nahezu unsichtbar machen, damit wir sie besser ignorieren können, und sie außerdem noch auf die Insel Tropica verbannt, damit wir sie noch enorm viel besser ignorieren können.“ Der Insulaner grinste ihn an. „Wir wollen ja schließlich nicht in ihre lebensgefährlichen Aktivitäten verwickelt werden.“

Johnny überlegte kurz. „Lebensgefährliche Aktivitäten? Hmm. Ja, das ist ein echtes Dilemma. Wenn sie wirklich so unberechenbar sind ...“

„Es scheint zu stimmen, was der Kerl da faselt“, unterbrach das Roboterküken den Plausch. „Meine internen Sensoren haben das nächste Ziel erfasst. Es ist auf Tropica Island. Direkt am Strand.“

„Alles klar“, meinte Johnny knapp und steckte das Küken abermals in die Schatulle.

„Jetzt warte doch mal!“, protestierte das Küken. „Immerzu bin ich hier drin. Mir ist langweilig. Ich will draußen bleiben und Abenteuer erleben!“

„So weit kommt’s noch!“ Johnny zog eine Augenbraue hoch und klappte den Deckel herunter. Dieses Mal passte er aber auf, dass dem Küken nichts geschah. An den Eingeborenen gewand, fuhr er fort: „Du siehst also, ich muss mit ihnen reden, sonst komme ich hier nicht weg.“ Er zuckte hilflos mit den Schultern. „Ich meine, die müssen mir etwas über die Schatzsuche verraten! Ich habe sonst keinen Anhaltspunkt, wo der Schatz sein könnte.“

„OK“, meinte der Eingeborene knapp und wiegte seinen Kopf hin und her. „Dann sollten Sie nicht selbst Kontakt mit ihnen aufnehmen, sondern einen Mittelsmann dafür engagieren und zu ihnen schicken. Der besorgt ihnen dann, was Sie wissen müssen.“

„Einen Mittelsmann?“ Johnny lachte in sich hinein. „Na, da habe ich etwas Besseres als einen einfachen Mittelsmann: Zwei einfältige Dummköpfe.“

„Ja, das ist in der Tat besser“, nickte der Eingeborenen zustimmend. „Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden. Ich möchte noch einige Meilen am Strand spazieren gehen.“

Johnny hielt den Eingeborenen auf. „Aber wie in Dreiteufelsnamen nehmen denn meine einfältigen Dummköpfe Kontakt mit den Wunderwesen auf?“

„Ach ja, das hätte ich beinahe vergessen, Ihnen zu erklären“, bemerkte der Eingeborene beiläufig. Dann streckte er die Hand nach oben und sprach: „Sie stellen sich an den Strand von Tropica Island und rufen: ‚Ich bin dabei!‘“ Dann ging der Einheimische, ohne ein Wort des Abschieds, um Johnny herum und wanderte wieder den Strand entlang. Er ließ einen verdutzt dreinblickenden Weltraumpiraten zurück und verschwand dann mit einem ‚Plopp‘ abermals im Nichts.

„Ein tolles Motto“, bemerkte Johnny sarkastisch.

Zurück in der Stadt traf Johnny auf eine Gruppe belustigter Touristen. Für seinen Geschmack waren sie etwas zu belustigt, und da sie sich lautstark über einen Zwischenfall am Pool mit einem Securityroboter und einem alten Mann amüsierten, war für Johnny die Sachlage sofort sonnenklar: Old Bob hatte Ärger verursacht.

Als er die Touristen prompt zur Rede stellte, erfuhr er, dass ein Mann, auf den Old Bobs Beschreibung haargenau passte, von einem Securityroboter laut schreiend mit samt einer Poolliege vom hiesigen Sheriff abgeführt, oder besser gesagt weggeschleift, worden war.

Johnny konnte es kaum glauben. Das hätte er dem alten Querulanten nun doch nicht zugetraut. Old Bob war doch sonst eigentlich die Vernunft in Person. Konnte sein Verhalten von dem tagelangen Streit verursacht worden sein? Johnny zuckte die Achseln. Das war ihm eigentlich scheißegal. Was machte er sich auf einmal Gedanken darum? Dennoch wollte er persönlich überprüfen, ob der Pool-Missetäter wirklich Old Bob gewesen war, denn er brauchte ja zwei einfältige Dummköpfe und Old Bob war einer von ihnen. Also machte Johnny sich auf zum örtlichen Polizeirevier.

Als er schließlich den Knast von Cranberry Island betrat, lag Old Bob, selig schnarchend, in einer entspannten Haltung auf einer völlig verdreckten sowie an mehreren Stellen mit roter Soße besudelten Pritsche. Direkt vor der Zellentür stand eine fast klinisch reine Poolliege, die mit der versauten Pritsche bestimmt nichts hätte zu tun haben wollen, sofern Pritschen und Liegen menschliche Wesen gewesen wären. Johnny konnte sogar zwei unterschiedliche Gerüche identifizieren. Ein wohliger Vanillegeruch kam ihm eindeutig von der Poolliege entgegen, während die Gefängnispritsche einen strengen Uringeruch absonderte. Johnny blieb neben der Poolliege stehen.

Der lokale Sheriff, ein vollkommen aus der Mode gekommenes Modell eines schwarzen Standard-Angriffs-Droiden der Orion-Streitkräfte mit gelben Seitenstreifen, hatte seine Füße auf seinem Schreibtisch und den obligatorischen Sheriffhut über das Gesicht nach unten gezogen, während er vorgab, vor sich hin zu dösen.

Johnny glaubte, sich in einem schlechten Westernfilm wiederzufinden. Er schritt entschlossen zu dem Tisch des Sheriffs und trat mehrmals kräftig dagegen. Langsam und laut gähnend tauchte der Sheriff aus seinem Power-Safety-Mode auf und, nachdem er zunächst langsam den Hut von den Scannern entfernt hatte, tastete Johnny mit ihnen ab. „Was kann ich für Sie tun, Sir?“

Johnny nickte zu Old Bob hinüber, der mittlerweile seine lauteste Schnarch-Kettensäge zum Besten gab und verlautbarte: „Ich nehm’ den da mit. Den brauch’ ich nämlich noch. Muss ich Kaution für ihn bezahlen?“

„Darauf können Sie Ihren Arsch verwetten!“, erwiderte der Sheriff barsch, nahm seine Füße vom Tisch und stand mühevoll auf. Dabei griff er sich seinen Patronengürtel von der nahen Wand und band ihn sich um. „Herumlungern, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Pöbeln, feindliche Okkupation einer Poolliege für Spa-Mitglieder und Zechprellen in einer Spa-Ferienanlage. Das wird nicht billig!“ Er schüttelte den massigen, spitz zulaufenden Kopf. „Diese Gegend verkommt zusehends.“

Johnny seufzte und verdrehte die Augen. Das ganze Unternehmen hatte ihn bisher nur gekostet. Er hatte zwar viele gefälschte Kreditkarten, aber unendlich viele nun auch wieder nicht. Jede konnte er genau nur einmal benutzen, wenn er nicht die Weltraumpolizei auf seiner Fährte haben wollte. Sie war ohnehin schon hinter ihm her.

Er hoffte, dass am Ende der Schatzsuche wirklich etwas für ihn heraussprang. Der rechtmäßige Besitzer des Schatzes konnte sonst was erleben, wenn die Schatzkarte, die er von ihm geklaut hatte, falsch war! Das schwor er sich. Weltraumpiraten raubten schließlich nur echte Karten. „OK, was bin ich Ihnen schuldig?“ Johnny zückte seine Brieftasche und klappte sie auf.

„200 Altairische Dollar!“, entgegnete der Sheriff und druckte aus seiner Brust eine Rechnung aus. Mit einem ‚Ratsch‘ riss er sie ab und wedelte damit vor Johnnys Gesicht herum.

„Oh, Mann! So etwas hätte ich von Hank erwartet, aber nicht von Old Bob.“

„Wer ist Hank?“, fragte der Sheriff-Roboter prompt.

Johnny fühlte sich ertappt. Da hatte er mehr ausgeplaudert, als er es eigentlich vorgehabt hatte. „Ach, je weniger Sie wissen, desto besser ...“

„Auch gut. Wie Sie meinen“, winkte der Sheriff desinteressiert ab.

„... für meine Brieftasche“, vollendete Johnny leise den Satz.

Johnny reichte dem Sheriff eine seiner gefälschten Kreditkarten. Dieser zog sie durch einen Schlitz am rechten Oberarm und schon kam die Quittung aus seiner Brust. Auch diese riss er ab und überreichte sie dem Weltraumpiraten.

„Hier bitte, Sir. Ich werde den Gefangenen zum Transfer vorbereiten.“ Der Roboter stapfte ungelenk zu der Zelle mit Old Bob und öffnete per Red-Tooth™-Übertragung, deren Sende- und Empfangsteil sich in seinem Mund befand, das Türschloss.

„Machen Sie sich bloß keine Mühe!“, meinte Johnny höflicher klingend, als er eigentlich beabsichtigt hatte.

„Kein Problem! Gehört alles zum Service dazu, Sir.“

Der Robot ging in die Zelle hinein und schleifte den immer noch schlafenden Old Bob einfach hinaus vor Johnnys Füße. Dort ließ er ihn liegen und tippte mit einer Hand gegen seinen Hut. „Bitte sehr!“ Das war alles, was der Sheriff dazu sagte, bevor er wieder seinen Platz am Schreibtisch einnahm.

„Fehlt nur noch der Bekloppte!“, meinte Johnny trocken.

„Versuchen Sie es mal in der Psychiatrie für geschädigte Cranberry-Island-Schauspieler“, entgegnete daraufhin der Sheriff. „Dieses Stück, das sie hier jeden Mittag aufs Neue aufführen, bringt sie regelmäßig zum Burnout, so sehr steigern sie sich da hinein. Will sagen: Da finden Sie genügend Bekloppte.“ Dann legte der Droide wieder den Hut über seine Scanner und schaltete zurück in den Power-Safety-Mode.

Johnny starrte hinunter zu Old Bob, der ihm gerade auf seine roten Stiefel sabberte. Wütend trat ihn der Weltraumpirat daraufhin in die Rippen. Niemand vergriff sich an seinen Stiefeln!

Der ‚Bekloppte‘, oder Hank Johnson, befand sich gerade auf einer Tour zu einer weiteren großartig angekündigten Touristenattraktion, von der er sich definitiv mehr Unterhaltung erhoffte, als von dieser lahmen Theateraufführung von vorhin.

Als er das Freilichttheater verlassen hatte, war er am Fuße eines Berges auf ein Rikscha-Unternehmen gestoßen, das einmalige Ausflüge zum unheilvollen Vulkan des großen Argh anpries. Nach der Pleite mit der Aufführung der Namensgebung wollte er endlich eine richtige Touristenattraktion sehen und erleben.

Da die Einheimischen ihn bereitwillig und völlig kostenlos in einer Rikscha zum Gipfel des unheilvollen Argh fuhren, machte Hank sich auch keine Sorgen darüber, was ihn da oben erwarten würde. Es konnte nur besser und aufregender sein als die absolut unkomische Aufführung dieser Laien-Schauspieldeppen.

„Und zu Ihrer Linken können Sie bereits den Krater des großen Argh erkennen, wo wir heute exklusiv für Sie ein Vulkanopfer auswählen werden!“, frohlockte der Fremdenführer der Touristenführung, ein etwa ein Meter achtzig großer Albino-Einheimischer mit großen Sandalen, der Hanks Rikscha hinter sich herzog. „Schwelgen Sie in Erinnerungen an den letzten Vulkangott, den Sie kannten, und Sie werden feststellen, dass es keinen besseren als Argh gibt, wenn Sie ihn erst einmal näher kennengelernt haben.“

Hank freute sich schon darauf, Argh kennenzulernen. Er war schon immer von TV-Dokumentationen fasziniert gewesen, in denen ausbrechende Vulkane gezeigt wurden. Hank nahm aber an, dass dieser hier nicht ausbrechen würde, denn sonst müssten ja auch seine Führer dran glauben. So ein Risiko würden diese Weicheier, für die er sie hielt, bestimmt nicht eingehen. Daher wähnte er sich bei dem bevorstehenden Spektakel also in absoluter Sicherheit. Hätte er sich da lieber noch mal alles durch den Grips gehen lassen ...

Hank genoss die Fahrt mit der Rikscha sehr. Es rumpelte zwar die ganze Zeit über lautstark und als sie über das Geröll des Berges hinweg fuhren, wurde er kräftig durchgeschüttelt, aber irgendwie schien die Rikscha eine wirklich effektive Federung zu besitzen, denn bei größeren Kratern und Schlaglöchern, die ihn definitiv aus ihr hätten herausschleudern müssen, geschah dies keineswegs.

Hank war der Erste einer ganzen Touristengruppe von Rikschas. Wenn er hinter sich aus einem Sichtfenster aus durchsichtiger Plastikfolie blickte, konnte er die anderen sehen, die wie er von Führern nach oben gezogen wurden. Hank kam sich ein klein wenig vor wie Caligula in seinen letzten Jahren. Das schmeichelte auch seinem Ego, da er sich endlich wichtig und ernst genommen vorkam. Wenn doch nur Old Bob und Johnny seine inneren Werte erkennen würden! Er hatte doch bisher so vieles zu diesem Unternehmen beigetragen, zu dem zum Beispiel die bahnbrechende Entdeckung zählte, dass Carl, der Weltraumbandit, sich fünfzig Mal geklont hatte.

Die heiße Nachmittagssonne knallte auf die Touristengruppe. Hank hoffte, dass sich der Eingeborene beeilen würde. Er selbst fächelte sich mit der Broschüre, die eine Abhandlung über den großen Argh enthielt, Luft zu. Als der Eingeborene das über seine Schulter hinweg sah, grinste er und klappte einen kleinen Baldachin aus, der Hank den herbeigesehnten Schatten spendete.

So konnte Hank das kurze Stück bis zum Gipfel aushalten. „Wir danken Euch!“, sagte er in bester, blasierter Römer-Manier zu dem Führer und winkte gen Gipfel. „Wir haben noch viel vor uns und nur so wenig Zeit. Also, husch, husch!“

Als der Albino noch einmal nach hinten guckte, hätte Hank sehen können, wie das Grinsen mit einem Mal vom Gesicht des Führers verschwand und es einem verärgerten, dann einem vernichtenden Blick wich. Doch Hank hatte die Augen geschlossen und träumte einen wunderschönen Tagtraum.

Mit einem letzten Rumpeln erreichte die Reisegruppe schließlich den Gipfel des Mount Argh, wo angeblich der große Vulkangott herrschte. Es wuchs hier nicht ein einziges Grasbüschel. Auf einem nicht ganz zwei Meter breiten, schrägen Pfad konnte man bequem mit einer Rikscha um den Krater des großen Argh herumfahren.

„Wir halten jetzt hier an, damit Sie sich die Füße vertreten und ein paar letzte Bilder schießen können“, lachte der Albino mit gehässiger Stimme.

Hank erhob sich stöhnend und gespielt mühevoll von seinem Lager und humpelte dann steif auf den Rand des Vulkans zu. ,Lieber schlecht gefahren als gut gelaufen‘, dachte er sich, dann blickte er voller Bewunderung in den Krater des unheilvollen Argh hinein und fragte sich, warum er nicht eine Kamera mitgebracht hatte. Hank mochte die Natur sehr und das nicht nur, weil er die letzten zehn Jahre allein in einem Nationalpark verbracht hatte. Nein, er liebte sie schon ein Leben lang.

Er trat wagemutig vor bis an den Rand des Kraters und sah in die Tiefe. Die blubbernde, orange-goldene Lava war ein absolut fantastischer sowie fesselnder Anblick. Die aufsteigenden Dämpfe und seine plötzlich wieder auftretende Höhenangst versetzten ihn ein klein wenig in einen schummrigen Zustand, sodass er sofort einen Schritt zurücktrat. Wirklich übelriechend waren die Dämpfe jedoch nicht.

Zu gerne hätte Hank in diesem Augenblick ein paar Bilder von dem Anblick der Lava gemacht. Eines hätte er sich vergrößern lassen und dann an seiner Eingangstür in der Hütte aufgehängt. Das hätte Bären und anderes Gesocks im Park garantiert ferngehalten, glaubte Hank zumindest.

Neben ihm trat ein absolut typischer Tourist auf den Krater zu. Da merkte Hank, dass es der Dicke, den er vorhin im Theater gesehen hatte, war und der nun ebenfalls wieder ununterbrochen die Umgebung fotografierte. Er schien auch das Innere des Vulkans als Bildserie festhalten zu wollen.

Hank trat zu ihm heran. Er witterte eine Chance, sein Foto doch noch zu bekommen. „Entschuldigen Sie, bitte“, begann Hank mit der sanftmütigsten Stimme, die er hatte. „Würden Sie vielleicht die Güte besitzen, mir eines der Bilder des großen, unheilvollen Argh per E-Mail zuzuschicken?“ So höflich war er in letzter Zeit noch zu niemandem gewesen und er hoffte, so zu seinem Bild zu kommen.

Der Dicke im Hawaiihemd sah kurz von seiner Kamera auf. „Was? Sie hier?“, entrüstete er sich prompt und schnaubte. „Sie sind Schuld, dass das Cranberry-Island-History-Drama so nonchalant endete!“

„Ich weiß.“ Hank winkte beschwichtigend ab. „Aber das war ja wirklich ein langweiliger Haufen Scheißdreck. Aber das hier ...“ Hank klopfte dem Dicken wohlwollend auf die Schulter und deutete in den Schlund des Vulkans.

„Nein, Ihnen schicke ich kein Bild.“ Der Dicke schüttelte den Kopf und auch gleichzeitig seinen massigen Körper. Körperbeherrschung schien für ihn ein absolutes Fremdwort zu sein.

„Doch. Bitte! Geben Sie sich einen Ruck!“, meinte Hank weiterhin gutmütig. „Einfach zu Hank.Johnson@Eremit.com schicken. Dann bin ich glücklich und Sie mich los.“

„Was? Ich bin doch nicht verrückt“, schimpfte der fette Tourist erbost und hörte kurz auf zu fotografieren. „Eremit.com, so eine Adresse gibt’s doch gar nicht!“

„Doch, natürlich.“ Hank dachte kurz nach. „Ich habe zwar seit zehn Jahren die Seite nicht mehr überprüft, aber sie sollte noch existieren.“

„Nein!“ Der Dicke schüttelte widerwillig den Kopf. „Ihnen werde ich gar nix schicken, Sie Kretin!“

„Herrgott, geben Sie mir endlich die blöde Kamera!“, zischte Hank plötzlich angriffslustig, da er seinen Willen nicht bekam, obwohl er sich wirklich für eine ganze Minute Mühe gegeben hatte, nett zu sein. „Ich will ein Bild des unheilvollen Arghs haben!“

Der dicke Tourist wehrte sich verzweifelt gegen Hanks Übergriff. Ein Handgemenge entstand zwischen den beiden. Die Führer sahen den beiden belustigt zu, bis der Albino urplötzlich verkündete: „Und nun ist es an der Zeit, dass der große, unheilvolle Argh Ihre Bekanntschaft macht, indem wir Sie ihm opfern werden! Na, das ist doch bestimmt der beste Augenblick in Ihrem unerfüllten Leben, denn wäre es erfüllt, wären Sie bestimmt nicht hier auf dieser Tour!“ Der Albino legte eine dramatische Pause ein, in der er sich amüsiert die Hände rieb und in die entsetzten Gesichter der anwesenden Touristen blickte. Nur Hank und der Dicke bekamen davon nichts mit. „Ach ja“, fuhr der Albino fort, „für alle Begriffsstutzigen: Damit endet unsere einmalige Tour.“

Sämtliche Touristen, die mit Hank und dem Dicken zum Krater heraufgekommen waren, schrien lautstark los, während Hank sein Bein vehement dem Dicken auf die Brust drückte und mit beiden Händen an dessen Kamera zerrte.

Panik brach um die beiden herum aus.

Hank bekam von dem Dicken zwei ordentliche Backpfeifen, die ihn rückwärts zu Boden gehen ließen. Hank sprang unglaublich behände wieder auf die Beine und versuchte, dem Fetten ein Bein zu stellen, was jedoch schon im Ansatz scheiterte und ihm nur noch mehr Schmerzen einbrachte, als der Bullige ihm resolut gegen das Schienbein trat. Hank strauchelte.

Der Albino-Touristenführer begann mit einigen Helfern, die Touristen einzufangen und in den Vulkan zu schubsen. Die fallenden Opfer schrien um ihr Leben oder handfeste Verwünschungen.

Hank hatte endlich die Kamera des Dicken in die Finger bekommen und versuchte, sie ihm endgültig zu entreißen.

Der Touristenführer und seine Helfer fuhren fort, die Touristen um sie herum in den Schlund des unheilvollen Argh zu werfen. Die Reihen ihrer Opfer lichteten sich.

Da hatte es Hank endlich geschafft. Das Halteband der Kamera riss in dem Moment ab, als die Helfer des unheilvollen Argh den Dicken packten und in den Vulkan schmissen. „Haltet den elenden Kamera-Dieb!“, rief er noch, dann platschte er in die Lava und verbrannte.

Hank hielt triumphierend die Kamera in die Höhe. „Jawohl! Jetzt habe ich endlich meine Souvenirs!“

Zwei Helfer des Touristenführers waren im Begriff, sich Hank zu schnappen und dem großen Argh opfern. Hank war plötzlich sehr überrascht, als er bemerkte, was um ihn herum eigentlich geschehen war. „Hey, wo ist der Dicke hin? Und wo sind die anderen?“ Hank blickte erschrocken die sprungbereiten Touristenführer an. „Und was zum Teufel wollen Sie von mir?“

„Keine Angst, das mit dem Teufel wird sich gleich von selbst erklären“, meinte einer der Helfer mit einem süffisanten Lächeln auf den Lippen und streckte seine Arme weit aus, um Hank auch garantiert einfangen zu können. Nichts sollte ihn daran hindern, den bekloppten Touristen in das Innere des Vulkans zu stoßen.

Plötzlich donnerte mit einem Heidenlärm ein Landspeeder, ein knapp einen Meter über dem Erdboden fliegendes Hybrid-Raumschiff-Cabrio, dessen Triebwerke unter Volllast liefen, an Hank vorbei. Aus ihm heraus ballerte Johnny, der Weltraumpirat, mit seiner Blaster O’Kill wild um sich und erschoss viele der Helfer des unheilvollen Argh. Mit an Bord des Speeders war Old Bob, der sich ängstlich an seinem Sitz festkrallte und dem furchtbaren Treiben unter ihm zusah. „Oh, Gott, oh, Gott!“, war das Einzige, was er von sich gab.

„Hey, was macht ihr denn hier?“, rief Hank überrascht und erleichtert zugleich.

Johnny landete wortlos, aber entschlossen den Speeder vor dem nun jammernden Touristenführer und stieg gemeinsam mit Old Bob aus.

„Na, wir wollen doch nicht, dass du geopfert wirst. Wir brauchen dich doch noch“, sagte Johnny bissig und kickte den kreischenden Touristenführer in den Schlund des Vulkans. Dann begann er die Leichname der Helfer zu entsorgen. Er genoss es förmlich, endlich wieder Tod, Chaos und Verderben zu verbreiten. Er fühlte sich in seine besten Jahren zurückversetzt, wo Verbrechen noch Verbrechen und Chaos noch Chaos gewesen war. Er seufzte bei der Erinnerung daran. Dann wandte er sich wieder an Hank. „Es war nicht einfach gewesen, dich hier aufzuspüren, aber Old Bob meinte, dass du auf jeden Fall in der Tinte stecken würdest.“

„Ja, da hatte Old Bob recht“, meinte Hank und blickte besorgt auf zwei weitere tote Helfer. „Ich habe genug von diesen billigen Touristenfallen.“ Er hob seine neu ‚erworbene‘ Kamera hoch. „Obwohl ich ja schon ein paar hervorragende Aufnahmen des unheilvollen Arghs von einem anderen Touri bekommen habe.“ Hank schaltete die Kamera ein. „Brodelnde Lava habe ich schon immer gemocht“, bemerkte er, als er die Fotos auf der Digitalkamera des Dicken durchklickte.

„Kommt, lasst uns aufbrechen. Ich find’s hier unheimlich“, drängte Old Bob. Er witterte weiteres Unheil.

„Warte, das hier ist der letzte!“, rief Johnny, der die allerletzte Leiche über den Kraterrand rollte.

„ICH BIN GEPRELLT WORDEN!“, ertönte urplötzlich eine laute und tiefe Bassstimme.

„Was?“, fragte Johnny.

„War ich das etwa?“, wunderte sich Hank und betrachtete argwöhnisch die Kamera, von der er glaubte, dass sie eine Sprachausgabe besaß.

„Was geht hier vor sich?“, fragte Old Bob ängstlich und weinerlich zugleich.

„ICH WILL ALLE MEINE OPFER HABEN! KEINER DARF ENTKOMMEN! WENN ICH NICHT KRIEGE, WAS MIR ZUSTEHT, DANN WIRD ES EUCH ALLEN DRECKIG ERGEHEN!“, fuhr die tiefe Stimme fort.

Hank suchte hinter einem großen Stein am Kraterrand, fand aber nichts Verdächtiges. „Hmm, wie machen die das? Ich kann keinen versteckten Lautsprecher entdecken.“

„Was war das noch gleich für eine Tour, auf der du dich befandest?“, erkundigte sich Johnny und zückte vorsichtshalber seine Blaster O’Kill, während er sich nervös umsah.

„Na, das war die Vulkanopfer-Tour für den unheilvollen Argh, wieso?“, entgegnete Hank und streckte Johnny das Prospekt der Tour entgegen.

„Nichts wie rein in den Speeder!“, rief Johnny entsetzt, als er das Pamphlet sah.

Old Bob ließ sich das nicht zweimal sagen und sprang mit einem Satz, den man ihm überhaupt nicht zugetraut hätte, in seinen Sitz zurück.

Hank schlenderte jedoch forschen Schrittes zum Rand des Kraters zurück. Er wollte dem Schwindel auf die Schliche kommen. Die beiden anderen sahen ihm entgeistert dabei zu. „Mal sehen ...“, murmelte Hank.

Als er dieses Mal in den Krater sah, blickte er in ein gigantisches Gesicht, geformt aus purer Lava, das einer wütenden, menschlichen Fratze glich. Als die Lava-Augen Hank fixierten, ließ der übellaunige Vulkangott ein tiefes Donnern los, das Hank in den Ohren dröhnte.

„Oh, oh!“, rief Hank ängstlich und machte, dass er an Bord von Johnnys gemieteten Landspeeder kam.

„ICH WERDE EUCH ALLE VERNICHTEN, WENN IHR MIR NICHT ENDLICH HULDIGT!“, donnerte die mächtige Stimme des unheilvollen Argh.

„Ja, du mich auch!“, meinte Hank provozierend und zeigte dem Vulkangott den Mittelfinger.

„NA, WARTE!“, dröhnte der große Argh.

„Hank, du musst endlich damit aufhören, alle zu beleidigen!“, beschwor Old Bob Hank mit weinerlicher Stimme aufgrund seines derzeitigen, ungeheuren Stresslevels. Weiter kam er nicht, denn er wurde von einem ohrenbetäubenden Knall unterbrochen. Danach hörte man ein Rauschen, Donnern und Spritzen, vermischt mit tiefem Gluckern und Gurgeln.

„Der Vulkan bricht aus!“, erkannten alle drei Passagiere folgerichtig.

Johnny trat entschlossen auf das Gaspedal und der Speeder nahm Fahrt auf.

„Wieder eine Insel weniger“, äußerte sich Hank verlegen und drehte sich um, damit er von der zerstörerischen Macht des Vulkangottes Argh ein Foto machen konnte.

„Mach hin!“, forderte Old Bob Johnny auf und rüttelte ungehalten an dessen Sitz, was ihm jedoch nur eine Kopfnuss von dem Weltraumpiraten einbrachte.

Johnny hatte das Gaspedal schon längst bis zum Anschlag durchgetreten. Der Speeder sauste den Berg des unheilvollen Argh in einem Affenzahn hinunter und glitt dann mit maximaler Geschwindigkeit auf das offene Meer hinaus.

Hank blickte verwirrt zur Insel zurück. „Hey, was soll das? Wo willst du hin? Unser Raumschiff ist doch auf Cranberry Island!“ Er sah zu, wie die Lavaströme sich schon über das halbe Eiland ausbreiteten, was ihm ebenfalls wieder ein tolles Fotomotiv einbrachte. „Doch eigentlich ganz nett.“

„Ach“, meinte Johnny verächtlich. „Das Schiff kann schon auf sich alleine aufpassen.“

„Der Bordcomputer startet es bei Naturkatastrophen automatisch und sucht anschließend einen sicheren Landeplatz“, pflichtete ihm Old Bob bei.

„Ich wünschte, mein alter Landrover hätte so ein Extra besessen, als er von einem Landrutsch erfasst wurde“, meinte Hank.

„Wir müssen nach Tropica Island“, informierte ihn Johnny über die Schulter hinweg. „Ihr habt dort ein Rendezvous mit den Mitgliedern eines ganz besonderen Clubs, Leute. Mann, was ich euch darum beneide.“ Johnny lächelte Old Bob verschlagen an.

Old Bob lief es auf einmal eiskalt den Rücken herunter und daran war nicht nur das kalte Meerwasser Schuld, das sie bei der Durchfahrt einiger Wellenberge duschte. Er wusste nicht, was er mehr fürchten sollte: Den unheilvollen Argh hinter oder Johnnys arrangiertes Rendezvous vor ihnen. Hätte er nur in die Zukunft sehen können, wäre ihm die Entscheidung leicht gefallen: Er wäre definitiv über Bord gesprungen und zurückgeschwommen.

Schatzsuche wider Willen Band 2

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