Читать книгу Knurr und das Amulett des Dämonenfürsten: Die Abenteuer der Koboldbande Band 6) - Jork Steffen Negelen - Страница 4
Die Chronik des Schöpfers
ОглавлениеSchwarze Schatten jagten durch die Träume des kleinen Königs. Immer wieder kamen sie auf ihn zu und er versuchte, sie abzuwehren. Doch es wollte ihm nicht gelingen. Sie flüsterten ihm ihre unheimlichen Worte zu und sie ließen ihn im Schlaf aufschreien. Barbaron schüttelte sich, und versuchte aufzustehen. Aber die Schatten hielten ihn fest und zwangen ihn, ihren Worten zuzuhören.
Doch mit einem Mal war der Traum vorbei und der Minitroll erwachte. Nach Luft ringend sah er sich um. Er lag auf einem Bett, das für ihn viel zu groß war und die weichen Wolfsfelle, die ihm wärmen sollten, lagen verstreut auf dem Fußboden.
Knurr, der einzige Kobold, der dem schwarzen Prinzen entkommen war, beugte sich über den kleinen König und tupfte ihm die nasse Stirn behutsam mit einem Tuch ab.
»Ich habe wieder diese Träume gehabt«, flüsterte Barbaron. »Es ist so, als ob sie mir etwas sagen wollten. Doch ich wollte es nicht hören und ich konnte ihnen nicht entkommen. Diese Schatten sehen so fürchterlich aus und ihre Stimmen dringen in meinen Kopf ein. Ich kann es nicht verhindern.«
»Das war nur ein Traum«, versuchte Knurr den kleinen Freund zu beruhigen. »Träume kommen und gehen. Ob sie uns die Wahrheit zeigen, oder nur Trugbilder – das musst du selbst entscheiden.«
Der Kobold legte sein Tuch zur Seite und nahm vorsichtig den Verband von Barbarons Bauch. Die Wunde, die der schwarze Prinz Dämonicon dem König aller Minitrolle auf der Insel des Nebelgrundes zugefügt hatte, sah schon viel besser aus. Knurr lächelte und zeigte auf einen Haufen Bücher, die er aus dem Baumhaus geholt hatte.
Barbarons Interesse war sofort erwacht. Die Bücher, die der Kobold auf einem kleinen Tisch gestapelt hatte, konnten so manches Geheimnis verraten. Besonders eines von ihnen wollte der Minitroll unbedingt ergründen. Es handelte sich bei diesem Buch um eine Chronik, die niemand lesen durfte. Artur, der älteste der Koboldbande, hatte es vor vielen Jahren verboten. Als Knurr dem verwundeten Barbaron vor zwei Tagen berichtete, dass in dieser Chronik etwas über die Ankunft Dämonicons in der Welt der weißen Magie geschrieben stand, war die Neugier des kleinen Königs sofort geweckt. Jetzt wollte der Minitroll am liebsten gleich mit dem Lesen beginnen.
Doch der Zauberer Orbin kam mit Artem, dem Prinzen der Nachtaugenriesen und einem kräftigen Frühstück dazwischen. »Ich bringe Eier mit Speck, frisches Brot dazu, und einen Krug vom besten Wein«, rief der Zauberer. Er hielt dem Minitroll ein großes Tablett mit den duftenden Köstlichkeiten unter die Nase. »Lass es dir schmecken, mein Freund«, sprach er und seine Stimme hallte durch die Drachenhöhle.
Die Schmerzen der letzten drei Tage schienen mit einem Mal vergessen zu sein. Barbaron rieb sich die Hände und Orbin ließ das Tablett langsam auf das Bett sinken. Als Knurr den Minitroll essen sah, war er sichtlich erleichtert. »Heute ist wohl dein Appetit zu dir zurückgekehrt«, sagte er. »Vor drei Tagen, als wir hier in der Drachenhöhle ankamen, dachte ich schon, du würdest den nächsten Tag nicht mehr erleben. Doch nun sieht deine Wunde nicht mehr so böse aus und du hast wieder Hunger.«
Schmatzend und kauend sah Barbaron zu dem Kobold. Dann zeigte er mit einem Messer zu den Büchern. »Ich habe nicht nur Hunger«, erklärte er. »Ich habe auch noch verdammt viel vor. Wenn wir in diesen alten Schwarten einen Hinweis finden, der uns nützt, werden wir uns auf den Weg machen. Wir müssen unsere Freunde befreien und diesem aufgeblasenen schwarzen Zauberer Dämonicon eine Lektion erteilen, die er nie wieder vergisst. Der glaubt doch nicht im Ernst, dass er schon gewonnen hat.«
Orbin und Artem schüttelten die Köpfe und ein Lächeln huschte über ihre Lippen. Jetzt mischte sich Tangossa, die Königin der Drachen, in das Gespräch ein. Sie bewachte Tag und Nacht die Drachenwiege. Dies war der große Stein, dessen obere Seite wie eine Mulde geformt war. In ihr kam Tabor der Drachenjunge vor einigen Jahren auf die Welt. Obwohl die Höhle recht groß war, musste Tangossa aufpassen, dass sie mit ihrem Kopf nirgends anstieß. Ihre drei Sprösslinge schauten über den Rand der Wiege und die Königin kam langsam dem Minitroll und seinem Bett näher. »Reiche mir deinen Becher«, sprach sie mit sanfter Stimme und Barbarons Bett erbebte. Mit einem Ruck hielt der Minitroll der Drachenkönigin seinen Becher hin und er sah gespannt zu, wie sie ihren massigen Kopf etwas zur Seite neigte. Eine einzige Träne tropfte aus ihrem linken Auge. Sie fiel in Barbarons Becher und vermischte sich mit dem Wein.
»Trink, mein kleiner Freund«, hauchte die Königin Barbaron zu und das Bett erbebte erneut. Der Minitroll sah in den Becher und prostete Tangossa zu. »Zum Wohl Frau Königin!«, rief er. Dann trank er den vollen Becher aus. Ein Rülpser war das Nächste, was Barbaron von sich gab. Doch er spürte sofort, dass in ihm eine Kraft war, die ihm schnell auf die Beine helfen würde.
Artem beugte sich über das Krankenlager des kleinen Königs. »Eine Drachenträne haben nur wenige Kreaturen in dieser Welt erhalten«, brummte der Prinz.
»Das ist mir bekannt«, erwiderte Barbaron und er stellte sich auf sein Bett. Er reckte sich und schwebte plötzlich vor der Drachenkönigin. Dann küsste er ihre Stirn und bedankte sich. »Meine liebe Tangossa, diese Träne ist eine tolle Medizin. Mir geht es gleich viel besser.«
Die Königin drückte den kleinen Minitroll vorsichtig mit ihrer Nase zurück auf das Bett. »Du solltest noch ein wenig ruhen«, belehrte sie ihn. »Bald wirst du alle deine Kräfte brauchen. Die Befreiung deines Volkes und unserer Freunde wird von dir alles fordern. Nur wenn du stark genug für diese Aufgabe bist, wird dir der Schöpfer zur Seite stehen.«
Barbaron nickte und sah zu Orbin und Knurr. Der Zauberer zog aus dem Haufen Bücher das größte und dickste Stück heraus. Er legte es dem kleinen König auf sein Bett. Dabei lächelte er Barbaron zu und tippte mit seinem Zauberstab auf den rissigen Ledereinband des Buches. »Knurr hat es vom Staub befreit und Artem hat zugesehen. Sieben Mal musste der Prinz niesen, als ihm der uralte Dreck in die Nase fuhr.« Orbin schlug das Buch auf und strich die erste Seite glatt. »Ich hoffe, diese sieben Nieser sind ein gutes Zeichen«, brummte er weiter. »Wir können jedes gute Zeichen gebrauchen.«
Barbaron achtete nicht weiter auf die Worte des Zauberers. Erstaunt sah er auf die erste Seite des Buches. Ein Drache war darauf zu erkennen, und ein Dämon, der unter den Füßen des Drachens lag. Über den Drachen waren Wolken zu erkennen. Sie wurden von einem Blitz geteilt. Der Minitroll strich zärtlich über das Bild des Drachens. In seinen Augen war deutlich seine Bewunderung zu sehen. Nun hatte er sie endlich vor sich – die Chronik des Schöpfers.
Eine Stunde später war Barbaron so in das Lesen vertieft, dass er die Ankunft von Jabo nicht bemerkte. Erst ein lautes Räuspern des Nekromanten ließ den kleinen König vom Buch aufblicken. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. »Du kommst mir gerade recht«, rief er erfreut aus und er zeigte auf die Chronik. »Hier steht einiges drin, dass ich nicht verstehe. Mein lieber Jabo, du wirst mir helfen müssen. Da kommst du nicht drum herum.«
Der Nekromant lächelte und trat an Barbarons Bett. »Auch ich wünsche dir einen gesegneten Tag, mein lieber Freund«, sprach Jabo und er hielt dem Minitroll seine rechte Hand unter die Nase. Barbaron ergriff sie mit beiden Händen und versuchte, sie zu schütteln. Dann zeigte er wieder zu dem Buch. »In dieser Chronik ist die Erschaffung unserer Welt niedergeschrieben worden. Mich würde mal interessieren, wer das gemacht hat und woher der Schreiber der Chronik das alles wusste.«
Jabo nickte und setzte sich auf einen Stuhl, der neben dem Bett stand. »Ich erkläre es dir gleich. Doch vorher möchte ich gern wissen, wo Orbin, Knurr und der Prinz Artem abgeblieben sind. Tabor und sein Vater sind auch nicht da. Selbst die Königskinder und die Elfen, die auf sie aufpassen sollten, lassen sich nicht finden. Bei meinem Flug hierher habe ich sie alle nicht gesehen.«
Barbaron winkte ab und schaute schon wieder in die Chronik. »Die Königskinder sind mit den Elfen bei Theodora in Bochea. Der Rest ist im Wald«, antwortete er. »Sie wollten irgendetwas sammeln oder suchen. Ich habe es nicht genau verstanden. Die alten Schriften haben mich wohl abgelenkt. Nur Tangossa ist da. Sie schläft neben der Drachenwiege.«
»Na gut«, brummte Jabo verdrießlich. »Dann warte ich hier und ich erkläre dir, was ich über die Chronik weiß.«
Jabo ergriff die Kanne mit dem Wein und nahm sich einen Becher. Nachdem er getrunken hatte, sah er zu Barbaron. »Dann hör mal gut zu, mein kleiner Freund«, begann er zu erzählen. »Alles, was ich über die Schöpfung und die Dämonen weiß, das habe ich von meinem alten Freund und Lehrer Meerland gelernt. Er hat die Chronik geschrieben, die vor deiner Nase liegt. Urgos, der König der Drachen, hat ihm vor langer Zeit alles über die Entstehung unserer Welt berichtet. Die Drachen vererben ihr gesamtes Wissen an ihre Nachkommen. Sie sind die einzigen Geschöpfe, die so etwas können. Und da sie nie etwas vergessen, auch wenn sie das manchmal behaupten, konnte Meerland alles über die Schöpfung und die Dämonen erfahren.«
Für einen kleinen Augenblick stand Barbaron der Mund offen. Staunend sah er Jabo an und er kratzte sich mit seiner linken Hand auf seinem kahlen Schädel. Doch er fasste sich schnell und stellte dem Nekromanten eine für ihn wichtige Frage. »Hast du sie schon einmal gelesen, diese Chronik?«
Jabo nickte und schenkte sich erneut einen Becher Wein ein. »Zwei Mal musste ich sie sogar abschreiben, die Chronik des Schöpfers. Als ich noch Meerlands Schüler war, bekam ich diese Arbeit als Strafe für meinen Ungehorsam und für die Streiche, die ich den Leuten in Bochea gespielt habe. Ich war ein wilder Bursche und Meerland war ein strenger Meister. Ach ja, das waren noch Zeiten. Damals waren die Sitten noch streng und die alten Bräuche noch heilig. Heutzutage wird doch alles dem Bach des ewigen Vergessens runter gespült. Die Angst regiert und jedes Wesen schaut sich furchtsam um.«
Barbaron sah zu, wie Jabo seinen Becher leer trank und zeigte dann wieder zu der Chronik. »Hier steht geschrieben, dass die Dämonen ebenfalls von unserem Schöpfer erschaffen worden sind. Warum hat er das gemacht?«
Jabo stellte den leeren Becher neben die Weinkanne auf den Tisch und holte tief Luft, ehe er antwortete. »Pass gut auf, mein kleiner Freund. Ich erkläre dir, was damals geschehen ist. Nach dem die Welt entstanden war, waren nicht nur Wasser, Wind und die Sonne da. Es gab auch die Pflanzen und die Tiere. Doch dem Schöpfer war das noch nicht genug. Er wollte auch Wesen haben, die sprechen, lachen und singen konnten. So kamen die Dämonen in unsere Welt. Sie waren Wesen des Lichts und glaubten an die Gesetze, die sie vom Schöpfer bekommen hatten. Doch die sieben Söhne des Schöpfers, die ihm immer geholfen hatten, wurden im Laufe der Zeit eifersüchtig und sie schmiedeten finstere Pläne. Sie wollten als Könige über die Welt herrschen und forderten ihren Vater heraus. So schuf sich der Schöpfer andere Wesen, die ihm im Kampf zur Seite standen. Die Drachen wurden als Hüter der Gesetze in die Welt geschickt. Zu ihnen kamen die Erzelfen, die Riesen und viele andere Völker. Die sieben Söhne des Schöpfers verbündeten sich mit den Dämonen. Der Vater von Dämonicon war damals schon der mächtigste der neun Fürsten. Imperos war gierig nach Macht und Reichtum. Die Söhne des Schöpfers hatten ihn verführt und in seinem Herzen ging eine finstere Saat auf. Er wollte sich die gesamte Magie zunutze machen. Doch die Söhne gaben ihm nur die schwarze Seite der Magie, denn auch sie wussten, dass der ehrgeizige Fürst ihnen sonst zu mächtig wurde. In drei großen Schlachten traten die gewaltigen Heere gegeneinander an. Der Schöpfer bezwang seine eigenen Söhne und fesselte sie mit unzerstörbaren Ketten an einen Felsen, der in der Mitte eines tobenden Meeres stand. Die Dämonen wurden von den Drachen und den Erzelfen in ein großes Tal getrieben. So waren sie von den sieben Söhnen getrennt. Damit das so blieb, baute der Schöpfer für die finstere Dämonenbrut ein riesiges unterirdisches Gefängnis. Um das Tal herum wuchsen unüberwindbare Felsen. Das Tal selbst versank in der schwarzen Unendlichkeit der Tiefe und ein Dach aus Felsen und Steinen wuchs über dem Tal. Die Sonne konnte die Dämonen nicht mehr erreichen und in ihrem neuen Reich herrscht seit jener Zeit die Dunkelheit. Der Schöpfer machte die Sonne selbst zum Hüter über die weiße Magie. Sie bekam die Macht, jeden schwarzen Dämon und jeden schwarzen Geist zu vernichten. Auch alle Arten von untoten Wesen sollten nicht verschont werden. Deshalb haben Magier und Hexen, die sich der schwarzen Magie bedienen, Angst vor dem Verlust ihrer Seele. Das macht sie zu Untoten und die Sonne verbrennt sie.«
Barbaron hörte gespannt zu, doch eine Frage ließ ihm keine Ruhe. »Wieso kann dann Ihlo, dieser flatternde Mönchsdämon, hier so einfach in unserer Welt herumfliegen?«
Mit diesem Einwand hätte Jabo eigentlich rechnen müssen. »Das ist ganz einfach«, erklärte er. »Die Mönchsdämonen benutzen ihre schwarzen Kutten als Schutz vor der Sonne. Der Stoff, aus dem diese Kutten bestehen, ist so dicht gewebt, dass kein Strahl der Sonne ihn durchdringen kann. Sie haben außerdem die Gabe, mit der Hilfe ihrer Dämonenspiegel überallhin zu gelangen. Das ist ein Rest von dem, was sie früher einmal an Macht und Magie besaßen. Ich bin mir sicher, dass Ihlo einst zu einem Volk gehörte, dass die Dämonen im Kampf gegen den Schöpfer unterstützte. Außerdem gab es da noch einige schwarze Priester, die nur die Söhne des Schöpfers verehrten. Es kann sein, dass Ihlo zu ihnen gehörte.«
Der kleine König aller Minitrolle nickte nur. Er betrachtete staunend eine bestimmte Buchseite. Jabo stand auf und schaute ebenfalls in die Chronik. Barbaron hatte eine Seite aufgeschlagen, auf der ein schwarzer Brunnen abgebildet war.
»Da musst du hingelangen«, flüsterte der Nekromant dem Minitroll ins Ohr. »Der schwarze Brunnen soll der einzige Weg sein, den du gehen kannst, wenn du in dem Reich der Dämonen etwas suchst. Doch ich beneide dich nicht um diese Aufgabe. Soll ich dich wirklich nicht begleiten? Die Gefahren in Imperos dunklem Reich sind nicht berechenbar.«
Barbaron schüttelte den Kopf. Er sah weiter in die Chronik, als er Jabo antwortete. »Orbin und Artem wollten uns auch begleiten. Doch ich habe mich mit Knurr und Tangossa beraten. Nur der Kobold und ich – wir gehen allein in den Brunnen. Und wir kommen erst wieder heraus, wenn wir unsere Aufgabe erledigt haben. Artem wird uns mit Orbin zum Brunnen führen. Doch vorher muss er den Rat der Riesen aufsuchen. Ich weiß nicht genau, warum der Prinz das machen will. Es muss für ihn jedoch verdammt wichtig sein.
Sonst hätte er nicht darauf bestanden. Er hat sich gestern Abend mit Knurr darüber gestritten. Sie wollten wohl nur flüstern, doch zum Schluss haben sie sich beinah angebrüllt und Tangossa musste sie beruhigen. Der Kobold hat es verdammt eilig. Er will, so schnell es geht, zum schwarzen Brunnen.«
Jabo schenkte sich wieder vom Wein ein und setze sich auf Barbarons Bett. Dann betrachtete er das Abbild des schwarzen Brunnens und er las laut den Text vor, der darunter stand. »So es nun der Plan des Schöpfers war, dem unheiligen Treiben der Fürstin Monga Einhalt zu gebieten, wurde sie also von ihrem Schicksal eingeholt und vernichtet. Es war die Nymphe Aurelia, die auf der Insel Dragon-Gorum gegen die schwarze Fürstin zum Kampf antrat. Die entsetzlichen Mächte der Magie, die in diesem Kampf genutzt wurden, veränderten für immer das Aussehen von Dragon-Gorum. Der tiefe Graben, der einst die Insel vom übrigen Land trennte, lief mit den Wassern der Bäche voll. Die Bäume flüstern seit jenem Kampf den Namen der siegreichen Nymphe und der Nebel, der aus dem Wasser steigt, bringt einsame Wanderer um den Verstand. Er soll die Rache der schwarzen Fürstin sein.«
Barbaron sah Jabo in die Augen und sein abschätzender Blick verriet nur zu gut, was er soeben dachte.
Der Nekromant lächelte vor sich hin und blätterte die Seite um. »Du brauchst mich nicht so anzusehen«, brummte er leise. »Ich gebe ja zu, das Meerland hier und da etwas dick aufgetragen hat, als er die Chronik schrieb. Aber dieser Ort Dragon-Gorum ist wirklich eine unheimliche Gegend. Da gibt es bestimmt viele Gefahren und ich bin froh, dass euch Artem bis dort hin begleiten will. Außerdem hat mir mein alter Meister einst erzählt, dass die Nymphe Aurelia sich in viele Gestalten verwandeln kann. Sie hätte sogar ihn verführt. Doch das glaube ich nicht. Als Meerland mir diese Geschichte erzählte, saßen wir betrunken in einer Schenke von Bochea.«
Ein lautes Poltern beendete plötzlich das Gespräch. Jabo stellte den Becher auf den Tisch und lief leicht verärgert zum Eingang der Drachenhöhle. Dort traf er Artem und Orbin an, die sich unbekümmert den Schnee von den Stiefeln klopften. Sie zogen frische Äste und einen Sack Heu in die Höhle und kümmerten sich so um das Futter der Drachenkönigin.
Jabo sagte nichts dazu, doch seine finstere Miene verriet den Ankömmlingen, dass sie zu laut waren. Tangossa erwachte und hob ihren Kopf. Sie konnte nicht wie die anderen Drachen in die Wälder ziehen, um zu fressen. Deshalb freute sie sich, dass Orbin und Artem ihr immer wieder etwas mitbrachten.
Ohne auf den verärgerten Jabo zu achten, bedankte sie sich. Dann verschlang sie das Heu und die Äste. Ein lautes Krachen und Knacken hallte durch die Höhle.
Barbaron las unbekümmert weiter und er erfuhr, dass ein Bannfluch über Dragon-Gorum lag. Er verhinderte, dass der Trollkompass diesen Ort fand und er sollte die Suche jedes Wanderers erschweren. Als Orbin und Artem mit ihrer Arbeit fertig waren, kamen sie zum Krankenbett des kleinen Königs. Sie wollten wissen, was er alles gelesen hatte. Es dauerte nicht lange, und eine rege Diskussion entstand. Orbin erklärte dem Minitroll, dass er alle seine magischen Dinge in der Drachenhöhle lassen sollte. Es war einfach zu gefährlich, sie in das Reich der Dämonen mitzunehmen.
Nur widerwillig gab Barbaron nach. Doch auf seine Waffen wollte er nicht verzichten. »Es ist mir egal, was ihr davon haltet«, schimpfte er los. »Meine Waffen nehme ich mit. Ohne Speer und ohne Pfeil und Bogen fühle ich mich nackt. Daran werdet auch ihr nichts ändern. Und wenn ihr weiter meine Freunde sein wollt, so sagt ihr mir gleich, wann wir endlich nach Dragon-Gorum reisen. Die Ältesten der Nachtaugenriesen sollen doch den Weg kennen.«
Artem räusperte sich verlegen, als sich alle Augen auf ihn richteten. Sogar die Drachenkönigin sah zu ihm hin und wartete auf seine Antwort.
»Die Sache ist so«, begann der Prinz zu sprechen. »Wir haben einen Tempel, der von unseren Priestern vor langer Zeit dem Schöpfer geweiht wurde. Dort befindet sich an einer Wand eine Karte. Auf ihr wird der Weg nach Dragon-Gorum beschrieben. Doch ich darf den Tempel erst betreten, wenn ich von den Priestern zum Fürsten ausgerufen wurde. Das Problem ist nur, dass ich einen Widersacher habe.«
»Nun sag bloß noch, dass ein anderer Riese aus deiner Sippe Fürst werden will«, sprach Orbin reichlich grimmig und seine Miene verfinsterte sich sofort. Artem nickte und er hob seine Hände in die Höhe. »Ich habe gestern Abend schon versucht, Knurr die Sache mit dem Erbe meines Vaters zu erklären. Mein Onkel Cromber, der jüngere Bruder meines Vaters, will selbst Fürst werden. Unsere Gesetzte sagen, dass ein Streit um den Titel nur im Zweikampf ausgetragen werden darf. Dies sei der Wille des Schöpfers und niemand darf sich gegen diesen Willen stellen. Ich muss also noch vor dem Ende des Jahres nach Ando-Hall reisen. Dort muss ich die Prüfung bestehen, die mir mein machtgieriger Onkel auferlegt hat. Möge der Schöpfer mit mir sein.«
Tangossa rückte noch ein Stück näher an die Freunde heran. Da niemand etwas sagte, begann sie leise zu sprechen. »Es gibt einen anderen Weg. Du musst nicht gegen deinen Onkel kämpfen.«
Erstaunt sahen die Freunde zu der Drachenkönigin und Artems Mund entfuhr sogleich eine Frage. »Was soll das für ein Weg sein?«
Tangossa berührte beinah mit ihrem Kopf die Höhlendecke, als sie sich ein wenig aufrichtete und dann ihren Kopf bis zu dem Prinzen hinstreckte. »Wir Drachen kennen ebenfalls den Weg. Er führt euch weit nach Westen. Dort wo die Flüsse immer enger werden und die Schluchten tiefer, dort erstreckt sich das Tal von Dragon-Gorum. In der Mitte eines Flusses, der durch das Tal fließt, erhebt sich eine Insel. Dort müsst ihr nach dem Brunnen suchen. Aber ich muss euch warnen, denn die Insel ist ein Werk der schwarzen Magie. Ihr könnt an diesem Ort niemanden trauen und niemand wird euch trauen.«
Der Prinz sah in die Augen der Drachenkönigin und er erkannte in ihnen sein eigenes Spiegelbild. »Wir sollen niemandem vertrauen?«, fragte Artem. »Das wäre für uns nicht gut. Nur mit einem heiligen Mann können wir an diesen verfluchten Ort gelangen und diesem Mann müssen wir vertrauen. Ein Priester oder ein Waffenmeister, würde mir jedoch nur dann folgen, wenn ich ein Fürst der Riesen wäre. Doch ich bin nur ein Prinz und mein Onkel würde eine solch gefährliche Reise niemals zulassen.«
»Willst du ihn deshalb töten?«, fragte Tangossa und die grüne Farbe ihres Kopfes verdunkelte sich, als sie ihn in die Höhe hob.
»Ich habe keine Wahl«, flüsterte Artem und er senkte seinen Blick. »Diesem Kampf kann ich nicht ausweichen. Niemand würde mir folgen oder mich achten, wenn ich vor dem Kampf zurückschrecke. Meine Ehre wäre verloren, und der neue Fürst würde mich so lange jagen lassen, bis ihm jemand meinen Kopf und mein Herz in einem Sack überreichen würde.«
Die Drachenkönigin senkte wieder ihr Haupt und sah traurig zu dem Prinz. »So musst du also deinen eigenen Verwandten töten, oder du stirbst durch seinen Willen. So viel Dummheit verstehe ich nicht.«
Artem ging zum Tisch und sah in den Weinkrug. Jabo hatte ihn geleert und nicht wieder aufgefüllt. Der Prinz stellte ihn zurück auf den Tisch und versuchte dann, die Gesetze seines Volkes zu erklären. »Seit der Zeit der großen Schlachten sind wir Riesen auf starke Anführer angewiesen. Ohne unsere Fürsten verlieren wir unsere Einigkeit. Wir würden uns alle gegenseitig im Streit erschlagen oder uns einfach aus dem Weg gehen. Viele Feinde würden uns dann Schaden zufügen und wir wären bald nicht mehr in dieser Welt. Deshalb gilt unser Gesetz für jeden von uns und der Fürst hat die Macht, es durchzusetzen. Wenn ich nicht kämpfen würde, so wäre Cromber gezwungen, mir seine Krieger zu schicken. Sie müssten mich töten und meinen Kopf und mein Herz dem neuen Fürsten überreichen. Schickt er die Krieger nicht, um mich töten zu lassen, so würden wir beide sterben und die Priester würden einen neuen Fürsten wählen.«
Eine winzigkleine Flamme züngelte aus Tangossas linkem Nasenloch. Sie verschwand sofort wieder und die Königin schüttelte sich. Sofort kam ein Grollen und Donnern in der Höhle auf. Doch es legte sich gleich wieder und Tangossa atmete erleichtert auf. Das Kribbeln in ihrer Nase hätte zu einem ordentlichen Niesen und damit zu einer Katastrophe führen können. Ihr feuriger Atem hätte alles und jeden in Brand gesteckt. Sie sah zu dem leeren Weinkrug und dann zu dem Riesen. »Reiche mir den Krug«, flüsterte sie. »Ich will auch dir ein Geschenk geben. Es soll dir die Kraft verleihen, deinen Kampf zu gewinnen. Doch merke dir meine Worte, bevor du meine Träne trinkst. Dem Feind das Leben nehmen, das kann jeder Krieger, doch nur ein wahrhaft großer Herrscher vermag das Leben zurückzugeben.«
Die Drachenkönigin ließ eine Träne in den Krug fallen. Sie war so groß, dass sie den Krug ausfüllte. Der Prinz trank und setzte den Krug erst ab, als er leer war. Er stellte das Gefäß zurück auf den Tisch und nickte Tangossa zu. »Ich werde die mahnenden Worte immer in meinem Herzen tragen. Und für die Träne bedanke ich mich.«
Barbaron sah zu dem Prinzen und zur Drachenkönigin. Er hatte die Arme verschränkt und sein Blick war eine einzige Herausforderung. »Da wäre noch eine Frage zu klären«, polterte er los. »Wann brechen wir auf? Ich habe die ewige Warterei satt. Mein Volk und meine Freunde warten auf mich.«
»Noch nicht«, knurrte Orbin den kleinen König aller Minitrolle an. »Ich werde dir erst ein Kräuterpflaster verpassen. Und wenn du morgen keine Schmerzen hast, können wir über die Reise reden. Geduld sollte also deine stärkste Waffe sein, mein kleiner Freund.«
Barbaron setzte sich murrend auf sein Bett und ballte seine kleinen Fäuste. »Ein Kräuterpflaster will er mir verpassen«, knurrte er so leise, dass nur er selbst seine Worte hörte. »Wer will schon ein Kräuterpflaster haben? Ich will zu diesem Brunnen reisen und das Dämonenreich in Angst und Schrecken versetzten.«
Barbaron sah grimmig zu Orbin, der gerade mit Jabo redete. Er schlug sich mit der rechten Faust in die linke Hand und flüsterte leise vor sich hin. »Genau das will ich tun. Diese Dämonen sollen mich fürchten lernen. Diese Bastarde … diese …«