Читать книгу Der Bergboss und die Königskinder: Die Abenteuer der Koboldbande (Band 3) - Jork Steffen Negelen - Страница 5

Das Schatzversteck des Zwergenkönigs

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Die Sonne ging in diesen Tagen nicht mehr so früh auf und das verkündete den mit aller Macht nahenden Herbst. Doch war sie noch stark genug, um die Regentropfen des nächtlichen Unwetters von den Blättern der Bäume zu tilgen, den Nebel zu vertreiben und anschließend in voller Pracht sich immer wieder aufs Neue dem staunenden Betrachter zu zeigen. Schön, wie ein junges Mädchen, spiegelte sie sich auf dem Wasser der Flüsse, Seen und Bäche, die vom nächtlichen Regen wohl gespeist, stark angeschwollen waren.

Auch der Geruch des Waldes hatte sich in dieser späten Sommerzeit leicht verändert. Überall wuchsen saftige Beeren und überaus wohlschmeckende Pilze.

Nicht nur die Tiere des Waldes wussten diese Pracht zu schätzen. Da gab es noch siebenundsiebzig eifrige Sammler. Es waren die Minitrolle, die sich mit ihrem König Barbaron aufgemacht hatten, die schmackhaftesten Zutaten für das Mittagsmahl zu sammeln. Unbeabsichtigt hatten sie sich weiter von der Drachenhöhle entfernt als Barbaron eigentlich vorhatte. Er schaute besorgt den Weg zur Drachenhöhle zurück.

Der König aller Minitrolle hatte wohl Angst, er könnte das Schlüpfen der drei kleinen Drachen aus ihren Eiern verpassen. Darauf freuten sich die Minitrolle schon so sehr. Sie konnten es kaum noch erwarten und nicht nur Tangossa, die Königin der Drachen, hatte alle Mühe die aufgewühlten Gemüter dieser Minitrolle im Zaum zu halten.

Um etwas Ruhe zu haben, hatte Tangossa Barbaron mit seinem Volk am frühen Morgen in den Wald zum Sammeln geschickt und ihm versprochen, alle Minitrolle rechtzeitig zurufen, wenn es so weit war. Es waren immerhin die ersten Drachen, die seid über siebenhundert Jahren wieder in der Drachenwiege schlüpften. Einen solchen Augenblick durfte ein Minitroll einfach nicht verpassen. Deshalb sollte auch Tabor, der Drachenjunge, mit seinem Horn ein weithin hörbares Signal geben.

Doch noch war nichts von Tabor zu hören und so zog Barbaron immer wieder sein großes Messer, um einen Pilz nach dem anderen zu ernten. Als er gerade bei einem besonders prächtigen Exemplar zum Schnitt ansetzte, war Tabors Signal dann doch zu hören. Obwohl es von Weitem nur leise ertönte, so riss das Tuten des Drachenhorns jeden aus seiner Arbeit und Barbaron schnitt sich vor Aufregung in den Finger. Fluchend befahl er den sofortigen Rückzug zur Drachenhöhle.

Er holte dazu seinen Trollkompass hervor, beschwor ihn, und rief die Koordinaten für den Trollsprung so laut er konnte. »Also hört genau zu, jetzt gilt es, einen klaren Kopf zu bewahren! Wir müssen drei und eine achtel Meile in zwei Grad Südost springen! Das sollte wohl kein Problem sein! Auf jetzt, ihr Minitrolle, mir nach!«

Im nächsten Augenblick waren die Minitrolle mit ihren Erntekörben verschwunden und es kehrte wieder Ruhe im Wald ein.

Doch dafür wurde es vor der Drachenhöhle um so lauter. Die Koboldbande, Salia und ihr Mann, der Schmied, waren auch schon da. Die Minitrolle landeten ihnen direkt vor den Füßen.

Der Trollhauptmann drückte dem Schmied bei seiner Landung auch gleich seinen vollen Erntekorb in die Hände. Der konnte den Hauptmann gerade noch auffangen. »Ho ho, hier hat es jemand aber besonders eilig. Soll ich dich mit deinem Beerenkorb auf die Erde stellen, oder lieber gleich in die Höhle zur Drachenwiege mitnehmen?«

Der Schmied lächelte bei seiner nicht ganz ernst gemeinten Frage den Hauptmann schelmisch an. Doch der fand das Angebot sehr verlockend. Der Trubel vor der Höhle war jetzt ohnehin kaum zu durchdringen, und so gab der Trollhauptmann dem Schmied die passende Antwort. »Na, wenn du mich so bittest, dann soll es eben so sein. So ein Kraftprotz wie du kann mich ruhig mal ein gutes Stück tragen. Dafür bekommst du zum Mittag auch eine extragroße Portion Beeren zum Nachtisch, das verspreche ich dir.«

Mit einem breiten Grinsen ließ sich der Trollhauptmann vom Schmied in die Drachenhöhle tragen. Dort, genau neben der Drachenwiege, stellte sich der Schmied neben seiner Frau hin. Salia drehte sich zu ihrem Mann um und musste sofort lachen, denn sie hielt Barbaron in ihren Armen und der wollte unbedingt so nah wie möglich beim Schlüpfen der kleinen Drachen dabei sein.

Auch die Kobolde fanden sich jetzt vor der Wiege ein, und sogar der Fürst der Flussland-Elfen, Aothes, hatte es rechtzeitig zur Drachenhöhle geschafft. Weil ihm Nummer Acht so sehr bedrängte, hatte er kurzerhand ihn und zwei weitere Minitrolle auf seine blaue Flugschale gesetzt und ließ sie ein Stück über die Anderen schweben. Da hatten sie die beste Aussicht.

Aothes wunderte sich, dass in der Drachenwiege gleich drei Eier Lagen. Barbaron hatte ihm vor einigen Tagen noch von einem einzigen Ei berichtet. Deshalb klärte ihn Knurr sogleich auf. »Da gibt es nichts zu wundern. Eierlegen dauert eben bei den Drachen etwas länger. Dafür schlüpfen sie aber immer zur gleichen Zeit. So hat es Urgos jedenfalls gesagt.«

Doch noch wollten die drei Drachenkinder ihre Eier nicht verlassen. Ein leises Gemurmel machte sich in der großen Höhle breit und die ersten Becher Wein wurden schon gelehrt.

Es dauerte aber nicht mehr lange, und die Geduld aller anwesenden Zuschauer wurde belohnt. Die Schale des ersten Eies platzte auf und das Köpfchen eines kleinen Drachen war zu sehen. Ein staunendes »Ah« und »Oh« war von jedem zu vernehmen und keiner wagte es, aus seinem Becher zu trinken, denn jetzt ging es doch erstaunlich schnell.

Das zweite und auch das dritte Ei platzten auf und die kleinen Drachen zeigten ihre Köpfchen in voller Pracht. Sie gaben auch die ersten krächzenden Laute von sich und strampelten sich langsam aus den Eierschalen heraus. Mit Tränen der Freude in den Augen, näherte sich Tangossa ihren kleinen Sprösslingen und schnupperte an ihnen. Die schienen ihre Mutter sofort zu erkennen und schmiegten sich sogleich an ihre Wangen. Dabei tranken sie die Tränen von Tangossas Augen und gaben ein sanftes Schnurren von sich.

Völlig verzückt von diesem idyllischen Anblick wischte sich jetzt so manch ein Troll heimlich eine eigene Träne aus seinen Augenwinkeln. So viel Mutterglück ließ sogar Barbarons Herz erweichen.

Er brachte die Sache auch sogleich auf den Punkt. »Ach nein sind die süß, diese drei Kleinen und Flügel haben die auch schon. Ich wette, die brauchen später mal einen eigenen Wald, denn die werden ja wohl einen ordentlichen Appetit entwickeln und …«

Ein allgemeines Zischen und Murren setzte Barbarons Rede sofort ein jähes Ende. Salia hielt ihm zudem vorsorglich den Mund zu und schüttelte tadelnd den Kopf.

Der Zauberer Albanarius hatte die ganze Zeit über im hinteren Teil der Drachenhöhle gewacht. Er sah sich jetzt die drei kleinen Drachenkinder genauer an. Sie sahen alle drei auf den ersten Blick gleich aus, doch der Zauberer bemerkte auch die feinen Unterschiede.

Behutsam strich er Tangossa über ihren langen Hals. Dann sprach er mit feierlichen Worten seine Gedanken aus. »Wir sind hier versammelt, um der Geburt dreier Drachenkinder beizuwohnen, denn hier an diesem heiligen Ort wissen wir alle, dass die Drachen die Hüter des Friedens sind. Darum wollen wir die Becher erheben und auf die Geburt eines Drachenprinzen und zweier Drachenprinzessinnen trinken. Mögen auch sie in Zukunft über unser Schicksal wachen.«

Mit einem ebenso feierlichen »sie leben dreimal hoch, hoch, hoch« stemmte jeder seinen Becher in die Höhe, nur um dann den Wein in sich hinein zu schütten. Danach war es mit der Ruhe in der Höhle endgültig vorbei. Begeistert von den drei Drachenkindern schwatzte alles durcheinander und Albanarius drängte jeden höflich, aber auch energisch, zur Höhle hinaus. Er meinte, es sei jetzt besser, das die Königin Tangossa mit ihren drei Kindern allein wäre und etwas Ruhe hätte.

Nur Artur ließ Albanarius von all den Gästen noch in der Höhle verweilen. Tangossa hatte ihm die Eierschalen versprochen und der Kobold sammelte sie auch gleich ganz behutsam von der Drachenwiege herunter. Die kleinen Drachen knabberten ihn dabei verspielt an den Fingern herum. Er steckte die Schalen in ein Leinensäckchen und bedankte sich bei der Drachenkönigin.

Dann ging Artur mit Albanarius vor die Höhle und sie atmeten die frische Luft tief ein. Albanarius sah zu Artur und dem Säckchen mit den Schalen. Er lud ihn zu einem kleinen Spaziergang ein. »Lass uns ein Stück durch den Wald gehen, Artur, ich möchte ein wenig mit dir plaudern.«

Artur nickte nur und ging mit dem Zauberer. Er wusste, dass Albanarius schon seid geraumer Zeit ihm und seinen Brüdern etwas Wichtiges sagen wollte. Doch er wusste wohl nicht, wie er das am besten anstellen sollte. Jetzt hatte sich der Zauberer ein Herz gefasst und den Mut zu einem Gespräch gefunden. Artur war klar, das Albanarius die Absicht hatte, die Kobolde über ihre Herkunft aufzuklären.

Und so begann der Zauberer nach einigen Schritten im Wald, zögerlich zu berichten. »Ich weiß gar nicht so recht, wie ich anfangen soll, Artur. Immerhin möchte ich dir berichten, wie ihr Kobolde entstanden seid.«

Artur ermunterte den Zauberer. »Fang einfach an, so schlimm wird es wohl nicht gewesen sein. Tangossa sagte mir erst vor einigen Wochen, ich sei ein Kind des Albanarius. Demnach bist du für uns Kobolde so etwas wie ein Vater. Oder bist du das nicht?«

Der Zauberer wiegte den Kopf hin und her. »Das stimmt nicht so ganz. Kein Nekromant kann mit weißer Magie Eier erschaffen, die wirkliches Leben spenden. Das kann nur ein Zauberer, der mit dunkler Magie arbeitet. Ein Nekromant kann nur den Tod überlisten, meistens jedenfalls. Du wirst es jetzt wohl schon ahnen, aber ich muss dir sagen, dass die Eier, aus denen ihr Kobolde geschlüpft seid, nicht von einem Nekromanten stammen. Dämonicon hat sie selbst erschaffen. Wir Nekromanten haben ihm die Eier durch meinen Diener Sehto stehlen lassen und an einen sicheren Ort verwahrt. Sehto brachte die sieben Eier in ein Tal ohne Zugang. Es ist von hohen Bergen umgeben und sollte für euch ein sicheres Versteck sein. Ab und zu habe ich ihn in seinem Baumhaus besucht und nach den Eiern gesehen. Ich habe sie genau untersucht und dabei festgestellt, dass Dämonicon ein schwerwiegender Fehler unterlaufen ist.«

Albaron sah Artur in die Augen, ehe er weiter sprach. »Er hat wohl versehentlich blauen Kieselstaub mit rotem Kristallpulver zusammen gemengt und somit bei der Herstellung der Eierschalen alle bösen Eigenschaften, die er euch zugedacht hatte, in ihr Gegenteil verdreht. Dämonicon muss wohl etwas nachlässig gewesen sein. Als ihr euch dann auch noch mit dem Schlüpfen aus euren Eiern immer mehr Zeit genommen habt, da dachte ich schon, ihr werdet nie das Licht der Welt erblicken. Doch der alte Sehto wollte eure Eier nicht im Stich lassen und er hat, mit sehr viel Geduld, im Baumhaus auf den Tag euerer Geburt gewartet.«

Artur blieb jetzt stehen und sah Albanarius nachdenklich an. Dann stellte er ihm eine wichtige Frage. »Wenn dein Diener Sehto auf unsere Geburt so lange gewartet hat, warum ist er dann an dem Tag unserer Geburt verschwunden?«

Albanarius zog die Schultern in die Höhe. »Ganz ehrlich, ich kann dir das nicht sagen. Aber er muss einen wichtigen Grund gehabt haben. Wie habt ihr überhaupt ohne ihn überlebt? Euch konnte doch außer meinem Diener Sehto niemand versorgen.«

Artur tippte sich mit seinem rechten Zeigefinger an seine Stirn. Dann erklärte er Albanarius. »Das hat Sehto auch geschafft. Hier, in unseren Köpfen hat er uns seine Gedanken hinterlassen. Wir wussten vom ersten Tag an, was wir zum Überleben brauchen würden und wie man sich mit Zauberei richtig beschäftigt. Ich war der Erste, der aus seinem Ei schlüpfte und ich hab ihn noch gesehen. Er war ein alter, gebeugter Mann, mit einem langen weißen Bart und einem spitzen grünen Hut. Alle Sachen an ihm waren grün. Sogar sein Wanderstab.«

Nachdenklich ging Albanarius mit Artur den Weg im Wald zurück. Vor der Drachenhöhle angekommen, blieben sie stehen und Albanarius deutete mit einer Kopfbewegung zu den anderen Kobolden. »Ich glaube, wir sollten auch mit ihnen reden. Sie haben ein Recht auf die Wahrheit.«

Am späten Nachmittag hielt Artur mit seinen Brüdern und Albanarius eine Versammlung auf einer abseits gelegenen Wiese ab. Aufmerksam hörten die Brüder erst dem Zauberer und dann Artur zu. Danach war es für einen Augenblick so ruhig, das man den Gesang eines weit entfernten Vogels deutlich hören konnte.

Es war Knurr, der als Erster die Stille brach und etwas sagte. »Ich weiß nicht, was die anderen denken, Artur. Aber ich meine, dass wir Kobolde für unsere Herkunft nicht verantwortlich sind.«

Soldatis sprang auf und rief in die Runde. »Genau, wir haben allen gezeigt, dass wir trotzdem jeder ein gutes Herz haben!«

Vinus hielt es jetzt auch nicht mehr auf seinen Platz. »Knurr hat vollkommen recht! Egal wer hier unser Vater oder Mutter oder so was in der Art ist! Wir haben mit Tabor und den Drachen gemeinsam gekämpft und dieser Dämonicon kann uns allen gestohlen bleiben! Der ist niemals unser Vater!«

Jetzt sprangen auch die anderen von ihren Plätzen auf und redeten durcheinander. Es dauerte wie üblich eine Weile, doch nach einigen Minuten hatten sich die erhitzten Gemüter der Kobolde wieder beruhigt und Albanarius gelang es, sich noch einmal Gehör zu verschaffen.

Er hob beide Arme in die Höhe und bat um Ruhe. »Bitte, meine lieben Kobolde, hört mir noch einen Augenblick zu. Mir ist noch etwas eingefallen, das wollte ich euch noch erklären.«

Die Kobolde setzen sich wieder auf die Wiese, und der Zauberer holte tief Luft. »Als Sehto die sieben Eier in seinem Baumhaus betreute, da hat er sie jeden Tag mit Milch bestrichen und mit einem guten Seidentuch geputzt. In der Milch war ein magisches Pulver eingerührt. Ich denke mal, dass wird euch damals ein gutes Stück geholfen haben. Und überhaupt schaut euch mal an, aus jedem von euch ist ein prächtiger Kobold geworden.«

Die Kobolde stimmten dem Zauberer lachend zu und erneut schwatzten alle durcheinander. Niemand bemerkte jetzt Albanarius nachdenkliche Mine, und es konnte sich auch kein Kobold die heimliche Angst vorstellen, die der Zauberer hatte. Er befürchtete, dass die Kobolde mehr waren, als nur eine Laune des Dämonicon. Albanarius versuchte die Gedanken abzuschütteln und holte sich noch einen Becher Wein. Er setzte sich vor die Drachenhöhle auf eine bequeme Bank.

Bebo war der Erste, der Albanarius Grübeleien bemerkte. Um ihn etwas aufzumuntern, setze sich der Kobold zu ihm auf die Bank und er stellte auch gleich eine Frage. »Sag mir Albanarius, hast du Lust mich in diesem Jahr bei meiner Herbstwanderung zu begleiten? Das würde dir bestimmt gut tun. Seid mindestens hundert Jahren wandere ich jeden Herbst allein zu dem Steinbruch von Garend und suche nach seltenen Steinen, die dort der Herbstregen frei gespült hat. Vielleicht findest du etwas Brauchbares in diesem Steinbruch. Es gibt dort viele seltene Kristalle.«

Der Zauberer leerte seinen Becher und schüttelte den Kopf. »Nein mein Freund, dafür habe ich leider keine Zeit. Ich muss zu den Zwergen in das Tiefland reisen, um die Dinge zu finden, die diese kleinen Diebe mir gestohlen haben. Ich war vor einigen Tagen schon einmal bei ihrem König Gallbart und habe mit ihm verhandelt. Er wollte sich mein Angebot überlegen. Morgen in aller Frühe reise ich erneut zu ihm und ich hoffe doch, dass er klug genug ist, mir meine alte Truhe mit allen Aufzeichnungen zu geben. Öffnen kann er sie wohl nicht. Aber er kann sie vor mit verstecken und so den Preis in die Höhe treiben. Doch ich danke dir trotzdem für dein Angebot.«

An diesem denkwürdigen Tag wurde viel geredet und selbst die Minitrolle ließen die Drachenkönigin und ihren Nachwuchs noch oft genug hochleben. Bis in die späte Nacht hinein hatten die Gäste bei einem großen Lagerfeuer noch so manchen Becher geleert und selbst der Drachenkönig Urgos soll in dieser Nacht einen kleinen Rausch vom vielen Wein gehabt haben.

Am nächsten Morgen brach Albanarius zu den Tieflandzwergen auf. Auch Bebo hatte es eilig. Er flog mit seiner Flugschale zum Steinbruch. Barbaron sah dem Bergboss hinterher und sein Hauptmann bemerkte spöttisch. »Das nennt dieser Bebo eine Herbstwanderung. Ist wohl eher ein Herbstflug.«

Barbaron winkte nur ab. »Lass ihn nur machen, der Kerl ist alt genug.«

Während die Minitrolle sich für die Schweinejagd vorbereiteten und auch sonst jeder seiner gewohnten Beschäftigung nachging, flog Bebo auf dem kürzesten Weg nach Garend. Dieser Steinbruch interessierte ihn schon seid über hundert Jahren. Durch einen Zufall hatte er ihn einst entdeckt und so manches schöne Stück Kristall gefunden. Auch Edelsteine und sogar Gold und Silber hatte Bebo oft von dort nach Hause gebracht. Doch der Steinbruch lag am Rande des Tales von Garend, dort wo die Berge begannen und das Jagdrevier der Wölfe endete. Die Wälder von Garend waren ihre Heimat. Diese Wälder galten schon immer als undurchdringlich und nur ganz selten hatte jemand versucht, in ihnen zu siedeln. Das Betreten dieser Wälder hielten viele Reisende für absolut tödlich.

Bebo machte sich jedoch um die Wölfe weniger Sorgen. Er konnte sich ganz gut mit einigen Zaubersprüchen gegen sie erwehren. Mehr Sorgen bereitete ihm da schon ein verlassener Kaufmannswagen, den er im Tiefland auf der großen Handelsstraße entdeckte.

Mit seiner Flugschale drehte er noch eine Runde über dem Gespann. Dann landete der Kobold und sah sich den Wagen genauer an. Die beiden Zugpferde lagen tot am Boden, sie waren mit Wunden überseht. Bebo sah sie sich genau an und musste feststellen, dass sie sehr tief waren. Irgendein Raubtier mit riesigen scharfen Krallen musste hier gewütet haben. Den Spuren auf der regennassen Straße zufolge mussten es allerdings genau drei Angreifer gewesen sein.

Der Kobold sah in den Wagen hinein. Die Wahre des Kaufmanns war nicht angerührt worden. Einen Raubüberfall konnte er also ausschließen. An einer matschigen Stelle der Straße fand Bebo einen ordentlichen Fußabdruck. Doch wer hatte ihn hinterlassen? Für einen Menschen war er zu groß. Elfen oder Zwerge kamen auch nicht infrage. Wer um alles in der Welt lief hier barfuß mit solch großen Füßen herum und hatte dazu noch so große Krallen daran? Waren es etwa irgendwelche Trolle?

Bebo versuchte, die Spuren des Kaufmanns zu finden. Das war nicht allzu schwer. Er brauchte nur dem Blut auf dem Boden zu folgen, dann konnte er die grausigen Überreste dreier barbarischer Malzeiten im Unterholz des Waldes entdecken. Es waren also drei Opfer. Dem Kobold wurde ganz mulmig im Magen und er lehnte sich an einen Baum. Jetzt konnte er das Heulen von einem Tier hören. Es konnte nicht weit weg sein. Ein weiteres Tier antwortete sogleich, und ein drittes Tier heulte hinterher. Das Heulen kam jedes Mal aus einer anderen Richtung.

Bebo ahnte sofort, dass dieses Heulen nur ihm gelten konnte. Die Raubtiere hatten ihn bestimmt entdeckt und sich verständigt. Er holte seine Flugschale hervor und setzte sich darauf. Dann schwebte er nach oben zu den Wipfeln der Bäume. Doch das war um ein Haar ein großer Fehler. Diese fremden Raubtiere hatten sich in den Baumkronen versteckt und sprangen gleichzeitig auf ihn zu. Bebo sah sie wie große schwarze Schatten auf sich zu kommen und wich ihnen entsetzt im letzten Augenblick zur Seite aus. Dann raste er mit seiner Schale in eine sichere Höhe und sah sich erschrocken nach seinen Angreifern um.

Doch von ihnen fehlte jede Spur. Sein Herz pochte in seiner Brust wie wild und er fragte sich entsetzt, wer diese Angreifer waren. Ihm fiel Arturs Erzählung von den drei Lumichs ein und ein Schauer lief ihm über seinen Rücken. Mit seiner Flugschale drehte Bebo eine Runde nach der anderen über dem Wald und den Wagen, doch er konnte niemanden sehen.

Zum Steinbruch zu fliegen war jetzt für den Kobold nicht mehr so wichtig. Dieser Überfall auf den Kaufmannswagen musste gemeldet werden. Auch die Städte mussten gewarnt werden, sonst würden noch viele reisende Kaufleute hier auf der Straße und in den Wäldern sterben.

Bebo flog zu den Siedlungen der Tieflandzwerge. Die waren jetzt am nächsten und die Zwerge waren bekannt für ihre Jagdleidenschaft. Sie würden diese Bestien schon erlegen.

Doch Bebo schien zu spät bei der ersten Siedlung anzukommen. Er traf die Zwerge bei ihren Jagdvorbereitungen an. Offenbar waren sie schon gewarnt worden. Der Kobold konnte ja nicht ahnen, dass die Lumichs ausgerechnet den Zwergen selbst entkommen waren. Als der Anführer der Zwerge den Kobold mit seiner Flugschale sah, da stemmte er seine beiden Hände in die Hüften und schaute der Landung von Bebo mit einer Mine zu, die seine schlechte Laune schon von Weitem verriet.

Bebo grüßte ihn trotzdem höflich. »Ich wünsche einen guten Tag und ich hoffe doch, dass ich nicht all zu ungelegen komme. Doch ich habe eine wichtige Nachricht zu überbringen.«

Der Zwerg, der unter seinesgleichen wohl als Riese galt, kam auf Bebo zu und blieb vor ihm stehen. Er beugte sich zu ihm herunter, sodass er dem Kobold in die Augen sehen konnte. Dann meckerte er los. »Dich hat wohl unser König Gallbart zu uns geschickt? Jetzt sollen wir wohl doch vom Norden auf diese Viecher losgehen? Als er uns in der letzten Nacht einen Boten schickte und der uns sagte, dass wir eine besondere Unterstützung bekommen würden, die auch noch fliegen kann, da wollte ich es beinah nicht glauben. Doch jetzt bist du ja auf einmal da. Also, wer bist du? Sag uns deinen Namen. Wir würden gern wissen, wen wir beerdigen, wenn die Jagd vorbei ist.«

Wie aus dem Boden gewachsen stand Albanarius plötzlich hinter dem dreisten Zwerg und brüllte ihn an. »Gandobart, du Großmaul von einem Zwerg, du wirst es wohl nie lernen!? Glaubst du im Ernst, dass dein König für die Jagd einen Kobold schickt!? Sieh mich an, du Jagdmeister deines Herrn, ich bin deine fliegende Verstärkung und nicht dieser kleine brave Kerl da!«

Wie von einem Blitz getroffen fuhr der Zwerg herum und starrte entsetzt in das Gesicht dieses wahrhaft großen Zauberers. Sein Mund stand weit offen und er wusste nicht so gleich, was er sagen oder tun sollte. Wohl einem Karpfen ähnlich, so bewegte er den Mund auf und zu, doch es kam kein Laut heraus. Alle anderen Zwerge, die hier ihre Vorbereitungen für ihre Jagd trafen, brachen in schallendes Gelächter aus.

Bebo mischte sich ein. »Lass es gut sein Albanarius, dein unerwartetes Erscheinen war wohl etwas zu viel für diesen Herrn Zwerg. Ich wollte ja auch nur berichten, dass ich so um die zwanzig Meilen von hier auf der Handelsstraße einen Kaufmannswagen entdeckt habe. Der Kaufmann und seine zwei Begleiter sind tot. Ich bin mir sicher, dass sie im Wald von diesen Lumichs aufgefressen worden sind, obwohl das eigentlich nicht sein kann. Artur hat mir doch gesagt, sie wären schon lange verschwunden.«

Fast gleichzeitig klappten der Zauberer und der Jagdmeister hörbar ihre Münder zu. Einer der Zwerge aus Gandobarts Jagdgruppe sprach entsetzt aus, was sich die anderen kaum vorzustellen wagten. »Das wird doch nicht etwa ein Kaufmann aus Krell oder gar Viedana gewesen sein?«

Gandobart sah Bebo ehrfürchtig an. In den Augen des Zwerges war noch immer deutlich sein Entsetzen zu sehen. Fast flehend fragte er Bebo. »Kannst du uns die Stelle zeigen, wo diese grausame Tat passierte? Wir müssen dort die Spur aufnehmen, bevor sie kalt ist.«

Bebo nickte zustimmend und setzte sich auf seine Flugschale. »Na gut, ich bin bereit, wann soll es losgehen?«

Gandobart drehte sich zu seinen Leuten um und brüllte los. »Männer, aufgepasst! Wir werden jetzt dem Kobold folgen. Er zeigt uns die Stelle, wo die Bestien zugeschlagen haben. Macht euch bereit, wir fahren mit der Erzkarre sofort los.«

Einen Augenblick später war Gandobart mit seinen zwanzig Kameraden unterwegs. Sie saßen auf ihrer Erzkarre, einem langen Wagen, den sie eigentlich zum Transportieren ihrer Erzladungen oder Eisenwaren benutzten. Zwei zottelige Pferde zogen das Gefährt. Die waren zwar klein, aber doch recht kräftig. Gandobart saß vorn auf dem Kutschbock und mahnte mit einer Peitsche die Pferde zur Eile.

Noch bevor es Mittag war, kamen die Zwerge zu der Stelle, wo immer noch einsam und verlassen der Waagen des Kaufmanns stand. Albanarius und Bebo blieben vorsichtshalber mit ihren Flugschalen in der Luft und beobachteten die nähere Umgebung. Die Zwerge untersuchten den Waagen und die Spuren im Wald. Als sie fertig waren, versammelten sie sich auf der Straße.

Gandobart winkte dem Zauberer und den Kobold zu sich. Dann berichtete er, was er und seine Männer feststellen konnten. »Hört genau zu, was ich jetzt sage ist sehr wichtig. Der Überfall fand in der Nacht statt. Der Kaufmann wurde von zwei Kriegsknechten begleitet. Alle drei hatten nicht mal die kleinste Möglichkeit, diesen Lumichs zu entkommen. Die Spuren dieser Lumichs führen geradewegs nach Osten. Sie werden langsam zur Ruine von Banda ziehen. Bei den Resten dieser alten Stadt kommen viele Kaufleute vorbei. Sie werden sich in den Ruinen auf die Lauer legen. Das haben sie schon früher gemacht.«

Albanarius stimmte dem überraschend schnell zu. »Da hast du sicher recht. Doch es ist ein weiter Weg dahin und die Lumichs haben einen gehörigen Vorsprung. Bei meinem letzten Besuch habe ich deinem König Gallbart meine Hilfe zugesichert. Jetzt sag mir, ob du mich und den Kobold noch brauchst. Ich würde gern mit Bebo zu Gallbart fliegen und ihn sagen, wo du hinziehst.«

Gandobart sah Albanarius verwundert an. Dann überlegte er. Dabei kratzte er sich hinter seinen großen Ohren und strich sich über den Bart. Mitten in diesem roten Gestrüpp hatte ihm jemand einen Zopf geflochten. Daran zog er kurz und erklärte dann. »Wenn ich es so genau bedenke, so brauchen wir euch jetzt nicht weiter. Den Weg nach Banda kennen wir. Da müssen wir nur der Handelsstraße und dann der alten Heerstraße folgen. Am besten ist es wohl, wenn ihr zu unserem König fliegt und ihn fragt, was ihr ihm noch helfen könnt. Sagt ihm, das wir nach Banda wollen.«

Albanarius nickte und stimmte wieder zu. »Ja das werden wir machen. Ihr habt ja eure Netze bei euch, und mit ein wenig Glück könnt ihr die Lumichs in den Ruinen fangen. Da können wir euch kaum helfen. Die würden uns beim Anflug gleich entdecken und damit gewarnt sein.«

Gandobart hob beide Hände kurz hoch. »Oh, das wäre bestimmt nicht in unserem Sinne, also beeilt euch, wir können des Königs Hilfe in Banda gut gebrauchen.«

Der Zauberer und der Kobold verabschiedeten sich von den Zwergen und flogen auch gleich davon. Bebo wusste nicht genau, was er von diesem raschen Aufbruch halten sollte, doch er hatte so eine Ahnung. Unterwegs bat er Albanarius, auf einer kleinen Lichtung zu landen.

Nach dem sich beide kurz umgesehen hatten, stellte Bebo auch gleich ein paar Fragen. Dabei wurde er lauter als er beabsichtigte. »Sag mal Albanarius, glaubst du nicht auch, dass wir diesen Zwergen bei ihrer Jagd helfen sollten? Wir könnten doch an bestimmten Stellen einen Schutzbann legen oder die Lumichs mit magischen Blitzen aus ihrem Versteck treiben? Trotzdem lässt du sie allein ziehen! Du hast doch irgendetwas vor?«

Albanarius legte beschwörend einen Finger auf seine Lippen und zischte leise. »Pst.« Dann flüsterte er. »Sei nicht so laut und hör mir zu. Dieser Gandobart braucht mit seinen Helfern und dem Wagen bestimmt zwei Tage, um nach Banda zu kommen. Wir dagegen schaffen die Strecke bequem in zwei Stunden. Es bleibt also genügend Zeit, um noch andere wichtige Dinge zu erledigen. Und dabei werde ich deine Hilfe brauchen und Gallbart kann sich schon denken, was seine Leute so treiben. Er ist ein ganz ordentlicher Magier.«

Bebo setzte sich auf seine Schale und sah den Zauberer durchdringend an. »Jetzt erzähl mir schon, was du alles vorhast. Du verfolgst doch irgendeinen Plan.«

Albanarius sah sich noch einmal um. Dann berichtete er Bebo von seinem letzten Besuch beim Zwergenkönig. »Ich war schon wenige Tage nach der Schlacht bei diesem Gallbart. Als ich ihm von meiner fliegenden Kammer berichtete, da tat er völlig unwissend. Doch ich zeigte ihm, was ich in ihr gefunden hatte. Er hat seine eigene Kriegskeule gleich wieder erkannt. Ich konnte es in seinen Augen lesen. Aber er hat alles abgestritten und mich gebeten, über Nacht sein Gast zu sein. Angeblich wollte er sich mal umhören. Doch er hat sich in derselben Nacht zu seinem Schatzversteck geschlichen. Sein schlechtes Gewissen hat ihn bestimmt dazu getrieben. Er dachte wohl, ich schlafe tief und fest, aber nein, ich habe ihn beobachtet.«

Der Nekromant sah sich um, bevor er weiter sprach. »Er war danach auf der Jagd nach den Lumichs. Sogar dafür habe ich ihm meine Hilfe angeboten. Doch jetzt, da wir wissen, wo sich die Lumichs hinbegeben, sollten wir die Zeit nutzen. Wir müssen uns meine Kiste mit den Geheimnissen der Nekromanten holen. Sollte Dämonicon schneller sein und wir zu spät kommen, so wäre das eine absolute Katastrophe. Stell dir mal vor, dem Geist des Dämonicon gelingt es, sich einen Nekromantenkörper herzustellen und in diesen hineinzufahren. Dann würde es nicht lange dauern und er könnte versuchen, sich alles Leben in dieser Welt zu unterwerfen. Also mein Freund, Eile ist geboten. Wir müssen zum Schatzversteck des Zwergenkönigs.«

Bebo war bei den Worten des Zauberers nachdenklich geworden. Natürlich wusste er, das Albanarius nichts Böses vorhatte, auch wenn der einem nicht immer gleich alles erzählte.

Nachdenklich stimmte der Kobold dem Zauberer zu. »Du hast sicher Recht, Albanarius, doch sind solche Abenteuer wohl eher etwas für Artur oder die Minitrolle. Aber da die nun mal gerade nicht zur Hand sind, werde ich dir selbstverständlich helfen. So lass uns zu deiner Kiste fliegen. Hoffentlich ist sie noch da.«

Albanarius war froh, das Bebo ihm beistehen wollte. Doch einige gewisse Dinge erzählte er dem Kobold lieber noch nicht. Dafür musste sich ein besserer Zeitpunkt ergeben.

Der Zauberer und der Kobold setzten sich auf ihre Flugschalen und flogen wieder über die dichten Wälder. Bebo folgte Albanarius und landete neben ihm am Fuße eines kleinen Berges. Sofort nach ihrer Landung verschwanden die beiden in den Büschen und Sträuchern des Waldes.

Als sie sicher waren, dass kein Zwerg oder ein anderes Wesen in der Nähe war, stellte Bebo leise eine Frage. »Albanarius, wie geht es jetzt weiter?«

Verärgert flüsterte der Zauberer zurück. »Ihr Kobolde seid noch schlimmer als die Minitrolle. Immer habt ihr eine Frage parat. Aber wenn du es unbedingt wissen willst, dann sage ich es dir. Wir warten auf die Wachen, die hier dreimal am Tage vorbeikommen. Dann schleichen wir uns in das verlassene Bergwerk des Königs Gallbart. In gut einer halben Stunde kommen hier drei Zwerge zu dem kleinen Berg vor uns und kontrollieren den Eingang zum Schatzversteck des Zwergenkönigs. Wenn die weg sind, dann gehen wir hinein und holen uns meine Kiste. Ich hoffe du weißt jetzt genug und stellst keine dummen Fragen mehr.«

Doch Bebo war nicht so leicht zu beeindrucken. Ungerührt stellte er noch eine weitere Frage. »Weißt du auch, was uns in diesem Bergwerk erwarten wird?« Albanarius sah den Kobold grimmig an und gab dann verärgert seine Antwort. »Woher, zum Donnerwetter, soll ich das wissen? Ich war ja noch nicht in diesem Bergwerk drin. Frag nicht weiter und sei leise. Wir werden bald herausbekommen, was es mit Gallbarts Schatzversteck auf sich hat.«

Bebo schüttelte nur den Kopf und dachte sich seinen Teil. Es gab doch immer wieder jemanden, der einen armen Kobold wie ihn, in ein gefährliches Abenteuer verwickelte. Der Kobold sollte bald merken, wie Recht er mit diesem Gedanken hatte.

Schon kurze Zeit später gingen tatsächlich drei Zwerge zum kleinen Berg und schauten nach etwas bestimmten. Als sie weg waren, kamen Albanarius und Bebo hinter ihren Büschen hervor. Sie nickten sich zu und schlichen zum Eingang des Bergwerkes. Ein kleines eisernes Tor, mit einem verwitterten Wappen darauf, versperrte ihnen den Weg. Ein Schloss war nicht zu erkennen, so sehr die beiden auch danach suchten.

Albanarius klopfte das Tor ab und lauschte dem Klang seiner Mühen. Bebo sah ihm mit verschränkten Armen zu und grinste. Dann gab er dem Zauberer einen Tipp. »Ich würde es ja mal mit Magie probieren. Das ist aber nur so eine Idee von mir.«

Albanarius hörte auf zu klopfen und sah zu Bebo. »Mein kleiner Freund, dass habe ich mir auch schon gedacht. Doch die normalen Zaubersprüche würden hier versagen. Dieses Tor ist besonders gut gesichert. Doch keine Angst, gleich hab ich es auf meine Weise aufgemacht. In der letzten Nacht hatten wir Vollmond und da habe ich etwas Seltenes gefangen, was ich jetzt freilassen kann.«

Der Zauberer stellte sich vor das Tor und pustete einen feinen magischen Nebel aus seinem Mund. Der schwebte geradewegs zum Tor und bildete ein dunkles Loch darin. Staunend sah Bebo sich die Sache an. Dann stieg er durch das Loch und sah sich um. Albanarius folgte ihm sogleich und das Loch im Tor verschwand wieder.

Der Zauberer entzündete eine Fackel und leuchtete vor sich hin. Vor ihnen war ein düsterer Gang. Den hatten die Zwerge einst mit groben Holzpfählen und dicken Bohlen abgestützt. Er führte schräg nach unten und ein Ende war im Fackelschein nicht zu erkennen.

Albanarius drehte sich zu Bebo um. »Da müssen wir wohl oder übel hinabgehen. Aber ganz vorsichtig. Hoffentlich haben die Zwerge hier kein Labyrinth gebaut. Ich hasse Labyrinthe.«

Bebo entzündete sich jetzt ebenfalls eine Fackel und ging kopfschüttelnd voran. Dabei sah er sich aufmerksam die Wände und die Decke des Ganges an. Aber es passierte zunächst nichts. Dann kamen die beiden jedoch in einen kreisrunden Raum. Seine Wände waren mit Felssteinen gemauert und absolut glatt. Hinter ihnen verschloss eine Steinplatte plötzlich den Rückweg. Krachend fiel sie zu Boden. In der Mitte des Raumes fuhr eine Säule aus dem Boden und stieß gegen die Decke. Jetzt begriffen die beiden, was hier vor sich ging.

Der Raum senkte sich sehr schnell ab und drehte sich dabei. Albanarius wurde als Erstem schwindelig, er musste sich auf den Boden setzen. Bebo hockte sich ebenfalls hin. Mit einem Poltern und Krachen war die Fahrt plötzlich zu Ende und alles stand still. Die beiden sahen sich um und entdeckten an der Säule mehrere kleine Löcher. Sie bildeten einen Kreis. Bebo zählte sie und sah zu Albanarius. »Neun kleine Löcher, das ist alles, was es hier zu finden gibt. Oder hast du noch etwas entdeckt?«

Albanarius sah sich die Löcher an, dann winkte er ab. »Ich klopfe mal die Wände ab, und wenn ich einen Hohlraum oder etwas Ähnliches finde, dann gehen wir durch die Wand.«

Doch Albanarius konnte an den Wänden klopfen, soviel er wollte. Er fand keinen Gang dahinter. Langsam merkten die beiden, dass sie in einer Falle saßen. Bebo beschäftigte sich mit den neun Löchern in der Säule. Er hatte einen kleinen Stab bei sich. Den steckte er in jedes Loch hinein und bekam so ganz schnell heraus, dass sie unterschiedlich tief waren.

Albanarius sah sie sich auch an und ihm fiel sogleich etwas dazu ein. »Warte Bebo, das ist eine Art Schloss. Bei meinem letzten Besuch in Gallbarts Haus habe ich einen Zwerg mit einer seltsamen Scheibe hantieren sehn. Er gab sie Gallbart und der steckte das komische Ding schnell weg.«

Bebo war mit einem Mal hellwach und seine Augenbrauen zogen sich zusammen. »Was für eine Scheibe meinst du? Sag mir, wie das Ding aussah.« Albanarius kraulte sich den langen Bart und dachte nach. Dann zeichnete er mit einem Stöckchen etwas in den Staub auf den Boden. »Die Scheibe war kreisrund und hatte drei kleine Stifte. So sah sie aus.«

Bebo betrachtete sich die Zeichnung und nickte zufrieden. »Das haben wir gleich. Ich bau uns den Schlüssel nach.« Er sah sich noch einmal die Löcher in der Säule genau an und holte aus seinem Beutel einen polierten Bronzespiegel. Dann begann er mit einigen magischen Beschwörungen die Form der Bronze zu verändern, bis sie eine runde Platte mit drei Stiften am Rand ergab. Bebo legte die Platte auf den Lochkreis und drehte sie nach rechts. Doch auf einmal senkte sich die Decke mit viel Getöse langsam herab.

Albanarius war erschrocken. Laut rief er Bebo zu. »Dreh das Ding in die andere Richtung, oder sind wir beide tot!«

Bebo drehte die Platte nach links. Die Decke hielt an und hob sich wieder. Albanarius atmete erleichtert auf. Doch jetzt hob sich der Raum wieder und fuhr langsam kreisend in die Höhe. Dann stand er wieder still und ein weiterer Gang war zu sehen. Vorsichtig leuchteten sie hinein und konnten nichts Ungewöhnliches erkennen. Albanarius atmete tief durch und ging als Erster in den Gang. Bebo folgte ihm mit klopfendem Herzen.

Schon nach wenigen Schritten kamen sie an ihr Ziel. Vor ihnen tauchte aus der Dunkelheit ein großer Raum auf. Was sie nun betraten, war König Gallbarts Schatzversteck. Hier standen Truhen mit Gold und Juwelen in Hülle und Fülle. Säcke voller Goldmünzen lagen herum und am anderen Ende stand Albanarius eiserne Truhe.

Bebo entdeckte in dem ganzen Durcheinander der Schätze einen riesigen roten Edelstein. »Na sieh dir mal diesen Brocken an, Albanarius«, rief der Kobold. »Dieser Stein muss der Feuerrubin der Achanten sein. Artur hat mir erzählt, dass eine Beschreibung in seinen Büchern steht. Er soll Fewur heißen und unbeherrschbar sein. Ich hätte nicht gedacht, dass wir dieses schöne Stück hier finden werden.«

Noch bevor Albanarius reagieren konnte, hatte Bebo ihn schon in den Händen. Albanarius rief Bebo zu. »Leg ihn zurück, bei allen Mächten dieser Welt, leg ihn zurück!«

Doch es war schon zu spät. Sieben rote Krieger standen im Raum und blitzen mit den Augen. Der Zauberer knurrte Bebo leise zu. »Jetzt zeig mal, was du kannst, du einfältiger Narr. Hoffentlich kannst du dich deiner Haut gegen diese Krieger erwehren.«

Aber die Krieger standen still da und bewegten sich nicht. Den Rubin in beiden Händen haltend näherte sich Bebo ihnen und sprach sie leise an. »Ich wollte euch nicht erwecken. Seid mir nicht böse gesonnen.«

Der Kobold sah sich die Krieger von allen Seiten an. »Ihr seht ja aus, als hätte euch jemand aus Glas gemacht.« Die sieben Krieger rührten sich nicht vom Fleck. Da wollte er den Rubin schon wieder an seinen Platz zurücklegen. Doch jetzt zogen die Krieger ihre Schwerter.

Sofort rief Albanarius wieder. »Behalt den Stein ja in deinen Händen. Ich glaube, wenn du ihn ablegst, fallen die über uns her. Also mach bitte, was ich dir sage. Wenn ich meine Truhe öffnen kann, sind wir hier sicher.«

Schritt für Schritt wich der Zauberer rückwärts zu seiner Truhe zurück und drehte sich vorsichtig um. Er legte beide Hände auf ihren Deckel und murmelte schnell eine Beschwörung. Die Truhe sprang mit einem quietschenden Geräusch auf.

Schnell nahm Albanarius einen Zauberstab heraus und richtete sich zu voller Größe auf. Dann sprach er ganz laut. »Jetzt, mein Freund Bebo, jetzt zeige ich dir, was ein wahrer Zirkelmagier und Nekromant ist! Unsterblichkeit durch immer fortwährende Wiedergeburt, das ist mir gegeben worden. Und genau das will unser Feind Dämonicon haben. Doch mit diesem Zauberstab werde ich uns beide und die Truhe beschützen. Leg jetzt den Rubin beiseite. Den Rest erledige ich.«

Bebo tat, wie Albanarius von ihm verlangte, doch die Krieger steckten nur ihre Schwerter wieder ein und taten nichts. Albanarius war erstaunt, er sah sich diese roten Kerle genauer an. Einen berührte er nur leicht. Da fielen alle sieben Krieger in sich zusammen und lösten sich auf.

Der Zauberer und der Kobold sahen sich verwundert an. Bebo nahm den Rubin erneut in die Hände und die Krieger waren wieder da. Albanarius berührte einen, und alle zogen ihre Schwerter. Doch als Bebo den Rubin wieder zurücklegte, lösten sich die Krieger wieder auf. Der Zauberer warf ein Tuch über den Rubin und steckte ihn in seine Truhe.

Hastig verschloss er sie wieder mit Magie und wendete sich zu Bebo. »Die Truhe wird uns jetzt folgen wie ein Hund. Und deinen Rubin werden wir untersuchen, wenn wir Zeit dafür haben. Jetzt sollten wir hier erstmal verschwinden.«

Da stimmte Bebo sofort zu. »Das ist die beste Idee, die ich heute von dir gehört habe. Am allerbesten wird es sein, wir fliegen zum Steinbruch von Garend. Die Jagd nach den Lumichs sollten wir erstmal den Zwergen überlassen.«

Albanarius gab seiner Truhe einen Wink und sie schwebte in der Luft. Er ging ein Stück in den Gang und Bebo sah, wie die Truhe ihrem Herrn folgte. Der Zauberer gelangte wieder in den runden Raum und seine Truhe schwebte neben ihm.

Bebo sah sich die Säule im Raum an. Sein Schlüssel steckte immer noch. Doch er hatte keine Ahnung, was er jetzt machen sollte. Fragend sah er Albanarius an. »Wie soll ich ihn jetzt drehen? Nach rechts oder lieber nach links?«

Albanarius Augenbrauen zogen sich zusammen. Seine Stirnfalten verrieten deutlich, dass er angestrengt nachdachte. Dabei strich er sich über seinen Bart und rückte seine kleine Kappe auf dem Kopf zurecht. Dann faste er einen Entschluss. »Bebo, mein Freund, zieh die Platte einfach mal raus. Sollte etwas schief gehen, werde ich uns mit meinem Zauberstab beschützen.«

Dem Kobold war trotzdem ganz schön flau in der Magengegend. Aber er zog die Platte heraus. Zunächst passierte nichts. Der Kobold und der Zauberer sahen sich fragend an und Bebo wollte die Platte schon wieder auf den Lochkreis in die Säule stecken. Doch plötzlich sackte der Raum in die Tiefe. Das ging so schnell, dass die beiden kurz in der Luft schwebten und hart auf den Boden prallten, als der Raum genau so plötzlich wieder anhielt.

Fluchend und jammernd erhoben sie sich. Der Staub war vom Boden aufgewirbelt worden und schwebte in der Luft. Er löste beim Zauberer wie beim Kobold gleichermaßen einen ordentlichen Husten aus. Beim letzten Schein der erlöschenden Fackeln sahen sie einen weiteren Gang.

Bebo zog ein Tuch aus seinem Beutel und schnäuzte sich. Dann zeigte er auf den Gang. »Ich hoffe doch sehr, dass wir dort einen Ausgang haben. Sonst werde ich echt sauer und dann grabe ich mir einen Weg ins Freie. Ich bin nicht um sonnst Bebo der Bergboss!«

Albanarius hob beschwichtigend die Hände. »Ich weiß, es war mein Fehler. Die Platte hätte wohl doch in der Säule bleiben müssen. Aber wer konnte denn ahnen, dass Gallbart sein Schatzversteck so raffiniert schützt? Diese Zwerge sind noch hinterlistiger als ich dachte. Wir werden wohl durch diesen Gang gehen müssen. Ich werde uns mit meinem Zauberstab den Weg beleuchten. Dann sehen wir wenigstens, wo uns dieser Gang hinführt.«

Wieder ging Albanarius voraus und seine Kiste folgte ihm. Bebo sah sich noch einmal um und lief dem Zauberer hinterher. Der Gang führte zunächst nach oben, und als die beiden schon dachten, der Ausgang sei schon ganz nah und es gäbe jetzt keine weiteren bösen Überraschungen mehr, da kamen sie wieder im Schatzversteck an. Völlig überrascht drehten sie sich nach allen Seiten um und konnten es nicht glauben.

Albanarius verlor fast die Beherrschung. Dann verschloss sich auch noch der Weg hinter ihnen mit einer schweren Steinplatte und alle beide saßen endgültig in der Falle.

Der Zauberer fluchte los. »Das kann doch alles nicht war sein! Dieser verdammte Zwergenkönig hat uns gefangen! Alle Gänge sind verschlossen und wir haben keinen Plan von diesem Bergwerk!«

Wild fuchtelnd leuchtete der Zauberer mit seinem Zauberstab mal hierhin und mal da hin. Doch es gab keinen weiteren Ausgang zu entdecken. Bebo griff den Zauberer am Ärmel seines Mantels und versuchte ihn zu beruhigen. »Jetzt lauf hier nicht so wild herum, das bringt uns gar nichts ein. Wir setzen uns hier hin und überlegen was wir falsch gemacht haben. Es gibt für alles eine Lösung. Bestimmt haben wir etwas übersehen.«

Sie setzten sich beide auf Albanarius Kiste und für ein kurzes Weilchen fiel kein einziges Wort. Albanarius ging in Gedanken noch einmal das Geschehen seid ihrem Eindringen in das Bergwerk durch. Bebo beschäftigte sich dagegen mit dem Schatzversteck, in dem sie beide festsaßen. Sein Blick schweifte über einen dicken Sack mit Goldmünzen und ruhte daneben auf einer Stelle. Dort war im Boden so etwas wie ein Steinkreis eingelassen worden. Der Kobold sprang von der Kiste und sah sich den Kreis genauer an. Erst berührte er ihn mir den Händen, dann legte er sein Ohr auf den Boden und lauschte.

Albanarius sah ihm mit aufkeimender Hoffnung zu und fragte ihn sogleich. »Kannst du etwas hören? Hast du da etwas gefunden? So sprich doch mit mir.« Bebo legte einen Finger auf den Mund und stand auf. Dann grinste er über sein ganzes Gesicht. »Ich hoffe doch, deine Kiste kann schwimmen. Ich habe das Rauschen von Wasser gehört.«

Albanarius sprang auf, bückte sich und horchte selbst im Steinkreis. Dann stellte er sich vor Bebo und klopfte ihm auf die Schulter. »Mein Freund, da ist tatsächlich das Rauschen eines unterirdischen Baches zu hören. Wie bist du nur darauf gekommen?«

Bebo nahm einen großen Edelstein und sah ihn sich an. Im Licht von Albanarius Zauberstab leuchtete er in einem satten honiggelb. »Artur sagt immer, dass man nur Antworten bekommt, wenn man Fragen stellt. Die richtige Antwort bekommt man nur für die richtige Frage. Und ich habe mich gefragt, was ein Zwergenkönig macht, wenn er hier bei seinem Schatz ist und genau weiß, dass vor dem Eingang seine Feinde warten. Für einen solchen Fall muss man doch einen Notausgang haben.«

Albanarius nickte anerkennend und Bebo legte den Edelstein in die Mitte des Kreises. Dann sprach er eine Beschwörung aus. Er wiederholte sie immer wieder und da wo eben noch der Steinkreis mit dem Edelstein war, da bildete sich ein Loch. Albanarius leuchtete hinein und sah in eine dunkle Höhle. In ihr floss ein plätschernder Bach und der zeigte mit seinem Wasser die Richtung an, die der Zauberer und der Kobold jetzt einschlagen mussten.

Albanarius ließ zuerst seine Kiste durch das Loch gleiten und dann sprangen sie beide hinterher. Hinter ihnen schloss sich der Zugang wieder und sie folgten dem eiskalten Wasser. Die Höhle verengte sich nach und nach, bis nur noch ein niedriger Gang übrig war und Albanarius sich immer mehr und mehr bücken musste. Doch dann kamen sie in eine geräumige Grotte. Ihre Wände waren schwarz und selbst das Wasser schien das Licht des Zauberstabs kaum wieder zuspiegeln.

In Ihrer Mitte staute sich das Wasser zu einem kleinen See. Dann floss es weiter zur anderen Seite und verlor sich in der Dunkelheit des nächsten Ganges. Vorsichtig folgten sie diesem Gang und wieder tat sich vor ihnen eine Grotte auf. Diese war viel größer und höher. Ihren Boden bedeckte ein einziger See und die Decke erstreckte sich soweit in die Höhe, dass in ihrer Mitte ein Loch war, durch das die Sterne des nächtlichen Himmels schienen. Da war er also, der Ausgang.

Im Wasser stehend schaute Albanarius sich um und Bebo rieb sich die Hände. Er holte seine Flugschale hervor. »Sieh dir das an, Albanarius. Es ist schon Nacht und die Sterne leuchten. Kein Wunder, das mein Magen so laut knurrt.« Albanarius fiel tatsächlich ein leises Knurren auf. War Bebos Magen wirklich so deutlich zu hören? Der Zauberer sah sich noch einmal in der Grotte um und erkannte im Wasser eine Welle, die sich schnell auf sie zu bewegte. Sofort sprach er einen Zauberspruch aus und ein feuriger Blitz peitschte durch das Wasser. Mit einem fürchterlichen Brüllen hob sich ein gigantisches Ungeheuer aus dem Wasser heraus.

Bebo war zu Tode erschrocken und schrie den Zauberer an. »Albanarius, was ist das für eine Bestie?!«

Der Zauberer schob den Kobold hinter sich und rief ihm zu. »Das muss Gallbarts Wächter sein! Ein uralter Grottenschrat, aus den Tiefen der Erde herbeigerufen, nur um diese Grotte zu bewachen. Spring auf deine Schale und lass dich nicht aufhalten. Ich werde dieser Bestie hier Manieren beibringen.«

Bebo beschwor seine Flugschale und sprang sofort auf. Auch Albanarius nahm auf seiner Schale Platz. Doch der Grottenschrat war so groß, dass er ihnen den Weg nach oben zum Ausgang versperrte. Er sah aus wie eine schwarze Schlange mit kleinen Armen und einem Hundekopf mit einem großen Maul. Seine drei Augen funkelten in der Dunkelheit seiner Grotte. Deutlich waren seine langen Zähne zu erkennen. Böse knurrend sah er sich die beiden Eindringlinge an, dann hob er sich weiter in die Höhe und ein schauriges Knirschen und Knacken war zu hören. Der Grottenschrat wollte wohl seine volle Größe zeigen.

Albanarius beeindruckte das nicht. Er verstärkte mit seiner Magie das Licht seines Zauberstabs und schimpfte wütend vor sich hin. »Mitten in der Nacht einen alten Mann und einen kleinen Kobold zu erschrecken, wo gibt’s denn so was noch mal? Warte ab du Monster, gleich werde ich dich in den Abgrund zurückjagen, aus dem dich die Zwerge einst gelockt haben.«

Ein greller Blitz zuckte durch die Grotte und blendete den Grottenschrat. Er hielt sich seine kleinen Arme schützend vor die drei Augen und drehte seinen Kopf hin und her, doch er sah nichts mehr. Sein Schweif fuhr wie eine Peitsche wild durch das Wasser, aber es nützte ihm nichts.

Bebo, Albanarius und die Kiste schwebten durch das Loch in der Decke und entkamen so Gallbarts schaurigen Wächter. Schnell flogen sie hoch über die Bäume des Waldes und waren heil froh, aus dem Schatzversteck herausgekommen zu sein. Vom Osten zog bereits die morgendliche Dämmerung herauf und kündigte den neuen Tag an. Aber noch waren der Zauberer und der Kobold nicht im Steinbruch.

Sie entdecken die Straße, auf der Bebo am Tage zuvor den Kaufmannswagen gefunden hatte. Sie schlängelte sich wie ein helles Band durch den Wald. Einige Meilen folgten sie ihr, dann machte die Straße einen großen Bogen nach Westen und von diesem Bogen zweigte sich die alte Heerstraße nach Illwerin ab. Dieser Ort war vor vielen Jahrhunderten eine starke Festung und der Sitz mächtiger Könige. Jetzt war sie verfallen und wurde nur noch von Tieren und Pflanzen bewohnt.

Bebo und Albanarius bogen ab und folgten dieser Heerstraße. Zahlreiche Händler aus den östlichen Reichen der Elfen nutzten diese Straße immer noch. Sie war der günstigste Weg um nach Viedana, Krell oder zu den Zwergen zu kommen. Die Waren der Elfen waren begehrt, vor allem ihre Stoffe und ihre Ledersachen.

Die Sonne vertrieb immer mehr die Dunkelheit der Nacht und ging strahlend schön wie an jedem klaren Tag im Osten auf. Bebo und Albanarius flogen ihr beinah entgegen. Für einen Augenblick blendete sie so sehr, dass der Kobold seinen Blick ganz auf die Straße unter ihnen richtete. In diesem Augenblick sah er einen Wagen, der über die Straße raste und eine ordentliche Staubwolke aufwirbelte. Darüber regte sich Albanarius sogleich auf. »Es ist noch so früh am Morgen und dieser Krämer da unten hat nichts anderes im Kopf, als uns hier in der Höhe die Luft mit seinem Straßenstaub zu verpesten.«

Doch dann erkannten sie den Grund der Eile dieses Wagens. Es waren die Lumichs. Sie hetzten mit aller Kraft den Wagen hinterher und hatten ihn fast eingeholt. Im nächsten Augenblick sprang der erste Lumich auch schon hinten auf. Der verzweifelte Kutscher bekam einen Prankenhieb und flog im hohen Bogen vom Wagen. Er schlug auf der Straße auf und wurde von den drei Lumichs im nächsten Augenblick zerrissen. Sein Wagen mit den beiden Pferden raste noch ein Stück weiter. Die Lumichs eilten hinterher und trieben die Pferde von der Straße runter in den Wald. Dort ging es nicht weiter und die armen Tiere wurden von den Bestien zerfleischt.

Albanarius und Bebo hatten ihre Flugschalen gestoppt und sahen diese barbarische Jagd mit entsetzen. Die Lumichs waren jedoch so schnell, dass den beiden keine Zeit zum Eingreifen blieb. Unterdessen hatten die Bestien die beiden fliegenden Gestalten und ihre Kiste in der Luft bemerkt und sahen ihnen zu, wie sie eine Runde nach der anderen drehten.

Albanarius zeigte mit seinem Zauberstab auf die mordgierigen Lumichs. »Schau sie dir ruhig an. Diese drei Monster haben schon so manchen guten Kaufmann aufgefressen. Vielleicht war auch mal ab und zu ein Betrüger oder Ähnliches auf ihrer Rechnung. Doch den Tod hatten gewiss die allerwenigsten von Ihnen verdient. Diese Kreaturen sind das Werk von Irrsande. Ich wünschte mir, ich könnte den Fluch dieser alten Hexe von ihnen nehmen.«

Bebo sah nach unten und erschauerte. Er sah das Blut auf der Straße und ihm fröstelte. Kreidebleich sah er zu Albanarius. »Haben wir kein Mittel um dieses schreckliche Treiben zu beenden? Es muss doch eine Lösung geben?« In Bebo stieg der Zorn auf und er verlieh ihm wieder Farbe im Gesicht. »Was ist Albanarius, kannst du den Fluch von ihnen nehmen?!«

Der Zauberer sah etwas ratlos aus. »Ganz ehrlich, ich weiß es nicht. Die Flüche von Irrsande sind so stark, dass sie noch nie von einem anderen Zauberer gebrochen wurden. Am besten ist es, wenn wir zum Steinbruch fliegen. Dort rufe ich meine Kammer herbei. In ihr sind wir vor jedem Angriff sicher und wir können in den alten Schriften nach einer geeigneten Lösung suchen.«

Bebo sah noch einmal hinunter zur Straße. Dort liefen noch immer die drei Lumichs hin und her. Albanarius schwebte dicht neben ihm und rief. »Es hat keinen Zweck hier zu bleiben. Wir können nichts mehr tun. Lass uns zum Steinbruch fliegen.«

Bebo stimmte traurig zu und schlug mit seiner Schale die Richtung zum Steinbruch ein. Albanarius und seine Kiste folgten ihm. Einige Meilen weiter wendeten sie sich von der Heerstraße nach Norden ab und flogen über dichte Wälder. Dann tauchten die ersten Berge des Drachengebirges auf. Zwischen diesen Bergen, dort wo der Wald endete, lag eine Wiese. Sie führte nach Norden geradewegs zum Steinbruch von Garend.

Der Kobold landete vor einer alten Hütte. Nur hundert Schritte weiter begann die zerklüftete Wand des Steinbruches. Er war ein Teil eines großen Berges. Anerkennend musterte Albanarius die Hütte. »Nicht schlecht, sie ist zwar alt, aber du hast sie gut instand gehalten. Doch wir werden nicht in deiner Hütte schlafen können. Sie ist zu unsicher. Selbst ein guter Schutzbann würde nicht lange halten.«

Das wusste Bebo selbst sehr gut. Er sah nur kurz nach, ob noch alles in Ordnung war.

Albanarius stellte sich auf die Wiese, hob seine Arme, und rief laut einen Zauberspruch. Ein Rauschen war gleich darauf zu hören und ein leichter Wind kam auf.

Bebo kam aus seiner Hütte und schaute der Landung von Albanarius Kammer zu. Sanft setzte sie auf der Wiese auf und ihre Tür öffnete sich. Die Kiste des Zauberers schwebte sogleich hinein und stellte sich auf ihren alten Platz. Zufrieden lächelte Albanarius. »So ist es Recht. Jetzt ist wieder alles dort, wo es hingehört.« Er sah Bebo an und zwinkerte ihm zu. »Wir machen uns am besten erst einmal ein ordentliches Frühstück und dann lesen wir in den alten Schriften. Wir finden bestimmt etwas Brauchbares für die Lumichs. Vielleicht einen Zauberspruch oder einen Heiltrank.«

Bebo schüttelte energisch den Kopf. »Nein du alter Zauberer, wir frühstücken und dabei wirst du mir ganz genau erzählen, was es mit den Lumichs auf sich hat. Oftmals ist es so, dass genau das, was man sucht, in der Vergangenheit begraben ist. Also fangen wir mit der Vergangenheit an und du berichtest mir all das, was du vor langer Zeit erlebt hast. Und wehe dir, wenn du etwas auslässt.«

Albanarius verschränkte beide Arme und beugte sich ein wenig vor. »Na sieh mal einer an. Du willst es also ganzgenau wissen. Doch keine Angst mein kleiner Kobold. Ich spendiere dir das beste Frühstück deines Lebens und ich erzähle dir auch die ganze Geschichte über die Lumichs.«

Im nächsten Augenblick stellte der Zauberer einen Tisch und zwei Stühle auf die Wiese. Auf dem Tisch entrollte sich ein weißes Tischtuch. Frisches Brot, das noch vor Wärme dampfte, ein Napf mit Butter, eine Pfanne mit gebratenen Eiern und Speck, sowie ein großer Krug mit heißer Milch und Honig standen plötzlich darauf. Der Duft der Speisen zog den beiden in die Nasen.

Bebo ließ sich jetzt nicht mehr lange bitten. Er setzte sich auf einen der beiden Stühle und roch an der Pfanne. »Albanarius, ich sage es dir ganz ehrlich. Manchmal sind deine Zaubersprüche gar nicht so übel.«

Der Bergboss und die Königskinder: Die Abenteuer der Koboldbande (Band 3)

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