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Die Legende der Lumichs

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Es dauerte nicht lange und von dem Brot und dem Innhalt der Pfanne war nicht mehr viel übrig. Genüsslich trank Bebo die Milch mit dem zuckersüßen Honig und er tupfte sich immer wieder den Mund mit einem Tuch ab.

Albanarius leckte das letzte Stück Butter aus dem Napf und gab anschließend einen weithin vernehmbaren Rülpser von sich. Er klopfte sich auf den Bauch und belehrte Bebo. »Wenn du so lange wie ich ein Stein gewesen bist, und niemals essen oder trinken konntest, dann wird dir so ein gutes Mal am frühen Morgen als etwas Wunderbares vorkommen. Du spürst so richtig, wie es deinen Geist und deinen Körper belebt. Dagegen bist du als Stein nur ein einfaches Ding. Du spürst nicht mal den Regen auf dir.«

Bebo winkte ab und entgegnete sachlich. »Diese Geschichte habe ich schon von dir gehört. Jetzt interessiert mich nur noch eine Sache. Ich will von dir wissen, wie die Lumichs entstanden sind. Es wird Zeit, dass du mir davon ausführlich berichtest.«

Albanarius sah in den leeren Milchkrug und füllte ihn mit einer Handbewegung wieder auf. Dann holte er tief Luft und sah Bebo in die Augen. »Ich weiß, ich habe es dir versprochen. Doch es fällt mir schwer, von den Lumichs zu berichten. Ich muss zugeben, ich bin nicht ganz unschuldig an dem, was sich vor mehr als tausendzweihundert Jahren ereignete. Zu jener Zeit gab es noch sieben Zirkelmagier und der Name Dämonicon war uns kaum bekannt. Die Hexe Irrsande war damals noch eher eine weiße Zauberin. Sie war blutjung und über alle Maßen schön. Ich kannte keinen Mann im ganzen Elfenkönigreich Illwerin, der nicht ihrem Liebreiz erlegen war. Sogar Maragos, der König von Illwerin, liebte die weiße Zauberin mit seinem ganzen Herzen. Heimlich hegte er den Wunsch, sich mit ihr zu vermählen. Es war eine wunderbare Zeit und die Menschen lebten in ihren Königreichen friedlich neben den Königreichen der Elfen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was für eine Pracht in Illwerin herrschte und wie diese gigantische weiße Festung in alle Himmelsrichtungen erstrahlte. Um die Festung hatten die Elfen kleine Paläste mit Gärten und Wasserspielen angelegt. Es gab Teiche und Bäche, und in versteckten Eichenhainen flüsterten sich verliebte Pärchen heimlich zärtliche Liebesworte zu. Es war eine herrliche Zeit.«

Albanarius sah lächelnd zu dem Kobold. »Mein damaliger Herr Kunor, der König von Banda, wollte unbedingt, dass ich ihn zu einem Fest nach Illwerin begleite. Er glaubte wohl, dass ich ihm von Nutzen sein könnte. Auch seine drei Kinder hatte er zu diesem Fest mitgenommen. So um die hundert Menschen war sein Gefolge groß. Inmitten dieser vielen Diener, Hofdamen, Ratgeber und Soldaten reiste mein König in einer prachtvollen Kutsche aus Elfenbein und Gold. Er saß nicht in ihr, nein er lag in ihr auf samtenen Kissen und wertvollen Pelzen. Seine Kinder spielten mit ihm darin und oft genug musste der ganze Tross anhalten, weil die beiden Knaben und das Mädchen Blumen pflücken wollten, oder sich einen Vogel auf einem Baum ansahen. An jenem Tag dachte ich, dass diese drei Königskinder die glücklichsten Wesen in dieser Welt wären. Oh ja, ich gebe es zu, ich war töricht genug, um an das Gute in jedem Geschöpf zu glauben und mit diesem Glauben machte ich vor nichts und niemandem halt. Ich war also ein vom Glück geblendeter Narr.«

Albanarius nahm einen Schluck von der Milch und wischte sich mit dem Ärmel seines Mantels den fetten Rahm aus seinem Bart.

Bebo nutzte die Gelegenheit und fragte ihn nach den Namen der Kinder. »Weißt du auch noch, wie sie hießen, diese drei Königskinder? Oder hast du das schon vergessen?«

Der Zauberer lächelte und erzählte weiter. »Oh ja, ich weiß noch genau, wie die Kinder hießen. Das Mädchen war etwa ein Jahr älter als die beiden Knaben. Sie hieß Susiana und ihre Brüder waren Zwillinge. Basso und Dion wurden sie von ihrem Vater gerufen. Bei der Geburt der beiden Knaben starb die Königin. Das geschah in einer stürmischen Nacht. Der Regen schlug durch alle Fenster in der Burg von Banda und kein Arzt war in der Nähe. Die Zwillinge kamen so plötzlich, das der Königin kaum zeit blieb, sich hinzulegen. Ihre Hofdamen konnten ihr nicht viel helfen. Noch bevor ein heilkundiger Mann da war, kamen die Knaben zur Welt, und dann verstarb die Königin.«

Albanarius seufzte tief und erzählte weiter. »Sie hieß Diana, sie war keine zwanzig Jahre alt, als sie in jener Nacht starb. Als ich mit König Kunor am nächsten Tag von einer Reise zurückkam und ihm die schreckliche Nachricht vom Tod seiner über alles geliebten Königin überbracht wurde, da brach er vor ihrem Sterbebett zusammen. Er schwor, sich nie wieder einer Frau zu nähern. Seid diesem Tage kümmerte er sich nur noch um seine Kinder. Ihnen ließ er all seine Liebe zukommen und wann immer es seine Staatsgeschäfte zuließen, verbrachte er seine Zeit mit ihnen. So einen liebevollen Vater hatte ich bis dahin noch nicht gesehen. Und die Zeit heilte wohl auch ein gutes Stück des gebrochenen Herzens meines Königs. Die Reise nach Illwerin fand jedenfalls erst zehn Jahre nach dem Tod der Königin statt. Maragos, der Elfenkönig von Illwerin, hatte Kunor zu seinem Geburtstag eingeladen und die Kinder hatten so sehr ihrem Vater zugesetzt, dass er ihrem Drängen bereitwillig nachgab. Er konnte ihren Wünschen nie lange widerstehen. Also traten wir die Reise an. Die alte Heerstraße war zu jener Zeit besser gewesen, als sie es heute ist. Damals haben sich die Herren der Reiche noch um solche Dinge gekümmert. Es gab keine tiefen Löcher, in denen sich das Wasser sammeln konnte. So war das Reisen in prächtigen Kutschen früher ein Vergnügen. Ich ritt allerdings auf einem Pferd. Das war mir lieber und ich konnte mich besser um den königlichen Tross kümmern. Es waren immerhin zehn Kutschen und drei Dutzend Pferde mit ihren Reitern, die ich im Auge behalten musste.«

Albanarius lächelte wieder und sah zu Bebo. Dann sprach er weiter. »Da ich den König gedrängt hatte, bei Zeiten die Reise zu beginnen, kamen wir sogar ohne die geringste Verspätung in Illwerin an. Ich sage es dir gern, mein Freund Bebo, eine solche Pracht, wie ich sie an diesem Tage in Illwerin sah, hat kein König heute noch zu bieten. Das Königreich Illwerin war unermesslich reich. Alle Dächer der weißen Festung waren mit Gold gedeckt. Auf der Palaststraße vor der Festung sah man nur gut gekleidete Elfen und Menschen. Ab und zu war auch mal ein Zwerg zu sehen, oder ein Elfling. Die Elfen von Illwerin hatten sehr gute Beziehungen zu der Feenkönigin Theodora von der Stadt Bochea. Als wir die Palaststraße erreichten, und ich mir die Paläste rechts und links ansah, da war ich schon sehr beeindruckt. Doch der Anblick der großen weißen Festung überwältigte mich jedes Mal, wenn ich sie wieder sah. In den Mauern waren überall goldene Tafeln eingelassen. Sie kündeten von den ruhmreichen Taten der Elfenkönige und ihrer Heerführer. Auch war hier und da ein Standbild von einigen ihrer Helden zu sehen. Selbst ihrem König Maragos hatten die Elfen von Illwerin ein Standbild gefertigt. Sie hatten es vor dem königlichen Thronsaal aufgestellt und sie waren überaus stolz darauf.«

Albanarius unterbrach seinen Bericht und zauberte sich einen großen Krug Wein herbei. Er schenkte sich einen guten Schluck in einen Becher ein und bot Bebo einen zweiten Becher an. Der lehnte jedoch höflich ab. »Nein danke, es ist für Wein noch nicht die rechte Zeit da. Erzähl lieber weiter, sonst wirst du heute nicht mehr fertig.«

Der Zauberer trank seinen Becher aus und brachte wieder einen seiner Rülpserhervor. »Also gut, wo war ich stehen geblieben? Ach ja, bei diesem Standbild. Der König Maragos ließ es sich nicht nehmen, uns schon auf dem Platz vor seinem Thronsaal zu empfangen. Er kam meinem Herrn Kunor mit ausgestreckten Armen entgegen und umarmte, drückt und küsste ihn mit solcher überschwänglichen Liebenswürdigkeit, dass mir der Anblick dieser Begrüßung schon recht peinlich war. Doch Maragos stand bei Kunor in einer Lebensschuld. Kunor hatte Maragos einst mit seinem Heer in einer Schlacht gegen die dunklen Elfen von Villbass zur Seite gestanden und ihm das Leben gerettet. Maragos schuldete meinem Herrn ewige Dankbarkeit. Gemeinsam betraten die beiden Könige den Thronsaal und mein Herr war geblendet von all der Pracht und dem Glanz den er zu ehren des Geburtstags von Maragos sah. Auch mich beeindruckte dieser Thronsaal so sehr, dass ich beinah meinen Mund nicht mehr zu bekam.«

In Albanarius Augen konnte Bebo jetzt ein seltsames Funkeln erkennen. »In der Mitte stand ein goldener Thron auf einem Podest aus feinstem Marmor. Im Thron waren überall Rosen aus Rubinen eingearbeitet, sie glänzten im Schein der Fackeln und Kerzen blutrot. Vor diesem Thron stand eine Festtafel. Die feinsten Speisen wurden da auf goldenen Tellern gelegt und in Kristallbechern gab es den leckersten Wein. Weiter hinten im Raum standen große Säulen aus Marmor. Sie trugen die hölzernen Deckenbögen in diesem Saal. Von diesen Deckenbögen hingen die königlichen Banner herab. Auch sie kündeten von den einstigen Siegen der Elfenkönige. Doch all diese Pracht und Herrlichkeit ist nichts im Vergleich zu der Schönheit einer Frau. Die weiße Zauberin Irrsande betrat kurz nach unserer Ankunft den Saal und alle Blicke ruhten nur noch auf ihr. Sie war so schön und anmutig, dass meinem König Kunor beinah der Verstand aussetzte und ich ihm mit einem leichten Stoß in den Rücken wieder zur Erinnerung brachte, wo er sich gerade befand. Mit einem süßen Lächeln begrüßte sie meinen Herrn und dieser konnte kaum einen Blick von ihr lassen. Immer wieder trafen sich Kunors und Irrsandes Augen beim Essen und beim Trinken. Am Anfang des Gastmahls störte das Maragos wohl nicht weiter. Zu seinem Geburtstag wurden viele Trinksprüche ausgerufen. Danach plauderte Maragos munter drauf los und gab immer wieder kleine Erlebnisse zum Besten. Als aber das Mahl vorbei war und die Spielleute zum Tanz aufspielten, da brach beim Anblick meines Königs und Irrsande in Maragos Herz die Eifersucht aus. Die weiße Zauberin betrachtete der Elfenkönig als seinen kostbarsten Schatz. Auch wenn seine Lebensschuld bei König Kunor noch so groß war, Irrsande wollte er ihm nicht überlassen. Die drei ahnungslosen Kinder meines Herrn sahen ihren Vater mit der schönen Zauberin tanzen und freuten sich. Maragos wollte sich vor allen Gästen nichts anmerken lassen. Doch er betrank sich maßlos und schlief an seiner Tafel ein. Seine Diener brachten ihn in seine Gemächer und umsorgten ihn. Das Fest ließen sie bis spät in die Nacht weiter gehen. Kunor brachte seine Kinder selbst zu Bett und wollte sich dann auch schlafen legen. Doch Irrsande ließ ihn durch eine ihrer Dienerinnen ausrichten, dass sie ihn noch für einen kurzen Augenblick sprechen wollte. So trafen sich die beiden in Irrsandes Gemächern und Kunor ergab sich im Rausch des Weines ihren Liebesworten. Er blieb den Rest der Nacht bei ihr.«

Albanarius verstummte und trank einen Schluck aus seinem Becher. Dann sah er zu Bebo und sein Lächeln war verschwunden. »Am nächsten Morgen sah König Maragos meinen Herrn Kunor aus Irrsandes Schlafgemach kommen. Er war unbändig in seinem Zorn und rief seine Wachen zu sich. Diese kamen auch gleich herbei geeilt und wollten Kunor gefangen nehmen. Irrsande verhinderte das jedoch mit ihren Zauberkräften. Sie sprach für Kunor einen mächtigen Schutzbann aus. Mann nennt diesen Bann auch gern den Schwertbann. Nur sehr mächtige Zauberer können ihn aussprechen und er wirkt auch nur für einen Tag. Das war für Kunor Zeit genug, um zu gehen. Wir verließen also an diesem Morgen sofort Illwerin. Mehr als tausend Soldaten des Elfenkönigs drohten uns mit ihren Waffen, und wir mussten mit Schimpf und Schande die weiße Festung verlassen. Maragos rief Kunor in seiner Wut hinterher, dass er sein Heer binnen einer Woche versammelt hätte und dann das ganze Königreich Banda dem Erdboden gleichmachen würde. Irrsande verbannte Maragos aus seinem Reich. Er verbot ihr, es jemals wieder zu betreten. Wenn sie es aber doch tat, dann wollte er vom Zirkel der Nekromanten ihren Tod fordern. Maragos wusste sehr genau, dass seine bescheidenen magischen Fähigkeiten gegen Irrsande nutzlos waren. Wir Zirkelmagier hätten sie allerdings zu dieser Zeit noch töten können. Das glaube ich jedenfalls.«

Albanarius sah in seinen leeren Weinbecher und goss sich erneut von dem edlen Tropfen ein. Dann sah er zu Bebo. »Irrsande war damals mit ihren Zauberkräften so stark, wie Artur es jetzt ist. Dein Bruder hat jedoch einen ganz anderen Charakter. Er kann sich beherrschen und zieht beim Nachdenken die Logik der Wut vor. Irrsande war da etwas anders in ihrem Wesen. Sie war leidenschaftlich und temperamentvoll, wie alle schönen Elfenfrauen. Sie war über Maragos Eifersucht und ihre Verbannung aus dem Reich sehr erbost. Trotzdem versuchte sie Maragos zu erklären, dass er nicht das Recht hätte, ihre Liebe einzufordern. Er dürfe von ihr nicht verlangen, was sie ihm nicht geben könnte. Als alles Zureden jedoch nichts half und Maragos bei seinem Urteil blieb, da packte sie die Dinge zusammen, die ihr am wichtigsten waren. Sie folgte Kunor und holte ihn am frühen Nachmittag mit einer kleinen Kutsche ein. Offenbar glaubte sie, dass Kunor sie jetzt bei sich aufnehmen würde. Doch der hatte Angst um sein Reich und seine Kinder. Er flehte Irrsande an, von seinem Land fern zu bleiben und die letzte Nacht zu vergessen. Irrsande war so fassungslos, dass sie Kunor mit weit aufgerissenen Augen ansah und zunächst gar nichts sagte. Doch dann weinte sie bittere Tränen und nahm mit ihrer Kutsche einen anderen Weg. Mir tat die weiße Zauberin leid und ich wollte ihr helfen. Ich eilte ihr nach und gab ihr ein Amulett. Es verlieh ihr die Zauberkraft, aus einer kleinen hölzernen Schale eine Flugschale zu machen und mit ihr zu fliegen. Damit sollte sie bei Gefahr bösen Mächten entkommen können. An diesem Tag hatte ich alter Narr ja keine Ahnung, was diese Zauberin schon alles über die Magie wusste. Ich hätte ihr dieses Amulett nie geben dürfen.«

Die Mine des Zauberers verfinsterte sich und er erzählte weiter. »Kunor hatte seinen Kutschern befohlen, die Pferde nicht zu schonen. Er wollte so schnell wie möglich sein Heer versammeln und Maragos zuvor kommen. Mein König wusste genau, dass er das Elfenreich und alle seine Verbündeten nur besiegen konnte, wenn er als Erster den Angriff wagte. Doch er musste den günstigsten Zeitpunkt kennen. Deshalb war er in größter Eile. Mich schickte er mit meiner Flugschale nach Banda. Dort sollte ich sein Heer zusammenrufen. Doch so ein Heer kommt nicht an einem einzigen Tag zusammen und Banda war ein großes Reich. Die Herolde brauchten vier Tage, um in jeden Winkel von Banda die Männer zu den Waffen zu rufen. Am fünften Tag nach der eiligen Rückkehr meines Herrn Kunor zogen wir mit mehreren zehntausend Soldaten zur Grenze von Illwerin. Unterwegs bekamen wir von unseren besten Spähern die Nachricht, dass sich Maragos mit seinen einstigen Todfeinden, den dunklen Elfen von der Insel Villbass verbündet hatte. Mit Gold und Edelsteinen hatte er ihrem König Vagho den Treueschwur abgekauft.«

Bebo sprang von seinem Stuhl auf und rief sofort. »Was sagt du da?! Vagho war einst der König der Insel Villbass?! Das kann ich nicht glauben! Vagho ist doch ein Dieb, ein Mörder und vor allem ein Schattenalp!«

Albanarius trank seinen Becher aus und schenkte sich den Wein wieder ein. Dann sah er den aufgebrachten Kobold an und nickte. »Ja, da staunst du, doch es stimmt ganz genau. Vagho war einst ein König der dunklen Elfen von Villbass. Damals war er aber noch kein Schattenalp. Er war jung und glaubte noch an die neutrale Seite seiner eigenen Magie. Doch er war schon immer gierig nach Schätzen und er ließ sich seine Kriegsdienste nur all zu gern teuer bezahlen. Mit seinem großen Heer lauerte er auf seiner Insel und er nutzte jede Gelegenheit, um mit seiner Flotte seine wilden Kriegshorden an fremde Küsten zu bringen, nur um dann schnell und sicher einen Raubzug zu unternehmen. Dafür waren die dunklen Elfen von Villbass gefürchtet.«

Bebo trank einen Schluck Milch und Albanarius nahm einen ordentlichen Schluck von seinem Wein. Dann erzählte er weiter. »Auch Irrsande hatte von diesem Bündnis gehört und sie flog mit ihrer Flugschale zu Kunors Heerlager. Der König hatte mit seinem Heer die Grenze bereits erreicht und Irrsande wollte ihn unbedingt warnen. An diesem Tage liebte sie ihn immer noch. Doch Kunor wies sie wieder ab. Er schrie sie an, sie hätte mit ihren Verführungskünsten die Freundschaft zwischen ihm und Maragos zerstört und beide Reiche mit all ihren Verbündeten in einen verfluchten Krieg getrieben. Damit gab er ihr die Schuld und nicht dem eifersüchtigen und jähzornigen Maragos. Aber Kunor tat noch Schlimmeres.«

Albanarius sah traurig mit in seinen Weinbecher. Er holte tief Luft und stellte den Becher krachend auf den Tisch. »Er packte sie und stieß sie nieder!«, rief der Nekromant und er spürte, wie der Zorn in ihm aufstieg.

Etwas leiser fuhr Albaron mit seiner Erzählung fort. »Dann schrie er Irrsande wieder an. Sie sollte für immer verschwinden und auch sein Reich nie wieder betreten. Kunor hatte große Angst vor dem, was er in jener Nacht in Illwerin für diese Zauberin empfunden hatte. Mit seiner Angst vor seinen eigenen Gefühlen hatte er aber auch Irrsandes Liebe in Hass verwandelt. Sie stand auf und sah meinen Herrn mit einem eisigen Blick an. Dann bestieg sie ihre Flugschale und flog ohne ein Wort davon. Ich war dabei, als das alles geschah, und ich hatte eine schreckliche Vorahnung. Doch auf mich wollte Kunor nicht mehr anhören. Er war auf sich und seine eigene Angst so wütend, dass er mit seinem Heer sofort aufbrach und die Grenze nach Illwerin überschritt. Damit kam er allerdings Maragos zuvor und er überraschte ihn in seiner Festung. Fast die Hälfte von Maragos Heer war noch auf dem Weg zur weißen Festung und Kunors Angriff war so heftig, dass Maragos mit seinen unterlegenen Soldaten nicht standhalten konnte. Schon damals wussten die Kriegsherren mit Katapulten und Sturmleitern umzugehen. Die Soldaten meines Königs drangen schon beim ersten Sturmangriff in die Festung und alle Paläste der Elfen ein. Es war keine Schlacht, nein, es war ein grausames Gemetzel. Im großen Thronsaal trafen die beiden Könige aufeinander und fochten ihren eigenen Zweikampf aus. Keiner wagte es, sich in diesen Kampf einzumischen. Kunor war ein furchtbarer Krieger. Schon in seiner frühesten Jugend hatte sein Vater ihn gegen seine besten Soldaten kämpfen lassen. Seine Kraft und seine Erfahrung setzte er im Zweikampf gegen Maragos bedingungslos ein. Der war kleiner und schmächtiger. Seine Kräfte versagten eher und Kunor warf Maragos zu Boden. Beim Aufprall verlor Maragos sein Schwert und er sah Kunor an. Der schwang sein Schwert über seinen Kopf und wollte Maragos im nächsten Augenblick töten. Doch da kam Irrsande mit einem Bogen in ihren Händen auf dem goldenen Schild eines gefallenen Elfenkriegers angeflogen und schoss Kunor einen vergifteten Pfeil in die Brust. Mein König ließ sein Schwert fallen, und noch bevor er auf den Boden fiel, fing ich ihn auf. Irrsande sprang vom Schild und lief zu mir und Kunor. Dann sagte sie etwas zu mir und ich werde ihre Worte nie vergessen. Sie fragte mich, warum ich meinem Herrn nie beigebracht habe, dass ein König keinen anderen König töten darf.«

Der Zauberer seufzte und goss sich seinen Becher wieder voll. »Kunors Soldaten sahen entsetzt zu mir und ihrem König und wollten schon Irrsande angreifen. Doch die Zauberin stieg auf ihren Kriegsschild und flog durch den Thronsaal. Dann rief sie uns allen etwas zu und ich höre noch heute ihre Worte.«

Der Nekromant trank einen Schluck und die Mine des Koboldes verfinsterte sich immer mehr, als er weiter sprach. »Euer Krieg ist sinnlos, hat sie laut gerufen. Ihr habt euch selbst zerstört. Doch das ist noch nicht genug. Ich habe erfahren, was der Hass für eine mächtige Waffe ist. Mit meinem Hass habe ich neue Zauberkräfte bekommen. Damit konnte ich die Stadt Banda in Schutt und Asche legen. In den Ruinen verzieht sich gerade der letzte Rauch und die Kinder des edlen Königs Kunor ziehen einsam und verlassen durch den Wald. Irrsande flog mit ihrem Schild auf mich zu und blieb vor mir in der Luft stehen. Jetzt erst sah ich, dass sie sich verändert hatte. Sie hatte ihre weiße Schönheit aufgegeben und wurde langsam zu einer schwarzen Hexe. Ich konnte deutlich den Ruck spüren, der durch die Magie jener Zeit ging und ich sage es dir, mein Freund Bebo, das gab mir einen fürchterlichen Stich ins Herz. Irrsande stand auf ihrem Schild und lachte mit einer eisigen Kälte, die man nur selten spürt. Dann rief sie mir und dem sterbenden König etwas Furchtbares zu.«

Albaron drehte den Becher in seinen Händen und sah zu dem Kobold. »Ihre Worte waren unheimlich und ich habe einen Augenblick gebraucht, um sie zu begreifen. Die Kinder würden durch die Wälder des Tieflandes irren und es wäre sehr gefährlich, dort im Wald. Doch nicht die Kinder seien in Gefahr. Nein, es wären alle die, die ihnen begegnen.«

Bebo lauschte mit offenem Mund und Albaron nickte ihm zu. »Kunor, der immer noch in meinen Armen lag, sah zu Irrsande und fragte sie mit letzter Kraft, was sie den Kindern angetan hätte. Doch Irrsande lachte wieder und sprach, bevor sie mit ihrem Schild aus dem Thronsaal flog: »Ich habe ihnen etwas genommen und ich habe ihnen etwas gegeben. Jetzt sind sie Mensch, Wolf und Katze in einem. Sie sind Lumichs! Wer sie tötet, der erleidet ihr Schicksal. Doch das werdet ihr wohl kaum tun, denn der junge König Vagho kommt morgen schon mit seinem Heer hier in Illwerin an.«

Bebo zog die Morgenluft vernehmlich durch seine Nase und sprang auf. »Du hättest ihr das Amulett nie geben dürfen!«

Der Zauberer nickte und fuhr mit seiner Erzählung fort. »In diesem Augenblick sah ich die Zauberin zum letzten Mal als Elfe. Viele Jahre später traf ich sie als schwarze Hexe wieder. Sie flog davon und ich wünschte mir mein Amulett zurück. Seit dem habe ich nie wieder einen magischen Gegenstand einer schönen Elfenfrau geschenkt. Die zahlreichen Pfeile der Soldaten konnten ihr nichts anhaben und ich konnte meinen König Kunor nicht helfen. Das Gift fraß sein Herz auf und er starb in meinen Armen. Es wurde ganz still und ich sah zu Maragos. Dem Elfenkönig liefen die Tränen über die Wangen und er kniete vor mir und meinem toten Herrn nieder.«

Bebo setzte sich und rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Dann sprang er wieder auf und rief. »Jetzt brauche ich doch einen großen Schluck Wein. Was du mir hier erzählst, ist ja so traurig, das geht mir richtig zu Herzen.«

Albanarius goss dem Kobold einen Becher ein und reichte ihm das edle Getränk. »Lass ihn dir schmecken und höre dir noch den Rest an. Also, wie der König Maragos da so kniete und weinte, fragte er mich, was er jetzt tun sollte. Er hätte mit seiner Eifersucht seinen besten Freund getötet und beide Königreiche in einen Abgrund gestürzt. Ich sah die Soldaten in ihren blutigen Rüstungen an und gab ihnen den einzigen Befehl, den ich noch für sinnvoll hielt. Sie sollten in der weißen Festung und in den Palästen alle wertvollen Dinge zusammensuchen, auf Pferdewagen und Ochsenkarren laden und tief im Drachengebirge irgendwo verstecken. Vagho und seine dunklen Elfen sollten nichts vorfinden, was ihnen gefallen könnte. Mit lehren Händen sollten sie nach Hause ziehen. Die wenigen Elfen, die den Angriff überlebt hatten, und die Soldaten von Banda packten alles Gold, Silber und Edelsteine zusammen. Sogar von den Dächern der Festung wurden die goldenen Dachplatten geholt und verladen. Mitten in der Nacht kam die zweite Hälfte des Elfenheeres an. Maragos wollte die Waagen mit ihrer wertvollen Ladung schützen und sein Volk in Sicherheit bringen. Deshalb schlug ich ihm vor, Vagho die Festung zu überlassen. Er hätte sie niemals verteidigen können.«

»Und was habt ihr dann getan?«, fragte der Kobold.

Albanarius strich über seinen Bart und erzählte weiter. »Nun mein Freund, wir wollten uns mit allen Soldaten von Banda und Illwerin in einen Hinterhalt legen. Dort, wo die Straße über den östlichen Pass in das Drachengebirge führt, dort wollten wir Vaghos Heer hinlocken und vernichten. Aber kaum waren die letzten Elfen und Menschen aus Illwerin heraus, da hörten wir auch schon die Trommeln der dunklen Elfen. Sie kamen schneller voran, als wir angenommen hatten und wir mussten uns ihnen am frühen Morgen auf den Feldern vor Illwerin zur Schlacht stellen. Vagho hatte schnell erkannt, dass die Menschen von Banda und die Elfen von Illwerin sich gemeinsam gegen ihn stellten. Mitten auf den Feldern traf er sich mit Maragos und mir zu einer letzten Verhandlung. Er nannte Maragos einen Verräter und einen törichten Narren, der nicht wissen würde, was er wollte. Dann verlangte Vagho alles Gold von Illwerin. Dafür wollte er uns unbehelligt ziehen lassen. Doch Maragos lehnte Vaghos Forderungen ab und so kam es zur Schlacht. Die Zahl der dunklen Elfen war mehr als doppelt so hoch wie unsere. Ich setzte alle meine Zauberkünste ein, doch die dunklen Elfen waren erfahrene Krieger. Ihr Angriff war gewaltig und ihre Führer waren listenreich.«

Albanarius trank seinen Becher aus und sah in den leeren Weinkrug. Er drehte ihn um und sprach fast nur zu sich selbst. »Oh, ist er schon wieder leer? Da muss ich wohl noch einmal nachfüllen. Sonnst verdursten wir.« Mit einer kleinen Handbewegung füllte der Zauberer ihn wieder.

Bebo wurde ärgerlich. Er wollte jetzt das Ende von Albanarius Erzählung wissen. Deshalb nahm er dem Zauberer den vollen Weinkrug aus den Händen und stellte ihn auf seine Seite des Tisches. »Dieses Tröpfchen bekommst du, wenn du fertig bist. Also erzähl schnell weiter.«

Albanarius seufzte und sprach. »Was soll ich da noch sagen. Vagho war uns in der Schlacht überlegen. Seine Bogenschützen schossen große Lücken in unsere Reihen und seine Krieger waren im Nahkampf mit unseren Soldaten gleich stark. Auf diesen Feldern bei Illwerin kämpften wir gegen eine zu große Übermacht. Maragos wurde mehrfach verwundet und starb noch auf dem Schlachtfeld. Kein einziger Soldat von Banda und nur drei Elfen von Illwerin haben das Schlachtfeld lebend verlassen. Ich konnte mit meiner Flugschale entkommen und musste mir in der folgenden Nacht einen Pfeil aus der linken Schulter ziehen. Er war mit dunkler Magie geladen, damit er sein Ziel besser findet. Drei Tage habe ich mich versteckt und mit dem Tode gerungen. Doch dann erlosch die giftige Wirkung der dunklen Magie in meiner Schulter und ich suchte nach den Waagen mit dem Gold der Elfen. Kurz vor dem östlichen Pass verloren sich ihre Spuren und ich suchte vergeblich nach Hinweisen oder ihren Begleitern. Bis heute weiß ich nicht, was aus dem Gold der Elfen geworden ist. Dafür habe ich von Vagho noch etwas gehört.«

Albaron sah mit sehnsüchtigem Blick zu dem Weinkrug, doch der Kobold schüttelte den Kopf. So musste der Zauberer mit trockener Kehle weiter erzählen. »Auch Vagho hat versucht, die Waagen mit dem Gold zu finden. Doch er war ebenso erfolglos wie ich. Deshalb haben sich seine Generäle und ihre Krieger bei ihrer ruhmlosen Rückkehr gegen ihn erhoben und einen neuen König gewählt. Er musste von seiner Insel fliehen und konnte erst nach einigen Hundert Jahren zurückkehren. Doch da hatte er sich schon zu einem gefährlichen Schattenalp gewandelt und ich selbst wurde der erste Magier des Zirkels. Um die Lumichs konnte ich mich damals nicht weiter kümmern. Dämonicon war für uns zu einem weitaus gefährlicheren Gegner herangewachsen. Einen Zirkelmagier nach dem anderen hat er vernichtet. Ich war der letzte Nekromant, der mit ihm kämpfte und auch ich habe gegen ihn verloren. Doch unsere Kammer hat er nie bekommen.«

Bebo goss sich und dem Zauberer einen ordentlichen Schluck Wein in die Becher und trank. Dann hatte er noch eine wichtige Frage. »Und wie soll es jetzt weitergehen?«

Albanarius stellte seinen Becher auf den Tisch und deutete auf seine Kammer. »Wir werden jetzt in diese Kammer gehen und in den alten Schriften lesen. Mal sehen, ob sich nicht doch etwas Brauchbares findet.«

Der Bergboss und die Königskinder: Die Abenteuer der Koboldbande (Band 3)

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