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Orbins Auferstehung

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Die Kälte des nahenden Winters hatte das Drachengebirge erobert. Der Nordwind fuhr mit seinem frostigen Atem durch die Täler und ließ alles Wasser zu Eis erstarren. Es schneite unaufhörlich und die Flocken fielen so dicht, dass ein einsamer Jäger mit seinem treuen Begleiter nur mühsam den Weg durch ein kleines Tal fand.

Dieser Jäger war Arglod, ein roter Kriegstroll. Er hatte sich und seine Familie aus all den Kämpfen der letzten Zeit herausgehalten und sich in das Drachengebirge zurückgezogen. Hier konnte er mit seinem Jagdwolf Selitos dem Wild nachstellen und die kalten Nächte in einer der vielen Höhlen des Gebirges verbringen.

Doch die Einsamkeit der Berge schützte ihn nicht vor einem alten Freund aus längst vergangenen Zeiten. Der Mönchsdämon Ihlo war für Arglod so ein alter Freund. Erst vor drei Tagen hatte er den Kriegstroll aufgesucht und ihn an eine alte Schuld erinnert. Vor vielen Jahren hatte Ihlo Arglod schwer verwundet gefunden und ihm das Leben gerettet. Der Kriegstroll war bei einem Jagdausflug in das Gebiet der Schneeland-Elfen eingedrungen und wollte einen Hirsch erlegen. Doch das Tier entkam und eine Horde Elfen griff ihn an. Aus vielen Wunden blutend entkam er ihnen und Ihlo rettete ihn vor dem sicheren Tod. Seit jenem Tag erfüllte Arglod immer wieder kleinere Aufgaben, die Ihlo ihm ab und zu aufgab.

Heute sollte er den Begräbnisplatz eines alten Hexenmeisters finden. Ihlo hatte dem Kriegstroll die Stelle genau beschrieben. Sobald Arglod diesen Platz gefunden hatte, sollte er Ihlo rufen. Doch der Schneefall ließ nicht nach und Arglod musste sich immer wieder umsehen. In dieser weißen Landschaft sah ein Baum wie der andere aus und der Kriegstroll befürchtete schon, die Orientierung verloren zu haben.

Nur sein treuer Freund Selitos half ihm, immer wieder den Weg zu finden. Arglod wollte schon rasten und auf besseres Wetter warten, da erreichte er den Stamm einer alten Nordeiche. Der Baum war so alt, dass die meisten Äste fehlten und der ausgehöhlte Stamm als Wegmarkierung diente. Nur noch wenige Schritte und er erreichte den Begräbnisplatz.

Arglod wusste nicht viel über den alten Hexenmeister. Aus irgendeinem Grund hatten ihn die Schneeland-Elfen vor vielen Hundert Jahren in der Nähe der hohlen Eiche in einem großen Tonkrug verscharrt und den Platz mit einem Bann belegt.

Als der Kriegstroll den Platz erreicht hatte, warnte ihn Selitos vor diesem Bann. Das Nackenfell des Wolfes sträubte sich und er zog sich knurrend zurück. Jetzt war es an der Zeit, den Mönchsdämon zu rufen. Arglod formte die Hände zu einem Trichter und hielt sie sich vor dem Mund. Dann rief er so laut er konnte. „Set erem Set agitor Ihlo!“

Vor dem Kriegstroll erschien der Mönchsdämon mit einem Zischen und einem kurzen Knall. Er schaute sich um und sprach zu Arglod. „Das hast du gut gemacht. Ich habe schon befürchtet, dass du den Platz heute nicht mehr findest. Doch du bist ein sehr guter Jäger und Fährtensucher. Dank dir und deinem Wolf habe ich mir viel Zeit und Mühe erspart. Jetzt werde ich versuchen, den alten Orbin aus seinem Gefängnis zu befreien. Geh ein Stück zur Seite. Dieser Orbin ist ein unberechenbarer Mann mit sehr viel schwarzer Magie. Er könnte dich und den Wolf sofort töten.“

Arglod schaute zu der flatternden Gestalt vor ihm und fragte erstaunt. „Was ist dieser Orbin für ein Wesen? Sind wir in großer Gefahr, wenn du ihn erweckst?“

Ihlo schwebte dicht vor Arglods Augen und zischte ihn an. „Mach genau das, was ich dir sage. Dann wird dir der untote Hexenmeister nichts tun. Und jetzt geh mit deinem Wolf ein Stück zurück.“

Mit einem unguten Gefühl im Magen zog der Kriegstroll seinen Wolf einige Schritte weg von Ihlo und diesem unheimlichen Begräbnisplatz. Dann sah er dem Mönchsdämon zu.

Ihlo flog über Orbins Ruhestätte und versuchte, mit einer Beschwörung den Bann der Schneeland-Elfen zu brechen. Drei schwarze Geister krochen aus der Erde und umkreisten wie Nebelschwaden den gebannten Platz. Mit einem schwachen Leuchten gab der Bann seine Kraft auf. Die Geister verschwanden und Ihlo rief Orbin aus der Tiefe seines Grabes herbei.

Arglod staunte und sein Wolf zog jaulend den Schwanz ein. Er verkroch sich hinter seinem Herrn. Ein tiefes Loch entstand und in ihm lag ein großer Tonkrug. Mit einer rostigen Kette und drei großen Schlössern war dieser Krug gut gesichert. Doch für Ihlo war das kein Problem. Er ließ den Krug aus dem Loch nach oben schweben und stellte ihn neben der alten Eiche ab.

Der Kriegstroll wagte es nicht, sich zu bewegen. Mit offenem Mund sah er Ihlo zu, wie dieser mit seiner schwarzen Magie die Schlösser öffnete, die Kette in den Schnee fiel und so den Deckel des Krugs freigab. Der Krug drehte sich dreimal im Kreis und der Deckel sprang auf. Eine Säule aus schwarzem Staub streckte sich in dem Himmel und schwebte langsam zu Boden.

Als die schwarze Staubsäule sich auflöste, ließ sie ein altes vertrocknetes Männlein in einer schwarzen Kutte zurück. In seiner rechten Hand hielt dieses Männlein einen Zauberstab. Er stand neben dem Krug und sah sich langsam um. Als er Ihlo sah, hielt er ihm den Zauberstab entgegen und fauchte ihn an. „Du bist es also, du hast mich aus meinem Grab befreit. Ich habe dich schon einmal gesehen, doch ich erinnere mich nicht, wo das war.“

Ihlo umkreiste den Krug und den Hexenmeister und sprach eine letzte Beschwörung aus. Das Männlein wurde größer und nahm seine alte Gestalt an. Ihlo sah sich sein Werk an und war zufrieden. „Wer hätte das gedacht. Nach so vielen Jahren sehe ich dich noch einmal wieder. Du bist Orbin, der schwarze Hexenmeister und damit ein Diener meines Herrn Dämonicon. Mehr sage ich dir nicht. Ich werde dich zu ihm bringen und ihm dein weiteres Schicksal anvertrauen.“

Arglod schaute verängstigt zu Ihlo und Orbin und wich langsam immer weiter zurück. Ihlo bemerkte das und ließ vor dem Kriegstroll einen Beutel Gold in den Schnee fallen. „Das soll der Lohn für deine Mühe sein. Du bist ein guter Freund. Doch gib in Zukunft mehr Acht und verwische deine Spuren. Schon bald werden die Schnee-Landelfen bemerken, dass Orbins Grab leer und ihr Bann gebrochen ist. Dann solltest du nicht in ihrer Nähe sein.“

Arglod verstand den Rat. Er hob den Beutel mit dem Gold auf und sah zu dem Mönchsdämon. „Ich werde hier verschwinden und diesen Ort nie wieder aufsuchen. Das verspreche ich dir.“ Der Kriegstroll steckte das Gold ein und lief mit seinem Wolf davon.

Jetzt war Ihlo mit Orbin allein. Er betrachtete den Hexenmeister und sprach zu ihm. „Bist du bereit für eine Reise? Oder hast du noch nicht genügend Kraft von mir bekommen?“

Orbin sah an sich herunter. Seine alte Kutte hing ihm in Fetzen am Körper und er konnte sich nicht einmal erinnern, wer er wirklich war. „Ich habe zu lange geschlafen und zu viel vergessen. Ich weiß nicht einmal ob ich vor dir und deinem Herrn Angst haben soll.“

Ihlo nickte ihm zu. „Das wirst du bald herausfinden. Dein Gedächtnis wird mit der Zeit besser werden. Doch jetzt müssen wir aufbrechen. Die Zeit drängt und dich erwartet noch eine große Aufgabe.“

Ihlo hielt Orbin seinen mächtigen Dämonenspiegel vor die Nase und ließ ihn hineinschauen. Sofort verschwanden sie und kamen an dem von Ihlo gewählten Ort an.

Dämonicon hörte ein Zischen und einen Knall. Im nächsten Augenblick stand Orbin vor ihm und der Mönchsdämon flatterte über ihnen. Mit finsterer Miene sah Dämonicon den untoten schwarzen Hexenmeister an. Er beugte sich ein Stück zudem kleineren Orbin herunter, und obwohl er leise sprach, erzitterte das Wasser im See der Grotte. „Nach so langer Zeit sehen wir uns wieder, mein alter Kampfgefährte Orbin. Die Elfen sind nicht gerade zimperlich mit dir umgegangen. Du siehst noch sehr schwach aus. Ich werde das ändern und du wirst erkennen, dass es auch seine Vorteile hat, mich zum Herrn zu haben.“

Dämonicon sah zu dem Mönchsdämon, der vor ihm flatterte. „Du kehrst jetzt zu meinem Vater Imperos zurück. Sage ihm, das Orbin für mich das Auge der Zyklopen suchen wird. Ich werde ihn für seine Aufgabe vorbereiten. Wenn ich dich brauche, werde ich dich rufen.“

Ihlo nickte nur und verschwand sofort. Jetzt war Dämonicon mit seinem alten Diener allein. Er betrachtete ihn genau und schüttelte den Kopf. Du bist der einzige Iht-Dag, der seine äußere Gestalt behalten durfte. Doch du hast zu viel von der schwarzen Magie genutzt und dich in einen untoten schwarzen Hexenmeister verwandelt. Jetzt kann dich die Sonne töten. Das ist nicht gut. Ich muss dich in den Stand der Lebenden zurück versetzen. Damit muss ich aber auch dein Dasein als Iht-Dag beenden.“

Verständnislos sah Orbin den viel größeren Dämonicon an. Er konnte sich noch immer nicht erinnern. „Ich weiß nicht, was du meist, Herr. Mein Gedächtnis spielt mir einen bösen Streich.“

In Dämonicons Gesicht war ein hinterhältiges Grinsen zu erkennen. Er zog seinen Zauberstab aus seinem Gürtel und sprach zu Orbin. „Das ist nicht weiter tragisch. Schon bald wirst du dich an dein früheres Dasein als mein Diener erinnern. Ich werde dir dabei helfen und dir dein Leben wiedergeben. Zuerst werde ich den Fluch aufheben, der dich als Iht-Dag an mich bindet. Dann hauche ich dir deine Seele ein, und wenn alles vollbracht ist, erkläre ich dir deine neue Aufgabe. Du wirst deine alten Fähigkeiten für mich nutzen und mir einen großen Dienst erweisen. Wenn du erfolgreich bist, werde ich dich reich belohnen.“

Orbin verneigte sich vor Dämonicon und sprach. „Es soll so sein, wie du es dir wünschst. Ich werde dir dienen.“

Dämonicon lachte so laut, dass das Wasser im See seine Wellen an das Ufer warf. Er streckte die Arme aus und beschwor mit seinem Zauberstab einen schwarzen Geist herauf. Der bedeckte Orbin wie einen Schleier. Dämonicon sprach eine weitere Beschwörung aus und der Geist zog sich sofort zurück.

Orbin sah erstaunt an sich herunter. In seinen Körper war das Leben zurückgekehrt und er spürte seit langer Zeit wieder seinen Herzschlag. Er reckte und streckte sich und einige seiner Erinnerungen kamen zurück. Wie ein kurzer Traum zog der Kampf mit den Schneeland-Elfen, den er vor Jahrhunderten verloren hatte, an ihm vorüber. Er sah vor sich, wie einer der Elfen ihn mit einem Blitzschlag niederstreckte und er in einen großen Tonkrug gesteckt wurde. Er hörte, wie der Elf den Bannspruch aufsagte. Der Deckel klapperte und eine Kette rasselte. Dann wurde es dunkel um ihn und seine Erinnerung erlosch, als hätte jemand eine Kerze in finsterer Nacht ausgeblasen.

Dämonicon nickte zufrieden. Er berührte mit seinem Zauberstab Orbins zerschlissene Kutte und im nächsten Augenblick trug der Hexenmeister ein neues Gewand. „Mit diesem einfachen grauen Gewand solltest du in Bochea weniger auffallen. Du wirst dich an viele deiner einstigen Fähigkeiten erinnern. Das sollte dir bei deiner neuen Aufgabe helfen. Du musst für mich in die Stadt Bochea gehen und mir einen Gegenstand bringen. Er ist sehr gefährlich, doch ich brauche ihn. Solltest du versagen, oder mich sogar hintergehen, so werde ich dich finden und aus dir wieder einen untoten Hexenmeister machen. Dann werde ich dich der Sonne opfern und deine Seele wird nie in einem Seelenreich Einlass finden.“

Dämonicon schlug Orbin mit seinem Zauberstab gegen die Brust. Von der Wucht dieses Schlages wurde Orbin einige Schritte weit weggeschleudert. Keuchend stand der Hexenmeister wieder auf und hielt Dämonicon seine Hände entgegen. „Ich habe dich verstanden, Herr. Du wirst mit mir zufrieden sein. Sag mir nur, wie der Gegenstand heißt und wie ich zu dieser Stadt gelangen kann.“

Mit finsterer Mine sah Dämonicon Orbin an. „Du bist jetzt ein einfacher Hexenmeister und stehst in meinen Diensten. Gehe immer nach Osten und suche nördlich der Steppe die alte Straße der Händler. Sie bringt dich zur Stadt Bochea. Dort gibst du dich als Reisender aus den westlichen Ländern aus. Sage jedem, dass du ein alter Kräutersammler bist. Dann wird man dich in Ruhe lassen. Sieh dich in der Stadt um und achte auf die Gespräche in den Wirtshäusern und auf dem Markt. Das kann dir helfen. Vermeide es aber, jemanden nach dem Auge der Zyklopen zu fragen. Damit machst du dich schnell verdächtig. Dieses Auge der Zyklopen ist eine fünfeckige Altartafel. In der Mitte dieser Tafel ist ein Auge aus Gold zu sehen. Bring mir die Tafel und dein Lohn ist dir sicher.“

Orbin war, als hätte er vor langer Zeit schon einmal etwas von der Stadt und der Tafel gehört. Doch eine genaue Erinnerung wollte sich in seinem Kopf nicht einstellen. Er verneigte sich vor Dämonicon und stellte noch eine letzte Frage. „Soll ich gleich aufbrechen, mein Herr?“

Dämonicon hob seinen Zauberstab und sprach. „Ja Orbin, nachdem du dich bei einem guten Mal gestärkt hast, wirst du dich auf dem Weg machen. Doch vorher werde ich mir noch deine unbedingte Ergebenheit sichern. Du bekommst von mir ein besonderes Halsband. Dieses Schmuckstück wird verhindern, dass du mir untreu wirst.“

Dämonicon streckte Orbin seinen Zauberstab entgegen. Mit einem hellen Blitz entfuhr dem Zauberstab ein lederndes Band. Es legte sich sofort um Orbins Hals und ein kleines schwarzes Wölkchen verschwand in seinem Mund.

Der Hexenmeister fiel auf die Knie und Dämonicon belehrte ihn. „Solltest du mich verraten, so wird dich dieses Halsband sofort zu mir bringen und ich werde dich bestrafen.“

Der Hexenmeister verbeugte sich dreimal vor seinem Herrn. Dann setzte er sich auf den Boden und aß, was ihn Dämonicon von seinem Erdtroll Tantara bringen ließ.

Dämonicon sah ihm zu und hielt dabei eine schwarze Flasche in seinen Händen. Immer wieder ging von ihr ein leises Klopfen aus und Dämonicon flüsterte ganz leise. „Jetzt nicht, mein Freund. Erst muss er gegangen sein. Dann lasse ich dich frei.“

Noch am selben Tag musste Orbin aufbrechen und von den Ruinen der alten Schlangenfestung nach Osten ziehen. Bewaffnet mit seinem Zauberstab und einem kleinen Beutel zum Sammeln von Kräutern, ging Orbin den alten Weg, den nur noch die Tiere des Waldes benutzten. Er sah sich noch einmal um und betrachtete von Weitem die Ruine.

Orbin wusste nicht warum. Aber ihm kam die Festung aus irgendeinem Grund bekannt vor. War er schon einmal hier gewesen? Und warum sah er in seinem Geiste eine Gruppe von Männern vor sich, die sich selbst als Achanten bezeichneten? Orbin konnte keine Erklärung in seinen verworrenen Gedanken finden. Irgendwann gab er es auf und er beschloss, sich auf den Weg zu konzentrieren. Der Hexenmeister wusste nicht, wie weit Bochea noch von ihm weg war. Doch er wanderte bis zum Beginn des Abends.

Nachdem er sich einen Platz für die Nacht gesucht hatte, entfachte er ein Feuer und trank einen Schluck Wasser von einem nahen Bächlein. Mit einem Messer schnitzte er sich einen Wanderstab. Der sollte ihm helfen, beim Wandern schneller voranzukommen.

Orbin versuchte seine Gedanken zu ordnen, doch immer wieder verschwanden die Bilder in seinem Kopf und er konnte sich nur an Bruchstücke seiner Vergangenheit erinnern. Da waren diese Männer, sie kamen auf ihm zu. Er schloss die Augen und sah sie vor sich. Einer von ihnen sagte ihm, dass sie Achanten seien. Doch dann war diese Erinnerung zu Ende und ein alter Mann mit einem gelben Mantel stand vor ihm. Er hob seine Arme in die Höhe und im nächsten Augenblick war auch diese Erinnerung zu Ende.

Erschöpft legte sich Orbin in das feuchte Gras. Trotz des Feuers war ihm kalt. Kleine Steine und Holzstücken drückten ihm in den Rücken. So etwas hatte er schon lange nicht mehr gespürt. Der Zauberstab kam Orbin in den Sinn. Er betrachtete ihn und versuchte sich an seine Eigenschaften zu erinnern. Leise flüsterte er vor sich hin. „Zwei Decken und ein Wolfsfell für den Kopf könnte ich jetzt gut gebrauchen.“

Der Zauberstab war aus schwarzem Holz und hatte einen kleinen rauchschwarzen Kristall an seiner Spitze. Er war nicht groß, doch seine Kräfte mussten gewaltig sein. Das konnte Orbin spüren. Er schwang ihn hin und her. Sofort lagen neben ihm zwei Decken und ein Wolfsfell.

Mit einem breiten Grinsen nickte Orbin. Jetzt brauchte er in der Nacht nicht mehr zu frieren. Er legte noch einmal Holz ins Feuer und begab sich dann zur Ruhe. Doch seine Gedanken kreisten immer weiter in seinem Kopf. Im Schlaf träumte er von der Schlangenfestung. Er sah sie in voller Größe vor sich. Doch einige Hände packten ihn und warfen ihn zu Boden. Er sah in die Gesichter von fremdartigen Kriegern und hörte eine Stimme. Sie kam ihm bekannt vor. Aber er konnte nicht erkennen, wer zu ihm sprach. Nur das, was gesagt wurde, hallte jetzt in seinem Kopf wieder. „Lasst ihn am Leben. Ich will einen gehorsamen Diener aus ihm machen … einen gehorsamen Diener … Diener … Diener.“

Der Klang dieser Stimme ließ Orbin aufschrecken. Er sprang auf die Beine, zog seinen Zauberstab und sah sich um. Es war bereits früh am Morgen. Sein Feuer war schon längst erloschen und bald würde die Sonne aufgehen. Orbin zog die frische Luft in seine Lungen und reckte sich. Durst und Hunger kamen in ihm auf und verscheuchten die letzten Gedanken an den Traum der Nacht.

Mit der Hilfe seines Zauberstabs konnte sich Orbin ein ordentliches Frühstück herbeizaubern. Danach packte er seine Sachen und zog weiter. Er folgte einem Weg, den wohl das Wild in dieser Gegend nutze. Wenn Orbins Gedächtnis besser funktionieren würde, so hätte er gewusst, dass solche Wege auch ihre Tücken haben. Doch Orbin bemerkte keine Gefahr und ging so ganz leicht in eine Netzfalle der dunklen Waldläufer-Elfen. Ein Fangnetz umgab ihn plötzlich. Es zog sich mit einem Ruck zusammen und riss Orbin in die Höhe.

Mit wildem Geheule kamen die Jäger aus den Büschen ringsherum und ließen das Netz wieder zu Boden fallen. Orbin schlug unsanft auf. Er griff nach seinem Zauberstab und seine Sinne waren jetzt erwacht. Mit einem magischen Blitz zerfetzte der Hexenmeister das Netz und dann sah er sich um. Noch schneller, als sie aus den Büschen gesprungen waren, rannten die Elfen schreiend davon. Sie machten erst halt, als sie in ihrem Jagdlager bei ihrem Häuptling ankamen.

Auf einer Wolke aus Staub stehend, hetzte ihnen Orbin nach. Vor dem Häuptling sprang er von der Wolke und brüllte los. „Auf die Knie mit euch oder ihr werdet hier alle von mir vernichtet!“

Die Elfen fielen zu Boden und der Häuptling fragte flehend. „Was haben wir dir getan, du großer Zauberer, dass du uns so hart bestrafen willst?“

Orbin stampfte zornig mit dem rechten Fuß auf. Dann brüllte er wieder los. „Da fragst du noch, du Narr!? Ihr habt versucht, mich mit einer Netzfalle zu überwältigen!“

Er packte den Häuptling an der Kehle und zog ihn hoch. Dann schaute er ihn genau in die Augen. „Wer seid ihr verlausten Gesellen, dass ihr es wagt, mich anzugreifen? Hat euch jemand geschickt? Solltet ihr mich fangen oder seid ihr einfach zu dumm, um einen harmlosen Kräutersammler von einem Schwein oder Hirsch zu unterscheiden?“

Orbin ließ den Häuptling los und sah ihn an. Der Elf duckte sich und hustete. Dann hob er beide Hände und sprach. „Ich schwöre dir, meine Jäger waren nicht hinter dir her. Wir hatten es auf das Wild in dieser einsamen Gegend abgesehen. Sie waren sehr ungeschickt und hätten dich vor der Falle warnen sollen. Wenn wir dir helfen können, dann sag es uns.“

Orbin wiegte den Kopf hin und her und streckte seinen Zauberstab dem Häuptling entgegen. „Ich bin Orbin der Kräutersammler und würde gern wissen, wer ihr seid. Sag mir deinen Namen und erzähl mir von euch.“

Der Häuptling nickte eifrig und verbeugte sich mehrmals. „Ja, Herr, es soll geschehen, wie du es wünschst. Ich werde dich bewirten und dir von uns erzählen.“

Einen Augenblick später saß Orbin mit dem Häuptling und einem alten Schamanen in einem Zelt. Der Häuptling reichte dem Hexenmeister einen Becher Wein und begann zu erzählen. „Also Herr Orbin, wir sind vom Stamm der Waldläufer-Elfen. Ich bin Eschenhand, ihr einziger Häuptling und der Alte hier ist unser Schamane Eichblatt. Wir sind dunkle Elfen und wandern nach Süden. Dort ist es wärmer und das Wild ist zahlreicher.“

Nachdenklich sah Orbin in den Weinbecher. In seinem Kopf arbeiteten die Gedanken und er konnte sich ein wenig an die dunklen Elfen erinnern. Doch er brachte sie nur mit einer Insel in Verbindung. Darum fragte er Eschenhand. „Sag mir, Häuptling, lebt ihr dunklen Elfen nicht mehr auf eurer Insel? Ich kann mich nicht mehr an ihren Namen erinnern.“

Beinah ungläubig schauten die Elfen den Hexenmeister an und der in einen Bärenpelz gehüllte Schamane schüttelte hastig den Kopf. „Ich glaube Herr, du bist lange nicht mehr in der Gesellschaft von uns dunklen Elfen gewesen. Ich werde dir etwas mehr von uns erzählen.“

Eschenhand goss jedem frischen Wein in die Becher und der Schamane begann zu berichten. „Die Insel, die du meinst, heißt noch heute Villbass. Wir Waldläufer-Elfen stammen nicht von den dunklen Elfen von Villbass ab. Wir haben diese Insel und ihre Bewohner immer gemieden. Doch wir kämpften, genau wie sie, für Dämonicon, dem Zauberer der alten Götter. Dafür wurden wir nach seiner Vernichtung aus unserer Heimat vertrieben. Wir lebten einst sehr weit im Westen. Auch dort gibt es ein großes Gebirge und dichte Wälder. Wenn wir vor siebenhundert Jahren Dämonicons Versprechungen nicht geglaubt hätten, so könnten wir heute noch in unserer alten Heimat leben.“

Orbin stellte seinen Becher neben sich auf dem Boden ab und sah zum Häuptling. „Lebt ihr seit dieser Zeit hier in diesen Wäldern?“

„Oh nein, wir sind erst seid wenigen Tagen hier.“ Eschenhand trank seinen Becher leer und sprach weiter. „Wir haben uns vorher in der Nähe der alten Ruinen von Illwerin aufgehalten. Dort wurden wir von dem Boten einer schwarzen Hexe zu Hilfe gerufen. Auf einem Friedhof bei den Ruinen gab es einen Kampf. Doch wir kamen zu spät und die Sache war schon erledigt.“

Orbin sah Eschenhand aufmerksam an. Die Verlegenheit des Häuptlings war kaum zu übersehen. Der Schamane beeilte sich deshalb, noch schnell etwas hinzuzufügen. „Diese schwarze Hexe hieß Irrsande und sie hatte einen Raben. Der hat uns zu diesem Friedhof geschickt. Doch als wir ankamen, hatten ihre untoten schwarzen Dienerinnen den Kampf schon verloren und wir mussten uns zurückziehen. Wir sind gewiss nicht feige, aber gegen einen Zirkelmagier, einen Haufen Kobolde und Minitrolle können wir nicht siegen. Wir benutzen unsere Magie meist nur, um unser Leben zu verlängern. Doch unsere Gegner bei den Ruinen von Illwerin kannten sich mit der Magie sehr viel besser aus. Wir hätten dort nur den Tod finden können. Darum sind wir aus dieser Gegend weggezogen. Das verstehst du doch, mein Herr Orbin?“

Orbin nickte vor sich hin. Er verstand diese Waldläufer-Elfen. Aber etwas von dem, was der Schamane soeben gesagt hatte, ging ihm nicht aus dem Sinn. Es war nur dieses einzige Wort „Zirkelmagier“. Er versuchte, sich zu erinnern. Doch in seinem Kopf wollte keine Vision in Zusammenhang mit diesem Wort kommen. Orbin schüttelte den Kopf und fragte Eichblatt, was er über diesen Zirkelmagier wisse.

Der Schamane zuckte mit den Schultern und antwortete verwundert. „Ich weiß nur, was alle von uns wissen. Er hat im letzten Krieg an der Seite der Menschen und der Drachen gegen das Heer des dragolianischen Priesterkönigs Tholoam gekämpft. Tholoam hat mit seinem Heer verloren. Wir hatten Glück, weil wir nicht für ihn kämpfen wollten. Deshalb stellt man uns jetzt nicht wieder nach. Man sagt, die Dragolianer wollten dem Geist des gefallenen Dämonicon einen neuen Körper geben. Wir wissen nicht, ob das alles wahr ist, aber wenn es so ist, so können wir nur jedem davon abraten.“

Orbin horchte auf. Offenbar wusste er etwas, was diese dunklen Elfen noch nicht wissen konnten. Deshalb fragte er sogleich. „Warum könnt ihr nur jedem davon abraten?“

Eichblatt wurde jetzt leicht ungehalten. „Na was ist denn das für eine Frage? Dieser Dämonicon will doch nur wieder einen fürchterlichen Krieg erzwingen. Wenn er gewinnt, dann wird er die alten Götter auferstehen lassen und unsere Welt gerät erneut in die Hände der Finsternis. Wir Waldläufer-Elfen gehen schon einen gefährlichen Weg mit unserer dunklen Magie. Doch dieser Dämonicon ist einfach besessen von der Idee, an der Seite der alten Götter über unsere Welt herrschen zu können.“

Eschenhand stimmte seinem Schamanen zu. „So ist es, und ich hoffe doch, es hat ihm noch niemand geholfen. Aber ich glaube, ich habe da vor einigen Tagen einen Ruck in der Magie gespürt. Jemand hat ihr Gleichgewicht erschüttert. Das kann sehr gefährlich sein.“

Eschenhand und Eichblatt schauten zu Orbin. Sie erwarteten wohl jetzt von ihm eine Antwort. Doch der Hexenmeister wich einfach aus. „Ich habe mich schon lange nicht mehr mit solchen magischen Dingen beschäftigt. Ich sammle meist nur noch Kräuter. Da ist mir wohl dieser Ruck in der Magie entgangen.“

Der Häuptling und sein Schamane sahen sich jetzt vieldeutig an. Ein Verdacht keimte in den Beiden auf und der Häuptling sprach jetzt betont ruhig. „Na so etwas, aber das kann ja mal vorkommen. Ich habe selbst schon beim Sammeln von Pilzen und Beeren so einiges nicht bemerkt. Auch ein magisch begabtes Wesen ist nicht immer perfekt.“

Orbin bemerkte den spöttischen Unterton in Eschenhands Rede und das machte ihn zornig. „Es ist so, wie ich es sagte. Ich komme von weit her, und ich habe diesen Ruck nicht gespürt!“ Der Hexenmeister sprach seine letzten Worte lauter aus, als er es wollte. Er stand auf und verließ das Zelt.

Der Häuptling und der Schamane folgten ihm. Eschenhand versuchte, ihn zu beruhigen. „Herr Orbin, wir wollten dich nicht verärgern. Doch wir kennen dich nicht. Da solltest du unser Misstrauen verstehen.“

Orbin sah Eschenhand an und reichte ihm die Hand. „Es ist schon gut, ich wollte mich nicht mit euch Elfen streiten. Seid bedankt für den Wein und lebt wohl. Ich muss jetzt meines Weges ziehen.“

Der Häuptling nahm die Hand des Hexenmeisters und nickte ihm zu. „Wir wünschen dir eine gute Reise.“

Orbin drehte sich um und ging einfach davon. Die Waldläufer-Elfen sahen ihm nach und der Schamane flüsterte seinem Häuptling zu. „Er konnte sich sehr schnell aus unserem Netz befreien. Ein Kräutersammler ist dieser Orbin nicht. Wohl eher ein finsterer Zauberer.“

Eschenhand schüttelte den Kopf. „Nein, der Kerl ist ein Hexenmeister. Hast du denn nicht seinen Zauberstab mit diesem seltsamen Kristall in seinem Gürtel bemerkt? So ein gefährliches Ding besitzt nur ein dunkler Hexenmeister.“

Die Waldläufer-Elfen rüsteten zum Aufbruch und verließen schnell ihr Jagdlager. Sie wollten Orbin auf keinem Fall noch einmal begegnen.

Einsam zog der Hexenmeister nach Osten, der Stadt Bochea entgegen. In seinem Kopf versuchte er, seine wirren Gedanken zu ordnen. Er griff sich an sein Halsband und die Worte seines Herrn fielen ihm wieder ein. Orbin dachte an seine Aufgabe und eine Frage bohrte sich in seinem Kopf fest. „Was würde geschehen, wenn er die Stadt betreten hatte?“

Vinus und das Auge der Zyklopen: Die Abenteuer der Koboldbande (Band 4)

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