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Die Quellen
Am Beginn jeder historischen Darstellung muss die Frage nach den Quellen stehen, auf denen sie beruht, denn nur auf der Grundlage einer gut abgesicherten Quellenbasis kann eine fundierte Rekonstruktion geschichtlicher Ereignisse versucht werden. Wo keine verlässlichen Zeugnisse zur Verfügung stehen, endet die Zuständigkeit des Historikers und beginnt jene des Dichters. Gerade bei der Beschäftigung mit den Perserkriegen ist die Frage nach den Quellen von außerordentlicher Bedeutung. Bei der Beurteilung der mit dieser Auseinandersetzung verbundenen Ereignisse sind wir nämlich in besonderem Maße von einer einzigen Quelle abhängig: dem Geschichtswerk des Herodot.
Herodot
Über das Leben dieses Mannes sind wir im Grunde leider nur recht unzureichend informiert, doch ist immerhin bekannt, dass er in Halikarnassos, einer dorischen Stadt an der Südwestküste Kleinasiens,geboren wurde. Seine Familie, zu welcher der Ependichter Panyassis zählte, hatte karische Wurzeln und gehörte wohl zur lokalen Aristokratie. Vermutlich nach einem gescheiterten Versuch, den in Halikarnassos regierenden Tyrannen Lygdamis zu stürzen, musste Herodot seine Heimatstadt verlassen. Er begab sich nun nach Samos;|14| das besondere Verhältnis zu dieser Insel ist in seinem Werk unverkennbar. Als nach einigen Jahren Lygdamis tatsächlich entmachtet werden konnte, kehrte Herodot für kurze Zeit nach Halikarnassos zurück, musste die Stadt aber offenbar aus politischen Gründen bald wieder verlassen. Er unternahm nun, wie freilich nur aus den Angaben in seinem Geschichtswerk zu erschließen ist, ausgedehnte Reisen, die ihn nicht nur in zahlreiche Orte Griechenlands und Kleinasiens, sondern auch nach Afrika in die Kyrenaika und nach Ägypten, nach Vorderasien, wo er anscheinend bis Babylon reiste, in den Schwarzmeerraum, nach Makedonien, Thrakien und das Land der Skythen führten. Genauer Umfang und Chronologie der herodoteischen Reisen sind in der altertumswissenschaftlichen Forschung durchaus umstritten, es wurden sogar grundlegende Zweifel an ihrer Historizität geäußert. Diese scheinen freilich nicht angebracht zu sein. Allerdings hat Herodot die küstennahen Kulturzonen nur selten verlassen. Interessanterweise ist er auch nie in die persischen Kernlande gereist. Der Grund für die Reisetätigkeit des Herodot lag wohl in seiner Neugier und dem Wunsch, andere Länder und ihre Bewohner kennen zu lernen. Für die Entstehung seines Geschichtswerkes waren diese Reisetätigkeit und die vor Ort unternommenen Nachforschungen jedenfalls von grundlegender Bedeutung.
Eine wichtige Station in Herodots Leben war sein Aufenthalt in Athen in den 40er-Jahren des 5. Jahrhunderts v. Chr., das zu dieser Zeit der politische und kulturelle Mittelpunkt der griechischen Welt war. Hier trug er aus seinem Werk vor und stand in Verbindung mit den Geistesgrößen jener Epoche, so etwa mit dem Dichter Sophokles, der sogar eine Ode auf den Historiker verfasst haben soll. Ob Herodot sich freilich im engeren Kreis des Perikles, des politisch maßgeblichen Mannes in Athen, bewegt hat, wie oft vermutet wird, muss unsicher bleiben. Sicher wissen wir dagegen, dass Herodot – zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt – in die im Jahre 444/43 v. Chr. von Athen gegründete panhellenische Kolonie Thurioi ging, die vom berühmten Städteplaner Hippodamos von Milet entworfen gewesen sein und vom bekannten Sophisten Protagoras von Abdera ihre Verfassung erhalten haben soll. Dort ist er – der antiken Überlieferung zufolge – auch gestorben. Sein Todesdatum kann wiederum nur aus seinem Geschichtswerk, das in der vorliegenden Form offensichtlich zwischen 430 und 425 v. Chr. vollendet wurde, erschlossen werden.
Dieses Werk ist in neun Bücher gegliedert, die nach den Musen (Klio, Euterpe, Thalia, Melpomene, Terpsichore, Erato, Polyhymnia, Urania, Kalliope)|15|, den neun Schutzgöttinnen der Künste, benannt werden. Diese Einteilung geht freilich nicht auf den Autor selbst zurück, sondern stellt eine Gliederung durch Philologen der hellenistischen Zeit in Alexandreia (vielleicht durch Aristarchos von Samothrake) dar. Die Darstellung wird heute als Historien betitelt, Herodot selbst nennt sie im ersten Satz des Werkes eine historíes apódexis, eine „Darlegung der Erkundung“,und gibt gleichzeitig sein Ziel bekannt, nämlich die großen Leistungen der Menschheit vor der Vergessenheit zu bewahren, egal ob sie von Griechen oder Barbaren vollbracht wurden, wobei sein engeres Thema die Geschichte der Auseinandersetzungen zwischen Griechen und Barbaren sein sollte.
Während die ältere Forschung davon ausgegangen war, dass die geographischen und ethnographischen Exkurse als eigenständige Werke am Anfang der schriftstellerischen Tätigkeit des Herodot gestanden hätten und dieser erst zu einem späteren Zeitpunkt den Plan, den Verlauf der Perserkriege zu beschreiben, gefasst und daraufhin die einzelnen Werkstücke im Laufe der Zeit zu einem (ca. 484–425 v.Chr.). Marmorbüste, Ganzen zusammengefügt habe, hat sich 1. Hälfte 4. Jh. v.Chr. inzwischen zu Recht die Ansicht von der einheitlichen Konzeption des Werkes durchgesetzt.
Abb. 1: Bildnis des Herodot; griechischer Geschichtsschreiber (ca. 484–425 v. Chr.). Marmorbüste, 1. Hälfte 4. Jh. v. Chr.
Herodot verweist an manchen Stellen weit in die mythische Vorzeit zurück und blickt gelegentlich bis in die ersten Jahre des Peloponnesischen Kriegs (431–404 v.Chr.) voraus, der eigentliche von ihm behandelte Zeitraum umfasst aber die 80 Jahre von 560 bis 479 v. Chr. Er beginnt seine Darstellung |16| mit der Geschichte des Volks der Lyder und deren König Kroisos, weil dieser mit den „Feindseligkeiten gegen die Griechen begann“. Dann bilden die Geschichte des Perserreiches und die Abfolge der vier persischen Könige Kyros, Kambyses, Dareios und Xerxes den roten Faden der Erzählung, in die freilich Unmengen an historischen, geographischen und ethnologischen Einzelheiten über verschiedenste Völker eingefügt werden. Diese Exkurse, die sogenannten Logoi, werden stets an der Stelle eingebaut, an der die Perser im Zuge ihrer Expansionspolitik mit den jeweiligen Völkern in Kontakt treten. Am bekanntesten ist dabei der sogenannte Ägyptische Logos,der das gesamte zweite Buch der Historien umfasst. Diese Schilderung der Geschichte, Landeskunde und Kultur des Nillandes wird bei der Darstellung der Eroberung Ägyptens durch den persischen König Kambyses eingeschoben. In gleicher Weise findet sich der sogenannte Skythische Logos im vierten Buch, in welchem Herodot die Sitten und Gebräuche der Reiternomaden an der nördlichen Schwarzmeerküste schildert, im Rahmen des Berichts vom Skythenkrieg des Königs Dareios.
Die Griechen und deren Auseinandersetzung mit dem Perserreich bilden ab dem fünften Buch, in welchem mit der Schilderung des Ionischen Aufstands begonnen wird, das Hauptthema der Schrift. Das sechste Buch behandelt die Geschehnisse des ersten Jahrzehnts des 5. Jahrhunderts v. Chr. vom Fall Milets über den ersten Griechenlandfeldzug des Mardonios und die Invasion unter Datis und Artaphernes bis zur Schlacht von Marathon. Mit dem siebten Buch kommt das Werk zu seinem Höhepunkt, dem Feldzug des Xerxes. Geschildert werden die Kriegsvorbereitungen, der Zug des persischen Heeres und die ersten Gefechte bis zur Schlacht an den Thermopylen. Die Kämpfe bei Kap Artemision bilden den Beginn des achten Buches, das weiter von der Schlacht von Salamis, dem Rückzug der Perser und der Heimkehr des Großkönigs handelt. Im neunten und letzten Buch schließlich ist vom Zug des Mardonios, dem griechischen Triumph in der Schlacht von Plataiai sowie den darauf folgenden Ereignissen in Kleinasien (Schlacht von Mykale) die Rede. Am Ende des Werkes steht dann die Schilderung der Belagerung der Stadt Sestos.
Die Vielfalt des behandelten Stoffes bedingt die verwirrend komplexe Struktur der Schrift.Taten und Werke von Griechen und Barbaren, Beschreibungen von Landschaften, Sitten, Gebräuchen und religiösen Vorstellungen, all das vereinigt das Werk zu einer umfassenden Erzählung.Herodot ist dabei ein ständig präsenter Erzähler, der durch wiederholte Vorgriffe und Rückverweise |17| Ordnung in seine Darstellung bringt, der nicht allwissend ist (und dies auch einräumt) und der gleichzeitig seinen Lesern Einblicke in die Gedanken und die Gefühlswelt seiner Protagonisten gibt, über die er bisweilen deutliche Urteile fällt. Eine Reihe typischer, immer wiederkehrender Leitmotive wirkt einheits- und sinnstiftend. Herodot geht davon aus, dass eine höhere Macht über dem Geschehen, dessen Verlauf weitgehend vorherbestimmt ist, waltet. Alles, was geschieht, ist durch ständigen Wandel gekennzeichnet; jeder Aufstieg trägt bereits den Keim des Abstiegs in sich.
Der Stil des Herodot, der die einfache Erzählung mit der Wiedergabe direkter Reden verbindet (was in der antiken Geschichtsschreibung durchaus geläufig ist), der den roten Faden seiner Darstellung immer wieder verlässt, um dann aber stets wieder zu ihm zurückzukehren, der die zahlreichen Exkurse, Anekdoten und Novellen aber keinesfalls willkürlich einstreut, verdankt vieles dem epischen Vorbild Homers (und wohl auch dem seines Onkels Panyassis). Insofern kann Herodot als ein durchaus „homerischer“Geschichtsschreiber betrachtet werden; genauso weist er aber auch deutliche Einflüsse der attischen Tragödie auf.
Die Quellen, auf die sich Herodot bei seiner Darstellung der Vergangenheit stützte, sind vor allem mündlicher Natur. Er beschrieb, was er selbst gesehen hatte (Autopsie) und was ihm andere berichteten. Dabei übernahm er nicht kritiklos alles, was ihm zugetragen wurde, sondern versuchte abzuwägen, wie sich bestimmte Begebenheiten tatsächlich abgespielt haben könnten. Charakteristisch ist es, dass Herodot oft mehrere einander widersprechende Varianten überliefert. Manchmal trifft er nach reiflicher Überlegung eine Entscheidung, manchmal überlässt er diese den Lesern und beschränkt sich darauf, das Gehörte zu referieren, ohne dieses selbst glauben zu müssen. Meist stützte sich Herodot auf kollektive Erinnerungen griechischer und barbarischer Städte und Völker. Neben einer Vielzahl anonymer Zitate stehen nur einzelne Nachrichten individuell benannter Gewährsleute. Über die mündlichen Nachrichten hinaus zog der Geschichtsschreiber Kunstdenkmäler als Quellen heran sowie persische, ägyptische, babylonische, lydische und griechische Inschriften, die in Einzelfällen sogar aufgefunden werden konnten (z. B. die berühmte Schlangensäule von Delphi, von der noch eingehender die Rede sein wird). Auch die frühen Dichter (z. B. Homer, Hesiod, Archilochos, Sappho, Simonides oder Pindar) wurden von Herodot herangezogen und ausgewertet, ebenso Sammlungen von Orakelsprüchen. Inwieweit er freilich andere Prosaautoren benutzt hat, ist in der altertumswissenschaftlichen Forschung |18| umstritten. Mit einiger Sicherheit scheint dies nur beim Werk des Hekataios der Fall zu sein.
Dieser Hekataios stammte aus dem kleinasiatischen Milet und wurde in den 50er-Jahren des 6. Jahrhundert v.Chr. als Mitglied der lokalen Aristokratie geboren (sein Todesjahr ist unbekannt). Dass er auch politisch tätig war, entnehmen wir dem Geschichtswerk Herodots, der ihn als einen politischen Ratgeber des Tyrannen Aristagoras im Rahmen des Ionischen Aufstandes nennt; nach dem –freilich nicht ganz verlässlichen – Zeugnis des Diodor sollen ihn die Milesier nach der Niederschlagung dieses Aufstande sogar als Unterhändler zum persischen Satrapen Artaphernes gesandt haben. Auch Hekataios unternahm Forschungsreisen, die ihn unter anderem bis nach Ägypten führten. Als Ergebnis dieser Reisen, aber auch unter Heranziehung älterer Literatur, hat er zwei Werke verfasst: einerseits eine nur fragmentarisch überlieferte Beschreibung der Welt in zwei Büchern zusammen mit einer nicht erhaltenen Weltkarte und andererseits ein meist als Genealogoi („Stammbäume“) bezeichnetes und in nur wenigen Fragmenten auf uns gekommenes historisches Werk, das etwa den Versuch unternimmt, die mythologische Überlieferung einer rationalen Kritik zu unterziehen, denn die überlieferten Geschichten schienen ihm, wie er am Beginn dieses Werkes schrieb, „zahlreich und lächerlich zu sein“. Ob man Hekataios allerdings als ersten Historiker bezeichnen oder ihm lediglich das Setzen eines ersten Schrittes in Richtung zur Entwicklung einer kritischen Geschichtsschreibung zugestehen will, ist Auslegungssache. Auf seinen Nachfolger Herodot übte Hekataios jedenfalls nachhaltigen Einfluss aus.
Kehren wir damit aber zu eben diesem Herodot zurück, dessen Glaubwürdigkeit bereits in der Antike des Öfteren bezweifelt wurde. Schon Thukydides, der am Beginn einer quellenkritischen Zeitgeschichtsschreibung steht, distanziert sich im sogenannten Methodenkapitel im ersten Buch seines Werkes von der Quellenbenutzung seines Vorgängers, ohne diesen freilich namentlich zu nennen. Selbst Cicero, der dem Halikarnassier den Ehrentitel des „Vaters der Geschichtsschreibung“ (pater historiae) zuerkannte, räumte ein, dass dieser unzählige erfundene Geschichten (fabulae) erzähle. Der jüdische Historiker Josephos bezichtigte ihn des vielfachen Irrtums, und der Poikilograph (Buntschriftsteller) Aulus Gellius nannteHerodot in seinen Attischen Nächten einen fabulator.
Auch die moderne Forschung hat sich immer wieder kritisch mit dieser Frage beschäftigt. Radikale Ansätze, die an jeder Reisetätigkeit des Geschichts |19| schreibers zweifeln, alle Quellenangaben in den Historien als erfunden verwerfen und sogar den Großteil des Werkes als Fiktion eines unzuverlässigen Fabulierers betrachten, müssen freilich abgelehnt werden.
Selbstverständlich findet sich im Geschichtswerk des Herodot, insbesondere in den ersten Büchern, die der Frühzeit und den Sitten und Gebräuchen fremder Völker gewidmet sind, viel Phantastisches und Unglaubwürdiges, auch manches, das der Geschichtsschreiber gar nicht wissen konnte. Diese Passagen erfüllen innerhalb des Werkes jedoch häufig einen wichtigen Zweck, indem sie die Geschichtsphilosophie und die Weltsicht Herodots vermitteln. An vielen Stellen referiert Herodot auch weniger authentische Informationen als vielmehr Projektionen griechischer Vorstellungen. Doch wäre es verfehlt, die Historien allein nach den Maßstäben der modernen Historiographie zu beurteilen, da dies dem rhetorischen und dichterischen Charakter der von Herodot (mit)begründeten antiken Geschichtsschreibung, die sich immer in bestimmten Bahnen bewegen musste, nicht gerecht würde. Gleichzeitig muss berücksichtigt werden, dass freies literarisches Gestalten nicht unbedingt das Bemühen um die Übermittlung wertvoller historischer Informationen ausschließt. Keinesfalls darf man Herodot unterstellen, seine Leser in böser Absicht täuschen und in die Irre führen zu wollen. Zu Recht wurde ihm allerdings bereits in der Antike vorgeworfen, dass er einerseits Größe und Struktur des Perserreiches nur unzureichend kannte, und dass er andererseits selbst über keinerlei militärische Erfahrungen verfügte und als Zivilist kein tieferes Verständnis für militärische Belange und auch kein besonderes Interesse an diesen besaß. Auch warf man ihm Parteilichkeit vor; bekannt sind etwa die Angriffe des Plutarch in dessen Werk Über die Bösartigkeit des Herodot, die freilich vor dem lokalpatriotischen Hintergrund Plutarchs zu sehen sind. Während sich die negativen Gefühle gegen die ionischen Griechen, welche ihm die moderne Forschung unterstellt hat, bei näherer Betrachtung nicht nachweisen lassen, trifft es aber zu, dass er die Rolle Athens und einzelner athenischer Protagonisten in besonderem Maße herausstreichen wollte. Und es finden sich im Werk des Herodot ohne Zweifel pejorative Wertungen (etwa gegen die Korinther), die durch die politische Situation der Abfassungszeit der Historien bedingt sind.
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Weitere Quellen
Neben dem herodoteischen Geschichtswerk sind für die Beschäftigung mit den Perserkriegen andere literarische Quellen nur von untergeordneter Bedeutung, denn sie hängen – von einzelnen Details abgesehen – weitgehend von Herodot ab und können kaum dazu verwendet werden, die Angaben des Halikarnassiers zu korrigieren beziehungsweise abweichende Perspektiven und Beurteilungen zu liefern.
Das gilt auch für den Athener Thukydides (um 460 – kurz nach 400 v.Chr.), der eine unvollendet gebliebene, bei der Schilderung der Ereignisse des Jahres 411 v. Chr. unvermittelt abbrechende Geschichte des Peloponnesischen Krieges verfasste, in der er die eigentlichen Perserkriege im ersten von acht Büchern nur en passant behandelt (1,25). Dass Thukydides diese Auseinandersetzungen nur so kurz streift, hat seinen Grund natürlich auch darin, dass er sein eigenes Thema umso mehr herausstellen möchte. Denn im Vergleich mit dem Peloponnesischen Krieg, der fast drei Jahrzehnte andauerte und so viel Leid über die ganze griechische Welt brachte, verblassten –zumindest seiner Ansicht nach –alle früheren Konflikte, nie habe es so viel Blutvergießen und Eroberungen von Städten gegeben, während der Perserkrieg in zwei Seeschlachten und zwei Schlachten zu Land eine rasche Entscheidung gefunden habe (Thukydides 1,23). Wertvoll ist die Schrift des Thukydides als Quelle für die griechisch-persischen Beziehungen während des Peloponnesischen Krieges; insgesamt scheint der athenische Historiker aber wenig Kenntnis von den Persern und kaum Einblicke in die Organisation ihres Staates besessen zu haben.
Ein bemerkenswertes und auch kurioses Werk stellen die Persika des Ktesias von Knidos dar.Dieser gab vor, als Arzt am Hofe des persischen Großkönigs Artaxerxes II. tätig gewesen zu sein. Er verfasste neben anderen Schriften ein Werk in 23 Büchern, das sich mit den Taten der Assyrer, Meder und Perser beschäftigte. Es ist zwar verloren, doch hat der byzantinische Patriarch Photios (9. Jh. n. Chr.), einer der gelehrtesten Männer seiner Zeit, eine Kurzfassung (Epitome) der Bücher 7–23 überliefert. Ktesias stellt sich in scharfe Opposition zu Herodot, nennt diesen einen Lügner und Märchenerzähler und berichtet oftmals genau Entgegengesetztes.So setzt Ktesias etwa die entscheidende Seeschlacht von Salamis chronologisch nach die Schlacht von Plataiai! Was ist davon zu halten? Hatte Ktesias, der vor allem ausführlich die Intrigen am persischen Königshof schildert, durch seine angebliche Tätigkeit ebendort |21| Einblicke, die Herodot verwehrt waren? Überliefert die Schrift des Knidiers von den herodoteischen Historien abweichende zeitgenössische Alternativversionen? Wohl kaum! Es ist schon vor langer Zeit richtig erkannt worden, dass Ktesias, dessen vorgebliche Biographie kritisch hinterfragt werden muss, seine Erzählungen aus dem Werk Herodots konstruiert hat. Er überliefert keine unabhängigen Traditionen, sondern treibt sein literarisches Spiel mit den herodoteischen Historien. Ob er damit rechnete, dass der Leser dies durchschauen und darüber belustigt sein würde, wie das jüngst vermutet wurde, muss meines Erachtens bezweifelt werden, wenngleich davon auszugehen ist, dass viele antike Leser mit der Version des Herodot vertraut waren. Vielmehr wollte Ktesias wohl durchaus als ernsthafter Historiker anerkannt werden, und diese Anerkennung ist ihm in der Antike teilweise auch zuteil geworden.
Ebenfalls ein Werk mit dem Titel Persika sowie eine Geschichte nach Dareios – wobei es sich hier um zwei unterschiedliche, für dasselbe Werk überlieferte Titel handeln könnte – schrieb, wohl im frühen 5. Jahrhundert v. Chr., der weitgehend obskure Geschichtsschreiber Dionysios von Milet. Wohl zu Unrecht wurde vielfach vermutet, dass sich Herodot in seiner Darstellung auf das Werk des Dionysios gestützt haben könnte. Dionysios gehört jedenfalls zu einer Reihe von Autoren des 5. Jahrhunderts v. Chr., die sich, motiviert durch den persischen Angriff auf Griechenland, der somit als Initialzündung der antiken Geschichtsschreibung betrachtet werden kann, mit den Gegnern der Hellenen auseinandergesetzt haben. Die Größe des Achaimenidenreichs und die dem persischen Großkönig zur Verfügung stehenden Reichtümer übten ihren besonderen Reiz auf die griechischen Autoren aus und boten einen geeigneten Rahmen für spektakuläre und exotische Erzählungen. Da die Werke dieser Autoren aber weitgehend verloren sind, kennen wir kaum mehr als ihre Namen. Zu diesen Männern zählt auch Hellanikos von Lesbos, ein Vielschreiber, der zahlreiche, bis auf Fragmente verlorene mythographische, chronologische und ethnographische Werke verfasste, die allerdings kaum auf eigenen Forschungen beruhten. Durch seine zweibändige Atthis, eine Darstellung der athenischen Geschichte von ihren mythischen Anfängen bis in die Zeit des Peloponnesischen Krieges, wurde er indes zum Begründer der attischen Lokalgeschichtsschreibung (Atthidographie). Er galt in der Antike als ein Vorgänger Herodots, war aber wohl eher dessen jüngerer Zeitgenosse. Dies trifft auch auf Charon von Lampsakos zu, der ebenfalls – neben anderen Werken (z. B. Hellenika, Libyka, Aithiopika) –|22| Persika verfasste und dabei – genauso wie Dionysios und Hellanikos – kaum über Informationen verfügte, die über das von Herodot Berichtete hinausgegangen wären.Das Gleiche gilt für einen etwas jüngeren Verfasser von Persika, nämlich Dinon von Kolophon (4. Jh. v. Chr.), der in seinem Werk eine Geschichte des Achaimenidenreichs von der mythischen Frühzeit bis in die Regierungszeit des Artaxerxes III. vorlegte. Die Schrift Dinons war deutlich von Ktesias beeinflusst und überliefert märchenhafte und sensationelle Ereignisse. Dennoch wurde Dinon in der Antike als eine verlässliche Quelle zur persischen Geschichte betrachtet, die etwa Cornelius Nepos und Plutarch benutzten.
Herakleides von Kyme war wie Dinon im 4. Jahrhundert v.Chr.ein direkter Untertan des persischen Großkönigs. Seine nur in wenigen Fragmenten auf uns gekommenen Persika bieten schlaglichtartige Einblicke in das Leben am Hofe von König Artaxerxes II., beschäftigen sich mit dessen Dienern und Leibwächtern, dem von diesem gepflegten Tafelluxus und – in einem besonders interessanten Fragment – auch mit den Ehren, die der persische Herrscher bestimmten Griechen zukommen ließ.
Ebenfalls aus Kyme stammte Ephoros (ca. 400–330 v.Chr.), ein Zeitgenosse des Herakleides und Schüler des athenischen Redners und Rhetoriklehrers Isokrates, der als Begründer der Universalgeschichte gelten kann. Neben anderen Schriften verfasste er ein 29 Bücher umfassendes Werk (Historiai), das die Geschichte von der mythischen Rückkehr der Herakleiden bis zu den Geschehnissen seiner eigenen Zeit nachzeichnet (einen 30. Band hat sein Sohn Demophilos herausgegeben). Er ordnete dabei die Darstellung nicht chronologisch, sondern nach geographischen Gesichtspunkten, wobei die Bücher 8 und 9 die Geschichte Lydiens und Persiens behandeln. Bereits in der Antike wurde allerdings die unrealistische Schilderung des Kriegsgeschehens durch Ephoros, der selbst keinerlei politische oder militärische Erfahrung aufweisen konnte, kritisiert; das Gleiche gilt für die in diesem rhetorisch durchgefeilten Werk reichlich vorkommenden, recht schematisch aufgebauten Reden. Ephoros, der als Prototyp des Buch- und Schreibtischgelehrten gelten kann, zog zwar zahlreiche literarische Quellen heran, auf Nachforschungen vor Ort oder Befragungen von Augenzeugen, wie sie noch Herodot durchgeführt hatte, verzichtete er aber. Seine Schrift ist zwar nicht direkt erhalten, doch hat Diodor ausführliche Exzerpte angefertigt. An manchen Stellen bietet Ephoros, der auch Versuche unternimmt, die Berichte von Herodot und Ktesias in Übereinstimmung zu bringen, Informationen, die über die Angaben im Geschichtswerk |23| des Herodot hinausführen. Freilich muss deren Zuverlässigkeit meist in Frage gestellt werden; inwieweit er auf von Herodot unabhängige lokale Traditionen zurückgreift, was zweifelhaft erscheint, oder ob es sich vielmehr um seine eigenen rationalistischen Spekulationen handelt, muss vielfach offen bleiben.
Der eben erwähnte und aus Sizilien stammende Diodor verfasste im 1. Jahrhundert v. Chr. eine Universalgeschichte vom Anfang der Welt bis in seine eigene Lebenszeit in 40 Büchern, die es sich zum Ziel setzte, die Studien älterer Gelehrter zum allgemeinen Nutzen zusammenzustellen. Diesem Vorhaben ist auch der Titel des nur etwa zur Hälfte erhaltenen Werkes, die Historische Bibliothek,geschuldet. Der Quellenwert der Darstellung Diodors ist –je nach der im entsprechenden Abschnitt benutzten Quelle – sehr unterschiedlich. Seine Darstellung der Perserkriege ist ebenso von Ephoros abhängig wie die entsprechende Schilderung des Pompeius Trogus, der etwa eine Generation nach Diodor eine Universalgeschichte mit dem Titel Philippische Geschichten verfasste, die mit Ninos, dem legendären Gründer von Ninive, begann und mit dem Jahr 9 v. Chr. endete. Leider ist auch dieses Werk nicht direkt erhalten, sondern nur in der Epitome des Marcus Iunianus Iustinus, der wohl im 2. oder 3. Jahrhundert n.Chr. lebte, überliefert.
Ein wenig älter als Ephoros war der adelige Athener Xenophon (ca. 430– 350 v. Chr.), ein Schüler des Sokrates, der im Jahr 401 v. Chr. am Feldzug des persischen Prinzen Kyros gegen dessen Bruder Artaxerxes teilnahm. Nach der Schlacht von Kunaxa, bei der Kyros den Tod fand, führte Xenophon gemeinsam mit anderen Offizieren das griechische Söldnerheer durch Anatolien zum Schwarzen Meer und verfasste über diesen sogenannten „Zug der 10000“ sein Werk Anabasis(wörtlich: „Hinaufmarsch“). Weitere Kontakte mit den Persern hatte er zwischen 399 und 394 v. Chr., als sich Xenophon den Spartanern unter Agesilaos bei dessen Kampf gegen die Perser in Kleinasien anschloss. Sein wichtigstes Werk sind die sogenannten Hellenika, eine griechische Geschichte, die das Werk des Thukydides bis zur Schlacht von Mantineia 362 v. Chr. fortsetzt. Unter seinen übrigen Schriften scheint für unser Thema –zumindest auf den ersten Blick – eine Biographie des persischen Reichsgründers Kyros des Großen am interessantesten zu sein.Freilich geht es Xenophon in dieser Schrift weniger um die Rekonstruktion des tatsächlichen Lebensweges des ersten Perserkönigs, sondern es handelt sich vielmehr um einen Fürstenspiegel, der die Ausbildung und Bewährung des idealen Herrschers zum Thema hat.Eine gründliche Quellenrecherche fehlt bei Xenophon. Obwohl er als Teilnehmer |24| im Zug des Kyros als auch im Gefolge des Agesilaos im Kampf gegen persische Armeen vor Ort Eindrücke und Erfahrungen sammeln konnte, zeigen seine vielfach Fiktives überliefernden Schriften, dass er kaum tiefere Einblicke in das Funktionieren des achaimenidischen Staates besaß. Seine Angaben beruhen weniger auf Augenzeugenschaft als oft vermutet; vielmehr sind sie literarischen Vorlagen geschuldet.
Schon mehrfach war von Plutarch (ca. 45–125 n. Chr.), einem der produktivsten griechischen Schriftsteller der Antike, die Rede. Aus Chaironeia im mittelgriechischen Boiotien stammend,bereiste Plutarch die griechische Welt und kam auch mehrfach nach Rom, wo ihm einflussreiche Freunde das römische Bürgerrecht verschafften. Einer über das Lokale hinausgehenden politischen Karriere jedoch abgeneigt, widmete er sich in seiner Heimat seiner schriftstellerischen Tätigkeit sowie der Philosophie und versammelte einen Kreis von Schülern um sich. Zudem nahm er das Amt eines Apollonpriesters in Delphi wahr. Sein Œuvre, das nur zur Hälfte erhalten ist, umfasst einerseits die sogenannten Moralia, eine Sammlung von 78 mit den unterschiedlichsten Themen – Philosophie, Religion, Musik, korrekter Lebensführung, menschlichen Charakterzügen, Kindererziehung, Naturwissenschaften oder Geschichte – befassten Schriften, und andererseits eine Reihe von Biographien, unter denen die sogenannten Doppelbiographien herausragen. Diese stellen jeweils bedeutende Griechen und Römer korrespondierend gegenüber. Bei seinen Lebensbeschreibungen ging es Plutarch –wie er selbst einräumt –aber nicht so sehr um die genaue Erfassung von historischen Ereignissen und Zusammenhängen, sondern vielmehr um die Zeichnung von Charakterbildern, mit denen er pädagogische Ziele verfolgte. Plutarch war kein Historiker (und wollte bei aller Nähe von Biographie und Historiographie auch keiner sein). Eher ist in ihm ein philosophischer Essayist zu sehen, der durch die Gegenüberstellung von Griechen und Römern wohl auch das Ziel verfolgte, beide Völker einander näher zu bringen. Sein Umgang mit der Chronologie ist vielfach unbekümmert, und es wird an vielen Stellen offenbar, dass ihm der rechte Einblick in das historische Umfeld seiner Protagonisten fehlte. Auf der anderen Seite darf der Quellenwert seiner Schriften auch nicht zu niedrig veranschlagt werden.Plutarch war mit Sicherheit einer der gebildetsten Griechen seiner Zeit, er war sehr belesen und hat eine Vielzahl von – heute teilweise nicht mehr erhaltenen – literarischen, epigraphischen und archäologischen Quellen sowie mündliche Überlieferungen in seine Darstellung einfließen lassen. Für die Beschäftigung mit den Perserkriegen sind besonders die Biographien des Themistokles, des |25| siegreichen athenischen Strategen in der Schlacht von Salamis, des athenischen Feldherrn und Politikers Aristeides, des innenpolitischen Konkurrenten des Themistokles, der die athenischen Kontingente in der Schlacht von Plataiai anführte, sowie des persischen Großkönigs Artaxerxes II. bedeutsam. Bedauerlich ist der Verlust der von Plutarch verfassten Biographie des Leonidas. Bereits erwähnt wurde die Schrift über Die Bösartigkeit Herodots, in der er sich kritisch mit dem Werk des Historikers auseinandersetzt. Er bezeichnet Herodot, mit dessen Bericht er in anderen Werken durchaus respektvoll umgeht, hier als einen Barbarenfreund und wirft ihm seine teilweise negative Darstellung der Griechen vor. Die offenbar aus persönlichen Motiven vorgebrachte Kritik Plutarchs geht freilich oft fehl; die Verlässlichkeit der von ihm benutzten Quellen (z. B.die Thebanischen Chroniken des Aristophanes von Boiotien) ist vielfach fraglich, und seine Schlüsse sind nicht immer nachvollziehbar.
Ein Vorgänger des Plutarch als Verfasser von Lebensbeschreibungen bedeutender Persönlichkeiten war der Römer Cornelius Nepos (ca. 100–25 v. Chr.). Nur wenige der zahlreichen Schriften dieses Freundes von Catull und Cicero sind erhalten, darunter die für unser Thema relevanten Lebensbeschreibungen des Miltiades, des Themistokles, des Aristeides und des Pausanias. Freilich bieten die Schriften des Nepos wenig Neues, das über die frühere Überlieferung hinausführen würde.
Nur en passant sei hier auf Nikolaos von Damaskus (geboren um 64 v.Chr.) hingewiesen, den Lehrer der Kinder der letzten ägyptischen Pharaonin Kleopatra und des Römers Marcus Antonius, den Freund und Berater Herodes’ des Großen, der neben anderen Schriften – etwa einer Biographie des römischen Kaisers Augustus –eine Weltgeschichte in 144 Büchern verfasste. Auch dieses Werk, bei dessen Abfassung sich Nikolaos vor allem auf die Schriften des Ktesias, des Ephoros und des Xanthos stützte, ist bis auf Fragmente, vor allem aus den ersten Büchern, verloren.Der eben erwähnte Xanthos stammte wohl aus Sardeis und verfasste im 5. Jahrhundert v.Chr. eine Schrift (Lydiaka) über seine Heimat Lydien in vier Büchern. Eine angemessene Würdigung seines Werkes ist kaum möglich, da es nur in wenigen Fragmenten, die überdies wohl nicht auf das Original, sondern auf eine spätere, weniger qualitätvolle Bearbeitung zurückgehen, überliefert ist.
Freilich können nicht nur historiographische oder biographische Werke als Quellen herangezogen werden, sondern auch Schriften anderer Gattungen, wie etwa die attischen Reden. Die Redekunst war im klassischen Athen von enormer Bedeutung; man bedurfte ihrer, um politische Entscheidungen zu finden |26| oder vor Gericht den Ausgang eines Prozesses zu beeinflussen; dazu kamen die Prunk- oder Festreden. Reden aller drei Gattungen wurden schon früh von den Verfassern wie vom Publikum als Kunstwerke angesehen,schriftlich veröffentlicht und so bis heute überliefert. Bereits die antike Tradition kennt einen Kanon der großen „zehn attischen Redner“, zu denen auch der in Athen ansässige Metöke Lysias zählt, der die in diesem Zusammenhang besonders interessante Grabrede auf die im ersten Jahr des Korinthischen Kriegs (394– 387 v.Chr.) gefallenen Athener schrieb. Dabei handelt es sich aber wohl nicht um eine authentische Grabrede, sondern vielmehr um eine rhetorische Muster- oder Übungsrede, in der die Größe und die ruhmvolle Vergangenheit der Stadt Athen thematisiert werden.
Geographische Schriften – wie die Geographika des in augusteischer Zeit tätigen Strabon aus Amaseia oder die Beschreibung Griechenlands des ebenfalls aus Kleinasien stammenden Periegeten Pausanias (2. Jh. n. Chr.) – liefern ebenfalls wertvolle historische Informationen. Mit großem Gewinn können aber auch die Werke der Dichtkunst als Quellen herangezogen werden, etwa Tragödien, die zwar meist eine mythologische Rahmenhandlung aufweisen und am Beispiel der Schicksale der griechischen Heroinnen und Heroen grundlegende religiöse, philosophische und moralische Fragen auf die Bühne bringen.Besonders in den frühen Stücken konnten aber auch zeitgenössische politische Ereignisse thematisiert werden. So verfasste der attische Tragiker Phrynichos im Jahr 492 v. Chr. ein Stück über die Einnahme Milets nach der Niederschlagung des Ionischen Aufstands. Bei der Aufführung dieses Stücks wurden die Zuschauer derart aufgewühlt, dass sie in Tränen ausbrachen. Das Drama wurde daraufhin mit einem Aufführungsverbot belegt, und über den Dichter verhängte man eine Geldstrafe, weil er an dieses Unglück erinnerte. Phrynichos verfasste aber einige Jahre später noch einmal ein Werk, das im Umfeld der griechisch-persischen Auseinandersetzungen angesiedelt war, diesmal freilich thematisierte es einen hellenischen Triumph. In seinem Stück Die Phoinissen (Phoinikerinnen),das von Themistokles als Choregen finanziert wurde, damit seine große Tat auf der Bühne verherrlicht würde, behandelte er nämlich den Sieg der griechischen Flotte bei Salamis, wobei die namengebenden phoinikischen Frauen, die den Chor bildeten, wohl die Witwen von auf persischer Seite gefallenen Seeleuten waren. Beide Stücke sind aber nicht erhalten, während ein Stück des Aischylos, das ebenfalls den griechischen Triumph in der Schlacht von Salamis verherrlichte, durchaus überliefert wurde und immer noch regelmäßig aufgeführt wird (Abb. 2:). Aischylos (ca. 525/24–|27| 456/55 v. Chr.) hat selbst aktiv an den Schlachten von Marathon und Salamis teilgenommen, und als er schließlich im sizilischen Gela starb, wurde ihm folgende Grabinschrift gesetzt, die der Dichter selbst verfasst haben soll:
Abb. 2: Der griechische Tragödiendichter Aischylos (ca. 525–456 v. Chr.). Marmorbüste, Ende 4. Jh. v. Chr.
> Aischylos, den Sohn des Euphorion, den Athener, der verstorben ist, birgt dieses Grabmal im Gebiet des weizenreichen Gela. Von seiner rühmlichen Stärke mögen der Hain von Marathon künden und der Meder mit lang herabhängendem Haar, der ihr entgegengetreten ist.<
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Es ist bemerkenswert, dass der Tragiker, falls dieses Epigramm authentisch ist, seine Teilnahme am Abwehrkampf bei Marathon als die wichtigste Leistung seines Lebens ansah, während er von seinen Erfolgen als Dichter völlig schweigt. Bezeichnend ist auch, dass er nur die Schlacht von Marathon erwähnt, nicht aber jene von Salamis, in der er ja auch mitkämpfte. Hier zeigt sich wohl Standesdünkel des Dichters; während nämlich der Sieg von Marathon durch die von den wohlsituierten Bürgern gebildete Hoplitenphalanx errungen wurde, setzte sich die Besatzung der bei Salamis erfolgreichen Schiffe zu einem nicht geringen Teil aus mittellosen Angehörigen der Unterschichten zusammen.
Ein bemerkenswertes, auch an diesem Epigramm zu beobachtendes Phänomen ist die Bezeichnung der Perser als Meder. Wie im nächsten Kapitel noch gezeigt werden wird, handelte es sich bei den Persern und den schließlich von den Persern unterworfenen Medern um zwei unterschiedliche Völker. Insbesondere in der frühen Phase der griechisch-persischen Kontakte ist aber vor allem von Medern die Rede; dies ändert sich erst in den Jahrzehnten nach den Perserkriegen – diese Veränderung ist gerade bei den gleich zu besprechenden Persern des Aischylos gut greifbar. Doch auch in der Folgezeit blieb es durchaus üblich, die Perser als Meder anzusprechen. Die Kollaboration mit den Persern wurde stets medismós genannt, und für die Perserkriege hielt sich generell die Bezeichnung „Mederkriege“ (tà Mediká bzw. ho medikòs pólemos) – auf Französisch ist heute noch von den guerres médiques die Rede.
Kommen wir aber zurück zu Aischylos, der sich nicht zuletzt aufgrund seiner persönlichen Erfahrung dazu entschlossen hat, die erfolgreiche Verteidigung des Heimatlandes im Rahmen des im Jahr 472 v. Chr. uraufgeführten Stückes Die Perser auf die Bühne zu bringen. Bei diesem von Perikles finanzierten Bühnenwerk handelt es sich nicht nur um das älteste erhaltene griechische Drama, sondern auch um die einzige erhaltene attische Tragödie, die einen historischen Stoff behandelt. Im Gegensatz zum Stück des Phrynichos, in welchem ein Eunuch bereits zu Beginn die persische Niederlage verkündet, wartet am Beginn des eigentlich recht inhaltsarmen aischyleischen Werkes der persische Kronrat am Hof in Susa auf Nachrichten von der mit König Xerxes gegen Griechenland ins Feld gezogenen Armee. Beunruhigt durch einen Traum und ungünstige Vorzeichen tritt Atossa, die Witwe des Dareios und Mutter des Xerxes, auf. Kurz darauf trifft ein Bote ein, der von der schmachvollen Niederlage der Perser, die Xerxes mit nur wenigen Gefolgsleuten überlebt haben soll, kündet. Nach einer Beschwörung des toten Dareios, der aus der |29| Unterwelt zurückkehrt, das unglückliche Geschehen deutet und die Hybris seines Sohnes anprangert, kehrt Xerxes selbst zurück, ehe das Stück in einer Flut von Klagerufen endet. Es ist bemerkenswert, dass Aischylos die persischen Feinde keineswegs herabwürdigt, sondern die Tragik ihrer Niederlage aufzeigt. Auffällig ist gleichfalls, dass der Dichter eine Reihe von persischen Feldherren namentlich nennt, von denen einige auch historisch verifizierbar sind, während die Griechen anonym bleiben (ob man darin allerdings eine demokratische Grundhaltung des Aischylos erblicken kann, sei dahingestellt).
Nicht nur im Drama, auch in anderen literarischen Gattungen wurden Geschehnisse der Perserkriege thematisiert. Ein berühmtes Beispiel stammt aus der Feder des Timotheos von Milet (etwa 450–360 v.Chr.), eines Dichters und Kitharoiden, der einer der Hauptvertreter der sogenannten „neuen Musik“ war. Timotheos schuf Werke, die den unterschiedlichsten Gattungen zugeordnet werden können, vornehmlich Dithyramben (Hymnen zu Ehren des Gottes Dionysos) und Nomoi (eigenständige Musikstücke, die auf dem Aulos oder auf der Kithara vorgetragen wurden). Von einem solchen Nomos mit dem Titel Die Perser hat sich auf einem 1902 gefundenen Papyrus eine längere Passage von 240 Versen erhalten, die in der Form lebhafter Einzelbilder die Schlacht von Salamis zum Thema haben. Freilich ist dieses Werk vor allem durch seine Fremdendarstellung als ein Zeugnis des griechischen Ethnozentrismus und des hellenischen Perserbildes interessant und kann keine neuen Erkenntnisse zur Rekonstruktion der historischen Geschehnisse beisteuern.
In die antike Epik fanden die Perserkriege durch Choirilos von Samos Eingang, der eine Zeitlang zum Gefolge des spartanischen Admirals Lysandros gehörte, ehe er um 400 v. Chr. am Hofe des Makedonenkönigs Archelaos starb. Choirilos war der Erste, der aktuelle historische Geschehnisse im Epos thematisierte. Sein nicht erhaltenes Werk Persika (oder Perseis) verherrlichte den Sieg der Athener über die Truppen des Xerxes. Zu Lebzeiten hoch geschätzt, verblasste der Ruhm des Choirilos aber schnell.
In ihrem Quellenwert besonders bedeutend sind schließlich die Werke des Simonides (etwa 556–468 v.Chr.), der von der Insel Keos stammte. Simonides, um dessen Leben sich zahlreiche Anekdoten ranken, dem stereotyp Habgier und Geiz zugeschrieben wurden und der als Erfinder der Mnemotechnik gilt, war einer der im späten 6. Jahrhundert v. Chr. erstmals auftretenden bezahlten Auftragsdichter. Er lebte wohl am Hof der Peisistratiden, später sicher am thessalischen Hof der Skopaden und schließlich auf Einladung des Tyrannen Hieron I. in Sizilien, wo er auch verstarb. Simonides gilt als Erfinder der Epinikien|30|(Siegesgedichte) auf die Sieger in den großen Agonen, er verfasste Threnoi (Klagelieder) sowie Paiane (feierliche Gesänge zu Ehren Apollons) und erlangte als Schöpfer von Dithyramben besonderen Ruhm. Zur Zeit der Perserkriege spielte er die Rolle eines „Nationaldichters“, der die griechischen Erfolge feierte, und verfasste ein Gedicht auf die Gefallenen an den Thermopylen, eine lyrische Darstellung der Seeschlacht bei Kap Artemision (ein Gedicht auf die Schlacht von Salamis ist nicht ganz sicher belegt) sowie eine Elegie auf die Gefallenen der Schlacht von Plataiai, von der sich –im Gegensatz zu den vorgenannten Werken –längere Passagen auf Papyri erhalten haben. Große Berühmtheit erreichte er als Verfasser von Epigrammen, darunter auch Grabepigramme auf in den Perserschlachten gefallene Griechen. Diese Berühmtheit hatte freilich zur Folge, dass sich unter den 90 unter seinem Namen literarisch und epigraphisch überlieferten Epigrammen auch viel Unechtes befindet.
Die zum Teil auf Inschriften erhaltenen Epigramme des Simonides schlagen eine Brücke von den literarischen Quellen zu den epigraphischen Zeugnissen, die eine wichtige und zugleich oft heikle Stellung einnehmen. Es sind hier einerseits bedeutende Inschriften zu nennen, die zweifelsfrei aus der Zeit der griechisch-persischen Auseinandersetzungen stammen, so etwa die Weihung des Helmes des Miltiades, des athenischen Strategen in der Schlacht von Marathon, im Heiligtum von Olympia oder die aufgrund ihres fragmentarischen Erhaltungszustandes problematische Weihung einer Nikestatue durch Kallimachos, den in derselben Schlacht gefallenen athenischen Polemarchen, auf der athenischen Akropolis. Hier sind auch die Weihung eines Teiles der Kriegsbeute der Schlacht von Marathon an den delphischen Apollon durch die Athener oder die ebendort nach der Schlacht von Plataiai errichtete (und dann nach Istanbul verbrachte), ursprünglich einen goldenen Dreifuß tragende Schlangensäule, welche die Namen der an den Kampfhandlungen beteiligten Städte nennt, aufzuführen; in diese Reihe gehören ebenso Gedenkinschriften für die in den Perserschlachten gefallenen Griechen, wie jene kurz nach 480 v.Chr. entstandene Ehrung für die gefallenen Athener vom Nordostabhang der Akropolis.
Andererseits sind hier aber auch Inschriften zu nennen, deren Authentizität in der althistorischen Forschung mit guten Gründen bezweifelt wird. Zu diesen zählen etwa das berühmte sogenannte Themistoklesdekret aus Troizen, in dem die Evakuierung der Stadt Athen und die Bemannung der athenischen Schiffe angeordnet werden, oder der auf einer Stele aus Acharnai überlieferte |31| Eid, den die Hellenen vor der Schlacht von Plataiai schworen. Beide Inschriften sind nicht vor dem 4. Jahrhundert v. Chr. entstanden, was die Frage aufwirft, ob es sich jeweils um getreue Abschriften von Dokumenten des 5. Jahrhunderts v.Chr.handelt oder vielmehr um „Fälschungen“der spätklassischen Epoche, deren Entstehung im Kontext der innenpolitischen Auseinandersetzungen im Athen des 4. Jahrhunderts v.Chr. zu suchen wäre.
Nicht übergangen werden dürfen schließlich archäologische Funde und Befunde als Quellengattung. Die Lokalisierung und archäologische Untersuchung von Schlachtfeldern, von Begräbnisstätten, von denen der sogenannte Soros von Marathon, der als Grabstätte der gefallenen Athener angesehen wird, die wohl berühmteste ist, oder von Siegesdenkmälern (Tropaia), wie sie auf den Schlachtfeldern der Perserkriege, zum Beispiel in Marathon, errichtet wurden, sind hier genauso anzuführen wie die Analyse von Waffenfunden oder die Interpretation von bildlichen Darstellungen der Kriegsereignisse.
Wenn wir den Blick nun von den griechischen Quellen auf die achaimenidische Überlieferung wenden, so ist festzustellen, dass persische Quellen zu den Feldzügen nach Griechenland fehlen. Dies hat mehrere Gründe. Zum einen ist es natürlich so, dass Geschichte in der Regel von den Siegern geschrieben wird und die Perser wenig Interesse daran hatten, ihr Scheitern publik zu machen. Zum anderen gibt das völlige Fehlen entsprechender Äußerungen auch einen Hinweis darauf, welche Bedeutung die Perser den Niederlagen in diesen Auseinandersetzungen am Rande ihres Imperiums beimaßen.
Welche Quellen stehen aber überhaupt zur Verfügung, die Einblicke in die Geschichte und Organisation des achaimenidischen Staates geben? Neben den bereits genannten griechischen Schriften sind zunächst jene Bücher aus dem Alten Testament nicht zu vergessen, die sich mit der Zeit der Achaimeniden beschäftigen. Für die jüdische Geschichte war diese Epoche ja von besonderer Bedeutung, da Kyros II. nach der Eroberung von Babylon den Juden die Rückkehr in ihre Heimat gestattete und so dem sogenannten Babylonischen Exil ein Ende setzte. Die positive Zeichnung des persischen Großkönigs Kyros im Alten Testament ist natürlich weitgehend durch die theologische Deutung als Werkzeug Jahwes bestimmt und entspricht nur in sehr eingeschränktem Maße der tatsächlichen historischen Persönlichkeit. Keinesfalls darf darüber hinweggesehen werden, dass die Schriften des Alten Testaments keine historiographischen Werke im engeren Sinne sind. Vielfach dient das Zeitalter der Achaimeniden nur als ein pseudo-historischer Hintergrund für die biblischen |32| Erzählungen;dies gilt insbesondere für die erst in hellenistischer Zeit entstandenen roman- und legendenhaften Bücher Daniel und Esther.
Abb. 3: Verwaltungstäfelchen in elamischer Sprache aus Babylonien. Tontafel, um 500 v. Chr.
Wenn wir nun zu den persischen Quellen kommen, sind zunächst die Königsinschriften zu nennen, die vor allem aus der Persis, aus Elam und aus Medien stammen und von den Taten der Großkönige künden. Die bekannteste und zugleich die älteste dieser Königsinschriften ist der Tatenbericht des Dareios I. bei Bisitun. Wie die meisten Königsinschriften ist diese dreisprachig (Altpersisch, Elamisch, Neubabylonisch)abgefasst, doch existieren auch Bilinguen und einsprachige Inschriften – ab der Regierungszeit von Artaxerxes I. (465–424 v. Chr.) sind die Königsinschriften in der Regel nur mehr einsprachig, viel formelhafter, und auch ihre Zahl nimmt deutlich ab.
Für die Verwaltungsgeschichte sind die in elamischer Sprache abgefassten Tontäfelchen aus Persepolis von enormer Bedeutung (Abb. 3:). Nach ihrem Fundort werden hier die sogenannten Walltäfelchen (Persepolis Fortification Tablets), bei denen es sich um mehrere tausend Dokumente handelt, und die sogenannten Schatzhaustäfelchen (Persepolis Treasury Tablets), insgesamt 114|33| Stück, unterschieden. Die Walltäfelchen sind im Zeitraum zwischen 510 und 494 v. Chr., also in der Regierungszeit des Großkönigs Dareios I. (522–486 v. Chr.), entstanden, die Schatzhaustäfelchen wurden in den Jahren zwischen 492 und 460 v.Chr., also von der Zeit des Dareios bis in die frühen Regierungsjahre des Artaxerxes I., verfasst. Diese Tontäfelchen wurden in noch feuchtem Zustand beschrieben und dann in getrocknetem, aber ungebranntem Zustand aufbewahrt. Erst durch jenes Feuer, das im Jahr 330 v.Chr. bei der Eroberung des Achaimenidenreiches durch Alexander den Großen in Persepolis wütete, wurden die Täfelchen gebrannt und so dauerhaft konserviert.Wie im Fall der mykenischen Linear-B-Texte fast ein Jahrtausend früher wurde so eine Katastrophe zum Glücksfall für die Altertumswissenschaften.
Es handelt sich bei diesen elamischen Texten – Ein- und Ausgangsbuchungen von Getreide, Öl, Obst, Bier, Wein, Geflügel oder Vieh – um relativ kurze Notizen der Hofverwaltung, die aber in der Zusammenschau tiefe Einblicke in das Funktionieren der achaimenidischen Administration, in den Aufbau der persischen Gesellschaft, die Prosopographie des Reiches und auch die kultischen und religiösen Verhältnisse gewähren.
An dieser Stelle scheint es angebracht, einen kurzen Blick auf die im Achaimenidenreich gesprochenen Sprachen und deren Verschriftlichung zu werfen. Die Muttersprache der Herren über dieses Imperium, das –wie Dareios in seinen Inschriften selbst sagt – „von den Saken jenseits Sogdiens bis nach Nubien, von Indien bis nach Lydien“ reichte und eine Vielzahl von Völkern und Sprachen in sich vereinte, war das zur indogermanischen Sprachfamilie gehörende Altpersische, die Sprache der Persis (Provinz Fars), ein früher Vorläufer des heutigen Neupersischen (Farsi), der Staatssprache der Islamischen Republik Iran. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die gesprochene Umgangssprache deutlich von der Sprache der auf uns gekommenen Inschriften zu unterscheiden ist. Die Sprache der Inschriften, die nur von den achaimenidischen Großkönigen gebraucht wurde, ist ein Kunstprodukt, eine Repräsentationssprache, die mit altertümlichen Formen und Entlehnungen aus anderen iranischen Sprachen durchsetzt ist. Für die Niederschrift des Altpersischen auf ausschließlich festen Schriftträgern wurde eine eigens dafür entwickelte Prunkschrift verwendet, die altpersische Keilschrift, eine Neuschöpfung unter dem Einfluss der aramäischen Konsonantenschrift, die erstmals in der Inschrift von Bisitun zur Anwendung kam.
Das Elamische, das in den dreisprachigen Königsinschriften direkt nach dem Altpersischen verwendet wird, wurde seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. in |34| Elam, im Südwesten des heutigen Iran, gesprochen. Es ist keiner bekannten Sprachfamilie zuzuordnen; es handelt sich weder um eine indogermanische noch um eine semitische Sprache. Auch mit dem Sumerischen ist es nicht verwandt; eine hypothetische Verbindung mit drawidischen Sprachen ist höchst umstritten. Das Elamische war die Sprache der frühen Hofverwaltung in Persepolis, aus der Zeit nach 460 v.Chr.sind dann aber keine Zeugnisse mehr erhalten. Die Buchführung wurde umgestellt, und das Aramäische setzte sich als Verwaltungssprache durch.
Das Babylonische, ein Dialekt des seit dem 3. Jahrtausend v.Chr. belegten Akkadischen, das zur semitischen Sprachfamilie gehört, tritt uns als dritte Sprache auf den trilinguen Königsinschriften entgegen. War das Akkadische zwischen 1800 und 1200 v. Chr. noch die im Handel und in der Diplomatie dominierende Schriftsprache im Vorderen Orient gewesen, spielte es in achaimenidischer Zeit außerhalb von Babylonien praktisch keine Rolle mehr. Dennoch wurde es von den Persern verwendet, da es einerseits als Sprache des Kultes und der Gelehrsamkeit nach wie vor von Bedeutung war (und in dieser Hinsicht dem Latein im mittelalterlichen Europa entspricht), und andererseits die persischen Großkönige an die früheren babylonischen und assyrischen Herrscher anknüpfen wollten. Unter den in babylonischer Sprache abgefassten Texten sind besonders die sogenannteNabonid-Chronik und der sogenannte Kyros-Zylinder, welche die Eroberung Babylons durch Kyros II. behandeln, zu nennen. Wertvolle Einblicke in das Rechts- und Wirtschaftsleben bieten darüber hinaus Tausende Täfelchen aus den Archiven der Städte Babylon, Nippur, Uruk und Sippar.
Die offizielle Kanzleisprache sowohl in der regionalen Verwaltung als auch im interregionalen Schriftverkehr im Achaimenidenreich war das mittels einer seit dem 9. Jahrhundert v.Chr. belegten Alphabetschrift niedergeschriebene Aramäische (sogenanntes Reichsaramäisch). Aramäische Zeugnisse sind aus dem gesamten Perserreich erhalten, aus Ägypten genauso wie aus Kleinasien oder der Persis; es findet sich auf Papyri und Ostraka (Tonscherben) genauso wie auf Steininschriften.
Andere lokale Schriftsprachen waren nur von nachgeordneter Bedeutung, wurden aber regional auch für administrative Zwecke eingesetzt. Aus dem perserzeitlichen Ägypten stehen zahlreiche demotische und hieroglyphische Texte zur Verfügung, in Kleinasien wurden das Lydische, Lykische und das Griechische verwendet. Unter den griechischen Dokumenten sei nun am Schluss dieses Kapitels auf ein ganz besonders interessantes Zeugnis hingewiesen |35|, nämlich einen nahe der Stadt Magnesia am Maiandros gefundenen Brief des Großkönigs Dareios I. an seinen Funktionär Gadatas. Das Bemerkenswerte an diesem Brief ist der Umstand, dass das Schreiben nicht im aramäischen Original erhalten ist, sondern in einer kaiserzeitlichen Abschrift, die eine griechische Übersetzung wiedergibt. Trotz aller geäußerten Zweifel handelt es sich bei diesem Brief sicher um ein authentisches Dokument.
Einen Geschichtsschreiber wie Herodot haben die Achaimeniden nicht hervorgebracht – dafür fehlten auch die Voraussetzungen. Freilich wäre es falsch, vom Fehlen jeglicher persischen Historiographie auszugehen. Dass einst Königschroniken existierten, ist anzunehmen, doch gingen diese Dokumente schon früh wieder verloren.
Neben die schriftlichen Zeugnisse treten freilich noch die materiellen Hinterlassenschaften: die beeindruckenden persischen Palast- und Grabbauten, die Felsreliefs und Skulpturen sowie die Werke der Kleinkunst wie Schmuckstücke oder Siegelsteine, Gefäße und Waffen.
Insgesamt bleibt am Ende dieses langen Überblicks über die scheinbare Fülle des vorhandenen Quellenmaterials allerdings die bereits eingangs formulierte Erkenntnis, dass jede Darstellung der griechisch-persischen Auseinandersetzungen überwiegend auf einer einzigen Quelle beruhen muss, nämlich den Historien des Herodot.
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