Читать книгу Blutland - Josef Hahn - Страница 5
Moses Wassermann
ОглавлениеDie jüdische Familie Wassermann feierte gerade das alljährliche Passahfest. Es erinnert die Juden weltweit an ihre Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei, von der das 2. Buch Moses im Tanach berichtet.
Dieses Fest wird in der Woche vom 15. bis 22. Nisan15 gefeiert. Man nennt es auch Fest der ungesäuerten Brote. An diesem Tag dürfen gläubige Juden nur Mazzes essen; ungesäuerte Brotfladen.
Familie Wassermann bestand aus sechs Personen: Moses, der Vater; Rahel, seine Frau und die vier Kinder Deborah, Aaron, Rahel und Moses. Dazu kamen noch zwei Hausangestellte christlichen Glaubens.
Christlich deshalb, weil den gläubigen Juden jedwede Tätigkeit am Sabbat verboten war. Man wollte aber auch am Sabbat essen und die normalen Verrichtungen des Lebens ausführen. Also beschäftigte man, wenn man es sich leisten konnte, vorwiegend Christen. Die brauchten sich um den Sabbat nicht zu kümmern.
Moses Wassermann behandelte seine Angestellten gut und diese wiederum waren mit ihrer Stellung bei dem wohlhabenden und angesehenen jüdischen Geldverleiher und Kaufmann zufrieden.
Die Familie bewohnte am Wiener Judenplatz ein zweistöckiges Haus; gleich neben der Synagoge. Moses Wassermann zählte zum Zeitpunkt unserer Geschichte etwa 45 Jahre, ein bereits ergrauter Vollbart umrahmte sein Gesicht. Rahel, seine Frau war um die 40 herum und die vier Kinder zwischen 16 und 11 Jahren.
„Rabbi! Wenn am Sabbat das Haus zu brennen beginnt, darf man es löschen oder ist das gegen das Gesetz Gottes?“. Moses Wassermann stellte diese wichtige Frage dem hochangesehenen Wiener Gemeinderabbiner Barukh ha-Levi, der bei ihm zu Tisch saß.
Der Rabbi verschluckte sich ob dieser Frage fast an einem Stück Mazzes und bekam einen ganz unehrwürdigen Hustenanfall dem ein lautes und übelriechendes Darmgas folgte. Die jüngeren Kinder kicherten verstohlen.
Der Rabbi maß sie dafür mit einem bösen Blick, obwohl es durchaus üblich war, Geräusche aus verschiedenen Körperöffnungen nicht zu unterdrücken. Die Menschen furzten und rülpsten laut und ungeniert zu allen möglichen Gelegenheiten
„Jaa…“, erwiderte der weise Rabbi langgedehnt. „Eine durchaus überlegenswerte Frage.“ Er schwieg und überlegte. „Also, wenn das Haus eines Goj16 am Sabbat in Flammen aufgeht und diese Flammen nicht über unsere Häuser kommen, dann ist es, meine ich, verboten! Wenn allerdings eines unserer Häuser brennen sollte, dann darf man es löschen. Unser Gott ist groß und liebt uns. So einen Frevel verzeiht er uns! Allerdings verzeiht er Respektlosigkeit nicht!“ Dies galt den beiden jüngeren Kindern, die vorher gekichert hatten.
Moses nickte zustimmend dazu und alle bewunderten den klugen Rabbiner, wie schnell und einfach er diese komplizierte Frage beantwortet hatte.
„Ich werde den beiden Bengeln später das Frevelhafte ihres Verhaltens begreiflich machen“, meinte Moses zum Rabbiner.
Der nickte wohlwollend.
Schweigend quälten sie sich dann weiter mit ihren Brotfladen ab; zur Ehre Gottes, dem dies aber vermutlich scheißegal war und ist: damals wie heute.
Der Rabbi musterte nun die sechszehnjährige Deborah. „Eine vollerblühte Frau sehe ich vor mir. Es ist Zeit, dass du ihr einen guten Mann aussuchst, Moses. Sonst wird aus der Knospe bald eine vertrocknete Blüte, he! Ein Mann ohne Frau lebt ohne Freude, ohne Segen, ohne Güte“, zitierte er aus dem Talmud. „Mann und Frau haben Gottes Auftrag, den Fortbestand unseres Volkes zu sichern“.
Moses nickte zustimmend. „Ich habe sie schon Ignaz dem Seifensieder versprochen. Er ist Witwer im besten Alter und hat drei mutterlose Kinder. Deborah freut sich schon auf ihre Hochzeit! Sie wird demnächst stattfinden.“
Deborahs Gesichtsausdruck spiegelte - im Gegensatz zu den Worten ihres Vaters - alles andere als Freude und Erwartung wider. Ignaz, der Seifensieder war Mitte Vierzig, dick wie eine Tonne und roch übel. Aber der Entscheidung des Vaters musste man sich fügen. Alles andere wäre für eine jüdische Tochter ein schweres Vergehen gewesen.
Das einzige, worauf Deborah sich freute, waren die kostbaren und hübschen Kleider, die jüdische Mädchen bei der Hochzeit erhielten. Die Hochzeit selbst gestaltete sich zu einem großen Fest; die Kosten bestritt aber nicht der Vater der Braut, sondern der Bräutigam. Darüber wiederum freute sich Moses!
„Dann ist es gut“, sprach der Rabbi. „Gott möge ihnen viele Kinder schenken! Deine Deborah hat ja ein gebärfreudiges Becken und bald werden ihre Brüste hoffentlich vor Milch strotzen! Gott gebe es.“
Deborah war bei den Worten des Rabbi knallrot geworden, sagte aber nichts dazu. Sie aßen weiter.
Vroni, die junge und einfältige Magd trat ein und meldete, dass vor der Tür ein Bote seiner Durchlaucht, des Herzogs, mit einem wichtigen Brief warte.
„Gerade heute“, murrte Moses. „Na, dann lass ihn halt eintreten.“
Vroni knickste, ging hinaus, kam aber gleich wieder zurück. „Er sagt, er betritt das Haus eines Juden nicht. Der Hausherr möge gefälligst herauskommen. Es wäre wichtig.“
Moses schüttelte den Kopf ob der Unverfrorenheit des Boten, stand aber auf und ging hinaus.
Der Bote des Herzogs, fast noch ein Knabe, sah den Juden, schlug schnell ein Kreuz und überreichte ihm mit ausgestreckter Hand das Schreiben. Offenbar wollte er einem Juden nicht zu nahe kommen. „Seine Durchlaucht erwartet eine umgehende Antwort“, schnarrte er.
Moses nahm das Schreiben schweigend entgegen. Er ahnte schon, was der Herzog von ihm wollte. „Sag deinem Herrn, er wird bald Antwort erhalten!“
Dann ging er wieder hinein, erbrach das Siegel auf dem Brief und las. Schon nach den ersten Zeilen warf er das Schreiben wütend auf den Boden. „Er fordert schon wieder Geld, der habsburgische Lasterbalc17. Meint er denn, unsere Truhen füllten sich von selber? Schwer genug tragen wir schon an den Kontributionen, die er uns auferlegt hat. Von mir kriegt er nichts mehr!“
In der Tat: Die Kassen des Herzogs standen immer leer, sein glänzender Hofstaat aber erforderte immer mehr Gelder, der Bau des Stephansdomes, der in seinen Zeiten zu Ende geführt wurde, verschlang riesige Summen, und am Horizont drohte der Krieg gegen die Hussiten. Die katholische Kirche war gerade dabei, den Acker dafür zu bereiten. So trieb er ab 1415 eine außerordentliche Judensteuer ein, als billige Dankbarkeit für die erwiesene Freundlichkeit des Herzogs gegenüber den Israeliten.
Welche?
Das sagt das Dokument nicht aus.
1417 kam neuerlich eine unvorhergesehene Abgabe auf die Juden zu: Wenige reiche Juden sollten für den Herzog einen Betrag von 6.000 Gulden aufbringen. Der Herzog verfügte zwar, dass dieses Zwangsdarlehen auf die Gemeinschaft seiner Juden in Österreich unter und ob der Enns umgelegt werden sollte: eine pure Augenauswischerei. Es gab gar nicht so viele reiche Juden in Österreich. Moses Wassermann aber war einer von ihnen.
Die echt reichen Juden aber nahmen ihre Pflichten zur Wohltätigkeit – wie im Talmud vorgeschrieben - sehr ernst. Sobald sie Zinsen aus ihrem verborgten Kapital oder sonst einen Gewinn erhielten, unterstützten mit einem Zehntel davon ihre armen Glaubensbrüder. Die Verteilung der Spenden nahm der Rabbi in der Synagoge vor.
Warum sie aber für den Regenten, der keiner der ihren war und von dem sie sich ohnehin zu Recht geschröpft fühlten, immer wieder Gelder auftreiben sollten, kapierten sie nicht! Unmut machte sich bei breit! Versteckt, aber doch!
„Sehr zur Vorsicht rate ich dir! Sehr zur Vorsicht“, wandte der Rabbi ein. „Nie weiß man, was diesem Goj noch einfällt um uns neuerlich zu quälen! Vielleicht lässt er wieder Feuer im Haus Gottes legen oder plant noch ärgeres?18“
Moses nickte gedankenverloren. „Ich hoffe nicht, dass sich so etwas wiederholen wird! Sehr schmerzhaft waren meine Verluste in diesem Jahr. Lange hat es gedauert, bis wir uns davon erholen konnten. Freilich, jetzt sind meine Truhen wieder gut gefüllt, aber nicht für den Herzog! Sehr höflich werde ich ihm meine Antwort schicken. Auch wenn sie seiner Erwartung nicht entsprechen wird“.
Seit den Tagen der Babenberger hielt man in der Stadt alle Juden für äußerst wohlhabend. Sie lebten seit 1194 in Wien. Der erste namentlich bekannte Jude war Schlom19, der Münzmeister20 der Herzöge Leopold V. und Friedrich I. war. Schlom verwaltete und unter anderem das Lösegeld für den gefangenen englischen König Richard Löwenherz.
Übrigens hat sich die Sache mit dem englischen König ganz anders abgespielt, als man es den meisten von uns in der Schule beigebracht hat. Sie ist durchaus einer besonderen Erwähnung wert.