Читать книгу Frauen & Mönche (Historischer Roman) - Josef Kallinikow - Страница 20
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ОглавлениеDa hatte ihm der Zivilanwalt Lossew eine harte Nuß zu knacken gegeben! Den ganzen Weg über grübelte Afonka.
»Das erstemal habe ich sie ins Unglück gestürzt, habe sie selbst dem Nikolka abgetreten, ihn mit ihr an der Mühle bekannt gemacht – und nun bin ich es wieder, der sie an den alten Kaßjan verrät … Ich bringe sie an den Bettelstab durch diesen Brief!«
Er tastete nach dem Schreiben in seiner Rocktasche, seine Hände glühten – er hätte es zerreißen, vernichten mögen, doch was wäre dadurch gewonnen! Kaßjan Parmjonytsch würde sich einen anderen, zuverlässigen Vertrauensmann nehmen, und er, Afonka, würde überhaupt nicht wissen, wie sich das Schicksal der kleinen Fenja gestaltete.
»Wenn ich die Sache in der Hand behalte, kann ich vielleicht was tun, das Unglück von ihr abwenden …«
Er hatte gar nicht bemerkt, wie er bis an das Drakinsche Haus gekommen war, das mit den Fabriken fast ganz am Ende der Stadt lag. Es war ein rotes Ziegelgebäude, nicht mit Stuck verziert, massig wie ein Gefängnis oder ein Altersheim; in der Vorstadt Penji lag die Fabrik.
Als Afonka klingelte, zitterten seine Hände, und während er auf die Schritte lauschte, die die Treppe hinabeilten, schlug sein Herz heftig, und er wiederholte in gleichem Takt: »Verräter, Verräter … Du verrätst, verrätst sie … du, du …« Und während er die Treppe hinaufstieg, klang es: »Ich werde sie gleich sehen, sehen, sehen …«
Er traf Fenja im Vorzimmer. Sie gab dem Primaner Nikodim Alexandrowitsch Petrowskij das Geleit, der ihr bei der Vorbereitung zum Abitur Nachhilfestunden gab; es war jener selbe Nikodim, der Fenja noch vor ihrer Bekanntschaft mit Vater Nikolai schüchtern den Hof gemacht hatte, als sie von edlen Rittern träumte. Die Mädchenträume waren verflogen, seit Nikolais Liebkosungen den Schleier der Erkenntnis von den Dingen gestreift hatten. Sie suchte nicht mehr einen edlen Ritter in Nikodim zu sehen, sondern sah ihn, wie er war: mittelgroß, mit einem scharfzügigen, eckigen Gesicht, glatt rasiert, großen grauen Augen, eine ewige Zigarette im Munde. Vielleicht träumte sie auch jetzt noch, aber nicht mehr von einem edlen Ritter, der ihr in einem Märchengarten bei Nachtigallenschlag von seiner Liebe spricht und sie in sein Zauberschloß führt, sondern von einem sterblichen Mann, in Sünde geboren, dessen Liebkosungen sie fürchtete und nach denen sie sich zugleich sehnte, nicht mehr in schwärmerischer Mädchenliebe, sondern mit wissendem Verlangen. Sie hatte erst jetzt begriffen, daß sie schon früher ein bißchen in Nikodim verliebt war, und das war wohl so geblieben. Doch ganz andere Liebesträume kamen ihr jetzt, die ihren Leib des Nachts süß und sehnsüchtig erschauern machten.
Statt der scheuen Blicke bei ihren Begegnungen auf der Straße, wenn sie zu einer Freundin eilte, unter dem Vorwand, sie habe vergessen, was aufgegeben sei, war ihr ein frauliches Lachen gekommen, lockend und abweisend und verschlagen.
Afonka erkannte die kleine Fenja nicht gleich, und auch sie erkannte ihn nicht in dem langen blauen Kaftan, mit dem geschorenen Haar und dem kleinen Ziegenbärtchen. Er wurde ins Nebenzimmer geführt, wo er auf Antonina Kirillowna wartete, dabei hörte er Fenja mit Petrowskij im Vorzimmer sprechen.
»Wenn man keine gründlich durchgearbeiteten Aufsätze schreiben will, sollte man nicht auf die Hochschule gehen, Fenja. In der Prima muß man Rudin und Basarow8 kennen: es sind die ersten Typen der zukünftigen Revolutionäre.«
»Wie können Sie nicht verstehen, Nikodim Alexandrowitsch, daß ich auf die Hochschule will, um das Leben kennen zu lernen! Sie träumen immer von einer Revolution, ich bin auch ohne Revolution mit dem Leben zufrieden. Als angehender Revolutionär haben Sie sich auch schon lange Haare wachsen lassen … Die Studentinnen mit Pagenköpfen könnten Sie darum beneiden.«
»Die scheren sich ja jetzt die Haare nicht mehr. Aber Aufsätze müssen Sie trotzdem schreiben.«
»Ich will's versuchen, Nikodim Alexandrowitsch. Und wenn ich erst Studentin bin, machen Sie mir den Hof. Sie werden dann ja auch die Studentenmütze tragen.«
»Den Hof können Ihnen junge Gecken machen, ich werde keine Zeit dazu haben. Regt es Sie nicht auf, daß hundertdreißig Millionen Menschen unter der Zarenknute schmachten? Für mich ist dieser Kampf das Leben!«
»Also ich bin so wenig ansprechend, daß man mir nicht einmal den Hof machen will?«
»Darüber wollen wir nicht reden. Leben Sie wohl, Fenja …«
Bevor er ging, warf Petrowskij noch einen Blick durch die offene Tür in das Empfangszimmer auf Afonka; ihre Augen trafen sich, und beide fühlten, daß sie Feinde seien. Vielleicht würden sie sich nie mehr wiedersehen, aber das Gefühl der gegenseitigen Feindseligkeit würde bleiben. Petrowskij dachte sich nichts weiter beim Anblick des ungefügigen rothaarigen Mannes, wunderte sich nur über das feindselige Gefühl, das er in sich aufsteigen fühlte, während in Afonka Eifersucht und Haß emporschlugen. Er spürte, daß er Petrowskij nicht gleichgestellt war und sich nicht so unbefangen wie er mit der kleinen Fenja unterhalten könnte; nur von seiner hartnäckigen Liebe könnte er zu ihr sprechen, würde gar nicht wissen, was er ihr sonst noch sagen sollte; Komplimente zu machen, etwas Lustiges zu erzählen, verstand er nicht, und wenn er das nicht konnte, so war er in ihren Augen überhaupt kein Mensch, bloß so ein Angestellter in Klimows Gastwirtschaft. Zurückgesetzt, verletzt fühlte sich Afonka vor dem Hauslehrer mit der üppigen Mähne. Fenja konnte wohl den schönen Nikolai noch immer nicht vergessen, dachte er, darum hat sie sich wieder einen Langmähnigen ausgesucht. Jede ihrer Bewegungen verfolgte er aufmerksam.
Die Tür fiel hinter Petrowskij ins Schloß. Fenja, ein herausforderndes Lächeln auf den Lippen, schritt durch das Zimmer und fragte im Vorübergehen:
»Wen wünschen Sie zu sprechen?«
»Ihre Frau Mutter, Fjokla Timofejewna, und auch Ihren Onkel, Kirill Kirillowitsch, den Herrn Ingenieur.«
»Ich schicke Ihnen Mutter gleich her, warten Sie einen Augenblick.«
Frau Grakina erkannte Afonka sofort, hatte auch davon gehört, daß er bei Marja Karpowna untergekommen war und das Vertrauen des alten Klimow genoß.
Eine ganze Stunde lang unterhandelte Afonka mit Frau Grakina und dem Ingenieur über Klimows Brief. Kirill Kirillowitsch willigte schließlich ein, sich mit dreihunderttausend Rubeln zufrieden zu geben, und ein Tag wurde zum Abschluß des Geschäftes festgesetzt.
Als dieser kam, wurde ein Wechsel, der Fenjas Unterschrift trug und durch die Verpfändung ihrer Häuser gesichert war, in aller Form ausgefertigt, und der alte Klimow verwahrte das Dokument sorgfältig in seinem Nußbaumpult in der Betstube; dankend bekreuzigte er sich vor dem mit Perlen und Saphiren geschmückten Bilde der Mutter Gottes von Kasan und hängte darauf den Schlüssel zum Pult wieder hinter das Heiligenbild.
Afonka aber verbrachte in seiner Kammer unter der Treppe schlaflose Nächte und grübelte darüber nach, wie er das Unheil von der kleinen Fenja abwenden, den Wechsel an sich bringen könnte. Er sang Psalmen und hing seinen Gedanken nach. Immer ungezwungener trat er dem alten Kaßjan Parmjonytsch gegenüber auf. Zuweilen ging er mit ihm nach der Abendmesse in die Betstube, weniger, um vor den Heiligenbildern, die Hunderttausende wert waren, zu beten, als vielmehr darum, um hier Umschau zu halten und das Pult prüfend zu betrachten, während der Kaufmann ihm von seinen jahrhundertealten Heiligenbildern erzählte. Jedes hatte seine Geschichte; das eine hatte eine Feuersbrunst von seinem Hof abgewehrt, ein anderes ihn vor Einbrechern geschützt, noch ein anderes ihn bei einer Überschwemmung aus den Fluten gerettet.
Einst machte der Alte eine Geschäftsreise auf dem flachen Lande und ließ seine Frau wieder von Afonka bewachen. Eines Abends erklärte dieser seiner Maschenka, er wolle vor dem Schlafengehen beten und die heiligen Lämpchen vor dem Ikonenschrein anzünden. Er entnahm dem Gebetpult eine Flasche Öl, füllte die Lämpchen und putzte die Dochte. Als er den Arm ausstreckte, um die Lämpchen wieder in die Ringe zu setzen, stieß er zufällig gegen das Bild der Mutter Gottes von Kasan. Da war es ihm, als hätte er hinter dem Bilde etwas pendeln und klirren gehört. Was konnte das sein? Er blickte hin, konnte aber nichts sehen, fuhr mit der Hand hinter das Heiligenbild und stieß auf einen Schlüssel.
»Seltsam! Ein Schlüssel an einem Bindfaden … Für das Schloß im Rahmen eines Heiligenbildes ist er zu klein, wo mag er her sein?«
Wie eine Erleuchtung kam es ihm: »Am Ende ist es der Schlüssel vom Pult?! Dann könnte ich die kleine Fenja retten, brauchte es nur zu wollen … Und sie würde mir ihr Leben lang dankbar sein«. Der Schlüssel paßte. »Ihr Schicksal liegt jetzt in meinen Händen, ihr ganzes Leben hängt von diesem Schlüssel ab …«
Doch Maschenka wartete auf ihn. Er hängte den Schlüssel wieder hinter das Heiligenbild. »In deine Hut befehl ich ihn, heilige Mutter Gottes, auf daß er nicht fortkommt!«
In dieser Nacht war er wenig zärtlich zu Maschenka, immer wieder mußte er an den Schlüssel denken. Marja Karpowna fragte ihn, warum er so finster sei? Er erklärte, daß er sich nicht wohl fühle, Schwermut habe ihn überkommen. Dabei fühlte er zum ersten Male, daß diese dienstpflichtige Liebe ihm allmählich zur Last wurde. Anfangs hatte ihn das Spiel mit dem Alten gereizt, da das Prickelnde des Geheimnisvollen etwas der Liebe Ähnliches in seinem Blut entzündete, eine ungestüme Gier. Jetzt aber, da er den Schlüssel zum Pult in der Hand gehalten hatte, war ihm klar geworden, daß er sich nur Fenjas wegen mit Maschenka abgab. Auch früher hatte er sich das gesagt, doch die Leidenschaft der jungen Frau hatte ihn mit fortgerissen, jetzt aber, da er Fenja wiedergesehen hatte, da sie wieder in sein Leben getreten war, hatte er für Maschenka gar nichts mehr übrig. Trotzdem verbrachte er jede Nacht bei ihr, denn nur dadurch sicherte er sich den Zugang zu der Betstube. Vor der Rückkehr des Alten ging er noch einmal hin und tastete nach dem Schlüssel, als wollte er sich vergewissern, daß dieser immer noch da sei, daß ihm damals nicht bloß eine Sinnestäuschung etwas vorgegaukelt habe. Fürsorglich rückte er das Heiligenbild gerade, damit der Alte nichts merke, und bekreuzigte sich inbrünstig nach alter Klostergewohnheit.
Klimow kehrte zurück, und der Alltag setzte wieder ein. Afonka saß den ganzen Tag hinter dem Schenktisch und dachte an den Schlüssel; selbst Lossew fiel seine Nachdenklichkeit auf.
»Sie sehen so besorgt aus, Afanaßij Timofejewitsch? Hat's mit dem Chef was gegeben?«
»Nein, nichts ist vorgefallen.«
»Dann macht Ihnen wohl das Geld Sorge, haben gewiß noch nichts vom Alten erhalten? Bei Kaßjan Parmjonytsch ist das immer so, er liebt es, die Dinge hinauszuziehen und wird es auch hier tun, bis er Sie schließlich notwendig braucht, sagen wir, um einen Mann mit einer Schwäche fürs Rauchen aufzutreiben, wie ich Ihnen bereits erklärt habe. Zu Weihnachten wird er Ihnen gleichsam als besondere Aufmerksamkeit zu dem hohen Fest einen Teil des Geldes auszahlen und nach Neujahr Sie daran erinnern, daß man sich heutzutage auch einen Zehner erst verdienen müsse – für nichts ist nichts – und wird andeuten, daß zum Herbst ein Feuerschaden bei dem Industriellen Drakin ausbrechen müsse. Und da möchte ich gleich sagen – seien Sie mir nicht böse, Afanaßij Timofejewitsch, daß ich die Ereignisse sozusagen vorwegnehme –, Sie dürfen dann nicht wieder Fehler machen und die bevorstehenden Ausgaben zu niedrig veranschlagen. Sie werden da Werbeunkosten haben, jemand bewirten, jemand in betrunkenem Zustande zu den Mädels in die Vorstadt bringen müssen. Natürlich brauchen für einen einfachen Mann Bewirtung und Mädels nicht erstklassig zu sein. Aber immerhin … Und für seine Bemühungen muß der Mann ja auch was erhalten. So ohne weiteres finden wir den passenden nicht, werden zuerst vorsichtig bei dem einen und dem andern antippen müssen. Es ist ja schließlich ein Kriminalfall, riecht nach Zuchthaus, da heißt es, auf der Hut sein. Tja … Und wenn Sie dann jemand gefunden haben, werden Sie sich mit ihm wochenlang abgeben müssen, um sicherzugehen. Bis zum Herbst haben Sie ja Zeit, vorher ist nichts zu machen, erst muß der neue Hanf herein und die Fabrik in vollem Gange sein. Und der Mann wird anfangs bestimmt eine unvernünftig hohe Summe verlangen. Da will ich Ihnen denn gleich sagen – aus besonderer Hochachtung zu Ihnen, Afanaßij Timofejewitsch, und unter dem Siegel der Verschwiegenheit –, Sie müssen ihn, wenn er betrunken ist, mit einem Mädel zusammenbringen, die ihm gefällt, und sich hinter das Mädel stecken. Die muß ihn überreden – erhält natürlich selbst etwas dafür – sich mit einer Summe zufrieden zu geben, die Sie festgesetzt haben. Das Mädel paßt dann einen zärtlichen Augenblick ab und erhält seine Zustimmung, und dann ist die Sache gemacht. Tja … Also Afanaßij Timofejewitsch, wenn der Chef darauf zu sprechen kommt, so sorgen Sie vor. Da können Sie zu Ihren dreitausend noch weitere fünftausend verdienen … Der Petrowitsch – streng vertraulich teile ich Ihnen das mit – hat im Laufe der Jahre genug zusammengebracht, um eine eigene Wirtschaft aufzumachen. Weshalb er hier Hausknecht geworden ist, kann ich mir nicht zurechtreimen; ich denke aber, der Mann hat's auf Sie abgesehen und wartet seine Zeit ab. Ihr Wohl, Afanaßij Timofejewitsch, und auf gutes Gelingen des Unternehmens, prost! … Nehmen Sie sich in acht vor diesem Petrowitsch, wenn er Wind von der Sache bekommt, mischt er sich ein, auch wenn's gegen den Chef geht, um sich zu rächen, und da kommt's ihm dann auch nicht aufs Geld an, um den Mann für sich zu gewinnen, den Sie nach langen Mühen mit der Sache betraut haben. Ihr Wohl, Afanaßij Timofejewitsch!«
Als Afonka am Abend in seine Kammer kam und sich auskleiden wollte, war ihm, als rühre jemand an seine Tür. Er lauschte – ganz leise klopfte jemand. Er öffnete. Es war Dunja.
»Was willst du, Dunja?«
»Ich habe mich in aller Heimlichkeit hergeschlichen, konnte es kaum erwarten, bis die Herrschaft zu Bett ging; er schläft heute bei ihr, trotzdem es ein Fastentag ist. Es hat zwischen ihnen Krach gegeben – Ihretwegen.«
»Komm herein, erzähle.«
Er umarmte sie nicht; sein Herz schlug unruhig vor Schreck.
»Sie sind heute gar nicht zärtlich zu mir …«
»Später … Erzähle mir zuerst, was geschehen ist!«
»Ich weiß gar nicht, ob ich es sagen soll. Petrowitsch hat da was über Sie erzählt.«
»So sprich doch endlich, Dunja!«
Ärgerlich nahm er sie auf den Schoß – zum erstenmal. Sie schlang den Arm um seinen Hals und sprach im Flüsterton, wobei sie du zu ihm sagte und ihn Afonja nannte.
»Petrowitsch hat dich in ihrem Schlafzimmer gesehen; ich habe gelauscht und alles gehört. Also er hat gesagt: ›Die Fenster waren nicht verhängt und die Läden nicht geschlossen, und da habe ich den neuen Geschäftsführer in Marja Karpownas Schlafzimmer gesehen, ohne Kaftan, in Hemdsärmeln, und die Hausfrau war auch dabei, aber dann hat Kaljabin die Fensterläden geschlossen, sehr sorgfältig …‹ Da bin ich schnell zu der Gnädigen gelaufen und habe es ihr erzählt, und sie hat befohlen, ich solle sagen, daß ich einen freien Abend hatte und im Zirkus war. Darum sei niemand dagewesen, der die Läden hätte schließen können, sie allein sei damit nicht fertig geworden. Darum habe sie schließlich dich gerufen, du hättest den Kaftan bereits ausgezogen, weil du ihn zur Nacht über die Decke wirfst. Und die Gnädige hat mich zu dir geschickt, damit ich dir die Sache erzähle. Und dann hat sie noch gesagt, ich solle über Nacht bei dir bleiben. ›Rette mich, Dunja‹ hat sie gesagt, ›bleibe bei ihm, als wäret ihr ineinander verliebt, und ich werde dich suchen lassen, und wenn man dich bei ihm findet, wird mein Alter sich beruhigen: Er hält's also mit der Dunja, wird er denken, nicht mit meiner Frau …‹ Also ich soll bleiben, Afonja? Soll ich? …«
Sie umarmte ihn beglückt, als er zustimmte.
»Nun hat sie mich selbst zu dir gesandt, Afonja. Von mir aus wäre ich wohl nicht gekommen, aber nun will es wohl das Schicksal so.«
»Lege dich aufs Bett, Dunja, ich setze mich auf den Stuhl oder strecke mich nachher auf dem Fußboden aus.«
»Ich wollte dir noch etwas erzählen, aber du bist sowenig zärtlich, als liebtest du mich gar nicht … Vielleicht liebst du mich auch wirklich nicht, hast bloß gescherzt?«
Afonka, besorgt um sein und Fenjas Schicksal, mußte sich zwingen, den Zärtlichen zu spielen; er küßte sie.
»Wenn ich dich nicht liebte, wäre ich nicht gekommen, Afonja … Ich wollte dir noch sagen, der Petrowitsch hat sich heute an mich herangemacht, ins Theater sollte ich mit ihm gehen. ›Zwischen dem Afonka und der Gnädigen scheint ja eine merkwürdige Vertraulichkeit zu herrschen‹, hat er gesagt und dabei gegrinst, der Verdammte, als ahne er alles – hat einen feinen Riecher. Ich habe ihm geantwortet, Neid spräche aus ihm, weil der Herr ihn von dem warmen Platz hinter dem Schenktisch verjagt hat … Und ins Theater kann ich mit Afanaßij Timofejewitsch gehen, wenn ich Lust habe, habe ich gesagt, um auch ihn auf die falsche Spur zu leiten …«
Noch am gleichen Abend brachte Marja Karpowna das ganze Haus in Aufregung. Sie rief nach Dunja, und als das Mädchen nicht kam, stellte sie fest, daß Dunjas Bett leer war. Darauf schickte sie Kaßjan Parmjonytsch selbst nach dem ersten Hausknecht, dem Petrowitsch, er solle nach Dunja suchen und mal bei Afonka, dem Heiligkeitskrämer, nachschauen. Zusammen mit Petrowitsch erschien das zerknirschte Mädchen vor ihrer zürnenden Herrin. Kaum hatte Petrowitsch das Zimmer verlassen, als Marja Karpowna sich grollend an ihren Mann wandte.
»Da siehst du nun, was dein neuer Geschäftsführer für Stückchen macht! In der Wirtschaft, wo er immer mit Getränken zu tun hat, hat er wohl auch selbst zu trinken angefangen, und das hat ihn dann auch an das Mädchen gebracht. Da siehst du, was diese Mönche, die Scheinheiligen, wert sind! Du aber kommst mir mit albernen Verdächtigungen, weil ich ihn einmal hier die Fensterläden schließen ließ! Dieser Petrowitsch steckt dahinter; du hast ihn von seiner Stelle gejagt, und in seinem Groll wütet er gegen die ganze Welt, nicht nur auf deinen Kaljabin, auch auf mich ist er wütend. Aber was habe ich denn mit der ganzen Sache zu schaffen, warum muß ich darunter leiden, daß du ihm Kaljabin vorgezogen hast? Erkläre mir das, Kaßjan Parmjonytsch!«
Der Alte schnaufte nur und wandte den Kopf hin und her. Dazu war Marja Karpowna in Gegenwart des Dienstmädchens über den Hausherrn hergefallen, um ihm die Sache noch peinlicher zu machen. Dunja heulte und stammelte schluchzend, als fühlte sie sich wirklich schuldig und zerknirscht:
»Er hat mich an sich gelockt, Marja Karpowna, gnädige Frau, teuerste; ich wollte ja zuerst gar nichts von ihm wissen! Aber er sagte mir immer wieder, daß er mich liebe, mich gleich lieb gewonnen habe, als er herkam. Heiraten will er mich …«
Der alte Klimow fuhr sie an:
»Und das soll er auch, das soll er gleich morgen tun! Geh jetzt und hör' auf mit dem Geheul! Wenn ich's ihm befehle, wird er dich schon heiraten.«
Kaßjan Parmjonytsch zog sich zusammen mit seiner Frau in ihr Schlafzimmer zurück. Er lachte gutmütig.
»So sind sie alle, die heiligen Männer! Sobald sie an euresgleichen kommen, ist's vorbei mit der ganzen Heiligkeit! Na, leg' dich hin, Maschenka, es ist spät geworden.«
»Jage ihn darum nicht fort, Kaßjan Parmjonytsch. Als Mönch hat er sich das wohl anders gedacht. Hier in der Stadt, wo er sieht, wie es die übrigen machen, hat er vor ihnen nicht zurückbleiben wollen – ist ja schließlich auch ein Mensch. Dabei ist er doch tüchtig und still.«
»Heiraten soll er sie; tut er's nicht, so jag' ich ihn davon.«
Am nächsten Morgen saß Afonka in Erwartung des Chefs und der bevorstehenden Auseinandersetzung finster hinter dem Schenktisch, doch es wurde Mittag und Kaßjan Parmjonytsch kam nicht. Erst am Abend nahm er Afonka vor.
»Was sind mir das für Sachen?! Du, ein Mönch, frönst dem Laster und dazu noch in meinem Hause?«
Afonka schwieg; er hatte beschlossen, kein Wort zu sagen, damit der Alte sich seinen Zorn von der Seele spreche. Kaßjan Parmjonytsch hielt ihm eine lange Erbauungsrede und schloß mit der Erklärung, Afonka müsse das Mädel heiraten.
Das gute Einvernehmen zwischen den beiden hatte keinen Abbruch erlitten; nach wie vor begleitete Afonka den Alten des Sonnabends in die Kirche und erging sich dabei in frommen Betrachtungen. Natürlich würde er das Mädchen heiraten, das habe er ihr ja gleich gesagt, aber im Augenblick ließe es sich nicht machen, er müsse sich doch erst einiges Geld zusammensparen, um einen Hausstand gründen zu können; er allein sei auch mit der Treppenkammer zufrieden, aber Frau und Kind könne man doch nicht in die dunkle Kammer einsperren. Als der Alte dann von seiner Frau noch erfuhr, daß Afonka sich an dem Mädchen nicht vergriffen habe, und daß Dunja, die nach der Einmischung des Hausherrn ihrer Sache sicher war, als züchtige Braut nur in Gegenwart anderer mit ihrem Verlobten zusammenkäme, bestand er nicht mehr auf der unverzüglichen Heirat.
Marja Karpowna hatte Dunja wirklich ausgefragt und vor Eifersucht dem Mädchen scharf zugesetzt.
»Ist es auch tatsächlich wahr, hat er dich wirklich nicht angerührt? Du sollst mir die ganze Wahrheit sagen!«
»Wie vor Gottes Angesicht spreche ich, Marja Karpowna. Denken Sie denn, daß ich mich ihm gleich an den Hals geworfen habe, gnädige Frau? Für nichts in der Welt täte ich das … Was ist er mir denn?! Weiß ich denn nicht, daß er mit Ihnen lebt? Sollte ich so wenig auf meinen Vorteil bedacht sein, daß ich Ihnen in die Quere komme? Auch gefällt er mir ja gar nicht, grausig sieht er aus, und riesig und schwer ist er, daß es einem ganz unheimlich wird bei dem Gedanken, er könnte einen lieben – er müßte einen ja zerdrücken! Ich werde doch nicht selbst in mein Verderben rennen, was denken Sie nur! …«
So ging denn alles seinen gewohnten Gang weiter; Tag folgte auf Tag, Sonnabend auf Sonnabend, Kaßjan Parmjonytsch war bald zu Hause, bald verreist. Nur Petrowitsch hatte seine Aufmerksamkeit verdoppelt und beobachtete Afonka, die Gnädige und Dunja unablässig.
Zu Weihnachten – rein als hätte er es mit Lossew so abgemacht – schenkte Kaßjan Parmjonytsch Afonka für seine Bemühungen in der Angelegenheit Drakin und als Ansporn zu weiteren Dienstleistungen die Hälfte der versprochenen Belohnung; die zweite Hälfte würde er erhalten, wenn er die Sache erfolgreich zu Ende gebracht habe. Afonka spürte mit Unbehagen, daß der Zeitpunkt, da er sich über Fenjas Schicksal werde entscheiden müssen, immer näher rückte.
8 »Rudin« und »Basarow«: Helden in Turgenews Romanen »Das Adelsnest« und »Väter und Söhne«.