Читать книгу Frauen & Mönche (Historischer Roman) - Josef Kallinikow - Страница 23

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Inhaltsverzeichnis

Es schien, als hätte Kaßjan Parmjonytsch den Vorfall in der Badestube vollkommen vergessen; wie früher kam er bald am Tage, bald am Abend in die Wirtsstube, saß hinter dem Schenktisch, sprach mit Afonka über die Geschäfte. Afonka begegnete er ungezwungen, erwähnte Dunja gar nicht, als hätte es nie eine Dunja gegeben. Nur seine Anweisungen erteilte er in eigentümlich trockenem Tone; nicht mehr väterlich streng wie früher klang seine Stimme dabei, sondern barsch, im Tone des Chefs sprach er. Wenn es nicht gerade ein Fastentag war, besuchte er auch seine Frau öfter des Nachts, und wenn er neben dem mollig warmen Frauenkörper in Schlaf sank, stieß er sie wohl in den Rücken und brummte: »Rück' weiter, erdrückst mich ja!«

Im Halbschlummer spürte Maschenka seinen Atem an ihrem Rücken und hörte ihn murren:

»Wenn ein junger Kerl hier läge, würdest du ihm wohl nicht den Rücken zuwenden …«

Seit jenem Tage schlief Dunja jede Nacht bei Afonka – Maschenka selbst hatte es ihr erlaubt und schloß jeden Abend die Tür hinter dem Mädchen. An Fastentagen lag sie dann allein in ihrem Bett und fand keinen Schlaf, verzehrte sich in Eifersucht und weinte, und an den fastenfreien Tagen quälte sie sich mit ihrem Alten ab.

Dunja erzählte ihrem Liebhaber von dem gestanzten Schmuckkästchen und den Kleinodien, den Ohrringen und dem Granatenhalsband. Als sie sich den Ring ausgewählt hatte, hatte sie, innerlich in Anspruch genommen, kaum einen Blick für all die Herrlichkeiten gehabt. Nun, da sie zu Afonka sprach, glühten ihre Augen bei der Erinnerung an das farbige Strahlenspiel; wenn sie das Kästchen jetzt vor sich hätte, würde sie sich gar nicht von ihm trennen können, jedes einzelne Stück würde sie durch die Finger gleiten lassen und lange betrachten …

»Ach, Afonka, wo hat sie das alles nur her! Gern würde ich noch einmal hineinschauen, gar zu hübsch sind all die Steinchen. Besonders hat mir ein Paar Ohrringe gefallen – es tut mir jetzt leid, daß ich die nicht genommen habe, solche langen hellblauen Anhänger baumelten daran. Ich träume sogar davon … Und dann hat sie Granaten da, so groß wie Kirschen, und Perlen dazwischen. Wenn ich die zu meiner Hochzeit tragen könnte oder bei Besuchen – wir werden doch manchmal auch zu Besuch gehen, Afonka – wie würden mich alle beneiden! Ich Dumme, warum habe ich die nicht genommen! Der Ring mit den Vergißmeinnicht hatte es mir angetan, ich habe die blauen Blümchen so gern, darum habe ich ihn wohl auch gewählt. Was hat sie denn von all den Herrlichkeiten, trägt ja fast nie etwas davon, ganz vergessen und verlassen liegen sie da, wie Waisenkinder …«

Immerfort mußte Dunja an die Ohrringe mit den Anhängern und die Granaten denken. Wenn sie im Schlafzimmer aufräumte, zog die Kommode immer wieder ihre Blicke an. Marja Karpowna öffnete sie oft in ihrer Gegenwart und ließ die Schlüssel achtlos liegen oder steckte sie hinter den Spiegel, wenn sie fortging oder im Hause zu tun hatte. Die Schlüssel gaben Dunja keine Ruhe, gar zu gern hätte sie sich die bunten Steine noch einmal angesehen. An einem Samstag Abend ging Marja Karpowna zur Abendmesse. Dunja blickte hinter den Spiegel – die Schlüssel waren da. Sie ging wieder hinaus, nach einer Weile aber zog es sie aufs neue hin – nur auf einen Augenblick wollte sie die Kommode öffnen, das Schmuckkästchen hervorholen und einen Blick hineinwerfen. Als sie das Kästchen aufschlug, lagen die Ohrringe mit den Anhängern ganz oben. Sie nahm sie in die Hand, konnte sich aber nicht entschließen, sie gleich wieder zurückzulegen. Zögernd hielt sie die glitzernden Dingerchen an ihre Ohren; sie standen ihr gut, hübscher sah sie aus als sonst, vielleicht darum, weil ihre Augen vor Angst und Verlangen fieberhaft glänzten. Sie wußte nicht, wie lange sie bewundernd vor dem Spiegel gestanden hatte, als die Glocke im Vorzimmer läutete – die Hausfrau war zurückgekehrt. Sie warf die Ohrringe auf die Kommode, stellte das Kästchen in die Schublade, schloß diese ab, steckte die Schlüssel wieder hinter den Spiegel und warf vor dem Fortgehen noch einen prüfenden Blick zurück – ob auch alles in Ordnung sei. Da lagen die Ohrringe! Wie hatte sie die nur vergessen können! Rasch ließ sie die Steine in der Tasche verschwinden – bei nächster Gelegenheit würde sie sie wieder an Ort und Stelle zurücklegen – und eilte zur Tür, um zu öffnen. Am Abend, als sie bei Afonka war, wollte sie ihm die glitzernden Dinger zeigen, legte sie an, drehte den Kopf hin und her …

»Hübsch, Afonja, nicht?«

»Schön sind sie, das muß man sagen, müssen einen ganzen Haufen Geld gekostet haben – dafür könnte man Haus und Hof kaufen, mit allem, was dazu gehört.«

»Stehen sie mir gut? Gefalle ich dir so?! …«

»Hat sie dir denn die Ohrringe geschenkt?«

»Ja, bevor sie zur Abendmesse ging … Hübsch sind sie!«

Dunja hatte ihm die flimmernden Steine nur zeigen wollen, aber auf seine Frage hin hatte sie sich geschämt, ihm die Wahrheit zu gestehen, und als ihr die Lüge entfahren war, konnte sie sich von dem Geschmeide gar nicht mehr trennen und behielt die Ohrringe über Nacht an. Am nächsten Morgen gab sie sie Afonka zur Aufbewahrung. Afonka dachte bei sich, Maschenka sehne sich nach ihm an der Seite ihres Alten und suche durch Geschenke seine Braut zur Dankbarkeit zu verpflichten, um sie gefügig zu machen … Er überlegte, wo er den Schmuck wohl aufbewahren könnte, und da kam ihm Nikolkas Rucksack in den Sinn. Der lag seit bald zwei Jahren unter seinem Bett, Afonka hatte ihn ganz vergessen. Nun holte er den Sack, der mit einer zolldicken Staubschicht bedeckt war, unter dem Bett hervor und steckte die Ohrringe zu den anderen Schmucksachen in das rosa Hemdchen. Als er den Sack mit dem Fuß wieder unter das Bett schob, beschloß er, ihn mit allen Sachen Dunja zu lassen, wenn er sich davon machte, vielleicht würde das ihre Enttäuschung und Empörung ein wenig lindern.

Kaßjan Parmjonytsch war auf drei Tage verreist. Als es Abend wurde, war Maschenka ganz verstört: sollte sie nach Afonka schicken, damit er zu ihrem Schutz oben schliefe? Ließ sie ihn zusammen mit Dunja im Vorzimmer schlafen, so würde sie vor Sehnsucht und Eifersucht vergehen, schon bei der Vorstellung allein wollte ihr Herz brechen, rief sie ihn aber zu sich, so würde Dunja vor Eifersucht platzen. Ob sie es versuchen sollte? …

Als Dunja das Bett machen kam, sagte Marja Karpowna in bittendem Tone, fast flüsternd:

»Dunja, würdest du wohl Afanaßij heraufrufen? …«

»Ich will ihn gleich holen.«

Sie lief hinunter in die Wirtschaft und flüsterte Afonka eifersüchtig zu:

»Sie läßt dich rufen – wirst du gehen? …«

»Na, es ist zum letzten Male, da will ich schon gehen. Du hast ja auch schon im voraus ein Geschenk von ihr bekommen, so daß du auch nichts sagen kannst – hat sich losgekauft, also schweige schon, halt durch …«

Dunja gab es einen Stich ins Herz. Dann dachte sie: Jetzt gebe ich ihr ihre Ohrringe aber wirklich nicht mehr zurück, behalte sie als Lösegeld für ihn … Zu Afonka sagte sie:

»Du hast recht, Afonka. Aber es ist zum letztenmal.«

»Ja doch, in ein paar Tagen ist alles zu Ende. Ich kann dir einstweilen nicht mehr sagen, es ist ein Geheimnis, aber ich darf mich jetzt, kurz vor der Entscheidung, nicht mit ihr überwerfen. Also sei schon ein braves Mädel …«

Dunja antwortete nicht, aber die ganze Nacht warf sie sich auf ihrer Truhe im Gang unruhig hin und her, die ganze Nacht lauschte sie in die Dunkelheit und meinte durch sieben Wände hindurch zu hören, wie sich die beiden küßten, durch sieben Wände hindurch alles zu sehen …

Auch Marja Karpowna konnte bis zum Morgengrauen nicht einschlafen. Sank sie nach stürmischen Liebkosungen erschlafft in stille Vergessenheit, so fuhr sie doch gleich wieder auf; heiße Tränen strömten ihr aus den Augen, die sie mit ihrem Haar von Afonkas Brust fortwischte und mit trockenen, glühenden Lippen fortküßte.

»Afonitschka, jetzt erst ist mir klar, wie teuer du mir bist, Liebster. Und ich selbst habe dich ihr abgetreten! Das Schicksal wollte es wohl so! Früher wußte ich gar nicht, daß ich dich liebe, jetzt aber, da du von mir gegangen bist – sage nichts, ich weiß es ja! – fühle ich, daß du mir teurer bist als das Leben. Ich hatte nie daran gedacht, daß du mich verlassen könntest! … Nicht wahr, jetzt liebst du mich nicht mehr? Sprich offen, du brauchst nichts zu fürchten – mir ist jetzt alles einerlei. Nur wissen möchte ich es, die Wahrheit möchte ich wissen; du liebst mich nicht mehr?«

Nicht aus Mitleid, sondern durch die Liebe der einsamen Frau gerührt, antwortete Afonka:

»Doch, Maschenka, ich liebe dich!«

»Und sie – sie liebst du auch? …«

»Ja, sie liebe ich auch.«

»Ist denn das möglich – gleich zwei auf einmal?! …«

»Ich liebe euch beide, weil ihr mich so liebt. Sie ist ja damals aus eigenem Antrieb in der Badestube geblieben, hat dich vielleicht nur gerettet, um zu bleiben. Bei dir aber ruhe ich innerlich aus, ganz nah und traut bist du mir, Maschenka …«

Er sprach aufrichtig. Dunjas Liebe war ihm zur Qual geworden. Er hatte sie genommen, weil er ihrem Mädchentum nicht hatte widerstehen können. Auch Maschenka liebte er nicht, und doch fühlte er sich beruhigt und geborgen in ihren Armen, und weil er sie nicht liebte, hatte er gemeint, auch sie liebe ihn nicht, vergnüge sich nur mit ihm. Ihre Tränen hatten ihn gerührt, ihre Zärtlichkeit ihn ergriffen. So sprach er denn bewegt von seiner Liebe zu beiden, während in seiner Seele nur ein Stern leuchtete, sein Stern von Bethlehem, die kleine Fenja.

Die zweite und dritte Nacht vergingen wie die erste. Dunja blickte verstört, zischte ihre Herrin wie eine Schlange an, würdigte Afonka keines Blickes. Wenn sie in Maschenkas Schlafzimmer trat, schlug ihr das Herz vor Schmerz und Empörung und vor Verlangen nach den Granaten und Perlen: wenn sie das Schmuckstück nahm, wäre es nicht Diebstahl – Rache wäre es an der Gnädigen um Afonkas willen! Trotzig holte sie das Schmuckkästchen hervor und steckte das Geschmeide – diesmal ohne es vorher anzulegen – in die Tasche und übergab es am Abend wieder Afonka in seiner Kammer.

»Die ist ja so freigebig geworden? … Sie hofft wohl auf noch einmal – wenn es dazu kommt, werde ich gehen müssen, nichts zu machen!«

Er legte den Schmuck zu den übrigen Sachen in Nikolkas Rucksack.

Der Herbst rückte heran – Kaßjan Parmjonytsch wurde unruhig, fragte mehrmals:

»Na, seid ihr endlich zum Abschluß gekommen?«

»Jawohl, Kaßjan Parmjonytsch, es ist jetzt alles so weit; nächste Woche werde ich wohl die Anzahlung hinbringen können.«

»Auf welche Summe habt ihr euch geeinigt?«

»Er wollte anfangs zwanzigtausend, ging auf fünftausend herunter, schließlich einigten wir uns auf tausend; dafür sind viertausend an Unkosten ausgegeben, dazu fünfhundert an Lossew, der auch als Zeuge bei der Anzahlung zugegen sein soll – sicher ist sicher.«

Afonka erhielt die nötige Summe und versprach, daß im September das Unglück auf Drakins Fabrik eintreten würde. Der Alte mußte in Bälde wieder aufs Land fahren, um Pferde einzukaufen; damit rechnete Afonka, um während seiner Abwesenheit das Pult zu öffnen und – dann war er wieder frei! Was er mit dem Wechsel machen sollte, hatte er noch nicht entschieden.

Kurz vor seiner Abreise, zu Mariä Himmelfahrt, wurden die Klimows zu Bekannten zu Gast geladen, und da anläßlich des Feiertags ein großes Fest gegeben wurde, bat der Alte seine Frau, sie möchte ihre besten Schmucksachen anlegen, um vor den Frauen der übrigen Kaufleute nicht zurückzustehen. Marja Karpowna machte sich schön … Dunja hatte ihr die Druckknöpfe des neuen Seidenkleides zugedrückt, und Maschenka holte ihr Schmuckkästchen hervor – ihr Lieblingsstück, die Ohrringe mit den Anhängern und das Granatenkollier fehlten! … Sie sah Dunja scharf an – das Mädchen wurde über und über rot …

»Du hast die Sachen genommen – gesteh!«

»Was soll ich genommen haben, Marja Karpowna?«

»Die Ohrringe und die Granaten …«

»Nichts habe ich genommen, was sollte ich damit! …«

»Wenn ich zurückkomme, müssen die Sachen wieder da sein, sonst werde ich anders mit dir reden.«

Dunja ließ sich nicht einschüchtern, sagte ihr ins Gesicht:

»Ich weiß von nichts – vielleicht hat Afanaßij die Sachen genommen, er schläft ja bei Ihnen und ist mit all Ihren Gewohnheiten vertraut. Oder Sie selbst haben die Schmucksachen irgendwohin getan, und nun bin ich schuld daran. Meinetwegen können Sie es dem Herrn sagen – ich werde auch nicht stumm bleiben, sage ihm die lautere Wahrheit. Was denken Sie von mir – jahrelang bin ich bei Ihnen im Dienst, und da muten Sie mir so etwas zu! …«

Marja Karpowna wußte nicht, was tun. Der Alte hatte ihr die Sachen geschenkt, wenn er merkte, daß sie sie nicht trug, würde er schließlich fragen – was sollte sie dann antworten? Auf Dunja konnte sie nicht hinweisen, die würde dann alles verraten, auch das mit der Badestube, war doch das Mädchen auch so schon vor Eifersucht halb toll. Und wenn es der Alte erfährt, würde er ihr den Garaus machen! … Als Maschenka von der Gesellschaft zurückkehrte, wollte sie eine vertrauliche Aussprache mit Dunja herbeiführen, doch diese zischte sie wütend an, worauf Maschenka sie aus dem Zimmer jagte:

»Geh, ich ziehe mich allein aus – und daß dein Fuß nicht mehr über meine Schwelle kommt! …«

Der August ging allmählich zu Ende, doch Kaßjan Parmjonytsch rührte sich nicht von Hause fort, und Afonka war ratlos – im September sollte er Drakins Hanf einäschern; um die gleiche Zeit begannen die Vorlesungen an der Hochschule, dann würde sein Stern von Bethlehem über Petersburg aufgehen, sein Leben aber vor einem jähen Ende stehen. Finster saß er hinter dem Schenktisch, suchte Gesprächen mit Lossew auszuweichen, der auf Kosten des Wirtes trank und aß und sich oft nach dem Stand der Angelegenheit erkundigte. Als er ihn wieder einmal fragte, warf Afonka dem Anwalt einen Seitenblick zu und brummte unwillig:

»Im September, hat er gesagt.«

»Sie machen so etwas zum erstenmal, Afanaßij Timofejewitsch, und da geht Ihnen die Sache auf die Nerven, tja … Allmählich arbeitet man sich ein, jede Sache will erst gelernt sein … Sie tun aber Unrecht, wenn Sie sich mit mir nicht beraten wollen; wenn ich Ihnen alles klar auseinandersetze, würden Sie nachher ruhiger sein. Also bei seiner Rückkehr wird der Hausherr mit einer Illumination empfangen?«

Afonka gab es geradezu einen Ruck.

»Wann reist er denn?«

»Wohl in diesen Tagen, hat seine Leute zur Besichtigung der Pferde bereits vorausgeschickt. In acht Tagen ist er dann wohl wieder zurück, um rechtzeitig zur Illumination einzutreffen. Die Sache regt ihn auch auf – sonst pflegte er zwei, ja drei Wochen daranzuwenden, diesmal will er die Ware nur einmal flüchtig besichtigen, Anzahlungen machen und gleich wieder zurückkehren, tja …«

Schwer und drückend schlichen die Tage dahin. Endlich reiste Kaßjan Parmjonytsch ab. Erregt wartete Afonka: würde Maschenka ihn rufen lassen? …

Ihr waren in dieser Zeit – zum ersten Male – unerquickliche Gedanken gekommen. Wie, wenn Afonka mit Dunja unter einer Decke steckte und ihr nur was vormachte? Vielleicht waren auch die Ohrringe und das Granatenhalsband mit seinem Wissen entwendet und von den beiden gemeinsam auf die Seite gebracht worden?! Sie konnte es nicht glauben – gar zu zärtlich war er das letzte Mal zu ihr gewesen, aufrichtige Rührung hatte aus seiner Stimme geklungen, woraus ihre dumpfe Seele freudigen Trost geschöpft hatte. Den ganzen Tag kämpfte sie mit sich – sollte sie ihn rufen lassen oder nicht? Bis spät in den Abend ging sie unentschlossen von Zimmer zu Zimmer, Sehnsucht nach ihm zehrte an ihr, so leer war es um sie geworden! … Sie brauchte nur Dunja nach ihm zu schicken, um aufs neue in Rausch und Betäubung zu versinken! Doch sie konnte sich nicht dazu entschließen, gar zu schwierig war die Lage geworden; unter Tränen schlief sie spät nach Mitternacht ein. Dunja hatte auf ihren Ruf gewartet, und als sie schließlich das Bett knarren und die Gnädige sich unruhig hin und her werfen hörte, war sie glücklich und flüsterte selig vor sich hin, die Gnädige wolle sich nicht mit Schmucksachen von ihr loskaufen, der Spaß käme ihr wohl zu teuer.

Afonka hatte unruhig nach der Uhr geschaut; die Zeit verstrich, es schlug zehn – sie hatte nicht nach ihm geschickt! Wie ein Keulenschlag traf es ihn. Was konnte das bedeuten? Würde sie ihn überhaupt nicht mehr kommen lassen? Dann war es um ihn geschehen, dann konnte er das Unheil nicht von der kleinen Fenja abwenden! Er konnte nicht verstehen, warum sie ihn nicht hatte rufen lassen … Er schrie die Kellner, schrie Wassilij an, ja beschloß, am nächsten Tage nicht mit Lossew zu Wanja Kain, dem Brandstifter, zu gehen, zur letzten Besprechung in der Angelegenheit – er wollte abwarten, was kommen würde.

Am nächsten Morgen stand er nicht auf, Wassilij kam schließlich zu ihm, um Kleingeld zum Wechseln zu holen; Afonka erklärte, er sei krank, habe Kopfschmerzen, und blieb den ganzen Tag über bis zum Abend in seiner Kammer im Bett. Als er schließlich in der Wirtsstube erschien, trat Lossew ungeduldig auf ihn zu.

»Was haben Sie denn, Afanaßij Timofejewitsch? Vom frühen Morgen an warte ich auf Sie. Habe mich bei Wassilij nach Ihnen erkundigt, er sagte, Sie wären krank. Ich war schon daran, bei Ihnen einzudringen, sozusagen um nachzuschauen, was mit Ihnen geschehen ist …«

»Heute kann ich nicht hin, auch morgen nicht – ich bin krank.«

»Der Herbst steht vor der Tür, da herrscht Krankheit überall, tja … Aber Sie müssen sich schonen, Afanaßij Timofejewitsch, Sie müssen sehen, schnell gesund zu werden, in diesen Tagen dürfen Sie nicht krank sein – man kann nie wissen … der rechte Zeitpunkt ist bald verpaßt, und ohne Sie läßt sich nichts machen. Ich tauge ja nur dazu, um einen guten Rat zu erteilen; den Befehl geben, den Abschluß machen, das müssen Sie, tja … Versuchen Sie's mal mit Schnaps auf rotem Pfeffer – ein bewährtes Heilmittel; sobald ich mich nicht ganz auf der Höhe fühle, kippe ich ein Gläschen hinter den Kragen, und fort sind alle Krankheiten; Sie sehen, munter wie ein Spatz hüpfe ich in der Welt umher …«

Lossews Schwäche war es, sich in langatmigen Tiraden zu ergehen; wenn er einmal zu sprechen angefangen hatte, konnte er niemals aufhören. Der kleine Anwalt plapperte endlos, Afonka hörte kaum zu, der Gedanke kam ihm: Ob ich ihn nicht frage, was ich tun soll? … Was er ihn fragen wollte, war Afonka selbst nicht klar, aber er befand sich in solcher Unruhe, daß ihm schien, jeder Gedankenaustausch müßte eine Erleichterung bringen. Er rief Wassilij zu:

»Dem Herrn Rechtsanwalt Fischsuppe und Kotelettes, als Vorspeise Hering und Rührei, mir dasselbe, und dazu eine große Karaffe Schnaps mit rotem Pfeffer und zwei Gläschen!«

Als sie dann zusammen an Lossews Tischchen saßen, fragte Afonka:

»Iwan Matwejewitsch, was soll Ihrer Ansicht nach ein Mensch tun, der kurz vor seinem Ziele steht, einem Ziele, nach dem er lange Jahre gestrebt hat, um dessentwillen er vielleicht so manches Üble auf sich genommen hat in der Hoffnung, daß nach Erreichung dieses Zieles sein Leben eine glückliche Wendung nehmen würde, und dem im letzten Augenblick etwas dazwischen gekommen ist, so daß er sich unnütz beschmutzt und andere unglücklich gemacht hat – für nichts und wieder nichts? …«

»Mein Rat wäre da … Ihr Wohl, Afanaßij Timofejewitsch und aufs Gelingen unseres Unternehmens! … Also mein Rat wäre – nicht den Mut verlieren und gegen die Wand – wäre sie auch aus Stein – unverdrossen anrennen; zu guter Letzt gibt sie nach, verlassen Sie sich darauf – insbesondere, wenn ein Wesen weiblichen Geschlechts daran beteiligt ist … Immer wieder vorgehen – das hält zuletzt niemand aus …«

»Läßt sich hier nicht machen, Iwan Matwejewitsch … Dazu ist es zu spät, verstehen Sie – zu spät!«

Afanaßij hätte wohl noch lange gefragt und geredet, wenn nicht plötzlich Dunja in der Tür erschienen wäre. Mit hochroten Wangen, blitzenden Augen und einem Zug bitterer Empörung im Gesicht eilte sie auf das Tischchen der beiden zu und zischte, ohne auf Lossew zu achten:

»Geh nach oben, Afanaßij, sie läßt dich rufen …«

Sie wartete nicht auf ihn, wandte sich kurz um, krachend schlug die Tür hinter ihr zu.

Afonka erhob sich.

»Na, wir trinken ein anderes Mal zusammen – die gnädige Frau wartet auf mich …«

Lossew hatte die kleinen Äuglein zusammengekniffen, schüttelte ihm freundschaftlich die Hand und sagte in vertraulichem Flüsterton:

»Na, sehen Sie, Afanaßij Timofejewitsch, da haben Sie doch erreicht, was Sie wollten – und es ist gar nicht zu spät – erst zehn Uhr … Nicht wahr, Sie haben's erreicht? Gestehen Sie!«

»Stimmt, Iwan Matwejewitsch – jetzt hab ich's erreicht …«

Sein Blut, durch den Pfefferschnaps erregt, wallte ungestüm bis in die Morgenstunden.

Beglückt und erschöpft, fragte Maschenka zärtlich:

»Du hast heute getrunken, nicht?«

»Ich dachte, du liebtest mich nicht mehr – vor Verzweiflung wollte ich mir einen Rausch antrinken. Ich fürchtete, du hättest meinen Worten voriges Mal nicht geglaubt, und das war so bitter; da hab' ich zur Flasche gegriffen …«

»Das hättest du nicht tun sollen …«

»Aber so versteh doch, es sind ja die letzten Tage, die wir haben, vielleicht kommen wir nachher nie mehr zusammen – und da hast du mich nicht gerufen! Wenn ich die Sache zu Ende gebracht habe, wird Kaßjan mich zwingen, Dunja zu heiraten …«

»Was für eine Sache?«

»Hat dir der Alte denn nichts davon gesagt?«

»Über seine Geschäfte spricht er selten mit mir. Aber sage du mir, Afonja, worum es sich handelt, wenn ich es weiß, wird uns beiden leichter sein.«

»Brandstiftung bei Drakin.«

Maschenkas Liebesrausch war plötzlich verschwunden. Um die kleine Fenja handelte es sich!

»Fenjas Häuser stecken dahinter, ja?«

»Ja.«

»Kann man sie nicht retten? Denke nach!«

»Man kann es wohl.«

»Dann tu es, rette sie!«

»Du mußt mich aber lieben, darfst mich nicht abschütteln.«

»Alles, was du willst, kannst du mit mir tun, aber rette Fenja! Wieder wäre ich mit an ihrem Unglück schuld! Damals ist sie durch meinen Leichtsinn zu Schaden gekommen, und wenn jetzt das Unglück geschieht, fällt es wieder auf mich zurück. Ich kann das nicht auf mein Gewissen nehmen, ich war mit ihrer Mutter befreundet, erst seit jenem Vorfall verkehren wir nicht mehr miteinander.«

Demütig gab sie sich dem Ungestümen hin. Am nächsten Tage schwankte sie wie trunken. Nicht erst um zehn, sondern wie im Winter um sieben ließ sie ihn zum Tee rufen. Nachher richtete sie selbst das Bett, um Dunja nicht sehen zu müssen, und schloß die Tür zum Gang ab, damit niemand sie störe in dieser Nacht, vielleicht ihrer letzten Liebesnacht.

Als sie sich auszukleiden begann, sagte Afonka:

»Ich will mal in die Stube des Alten beten gehen … Vielleicht sehe ich auch die schönen Heiligenbilder zum letzten Mal.«

»Tu, was du willst, Afonja. Solange er fort ist, bist du hier der Herr.«

In der dunklen Betstube tastete er nach dem kleinen Betpult – er erinnerte sich, daß Kopekenkerzen und Zünder dort zu liegen pflegten –, zündete eine Kerze an und setzte das große blaue heilige Lämpchen in Brand. Dann stieg er auf den Fußschemel des Alten, um es bequemer zu haben, und steckte die Hand hinter das Bild der Gottesmutter von Kasan – der Schlüssel hing an seinem gewöhnlichen Platz. Er schloß das Schreibpult auf, suchte aus der ledernen Brieftasche Fenjas Wechsel heraus und steckte ihn in die Tasche. Darauf brachte er wieder alles in die frühere Ordnung, hängte den Schlüssel hinter das Heiligenbild und machte sogar aus einem dunklen Antrieb eine kniefällige Verneigung vor der Mutter Gottes von Kasan. Ebenso ruhig, wie er in die Betstube getreten war, kehrte er zu Maschenka zurück, nur in seinen Augen war ein eigentümlicher Glanz, als wäre der Tod soeben an ihm vorübergestreift.

»Was hast du, Afonka?«

»Wieso?«

»Du bist so blaß, unheimlich blaß! Grauenhaft siehst du aus.«

»Ich habe um Fenitschkas Rettung gebetet …«

Wortlos verstand sie, daß der entscheidende Schritt getan war. Und zum letzten Male lachte und weinte Maschenka im Liebestaumel. Als er am Morgen Abschied nahm, fragte sie flüsternd:

»Hast du sie gerettet? …«

»Ja, ich habe sie gerettet …«

Er sagte es so, daß ihr der Gedanke kam, nein – nur das Empfinden, das wie ein glühender Funken ihr Herz schmerzlich versengte, kurz und flüchtig, die vage Ahnung davon, weshalb Afonja zusammen mit seinem Freunde das Kloster verlassen und sich auf die weltliche Wanderschaft begeben, weshalb er, ohne Liebe zu ihr, ihr Liebe gegeben hatte. So sonderbar hatte Afonjas Stimme geklungen, so schmerzlich seine Antwort ihr Herz durchzuckt, daß Maschenka plötzlich fühlte, daß sie ihn niemals mehr würde zu sich rufen können, daß plötzlich ihn nichts mehr mit ihr verband.

Am nächsten Tage starrte sie mit Augen, die tief in die Höhlen gesunken und von schwarzen Ringen umgeben waren, stumm und tränenlos ihrer verlorenen Liebe nachtrauernd, in das Schmuckkästchen: jetzt wußte sie, daß nicht Afonja die Schmucksachen genommen, sondern Dunja sie gestohlen hatte …

Und Afonka fühlte sich plötzlich fremd in diesem Hause und wußte nicht, was er mit Fenjas Wechsel tun sollte.

Gegen Abend schickte Maschenka Dunja ins Nonnenkloster nach ihrer Wäsche, die sie zum Besticken dorthin gegeben hatte. Wie eine Nachtwandlerin wühlte sie darauf in Dunjas Korb, fand aber ihre Sachen nicht darin. Wie eine Nachtwandlerin schritt sie die dunkle Hintertreppe hinab und klopfte an der Tür von Afonkas Kammer; niemand war da. Und wie eine Nachtwandlerin schritt sie weiter, trat in die Wirtsstube und rief Afonka heraus – die Kellner wechselten vielsagende Blicke.

»Ich muß dich in einer wichtigen Angelegenheit sprechen … Komm in dein … Zimmer.«

Sie schritten durch den dunklen Gang; in seiner Kammer zündete er die kleine qualmende Lampe an und fragte sie stumm mit den Augen:

»Warum bist du hierher gekommen? Was willst du von mir? Tut es dir jetzt leid, daß du sie hast retten helfen?! …«

Hastig, als bitte sie ihn um Verzeihung, als beeile sie sich zu versichern, daß nicht das der Grund ihres Kommens war, sagte Maschenka:

»Afonja, mir sind Schmucksachen abhanden gekommen – gerade die, die mir der Alte geschenkt hat; wenn er davon erfährt, weiß ich nicht, was tun; ein Grauen überkommt mich bei dem Gedanken. Ein Paar Ohrringe und …«

»Aber die hast du doch Dunja geschenkt?«

»Ich? Dunja?«

»Jawohl, du! Dunja hat sie mir zur Aufbewahrung gegeben. Ich dachte bestimmt, du hättest sie ihr geschenkt, um sie zu bestechen, ihr den Mund zu schließen …«

»Sie hat die Sachen gestohlen. Ich habe sie ihr nicht gegeben, das ist eine Lüge. Wie hast du denken können, daß ich um meiner Liebe willen jemand bestechen könnte! Ich bin ein Weib, ein schwaches Weib, das weiß ich sehr wohl, aber wenn ich liebe, bin ich stolz. Einen Ring zwar habe ich ihr geschenkt, aber nicht, um sie zu bestechen, sondern aus Dankbarkeit für ihre Hilfe. Vielleicht habe ich damals auch auf ihr Schweigen gehofft, aber das ist längst vorüber, jetzt bin ich eine andere, stolz bin ich geworden und fürchte mich nicht wegen meiner Liebe.«

»Verzeih, daß ich schlecht von dir gedacht habe. Ich will dir die Sachen gleich abgeben.«

Er zog wieder den staubigen Rucksack unter dem Bett hervor, wickelte gedankenlos das spitzenbesetzte Frauenhemdchen mit den dunkelbraun gewordenen Blutflecken auf und suchte unter den anderen Schmucksachen Maschenkas Ohrringe und Granatenhalsband heraus. Marja Karpowna schrie auf, als sie all die Schmucksachen sah.

»Wo hast du das alles her? … Also bist auch du ein Dieb?! Von wem hast du das zusammengestohlen? Und da sagst du noch, du wüßtest nichts von meinen Sachen …«

»Das sind nicht meine Sachen.«

»Wessen Sachen sind es denn, die du unter deinem Bett verstecktest?! Und wessen Hemd ist das, sage mir sofort, wessen Hemd ist das?«

»Es sind Nikolkas Sachen, du weißt doch noch – Nikolka, der so plötzlich fort mußte? Er hat sich diese Sammlung angelegt – Geschenke von Verehrerinnen. Auch seine geschnitzten Löffel sind noch da, die er an die Wallfahrerinnen zu verschenken pflegte. Sein Rucksack ist hier geblieben und hat die ganze Zeit unter meinem Bett gelegen …«

»Nikolkas Sachen sind's! … Ach Gott! Nun muß ich dich um Verzeihung bitten, Afonja. Afonja – mein Herz blutet, ich kann keinen zusammenhängenden Gedanken fassen … Vergib mir …«

Ihr Blick fiel wieder auf das Hemdchen, und wieder schrie sie leise auf.

»Und das Hemd, wem gehört das Hemd? Sprich! …«

Nikolkas und Fenjas Liebe fiel ihr ein; leise, mit belegter Stimme sagte sie:

»Vielleicht ist es ihr Hemdchen …«

Afonka verstand die Anspielung auf Fenja; auch ihm war dieser Gedanke gekommen …

Maschenka stellte keine weiteren Fragen; erst als sie sich verabschiedete, fragte sie:

»Hast du sie gerettet? … Kann ich mich darauf verlassen? …«

»Ich habe sie gerettet!«

»Dann mußt du fort von hier! … Gehe hin zu ihr!«

Sie schieden, herzlich wie Bruder und Schwester und doch bereits wie entfremdet – etwas Trennendes war zwischen sie getreten. Ruhig und gefaßt gingen sie auseinander, nur das Herz schlug beiden heftig – aus verschiedenem Grunde.

Maschenka hatte gesagt, er solle zu Fenja gehen – da war ihm die Erleuchtung gekommen; klar und deutlich lag sein Weg jetzt vor ihm.

Er kehrte in die Wirtsstube zurück, saß ruhig die Zeit bis zu Geschäftsschluß ab, nahm die Tageskasse an sich und ging zum letztenmal in seine Kammer, um seine Habseligkeiten einzupacken. Er wickelte das Hemdchen auf, schüttete die Schmuckstücke in eine alte Socke, die er in Nikolkas Rucksack warf, und verbarg das Hemdchen ganz unten in seinem eigenen Rucksack. Die Tageseinnahme ließ er auf dem Tisch liegen, schloß das verbogene Hängeschloß an der Kammertür ab und ging über den Hof, am Häuschen des Hausknechts vorbei, nach Penji – zu ihr, zu seinem Stern von Bethlehem, zu der kleinen Fenja.

Auf der Brücke über die Oka sah er sich um – niemand war in der Nähe – und warf Nikolkas Rucksack in den Fluß. Damals, als er seinem Freunde die Sachen entwendete, hatte er sich für den Fall der Not sichern wollen; jetzt, an diesem feierlichen Tage, da sein Stern von Bethlehem im Aufgehen war, wollte er saubere Hände haben; jetzt gab es für ihn nichts weiter auf der düsteren Welt als sie. Als er das schwarze Rucksäckchen in die Fluten geworfen hatte, war ihm, als hätte er endgültig den Klosterstaub von den Füßen geschüttelt.

Frauen & Mönche (Historischer Roman)

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