Читать книгу Philosophie für den Alltag - Josef Rattner - Страница 6
ОглавлениеVorwort
In früheren Zeiten war man sich bewusst, dass zum Aufbau einer soliden und weitläufigen Allgemeinbildung philosophische Kenntnisse kaum zu entbehren sind. Daher studierten sogar Naturwissenschaftler und Mediziner neben ihrem Fach noch Philosophie; es wurde von ihnen erwartet, dass sie außer ihren Fachkenntnissen ein Philosophicum absolvierten. Das tat ihnen in der Regel gut und schützte sie vor Fachidiotentum.
Leider ist man von dieser Gepflogenheit abgekommen. Der kompetente Fachmann mit eingeengtem Interessenhorizont ist heute eines der zentralen Bildungsziele. Und auch die geistig wachen Nicht-Akademiker widmen sich nur noch selten der philosophischen Lektüre. Daran ist vermutlich ein Absinken des Bildungsniveaus überhaupt mitschuldig, welches wir zwei schrecklichen Weltkriegen, der faschistischen Diktatur und dem mühevollen Wiederaufbau in Europa und der übrigen Welt zu verdanken haben.
Die Philosophen selbst trugen wenig dazu bei, die Liebe zu ihrem Fach zu erwecken. Schon seit jeher lebten sie gerne im Elfenbeinturm. Sie schrieben Bücher über abstrakte Probleme in einer wenig zugänglichen Sprache, so dass ihre Texte fast nur von Fachkollegen gelesen werden konnten. Einzig Schopenhauer und Nietzsche bildeten in der deutschen Philosophie eine löbliche Ausnahme. Daher wurden ihre Texte von einer großen Leserzahl rezipiert.
Aber die Philosophie ist eine zu wichtige Sache, als dass man sie nur den Philosophen überlassen dürfte. Seit der Aufklärung im 18. Jahrhundert wissen wir, dass jeder intelligente Mensch ein gewisses Maß von philosophischer Besinnung braucht, um sich im Chaos des Lebens und der Gesellschaft orientieren zu können. Der Sprachkünstler Nietzsche wandte sich ganz bewusst an die gesamte literarische Öffentlichkeit, weil die Schulphilosophie vor seinem freien und kühnen Denken Auge und Ohr verschloss. Im 20. Jahrhundert folgten denn doch einige Denker diesem Beispiel und haben unseres Erachtens segensreich gewirkt.
Unsere vorliegende Sammlung von Aufsätzen und Essays will auf der Spur dieser leserfreundlichen Aufklärer und philosophischen Schriftsteller einhergehen. Wir stellen diese Texte unter das Motto: Über die nächsten Dinge, womit wir an Nietzsche erinnern. Er schockierte sich darüber, dass die Philosophen ihre Zeit, Kraft und Mühe der Ergründung von Über-, Pseudo- und Hinterwelten widmen, statt den Menschen über die unmittelbaren Bedingungen seiner Gesundheit, seiner Entfaltung und seines Glücks zu informieren. Das sei nur möglich, wenn man vom gelebten Leben ausgeht und sich nicht um den Bauch des Seins kümmert.
Unsere Essays entspringen aber nicht nur der Philosophie, sondern auch unseren intensiven Bemühungen um Tiefenpsychologie, Psychosomatik, Psychohygiene und die Fragen der Erziehung und Selbsterziehung. Wir hoffen, dass wir dem Leser eine Fülle von Anstößen geben können, die ihm die Auseinandersetzung mit diesen eigentlichen Belangen der menschlichen Existenz ermöglichen oder erleichtern.
Berlin, im Frühling 2004
Die Verfasser