Читать книгу Der kleine ›Heinrich‹ - Josef Skiba - Страница 6
Meine Vorfahren
ОглавлениеNoch als kleiner Junge kam es nicht selten vor, dass mich dieser oder jener Erwachsene im Dorf nach meiner Herkunft fragte. Nach ein paar Worten hieß es dann: »Ach, du bist der kleine ›Heinrich‹!« Zuerst war es mir lästig, denn schließlich hieß ich Skiba, aber dann gewöhnte ich mich daran. Es war ja auch keine Schande ein ›Heinrich‹ zu sein. Die Großeltern waren schließlich bekannte und ob ihres Fleißes und ihrer Rechtschaffenheit wegen auch allgemein geachtete Leute.
Mein Großvater mütterlicherseits, Johann Heinrich, entstammte einem von westfälischen Siedlern gegründeten Dorf bei Leobschütz. Sein Vater war Dorfschulze. Als die vier Söhne erwachsen wurden erbte nach altem Brauch der Älteste den Hof, die anderen mussten sich eigene Wege suchen, wurden aber vom Hoferben mit einem Teil des restlichen Erbes bedacht.
Johann ging zu den Soldaten und wurde Dragoner in der Garnison Cosel. Dort diente er bis zu seiner Heirat mit Franziska. Großmutter war die Tochter kinderreicher Bauern aus dem Umland und half öfter ihren Eltern auf dem Bauernmarkt in Cosel.
Beide lernten sich kennen und lieben und heirateten, nachdem Großvater seinen Dienst quittiert hatte. Sie zogen ins damals industriell aufstrebende Zabrze – das spätere Hindenburg – wo sie im Ortsteil Zaborze Dorf eine Wohnung fanden und eine Familie gründen konnten.
Die Wohnung bestand, wie viele in dieser Zeit um die Jahrhundertwende, aus Küche, Stube und Kammer. Sie kauften zwei halbe Morgen Acker und pachteten einige hundert Meter des in Dorfnähe gelegenen Bahndamms der sogenannten Sandbahn, um für sich und die Familie etwas anbauen zu können und Weidemöglichkeiten für die Ziegen sowie Futter für die Kaninchen zu haben.
Großvater arbeitete zwölf Stunden täglich, wie es damals allgemein üblich war, als Gatterführer auf einem für den Bergbau produzierenden Sägewerk. Großmutter, ich nannte sie Oma Heinrich, brachte ihm täglich und zu jeder Jahreszeit sein Mittagbrot auf Arbeit. Wie das diese Frau mit fünf Kindern im Haus, mit Vieh und Feldarbeit schaffte, ist und bleibt ein Rätsel!
Aus ihrer Ehe gingen elf Kinder hervor. Sechs davon starben im Säuglingsalter, fünf überlebten. Diese fünf, zwei Söhne und drei Töchter, waren die zweite Generation der Heinrichs. Trotz äußerst beengter Wohnverhältnisse und relativ karger Ernährung wuchsen die Söhne zu gesunden und kräftigen Männern und die Töchter zu begehenswerten jungen Frauen heran. Die Söhne erlernten Berufe, aber auch die Töchter mussten gemäß ihren Möglichkeiten hinzuverdienen. Damit halfen sie zum Teil auch bei der Anschaffung ihrer Aussteuer mit. Man erzählte sich im Dorf, dass die Heinrichstöchter Aussteuern wie Bauerntöchter hätten und das traf wahrscheinlich auch zu.
Die Töchter heirateten, eine nach der anderen, Bergleute. Auch Onkel Paul, inzwischen verheiratet, war statt im Beruf als Schuhmacher zu bleiben, zum Bergbau gewechselt. Onkel Alois, der jüngste Heinrich, fand als Schlosser Arbeit bei den Junkers Flugzeugwerken in Dessau/Köthen und verbrachte seitdem viele Jahre fern von seiner Heimat. Nach dem Arbeitsdienst wurde er sofort zur Luftwaffe eingezogen und überlebte den Krieg als Bodenmechaniker und Stabsgefreiter.
Erst nach dem Krieg konnte er nach Hindenburg, welches die nun präsenten Polen wieder in Zabrze umbenannt hatten. Obwohl hoch qualifizierter Flugzeugmechaniker landete auch er im Bergbau, dem größten Arbeitgeber der Umgebung.
Nun ist die zweite Generation der Heinrichs leider ausgestorben, wie aber war es bei den Skibas, der Familie meines Vaters?
Mein Vater, wurde im September 1902 als Sohn des Bergmanns Franz Skiba und seiner Frau Florentine geboren. Leider erlebte er seine Mutter als Kind nicht mehr. Sie starb am Kindbettfieber. So musste sich Florentines Schwester Josefa des Kleinen annehmen und ihn behutsam aufpäppeln. So kam es, dass Großvater dann Josefa ehelichte. Sie bekamen noch zwei Kinder, meine Tanten Emilie und Marie.
Im ersten Weltkrieg eingezogen, fiel der Großvater 1916 bei Verdun in Frankreich. Oma Josefa zog nun von ihrer mageren Kriegswitwenrente die drei Kinder allein auf. Dass dort oft Schmalhans Kuchenmeister gewesen sein muss kann man sich gut vorstellen. Als Vater die Volksschule mit 14 Jahren beendete, musste er in einen Beruf einsteigen, um das knappe Haushaltsgeld aufzubessern. Das Nächste war wiederum der Bergbau. So begann seine ‘Karriere‹ im Untertagebetrieb.
An Taschengeld beließ man ihm sicher anfangs nur ein paar Pfennige, später vielleicht ein paar Mark. Alles andere wurde bei Muttern abgegeben.
Wie man mir erzählte, war er auch als Messdiener tätig, so gab es auch kaum Freizeit. So wuchs er zu einem jungen Mann heran.
Da ich nicht weiß, wann und wie sich meine Eltern kennen lernten – es wurde niemals von ihnen erwähnt – kann ich nur anführen, dass sie am 3. Oktober 1927 geheiratet haben Es gab in der Ehe oft Streitereien, die mir in nicht nur einer Nacht den Schlaf geraubt haben. Denn wie soll ein Kind reagieren, wenn sich die geliebten Eltern gegenseitig lautstark beschimpfen? Anlass dieser Streitereien waren sicher Mutters Vorhaltungen zu Vaters ständigem beruflichen Abstieg. Anfangs ein angesehener Hauer, was im Bergbau etwa einem Meister in dem Beruf entsprach, rutschte er im Laufe der Jahre aus mir unbekannten Gründen am Ende in die Rolle eines unqualifizierten Übertagearbeiters mit sehr niedrigem Verdienst ab. Einerseits kann man verstehen, dass der ständig abfallende Lebensstandard meine ehrgeizige Mutter in Rage brachte. Andererseits musste es in dieser Zeit auch um das psychische Wohl meines Vaters nicht zum Besten gestanden haben. Bedenkt man, dass er kaum einer dominanten Mutter entronnen und ohne sich als junger Mann ein wenig ausleben zu können, einer ebenfalls recht dominanten Gattin begegnete, braucht man sich über gewisse Schnitzer späteren Datums nicht zu wundern. Wenn ich über sein recht kurzes und eigentlich mit wenig Freude gewürztes Leben nachdenke, war er alles in allem trotz seines von Natur aus fröhlichen Gemüts, doch ein bedauernswerter Mensch.
Vaters ältere Schwester, Tante Emilie hatte ebenfalls einen Bergmann, den Onkel Theo, geheiratet. Sie hatten zwei Kinder, die Dorothea und den Werner.
Tante Mariechen, die jüngere Schwester, hatte einen Maler geehelicht. Sie hatten einen Sohn, den Siegfried. Leider starben Siegfrieds Eltern an der Schwindsucht, so dass der Junge bei Oma Skiba aufwuchs. Das ist die Verwandtschaft väterlicherseits.