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Der Segen der Väter

Spürbar und begreiflich wird dies im väterlichen Segen, der lange Zeit eine wesentliche Rolle im Werden und Vergehen, im Wohl und Wehe von Generationen gespielt hat. Ohne den väterlichen Segen hatte eine Unternehmung oder ein Vorhaben keine Chance, ob es nun um eine Heirat oder eine Berufsausbildung ging oder auch einen Umzug oder einen Hausbau. Dabei verstand man den Segen nicht mehr unbedingt wörtlich, wie dies in biblischen Zeiten wohl der Fall war (dazu gleich mehr), sondern eher als Zusage des Vaters: »Ja, du bist auf dem richtigen Weg, ich unterstütze dich, lebe nun dein eigenes Leben, ich entlasse dich in die Welt.« Wunderschön und einzigartig dargestellt findet sich diese Situation an der Kathedrale von Santiago de Compostela: Auf einem Relief sieht man Gott als Vater segnend hinter Adam stehen, er entlässt ihn aus dem Paradies in die Welt hinein. Es ist hier nicht das Hineingeworfenwerden in eine feindliche Umgebung, ins Chaos des Lebens, wie der biblische Text zu dieser Szene vermuten lässt (Genesis 3,17–20), sondern hier wird das Vertrauen Gottes sichtbar, dass Adam seinen Weg in dieser Welt finden wird.

Ich selbst hatte das große Glück, meinen Vater im Sterben zu begleiten. Zuvor war mein Bild von ihm immer davon geprägt, dass ich ihn als schwachen Mann wahrnahm. Ich glaube im Nachhinein übrigens nicht, dass er es tatsächlich war. In der Sterbebegleitung begegnete mir dann ein ganz anderer: jemand, der mit seinem Lebensweg im Frieden war, obwohl es kein geradliniges Leben war, das er geführt hat. Diese Wahrnehmung und der Segen, den er mir, wenn auch ohne Worte, etwa zwei Stunden vor seinem Tod gegeben hat, waren für mich eine sehr wichtige Erfahrung und sie haben mich mit meinem Mannsein versöhnt.

Dieses Vertrauen der Väter, dass ihre Söhne den Weg gehen, ihren ganz eigenen »Heldenweg« bestreiten und so Mitschöpfer und Mitgestalter der Welt werden, fehlt vielen Männern, die selbst diesen Segen des Vaters nicht erhalten haben. Ihr Weg wird dadurch oft zusätzlich schwierig. Sie müssen wie alle anderen diesen »Kampf« bestreiten, ihren Weg zu finden, haben aber keinen Mentor, keinen »Magier« zu Seite. Niemand zeigt ihnen, wie Merlin es bei Artus tat, wo das Schwert Excalibur zu finden ist, um gegen die feindlichen Mächte anzukämpfen.

Im Alten Testament in der Genesis wird uns Esau als dieser segenslose Sohn gezeigt: »Als Isaak Jakob gesegnet hatte und Jakob gerade von seinem Vater Isaak weggegangen war, kam sein Bruder Esau von der Jagd. Auch er bereitete ein leckeres Mahl, brachte es seinem Vater und sagte zu ihm: Mein Vater richte sich auf und esse von dem Wildbret seines Sohnes, damit deine Lebenskraft mich dann segne! Da fragte ihn sein Vater Isaak: Wer bist du? Er antwortete: Ich bin dein Sohn Esau, dein Erstgeborener. Vor Schrecken überkam ihn ein heftiges Zittern und er fragte: Wer war es denn, der das Wild gejagt und es mir gebracht hat? Ich habe von allem gegessen, bevor du gekommen bist, und ich habe ihn gesegnet; gesegnet wird er auch bleiben. Als Esau die Worte seines Vaters hörte, schrie er heftig auf, aufs Äußerste verbittert, und sagte zu seinem Vater: Segne auch mich, Vater! Er entgegnete: Dein Bruder ist mit List gekommen und hat dir deinen Segen weggenommen. Da sagte Esau: Hat man ihm nicht den Namen Jakob – Betrüger – gegeben? Er hat mich jetzt schon zweimal betrogen: Mein Erstgeburtsrecht hat er mir genommen, jetzt nimmt er mir auch noch den Segen. Dann sagte er: Hast du mir keinen Segen aufgehoben? Isaak antwortete und sagte zu Esau: Siehe, ich habe ihn zum Herrn über dich gemacht und alle seine Brüder habe ich ihm als Knechte gegeben. Auch mit Korn und Most habe ich ihn versorgt. Was kann ich da noch für dich tun, mein Sohn? Da sagte Esau zu seinem Vater: Hattest du denn nur einen einzigen Segen, mein Vater? Segne auch mich, Vater! Und Esau erhob seine Stimme und weinte. Sein Vater Isaak antwortete ihm und sagte ihm: Siehe, fern vom Fett der Erde musst du wohnen, fern vom Tau des Himmels droben. Von deinem Schwert wirst du leben. Deinem Bruder wirst du dienen. Doch reißt du dich los, so schüttelst du ab sein Joch von deinem Nacken« (Genesis 27,30–40).

Es ist eine Art »Nichtsegen« oder »Antisegen«, den Isaak hier ausspricht: »Du wirst nicht …« Auch in unserer Zeit gibt es immer noch viele Söhne, die mit diesem »Nichtsegen« in die Welt entlassen werden. Der Wortlaut ist nur häufig ein anderer. Sätze wie: »Ich bin so enttäuscht von dir« oder »Aus dir wir nie etwas« drücken heute aus, was mit »fern vom Fett der Erde musst du wohnen« gemeint war. Aber Isaak gibt Esau auch die Lösung mit auf den Weg. Er sagt ihm: »Doch reißt du dich los, so schüttelst du ab sein Joch von deinem Nacken.« Er und jeder Sohn, der den Segen des Vaters nicht bekommt kann, kann sich freimachen von dieser Last, die auf ihm liegt. Wir werden weiter unten noch sehen, wie das konkret aussehen kann.

Vielleicht muss er dazu den Vater von seinem Sockel stürzen – und sich selbst darauf stellen. Bei einer Übung im Wald habe ich dazu eine ganz eigene Erfahrung gemacht: In einem Kreis von Bäumen gab es in der Mitte einen nicht sehr hohen Baumstumpf. Ich habe mich darauf gestellt und es fühlte sich an, als ob ich mich so in die Männergestalten meiner Biografie einreihen würde. Der Segen des Vaters allein war nicht mehr ausschlaggebend, ich wusste mich getragen von den vielen Groß- und Urgroßvätern, die vor mir waren.

»Du bist unser geliebter Sohn« – leider hören wir diesen Satz zu selten von unseren Vätern. Und daher bemühen wir uns oft ein Leben lang und nach allen Kräften, ihn von anderen – beispielswiese von unserem Chef, Lehrer oder Trainer – zu hören. Zu oft sind wir Männer dann bereit, unsere eigenen Vorstellungen vom Leben und unsere Sehnsucht nach Freiheit hintanzustellen. Wir lassen uns verbiegen. Wir leben und handeln wie Charlie Chaplin es in seinem Film »Modern Times« zeigt, in der Hoffnung, so die Anerkennung als Mann zu bekommen, nach der wir uns seit unserer Kindheit sehnen. Aus: »Du bist mein geliebter Sohn« wird dann aber: »Du bist ein braver Junge.« Eine Zeitlang mag uns dieser Gedanke und diese Art von Lob guttun, aber aus »braven Jungs« werden keine erwachsenen Männer.

Brave Jungs bleiben zudem immer im Einflussbereich der Mutter, das heißt, sie gelangen nicht zu ihrer eigenen Identität, sondern hängen sozusagen auch im Erwachsenenalter am Rockzipfel der Mutter. In dem Lied »Hänschen klein« in der Textfassung von Ernst Schmid (1891) und Otto Frömmel (1900) wird dies auf eindrucksvolle Weise besungen:

Hänschen klein ging allein

in die weite Welt hinein.

Stock und Hut steht ihm gut,

ist gar wohlgemut.

Aber Mutter weinet sehr,

hat ja nun kein Hänschen mehr.

Da besinnt sich das Kind,

läuft nach Haus geschwind.

»Lieb Mama, ich bin da!«,

ruft das Hänschen hopsasa.

»Ich bin hier, bleib bei dir,

geh nicht fort von hier!«

Da freut sich die Mutter sehr

und das Hänschen noch viel mehr;

denn es ist, wie ihr wisst,

gar so schön bei ihr.

Das »Hänschen«, von dem hier die Rede ist, kann gar nicht seinen Weg in der Welt finden, da es nicht von der Mutter wegkommt, die ihn durch emotionalen Druck (»Aber Mutter weinet sehr«) an sich bindet. Auch wird in dem Text suggeriert, dass es nirgends schöner sei als bei der Mutter. In der Originalfassung des Liedes von Franz Wiedemann geht es noch um das Erwachsenwerden von Hänschen, was durch die Loslösung vom Elternhaus in Gang kommt. »Hänschen« kann zu »Hans« werden:

Hänschen klein geht allein

in die weite Welt hinein,

Stock und Hut steht ihm gut,

ist auch wohlgemut.

Aber Mutter weinet sehr,

hat ja nun kein Hänschen mehr.

Wünsch dir Glück, sagt ihr Blick,

komm nur bald zurück!

Viele Jahr, trüb und klar,

Hänschen in der Fremde war.

Da besinnt sich das Kind,

ziehet heim geschwind.

Doch, nun ist’s kein Hänschen mehr,

nein, ein großer Hans ist er;

schwarz gebrannt Stirn und Hand.

Wird er wohl erkannt?

Eins, zwei, drei geh’n vorbei,

wissen nicht, wer das wohl sei.

Schwester spricht: Welch’ Gesicht!

Kennt den Bruder nicht.

Kommt daher die Mutter sein,

schaut ihm kaum ins Aug hinein,

ruft sie schon: Hans! Mein Sohn!

Grüß dich Gott, mein Sohn!

Beim ersten Hinsehen könnte man meinen, dass der Text der Originalfassung ein Aufruf zum Mannwerden ist, zur freien Selbstverwirklichung des Mannes, der seine Wildheit leben kann und darf. Die Loslösung vom Elternhaus und von der Mutter wird hier thematisiert. Es ist die Welt des Biedermeiers, die dem Lied als Grundlage dient. Auffallend ist, dass es darin keinen Vater gibt. Familie und Haus sind der Ort der Mutter und Schwester. Junge Männer dürfen zwar eine Zeitlang in der Wildheit der Welt leben. Sie dürfen sich »ihre Hörner abstoßen«, sollen sich dann aber in die Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft einfinden. Sie sollen eine Zeit der Loslösung durchmachen und dann den ihnen zugewiesenen Platz in der Gesellschaft einnehmen. Noch ist in dieser Gesellschaftsform der Mann Oberhaupt der Familie. Die Erziehung des Jungen zum Mann liegt aber schon zu großen Teilen in den Händen der Frauen.

Zum Ende des 19. Jahrhundert macht das Lied eine Veränderung durch. Nun ist nicht mehr die Rede davon, dass der Junge sieben Jahre in der Welt umherzieht, um dann als Mann zurückzukehren. Jetzt geht er gar nicht mehr weg, sondern bleibt nach kurzem Versuch, sich zu lösen, unter dem emotionalen Druck der Mutter (»Aber Mutter weinet sehr«) zu Hause. Es ist das Bild des Jünglingsgeliebten, auf das später noch genauer eingegangen wird. Eine Initiation zum Mann wird hier von der Mutter verhindert.

In beiden Textvarianten fällt aber auf, dass hier ein Prozess zwischen Mutter und Sohn beschrieben wird. Der Vater taucht nicht auf. Mit dem Beginn der bürgerlichen Gesellschaft war die Mutter die vorherrschende Kraft bei der Erziehung der Kinder. Mag diese Entwicklung am Anfang noch für die eher begüterten Familien gegolten haben, so setzt sich dieses Denken immer weiter durch. Es wird zum Ideal der Gesellschaftsordnung in Europa. Mit dem Beginn der Industrialisierung wird dieser Prozess dann von der Mutter an die »Fabrik« übertragen: Männer gehen hier zur Arbeit. »Die Fabrik« nährt den Mann, erwartet aber als Gegenleistung Unterwerfung. »Die Fabrik« weint nicht mehr, sondern bestraft durch Verweigerung der notwendigen Nahrung. Es ist eine der großen Entfremdungen, die die moderne Industriegesellschaft mit sich gebracht hat. Mit ihr begann die große Krise der Männer. Der Vater und sein Segen werden immer seltener und sind für ein Genährtwerden – im körperlichen wie im psychischen Bereich – nicht mehr so entscheidend.

Mann werden – Mann sein

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