Читать книгу Österreich im Jahre 2020 - Josef von Neupauer - Страница 10
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ОглавлениеIch übergehe die Erlebnisse auf der Reise bis Salzburg, welche für den Leser kein Interesse hätten, weil es sich nur um unsere Beobachtungen in Österreich handelt.
Wir kamen am 13. Juli 2020 abends 6 Uhr in Salzburg, einer reizend gelegenen Kreisstadt, an, welche einmal ziemlich volkreich war und gegenwärtig nur etwa 1.500 bleibende Einwohner zählt, aber immer an 2.500 bis 3.000 Fremde beherbergt. Es haben in solchen Städten viele Pensionisten ihren Wohnsitz, die ihn aber, durch keine Berufspflichten gebunden, jederzeit beliebig mit einem anderen Wohnorte vertauschen können, daher sie nicht eigentlich Einheimische genannt werden können.
Die beurlaubten Bürger, welche ihren Urlaub zu einer Reise benützen, halten sich meist einige Tage in diesen Städten auf, um einigen Theatervorstellungen beizuwohnen und die Merkwürdigkeiten zu besehen. Reisende Ausländer, welche die Reisetaxe dritter Klasse bezahlen oder solchen gleichgehalten werden, haben das Recht, in den Kreisstädten abzusteigen und liefern auch ein großes Kontingent der wechselnden Bewohnerschaft der Kreisstädte. Auch die Heilanstalten höherer Ordnung und die Mittelschulen für Technik, Landwirtschaft und Gewerbe führen manche Kranke und Schüler in die Kreisstädte, wo in früherer Zeit, als die stehenden Heere noch nötig waren, auch meist drei Bataillone Militär garnisonierten. Die stabile Bevölkerung betreibt Gärtnerei, Industrie, Hauswirtschaft, Krankenpflege und Unterricht. Es ist ferner an jedem Kreisorte je ein Staatsbeamter für die Angelegenheiten der Gemeinde, des Bezirkes und des Kreises ansässig und hat der Kreisbeamte einige Hilfsbeamte nach Bedürfnisse zur Seite. Jedem der drei Staatsbeamten ist ein vom Volke gewählter sogenannter Tribun oder Volksbeamter zur Seite gesetzt, der die Interessen der Einzelnen, Gemeinden, Bezirke und des Kreises wahrzunehmen hat. Ebenso ist an jedem Kreisorte je ein Pädagoge und je ein Arzt für die Angelegenheiten der Gemeinde, des Bezirkes und des Kreises bestellt und zerfallen die Kreise in beiläufig zwanzig Bezirke und jeder Bezirk in etwa zwanzig Gemeinden. – Dazu kommen ein ziemlich zahlreicher Lehrkörper, einige weibliche Ärzte und viele Spezialisten des ärztlichen Standes, so besonders Operateure, welche im Verbande der Kreisregierung stehen, aber, wenn es sich um Kranke handelt, die nicht oder nicht schnell genug nach der Kreisstadt gebracht werden können, an den Wohnort des Kranken abgehen müssen und welchen die schnellsten Beförderungsmittel jederzeit zur Verfügung stehen.
Am Kreisorte ist eine permanente Bühne mit meist wechselndem Personale und, als wir dort ankamen, war eben eine Operngesellschaft in Salzburg, welche mehrere berühmte Sänger und Sängerinnen zählte.
Beiläufig will ich hier noch bemerken, dass am Kreisorte die Trauungen gefeiert werden, dass dort häufig die Versammlungen der Verwaltungsbeamten, Ärzte und Lehrer tagen und jede Woche irgendein Wettbewerb nach Art der olympischen Spiele abgehalten wird, wobei man sich um die Palme in den verschiedensten Künsten und Geschicklichkeit bewirbt. Der Kreisort beherbergt eine permanente Ausstellung der industriellen und landwirtschaftlichen Produkte und ein historisches Museum, welches die Fortschritte seit 50 Jahren veranschaulicht.
Wir wurden zuerst dem Staatsbeamten für die Gemeindeangelegenheiten vorgestellt, der unsere Papiere prüfte und sich erkundigte, nach welcher Klasse wir reisen wollten. Es richte sich danach die Kategorie der Städte, in welchen wir Aufenthalt nehmen dürfen, die Beherbergung, Verpflegung und die Verkehrsmittel, deren wir uns bedienen können. Wir erhielten einen gedruckten Prospekt zu unserer Orientierung und entschieden uns für die erste und reichste Klasse, welche uns überall Zutritt eröffnete und wofür wir 25 Mark in Geld pro Tag zu erlegen hatten. Wir bezahlten für 20 Tage 1.000 Mark zusammen und wurden ersucht, unsere sonstige Barschaft in Verwahrung zu geben, da im ganzen Lande niemand berechtigt sei, Geld anzunehmen oder etwas zu verkaufen. In die uns ausgestellte Aufenthaltskarte wurde eingetragen, dass wir 1.000 Mark Reisegebühr erlegt und außerdem 9.000 Mark in Gold deponiert hätten und berechtigt seien, bis 2. August 2020 abends 6 Uhr als Reisende erster Klasse in Österreich uns aufzuhalten, vorbehaltlich einer etwaigen Verlängerung, die wir mit der Staatsverwaltung vereinbaren könnten. – Wir erhielten sodann eine gedruckte Belehrung in deutscher und englischer Sprache, wie wir uns in Österreich zu benehmen hätten, um nicht gegen Gesetz und Sitte zu verstoßen, wie auch die gesetzlichen Folgen, welche Kontraventionen nach sich ziehen würden, daraus entnommen werden konnten, und wurden uns dann zwei prachtvolle Zimmer in den Wohngebäuden angewiesen, welche eine berückende Aussicht gegen die Berge boten.
Nachdem wir uns gereinigt und mit einem Bade erfrischt hatten, erhielten wir die Einladung des Kreisbeamten, seinem Empfange nach der Oper beizuwohnen. Wir stärkten uns mit einem Imbiss im Gemeindehause, wohnten einer Oper von Mozart bei, der in Salzburg noch im 21. Jahrhundert als berühmtester Landsmann verehrt wird, und wurden nach Beendigung der Oper, die vor dichtgefülltem Hause aufgeführt wurde, von dem Personale des Hauses nach den Empfangssälen des Kreisbeamten gewiesen, die in einem Gebäude nahe der Oper, zu welchem man durch einen gedeckten Gang gelangen konnte, gelegen waren. – Ich will nicht bei der Schönheit dieses Baues und der Empfangsräume verweilen, noch die Menge der Besucher erwähnen, da ich mir näheres für später vorbehalte, wo die Hilfsquellen zur Sprache kommen werden, über die Österreich im 21. Jahrhundert verfügt. Nur will ich sagen, dass wir verwundert waren, die ersten Sängerinnen nach der Oper mit funkelnden Steinen an Brust und Hals am Arme höflicher Herren beim Kreisbeamten erscheinen zu sehen, was wir damals mit der kommunistischen Gesellschaftsordnung nicht zu vereinbaren wussten.
Als wir zur Ruhe gingen, machte man uns aufmerksam, dass die Züge in der Richtung nach Wien um 6 Uhr und um 9 Uhr morgens von Salzburg abfahren, und wählten wir den zweiten Zug.
Am nächsten Morgen warfen wir von unseren Fenstern einen Blick über die herrliche Gegend und sahen überall auf Feldern und Wiesen rüstig arbeiten, Lieder erklangen von den Gefilden und schien ein gewisser Wetteifer alle zu beleben. Wir frühstückten im Speisesaale, wo uns ein allerliebstes Mädchen mit dem Nötigen versorgte, unternahmen einen Spaziergang in die ihrer Schönheit wegen berühmte Umgebung der Stadt und reisten um 9 Uhr ab, nachdem uns eine freundliche Hausgenossin, welche das Geschäft einer Aufwärterin im Fremdenpalaste besorgte, noch einen Gruß des Kreisbeamten und des Gemeindebeamten gemeldet hatte.
Man darf aber nicht glauben, dass wir uns irgendwelche Freiheiten gegen dieses „Kammerkätzchen“ oder eine geringschätzige Behandlung hätten erlauben dürfen. Unsere gedruckte Belehrung bedrohte uns für einen solchen Fall mit unverzüglicher Entfernung aus Österreich, wie uns auch kundgetan war, dass jedes Mädchen und jede Frau in Österreich ohne Rücksicht auf deren Beruf Anspruch auf ritterliche Höflichkeit erhebt.
Bahnhof, Waggons, Dienstuniformen des Eisenbahnpersonals zeigten edle Einfachheit und feinen Geschmack. Nach Vorweisung unserer Aufenthaltskarte wurden wir vom Oberschaffner nach dem besten Coupé gewiesen, in welchem wir einige Professoren fanden, die ihre Ferienreise machten. Der Zug war voll besetzt mit Leuten jeden Berufes, die kürzere und längere Strecken zurücklegten, wozu ihnen eine Reiselegitimation des Beamten ihrer Heimat das Recht gewährte. Einige Mal war der Andrang von Reisenden etwas zu groß und dann mussten jüngere Leute ohne Rang sich begnügen, in den Gängen und zwischen den Sitzen zu stehen, aber es wurde wieder Platz und so dauerte die Unbequemlichkeit nicht lange. Wer sich nicht fügen wollte, hatte die Wahl, auszusteigen und zurückzubleiben, was nichts auf sich hatte, weil man überall angenehm wohnt und mit allem gut versorgt ist und man ja doch nur zum Vergnügen reist. Die wenigen Personen, die im Dienste reisen, haben allerdings Anspruch auf alle erdenklichen Bequemlichkeiten und unaufgehaltene Beförderung.
Wir hatten unterwegs zweimal kalten Imbiss mit Erfrischungen nach unserer Wahl, erhielten auf unseren Wunsch, da wir uns scheuten, mit den Reisenden Deutsch zu konversieren, englische Bücher und Zeitungen aus der fahrenden Bibliothek zum Gebrauche und kamen um 4 Uhr über die St. Pöltener Zweiglinie nach Tulln, wo uns der Schaffner einem am Bahnhofe anwesenden Herrn als die beiden Amerikaner vorstellte. Es war Herr Zwirner, der, obwohl er Englisch an Mr. Forest geschrieben, doch nur Deutsch mit uns sprechen wollte und uns zu unserer Aufklärung mitteilte, der Schaffner, der uns schon in Wels um das nächste Ziel unserer Reise gefragt und erfahren hatte, dass wir noch heute zu Herrn Zwirner in Tulln wollten, habe, wie das immer geschehe, wenn es sich um Fremde handelt, von Linz aus den Kreisbeamten in St. Pölten und dieser den Bezirksbeamten in Tulln telegraphisch von unserer Ankunft und dem Zwecke unseres Besuches verständigt. Demnach sei er, Zwirner, der in den nahegelegenen Bergen arbeitete, rechtzeitig von unserer Ankunft benachrichtigt worden, damit die Fremden den Zweck ihrer Reise ohne Umwege erreichen sollten.
Wir begaben uns nach unseren Zimmern, die in gastfreundlicher Absicht so gewählt waren, dass wir die Aussicht über die Donau und den Tullnerboden mit den angrenzenden waldbewachsenen Höhen genießen und sehen konnten, dass das ganze Land wie ein Garten bebaut ist. Zwirner wollte uns gleich mit dem Landstriche, der vor uns lag, bekannt machen. Das Gebiet zwischen der linker Hand strömenden Donau und den Bergen, die sich rechter Hand in sanften Bogen bis meilenweit vor uns nach Osten erstreckten, nennt man den Tullnerboden. Er ist flach, wie eine Tenne und unendlich fruchtbar. Links, jenseits der Donau, sieht man ausgedehnte Auen und weiterhin anmutige Berge, die sich weit hinaus im Osten mit den diesseitigen Bergen zu kreuzen scheinen. Doch windet sich dort die Donau, deren Lauf man nicht mehr verfolgen kann, in südöstlicher Richtung zwischen den Bergreihen durch. Unsere Bergkette ist von einem scharf abfallenden Berge abgeschlossen. „Auf diesem Berge“, sagte Zwirner, „steht die alte Ruine Greifenstein, zwei volle deutsche Meilen von hier, und links davon, noch eine Viertelmeile weiter und schon jenseits der Donau gelegen, seht ihr den mächtigen Bau des Schlosses Kreuzenstein, vormals gräflich Wilczekscher Besitz und jetzt, wie alle alten Burgen und Schlösser, zur Zivilliste geschlagen. Der Kaiser lässt sich aber dort von altersher von einem Mitgliede der Familie Wilczek vertreten.“ – Zwirner nannte uns die Ortschaften, die vor uns lagen. Die Straße rechter Hand führe nach Staasdorf, das wir nahe vor uns sahen, und nach Ried, das wir nicht sehen könnten, im Gebirge. Am Saum der Gebirge, von Staasdorf nach Osten vor uns, nannte er uns die Ortschaften Chorherrn, Tulbing, Königstetten und näher zu uns liegen in dieser Richtung Frauenhofen und Nietzing, an der Donau stromabwärts Langlebarn, Muckendorf, Zeiselmauer, dann im fernen Osten Wördern und St. Andrä, welches sich wieder an die Berge lehnt; von da zurück, halbwegs nach Königstetten, Wolfpassing. – Tulln sei Bezirksvorort und alle diese Ortschaften, ein großer Teil des rechtsseitigen Waldgebietes und viele Ortschaften nach Süden und Westen, die von unseren Fenstern aus nicht zu sehen waren, gehörten zu diesem Bezirke. Jenseits im Osten beginne der Klosterneuburger Bezirk. Wir sahen keine Kirchtürme, aber die aus mächtigen, kastellartigen Gebäuden bestehenden Dörfer waren wohlgepflegt, mit Ziergärten, Parkanlagen und Obstgärten eingerahmt und von großen Wirtschaftsgebäuden begleitet, die überall abseits angelegt waren. Eigentlicher Wald war auf dem Tullner Boden nicht zu sehen, aber die Berge waren herrlich bewaldet. Von den Bergkuppen nannte uns Zwirner nur den Tulbinger Kogel zwischen Tulbing und Königstetten, den wir näher kennen lernen sollten. In Königstetten sahen wir auch ein großes Schloss mit weit ausgedehnten Gärten und Park, das nach Zwirners Mitteilungen zur Zivilliste gehörig sei und wo heuer ein Fürst Hochberg Hof halte.
Zwirner verließ uns und wir machten uns für den Mittagstisch bereit, stürzten uns vorher noch in ein Schwimmbecken, um uns nach dem heißen Tage etwas abzukühlen, und gingen um 5 Uhr mit Zwirner zu Tische. Er führte uns in den mächtigen Speisesaal des Gemeindepalastes, der an 1.500 Quadratmeter fassen mochte und wie sich einer in jeder Gemeinde und jedem Quartier findet. Dort stellte uns Zwirner dem Beamten vor, der in diesem Saale, in welchem sich die ganze Gemeinde zur Mahlzeit versammeln kann und auch, bei der Hauptmahlzeit meist zu zwei Dritteln versammelt ist, präsidierte, und dieser verkündete dann mit lauter Stimme, dass die Herren Julian West und N. Forest aus Boston in Amerika zu Besuch hier seien, was nicht übergroße Verwunderung erregte, wohl aber von einigen mit einem freundlichen „Cheer“ beantwortet wurde.
Zwirner führte uns an seinen Tisch, an dem nur unverheiratete junge Leute saßen, mit welchen wir uns bald im Gespräche befanden, da man uns ermunterte, von Amerika zu erzählen. Nach dem Essen geleitete uns Zwirner in den Park, der die Wohnhäuser umgibt, und bot uns Zigarren an, die wir gerne annahmen. Wir sprachen unsere Verwunderung aus, dass Zwirner nicht selbst auch rauchte, worauf er sagte: „Die Österreicher rauchen nicht.“
Da stieß mich Mr. Forest mit dem Ellenbogen: „Da hat man die Freiheit; den Österreichern verbietet die wohlweise Regierung das Rauchen, als ob sie kleine Kinder wären.“ Zwirner verstand nicht, was Mr. Forest englisch zu mir sagte, aber er erbat sich lächelnd Aufklärung, da er meine, etwas von „Austria“ vernommen zu haben, und fügte zugleich bei, er wolle nicht annehmen, dass wir von etwas gesprochen hätten, was Mr. Forest zu verbergen wünsche, da dies in Österreich als ungesellig gelte und man wohl in Amerika nicht anders denken dürfte. Ich gestand ihm, dass wir Gegner des Kommunismus seien und im Rauchverbot eine unerhörte Bevormundung erblickten.
„Ihr irrt, liebe Freunde!“, sagte hierauf Zwirner, „in Österreich lebt ein freies Volk, und niemand kann uns das Rauchen verbieten.“ – „Weshalb wagt ihr aber dann nicht zu rauchen?“, war meine Frage. – „Das mag einer Erklärung bedürfen“, sagte Zwirner. „Österreich war einstens das gesegnete Land der Raucher; die österreichische Regierung hatte das Tabakmonopol im Lande und erzeugte ungeheure Mengen von Zigarren, Rauch- und Schnupftabak im Jahre. Sie begünstigte das Rauchen, weil damals, vor 150 Jahren, das Tabakmonopol große Summen abwarf. Als dann nach und nach die Gemeinwirtschaft eingeführt wurde, hatte die Regierung Mittel genug zur Verfügung, um alle staatlichen Bedürfnisse zu befriedigen, und es wurde die Frage aufgeworfen, ob denn das Rauchen ein wirkliches oder eingebildetes Bedürfnisse sei. Man stritt hin und her und es gab Provinzen, die für das Rauchen waren, und andere wollten es abschaffen. Die Regierung wollte nichts von Gewalt wissen und meinte, nur der Jugend könne der Genuss von Tabak verwehrt werden, wenn man das für zweckdienlich halte.
Da sich, wie gesagt, einige Provinzen für das Rauchen, andere dagegen ausgesprochen, schlug die Regierung vor, dass man das Rauchen zwar den Erwachsenen freigeben, aber eine besondere Krankheits- und Mortalitätsstatistik für Raucher und Nichtraucher führen solle. So geschah es und wurden die Nichtraucher für die Ersparnisse an Rauchtabak mit anderen Genüssen entschädigt. Es stellte sich nun klar heraus, dass das Rauchen manche spezifische Krankheiten im Gefolge habe und dass der Raucher jährlich 3-8 Tage seines Lebens zusetze, je nach der Menge und Stärke des verbrauchten Tabaks und der Widerstandsfähigkeit der Konstitution. – Da verminderte sich nach und nach die Zahl der Raucher, den jungen Leuten verwehrte man den Tabak ganz und gar, und es fand sich, dass die Leute nicht nur gesünder waren, als vorher, sondern auch jährlich das Dreifache jenes Aufwandes in Ersparung gebracht wurde, den die Versorgung des Volkes mit neuen Büchern und die gesamte Bibliotheksverwaltung verursacht.“
„Nun aber, wie kommt es, dass wir doch mit Zigarren bewirtet werden?“, fragte ich.
„Wir sind gastfreundlich und sehen jährlich 400.000 Ausländer in unseren Grenzen. Wir suchen jedem Fremden die Annehmlichkeiten seiner Heimat zu bieten und nur für Fremde haben wir Tabak.“
Mr. Forest schwieg für diesmal und hoffte auf eine bessere Gelegenheit, über die kommunistische Sache zu triumphieren.
Zwirner schlug nun vor, einen Plan für die nächsten Tage zu entwerfen. „Wir haben“, sagte er, „Dienstag, den 14. Juli 2020 und, da wir mitten in der Ernte sind, kann ich mich nicht beurlauben lassen. Für nächsten Sonntag stehe ich euch ganz zur Verfügung, aber an Wochentagen muss ich mich bis 4 Uhr meinem Berufe widmen. Da wir günstiges Wetter haben, schlage ich euch für morgen einen Ausflug auf das Kahlengebirge vor und am Donnerstag findet im Prater ein Kreiswettrennen statt, welches in den Nachmittagsstunden abgehalten wird, und damit ließe sich ein Besuch der Rotunde verbinden. Für später können wir dann weitere Pläne machen. Am Kahlenberge könnte ich euch morgen nachmittags abholen.“
Wir gingen auf den Plan ein und Zwirner verließ uns, um das Nötige im Gemeindepalaste zu besorgen. Man stellte uns nämlich Karten aus, womit wir wegen unserer Verpflegung für Mittwoch und Donnerstag an die Verwaltung der Wirtschaften am Kahlenberge und im Prater angewiesen wurden, da es gebräuchlich sei, dass jeder dort seine Mahlzeiten einnehme, wo er beherbergt wird.
Nun führte uns Zwirner in sein Wohnzimmer, um dort in Ruhe mit uns Gedanken auszutauschen über das, was uns hauptsächlich beschäftigte. Seine Stube war einfach, aber hell, rein, gut gelüftet und für die jetzige Jahreszeit angenehm kühl. Das Mobiliar schien sehr spärlich und einfach, aber es fehlte nichts, was zur Bequemlichkeit dient. Die Stube lag im dritten Stockwerke nach einer Seite, wo besondere Ruhe herrschte, und Zwirner hatte diese Lage gewählt, weil er beschaulich war und gerne seine Muße mit Studien verbrachte. Wir sahen eine ungeheure Menge von Büchern aufgestapelt, viele auch in englischer Sprache, dann viele Jahrgänge alter Zeitungen und Fachschriften, welche Aufschluss geben über den Stand der Sozialwissenschaft im 19. Jahrhundert, über die Statistik damaliger Zeit und über die Bewegung, die damals durch alle Völker ging, und wie ein Wetterleuchten das Nahen eines erfrischenden Gewitters verkündete. Zwirner klärte uns darüber auf, wie er in den Besitz des Materials gelangt sei. Er sagte, dass niemand Privateigentum habe und alle Bücher in öffentlichen Bibliotheken verwahrt würden. Wien habe zehn große öffentliche Bibliotheken, jede mit Millionen von Bänden, da dort nach und nach alle Privatbibliotheken Aufnahme fanden und seit Einführung der Gemeinwirtschaft alljährlich eine halbe Million Bände den Zentralbibliotheken zuwüchsen.
Die Wiener Bibliotheken umfassten unter anderem alle Unica und bezögen seit Jahren alles, was auf dem ganzen Erdkreise jährlich erschienen, ohne einen Unterschied der Sprache. Mit allen kommunistischen Staaten stehe die Regierung im Büchertausche und beziehe auf diesem Wege alljährlich viele Tausende von Werken, da beispielsweise Deutschland allein jährlich 12.000 Werke herausgebe gegen etwa 7.000 Werke im 19. Jahrhundert.
Gemeiniglich sende man sich nur ein Probeexemplar zu, finde aber die Reichsbibliotheksverwaltung, dass das Volk an etwas Interesse nehmen dürfte oder dass die Verbreitung eines Werkes nützlich sei, so bestelle man eine große Anzahl von Exemplaren, auch bis zu hundert, so dass jeder Kreis mit einem Exemplar versorgt werden könne. Am Schlusse des Jahres verrechne man sich wechselseitig und rechne man gemeiniglich Band für Band, den Band zu 500 Seiten, die Seite zu 250 Worten. Den inneren Wert eines Werkes ziehe man nicht in Betracht, weil es sich ja doch nur um einen Abdruck handle und die Staaten untereinander den Grundsatz beobachten, dass Wissenschaft und Kunst international seien.
„Und die Schriftsteller erhalten auch kein Honorar?“, warf ich ein.
„Diese erhalten natürlich kein Honorar in Geld, da die Geldwirtschaft abgeschafft ist, aber man hat von alter Zeit her den Gebrauch, für geistige Arbeit von höherem Werte besondere Vorteile und Begünstigungen einzuräumen.“
„Wie bemisst man aber diese und wer schätzt den Wert der Arbeit ab?“
„Den Wert der Arbeit schätzt die Regierung ab, wie man im 19. Jahrhundert die Verdienste eines Staatsbeamten abschätzte und entlohnte, teils durch Beförderung, teils durch Auszeichnungen, teils doch auch durch Prämien!“
„Da kann man sich die Protektionswirtschaft vorstellen“, fluchte Mr. Forest, „und wer gegen die Regierung schreibt oder den Ministern nicht den Hof macht, wird natürlich umsonst auf Belohnung warten.“
„Man schreibt in Österreich nicht für und nicht gegen die Regierung, denn, nachdem der Klassenstaat durch Verstaatlichung des Besitzes sich in einen Volksstaat verwandelt hat, haben alle politischen Fragen an Bedeutung verloren und es kann höchstens Verdienst oder Verschulden Einzelner in Frage kommen, wobei Wissenschaft und Kunst nicht beteiligt sind. Allerdings ist bei der Bewertung geistiger Arbeit ein sicheres Urteil nicht zu gewinnen, aber es wird damit folgendermaßen gehalten. Man unterscheidet in der Literatur Wissenschaft und Kunst.
In der Wissenschaft handelt es sich um Forschung und Mitteilung ihrer Ergebnisse oder um bloße Tradition. Erstere veröffentlicht der Forscher in den Fachblättern oder in selbstständigen Werken. Gehört er dem offiziellen Verbande der wissenschaftlichen Körperschaften, also einer Akademie, einer Hochschule oder einem vom Staate eingerichteten wissenschaftlichen Institute an, so gilt das Ergebnis seiner Forschung als geistiges Eigentum des Staates, der ihm Unterhalt gewährt und alle Forschungsbehelfe zur Verfügung stellt. Das schließt aber nicht aus, dass für epochemachende Entdeckungen besondere Entlohnungen in munifizenter Weise bewilligt werden, wie es überhaupt mit der Belohnung besonderer Verdienste gehalten wird.“
„Wie kann das doch mit den kommunistischen Prinzipien in Übereinstimmung gebracht werden und wie stimmt das mit der Forderung der Gleichheit?“, fragte Forest.
„Wir halten Gleichheit nicht für eine Forderung des Kommunismus in dem Sinne, dass Mann für Mann dasselbe genießt. Wir verstehen unter Gleichheit einmal die Festhaltung der gleichen Würde für jeden Menschen. Jeder ist Mensch und das ist der höchste Adelsbrief. Gleichheit herrscht ferner darin, dass jeder eine vollkommene Erziehung und eine vollkommene Ausbildung erhält, so dass alle seine geistigen und leiblichen Anlagen zur vollen Entfaltung gelangen, gleichviel, wer sein Vater oder seine Mutter wäre. Wir verstehen ferner unter Gleichheit, dass jedem in seinem Berufe alle jene Erleichterungen gewährt werden, die ihn in den Stand setzen, das Höchste zu leisten. Nur durch höhere Leistungen kann sich der Mensch noch ein wenig über seine Mitmenschen erheben. Die Geburtsvorrechte wurden eben deshalb abgeschafft, damit jeder nach Verdienst geehrt und entlohnt werden kann. Das heißt, damit die natürliche Ungleichheit zu voller Entfaltung soll gelangen können hat man alle künstliche und aus der Knechtung entstandene Ungleichheit abgeschafft.
Wir sind ferners der Überzeugung, dass, wenn man jedem die gleiche Gelegenheit bietet, das Höchste zu leisten, wozu ihn die Natur befähigt hat, darin allein auch wieder der angemessene Lohn liegt; denn, wenn man einem Manne, der zweimal so stark ist, als sein Nebenmann und daher zweimal so große Lasten bewegt, auch zweimal so viel Nahrung gibt, so ist das eher gleich, als wenn man diesen verschiedenen Leuten genau gleichviel Nahrung zumessen wollte. Keinesfalls bewirkt das eine soziale Ungleichheit und so wenig man daran denken könnte, einer hundertpferdigen Dampfmaschine genau so viele Kohlen zuzuführen, wie einer einpferdigen, ebenso wenig könnte man jedem Arbeiter genau und mechanisch dieselbe und gleichviel Nahrung zumessen.
Erwägen wir aber genauer, welcher Art die Güter sind, auf welche hervorragende Künstler, Forscher und Erfinder vorzugsweise Anspruch erheben werden, so werden sie wohl unter den Begriff geistiger Nahrung fallen. Das Volk also, der Abnehmer aller geistigen und materiellen Werte, die durch Menschenarbeit geschaffen werden, hat selbst ein Interesse daran, dass höheres Verdienst auch höheren Lohn findet. Er stellt sich nämlich als produktive Auslage dar.
Unsere verhältnismäßige Gleichheit folgt weit genauer dem Verdienste, als die Gesellschaftsordnung des 19. Jahrhunderts, die Milliarden des Jahresproduktes an Leute verschwendete, welche überhaupt gar nichts leisteten. Aber wir meinen, dass jeder Arbeiter, schaffe er mit den Händen oder mit dem Kopfe oder mit den Nerven, wo z. B. gespannte Aufmerksamkeit notwendig ist, sich einigermaßen aufreibt, einen Teil seines Lebens einsetzt, und das eben in verschiedenem Maße, nach Art und Menge seiner Leistung, und nach diesem Verhältnisse muss der Lohn abgestuft werden. Wie man dem Acker selbst wiedergibt, was man ihm in der Landwirtschaft entzieht, wie man den Ackergaul selbst verschieden füttert, je nachdem er mehr oder weniger angestrengt arbeitet.“
Da unterbrach ihn das Glockenzeichen, das zur Abendmahlzeit rief, und wir pilgerten, ehe wir noch erfahren hatten, wie es mit der Kunst in der Literatur gehalten wird, nach dem großen Speisesaale. Unser Weg führte am Schwimmbecken vorüber, in dem sich noch Jung und Alt beiderlei Geschlechts tummelte, und durch den Blumengarten, der den Zwischenraum der Häuser ausfüllt. Wir fanden den Speisesaal hell erleuchtet und kaum zur Hälfte gefüllt. Man kam und ging und die hübschesten jungen Mädchen dienten als Heben von Tisch zu Tisch.