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PETRA

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Petra weiß, was jetzt kommt. Dafür braucht sie keine weibliche Intuition. Lediglich eine Uhr.

Werktags, früher Nachmittag.

Da stolzieren die Männer nach ihrer Mittagspause durch die große Stahltür, mitten hinein in die Galerie, an deren Empfang sie sitzt, und fordern ihre Pakete und ihre Post. Weil Petra arbeitet nicht nur in einer der angesagtesten Galerien der Stadt, sie ist auch so etwas wie die Postdame der Männer oben drüber. Quasi ihre private Zustellerin. In etwa so etwas wie eine Assistentin. Eine Regelung, die weit vor Petras Einstellung geschaffen wurde. Die wohl so lange bestehen wird, bis es entweder die Galerie oder das Designbüro im Dachboden nicht mehr geben wird. Wenn sie besonders guter Laune sind, fordern die Männer eine Privatführung – mit Augenzwinkern, versteht sich. Petra wird dafür bezahlt, freundlich zu sein. Manchmal muss sie an ihrer Attitüde arbeiten. Das fällt aber nur anderen Leuten auf. Die helfen ihr dann, ihr Benehmen zu korrigieren.

Da sitzt sie also, mit dem letzten Rest Rohkostsalat und ihrer angebissenen Vollkornsemmel und wartet. Eine wartende Frau. Doch worauf wartet sie? Sie wartet darauf, mit unmöglichen Männern in einen unmöglichen Dialog zu treten, tagein, tagaus. Eine ewige Wiederholung, bis es irgendwem irgendwann zu öde wird. Petra wird nicht dafür bezahlt, solche Begegnungen zu hinterfragen, sie wird dafür bezahlt, solche Begegnungen stattfinden zu lassen. Und das ist hier schließlich ein Begegnungsraum. Kunst bringt die Leute zusammen.

14 Uhr. Jetzt wird’s Zeit. Sie schlägt ihr Buch auf und ihr MacBook zu. Überlegt. Vielleicht wäre es schlauer, das Buch zuzuschlagen und das MacBook auf, um Gespräche über das Buch zu vermeiden. Ein prüfender Blick in den Innenhof. Andererseits, es spielt schon gar keine Rolle mehr, was sie anhat, was sie in der Hand hält, was sie in der Galerie zeigen, was die Welt sonst so hergibt, die Typen finden immer was. Vorkehrungen treffen. Maßnahmen im Vorhinein ergreifen, damit es nicht so schlimm wird. Das wurde ihr ebenfalls beigebracht. Was getan werden muss, damit nichts passiert. Oder: Was getan werden muss, damit möglichst wenig passiert. Dass irgendwann etwas passiert, ist schließlich Voraussetzung für das Leben als Frau. Tragisch. Aber so ist das. Frauen wissen bereits als Mädchen, dass es anstrengend wird. Schulterzuckend schaut Petra durch die großen Fenster. Zumindest ein paar Vögelchen tollen davor herum.

»Nicht einmal ignorieren«, findet Petras Mutter. »Die spür’n halt, dass du lesbisch bist, das regt die auf. Madl, Männer sind so. Du bist so fesch, die können das nicht verkraften.« Wenn Petras Mutter so etwas sagt, stutzt sie zugleich über die Unwissenheit ihrer Tochter. »Was regen sich die jungen Frauen immer so auf?«, murmelt sie in ihrem bayerischen Dialekt und schüttelt amüsiert den Kopf. »Warum regst dich überhaupt so auf? Freu dich doch über die Aufmerksamkeit! Ist nicht das Schlechteste! So ein Flirt am Arbeitsplatz? Ich werd schließlich nicht angeflirtet. Schau, wie traurig ist das bitte!«

Dann lachen sie beide. Den Schmerz weglachen. Die Enttäuschung. Die Zumutung. Wie oft haben Elle und Petra schon so miteinander gelacht? Es wurde zu ihrer praktischen Methode. Ein Allheilmittel. Damit lässt sich tagtäglich der nackte Mann im angrenzenden Garten weglachen, der Elle beim Gärtnern beobachtet und gleichzeitig die Hilflosigkeit der betrachteten Gärtnerin. Lachen ist die beste Medizin, sagt Elle. Und Petra weiß, das stimmt.

14:15 Uhr. Petra sitzt wie auf heißen Kohlen. »Auf heißen Kohlen sitzen« ist so ein Satz, den ihre Tante gerne sagt. Tatsächlich sitzt sie auf einem Ikea-Stuhl der nach Eames aussehen soll. Billige Kopie. Sonderpreis.

»Kann ja nicht jeder auf Vitra sitzen, nicht wahr?«, sagte die Chefin, als sie die Stühle hereinbringen ließ.

»Nein, das geht nicht«, stimmte Petra zu.

Auf einem echten Designklassiker sitzt hier nur die Chefin. Das muss sich so eine Galerie nämlich erstmal leisten können. Das Telefon läutet. Jemand erkundigt sich nach den Öffnungszeiten. Petra gibt Auskunft.

Die Kohlen werden heißer. Diese Männer kann Petra nicht so einfach wegkichern. Weglachen fällt ihr schwerer, wenn ihre Mutter nicht dabei ist. Die fängt schließlich immer als Erste an, lauthals zu lachen, und ist dabei so ansteckend. Das Gegenteil einer Spaßbremse.

Petra betrachtet ihre fleckenlose Bluse, kontrolliert im Selfiemodus ihre Zähne nach Essensresten und betrachtet ihre Augenringe. Wieso kommen die jetzt trotz des ultraeffizienten Make-ups so plötzlich hervor? Wer nicht schön ist, hat sich nicht genug angestrengt. Oder nicht genügend Geld in anständige Schminke investiert. Da wurde an der falschen Stelle gespart. Keine gute Grundlage, um zu altern. Darüber muss sich eine dreißigjährige Frau längst Gedanken gemacht haben. Kluge Maßnahmen sollten früh ergriffen werden. Oder es muss mit den Konsequenzen gelebt werden. Keine Frau kommt ungeschoren davon. So viel ist sicher. Mit Sicherheit kann gesagt werden: Andere Mütter haben auch schöne Töchter.

Sie betrachtet ihren Schreibtisch. Ihr Namensschild. Die pflegeleichten Topfpflanzen.

Hier ist sie gelandet, nach einem abgebrochenem Kunststudium in London, einem einjährigen Praktikum in einer Werbeagentur in New York, einem abgeschlossenem Kunstgeschichtestudium in Frankfurt, einer Top-Note auf ihrem Zeugnis, einer Anstellung in einem Museum als kuratorische Assistentin in Amsterdam und nun offiziell als Assistentin in München, tatsächlich jedoch als Aufsichtskraft. In dieser Galerie ist sie nur vorübergehend. Sie sieht gut aus, ist gebildet, ist fleißig, ist idealistisch, ist arm, ist verschuldet und gewillt, sich nach oben zu arbeiten. Wer spärlich lebt, kann bekanntlich schnell die Verbesserung seiner Lebensumstände spüren. Sich durchbeißen können, so wurde ihr beigebracht, ist eine notwendige Charaktereigenschaft, vor allem für Arbeiterkinder. Durchbeißen, Durchhalten, Disziplin, Ausdauer und Geduld. Weil Angeberei wiederum keine gute Eigenschaft von Frauen ist, stapelt Petra eher tief. Wer tief fliegt, fällt nicht so weit. Besonders als eine Frau, deren Fallhöhe immer eine gewaltige sein muss. Petra ist müde. Am Wochenende hat sie wieder ihre Familie besucht. Die lebt praktischerweise nur eine Zugfahrt entfernt.

14:30 Uhr. Die Männer betreten den Innenhof. Endlich. Mit denen wird sie jetzt auch noch fertig. Sie hat schon so viel geschafft in ihrem Leben. Sie muss das hier wie eine sportliche Aktivität betrachten. Es ist anstrengend, verbessert jedoch ihre Kondition. Einatmen, ausatmen und das Gesicht einer Frau aufsetzen, der es wirklich egal ist.

Die Stahltür wird aufgemacht und mit dem ersten Schritt hinein legen sie los.

Mann 1: »Ciao Bella!«

Mann 2: »Hast du was für uns?«

Mann 1: »Petra, Petra, Petra, willst du nicht an diesem zarten Frühlingstag mit uns einen Kaffee trinken gehen?«

Mann 2: »Wir haben noch ein bisschen Zeit.«

Mann 1: »Wär doch schade, wenn du den ganzen Tag hier sitzen müsstest.«

Mann 3: »Bessere Idee, du machst uns Kaffee, und wir setzen uns zu dir?«

Mann 2: »Du schaust so aus, als würdest du richtig guten Kaffee machen.«

Petra: »Hier sind eure Pakete.«

Mann 1: »Oh, schon wieder so zickig.«

Mann 2: »Waren wir schon wieder nicht sensibel genug?«

Petra: »Ich würde gerne, muss aber weiterarbeiten.«

Mann 3: »Deine Arbeit hätte ich auch gern. Sieht so entspannt aus.«

Mann 2: »Musstest du dafür eigentlich studieren, um während der Arbeit Bücher zu lesen?«

Petra: »Ja.«

Mann 3: »Du, stell dir vor: Unsere Putzfrau ist plötzlich nicht mehr aufgetaucht. Weißt schon, die mit dem Alkoholproblem. Wenn du also nichts zu tun hast, könntest du auch für unsere Büroatmosphäre sorgen. Kriegst auch ihren Stundenlohn.«

Mann 2: »Was meinst du, ist das mehr als dein regulärer?«

Mann 1: »Hahaha.«

Mann 3: »War ja nur ein Spaß. Die Petra versteht das, oder?«

Mann 2: »Klar, die Petra ist eine von den Coolen. Nicht so spießig wie die Anderen.«

Mann 1: »Aber grab nicht meine Freundin an, gell? Scherz!«

Mann 3, Mann 2, Mann 1: »Also, tschüss Petra. Bis morgen.«

Unbesonnen und von jeglichen Sorgen befreit schlendern die Männer durch die Ausstellung, tragen dabei ihre Post mit sich und die Aura blanker Unbekümmertheit. Einer streckt sich kurz, die Wirbel knacken. Petra schlägt ihr Buch auf. Sie beneidet diese Selbstsicherheit. Mit dem Zufallen der Tür, die aus der Ausstellung in die oberen Stockwerke führt, fällt ihr ein Stein vom Herzen oder die Anspannung von den Schultern. Es fühlt sich gut an, etwas weggearbeitet zu haben. Für heute sind die Männer erledigt. Auf zum nächsten Punkt im Tagesablaufplan.

Petra macht das hier nicht mehr lange. Das ist nur die Notlösung. Sie hat einige Bewerbungen offen, in anderen Städten, in anderen Ländern, sie ist flexibel, kann überall hin. Sie erfüllt, was von ihr gefordert wird, keine Bindung, kein Ballast kann sie von dem richtigen Jobangebot abhalten. Petra ist hoffnungsvoll und hoffnungslos unterbeschäftigt. Neun Stunden am Tag, zehn Euro pro Stunde, fünf Tage die Woche und das im teuren München.

»Du weißt, Schatzerl«, schiebt da die Tante Bella hinterher, »es hat jede noch so dumme Situation auch immer etwas Positives. Du kannst nicht wissen, wofür diese Erfahrung einmal gut sein wird. Wirst schon sehen. Wenn es dann so weit ist, denkst du an mich. Weil du was gelernt hast und feststellen musst, dass ich Recht hatte.« Die Tante hat so oft Recht. Die Tante Bella kennt das Leben und die Leute. Die Tante Bella ist eine Frau, mit der gern geplaudert wird. Denn die Tante Bella kann gut zuhören. Und das ist schließlich das A und O, wenn etwas herausgefunden werden will.

Ein weißer Defender fährt in den Innenhof. Petra weiß, was jetzt kommt. Ihre Chefin. Genauer: die Frau vom Chef. Die scheint jetzt die Fäden endgültig in der Hand zu haben. Ihr Mann ist schon länger nicht mehr aufgetaucht. Es gab keine Mitteilung, kein Teammeeting, nicht einmal ein öffentliches Statement. Er blieb plötzlich aus, sie räumte sein Büro um, und jetzt macht sie die Ansagen. Gut für sie, denkt sich Petra. Mehr Frauen in Führungspositionen. Vor allem im Kulturbetrieb. Da will Petra schließlich auch mal hin. Immer dranbleiben. Immer nach den Möglichkeiten Ausschau halten.

Der Motor verstummt. Die Chefin steigt aus, öffnet die Hintertür, ein kleiner Dackel springt aus dem Auto und läuft direkt zur Eingangstür, in der mittlerweile Petra steht, weil sie freundlich ist und weiß, dass die Chefin gern begrüßt wird. Die Chefin weiß nicht, dass das ein Automatismus ist. Das Auto, der Hund, der Job, die Stadt. Petra findet das toll. Fehlt nur noch der Jagdschein, die Chefin ist allerdings Vegetarierin.

»Hallihallo Petra! Wie geht es dir heute?«

»Maxi! Gut. Es riefen ein paar Leute an, hier ist die Telefonliste.«

»Ahhh, hmmm, danke. Und sonst?«

»Sonst hat sich wenig getan, später kommen die Akademiestudenten – die führst du durch die Ausstellung, nicht wahr?«

»Ja. Sehr gut. Sehr, sehr gut. Die brauchen wir nämlich.«

»Wen?«

»Die Kunststudenten!«

»Aha.«

»Petra, Liebes, die Kunststudenten sind unsere Zukunft. Sag, kannst du Grazia nehmen? Sonst zieht sie wieder die ganze Aufmerksamkeit auf sich und das mag Mami nicht, wenn sie gerade eine Führung gibt, nicht wahr?«

»Natürlich, wir können eine Runde gehen.«

»Stell auch das Telefon stumm, nicht dass es läutet, während ihr fort seid. Wär auch blöd. Die Leute können schließlich E-Mails schreiben, wenn sie was von mir wollen. Die wichtigen Leute haben eh meine Privatnummern. Der Rest kann warten.«

»Wie lang sollen wir fort sein?«

»Eine Stunde. Am besten du gehst, kurz bevor sie kommen. Sonst wissen sie nichts mit dir anzufangen, und das sorgt nur für Verwirrung.«

»Ist gut.«

»Weißt du was, geh sofort! Dann kann ich mich in Ruhe vorbereiten.«

»Ist gut, Maxi.«

Petra hat eine These in Bezug auf Hunde und Kinder: Wenn den Leuten nichts anderes mehr einfällt, kommt eins von beiden. Für den Sinn im Leben. Weil um den geht’s, den zu finden gilt’s. Sinnlos scheint ein Leben ohne Aufgabe. Eine Möglichkeit ist dabei, sich etwas Sinnstiftendes anzuschaffen. Etwas, worum sich gekümmert werden kann, nur dies sind gute Eigenschaften: Selbstaufopferung, Opferbereitschaft und hingebungsvolle Fürsorge. Mütterliche Eigenschaften. Fraueneigenschaften. Pflegende Eigenschaften. Die Eigenschaften, die die Welt beieinander halten. Fürchterlich findet das Petra.

Petra möchte keine Kinder. Wenn sie das sagt, sagt ihre Mutter, dass sie ihren Muttertrieb schon noch entdecken werde, und ihre Freundinnen, dass das mitnichten eine natürliche Entscheidung sei. Petra hat gute Gründe, keine Kinder zu wollen, aber wird nicht danach gefragt. Nicht einmal ihr Coming-Out scheint noch eine besondere Hürde darzustellen.

»Die biologische Uhr tickt, Petra, du wirst sie schon noch spüren und dich dann befruchten lassen«, säuselte die Tante Bella und griff weise in sich hineingrinsend nach ihrem Aperol Spritz. Befruchten lassen, als würde ihr ein netter, harmloser Herr eine Obstplatte reichen. Oder sie mit einem Smoothie einseifen. Prost!

Petra und Grazia spazieren los. Schön vorbei an den alten Prachtbauten, vorbei an den Wohnhäusern und endlich hinein in die belebteren Straßen. Da sitzen die Leute draußen vor den Cafés, gierig nach Sonne, in ihren Daunenmänteln und ihren Winterstiefeln und ihren Wollhauben, die angesichts der Wetterlage bereits überflüssig sind. Den Leuten hier geht es gut, die Leute hier sehen gesund aus. Froh und munter. Vergnügt und nett. Rote Bäckchen, weiße Zähne, pralle Portemonnaies. Status, Status, Status. Petra wird richtig warm ums Herz, auch dank der gnadenlosen Sonne.

Die Galerie befindet sich in einem beliebten Viertel unter Gutsituierten, ist jedoch ausgerechnet in der Nebenstraße einer Nebenstraße gelandet. Sie wird nicht allzu häufig zufällig gefunden. Ein echter Geheimtipp. Nur für Kenner. Nur für wirklich Interessierte. Nur für die, die Bescheid wissen. Es sind naturgemäß eher ruhige Arbeitstage.

»Was für ein Luxus!«, sagt dazu die Tante. »Dass es solche Jobs überhaupt noch gibt. Bemerkenswert!« Solche Jobs, meint sie, seien völlig überflüssig, weil sie nur von wenigen Menschen in Anspruch genommen werden. Was zählt, sind die Jobs, die viele Menschen glücklich machen, nicht einige wenige. Ihrer zum Beispiel. Zugegeben, hin und wieder weint eine Frau, wenn sie nach einer faltenreduzierenden Spritze entgegen ihrer Warnung zu lange in der Sonne war und nun anstelle der Falten eine Narbe trägt. »Aber die fangen sich dann schon«, sagt die Tante. »Was bringt die Galeristin einer Gesellschaft?«, fragt die Tante und zieht dabei die Augenbraue hoch. »Und was bringt deren Assistentin der Gesellschaft?«, schiebt sie hinterher. »Eben«, schließt die Tante, »niemand weiß, dass es dich gibt. Meine Schusterin ist relevanter als du.«

Autsch. Das saß. Der Petra wird ganz schwindelig bei so einem Gespräch. Nicht weil Petra glaubt, sie sei etwas Besseres als eine Fachkraft für Sohlen und Schuhwerk, nein, weil Petra sich selbst so sieht. Petra, die viel Zeit und Geld in ihre Ausbildung gesteckt hat, fühlt sich wie eine Bilderbuch-Versagerin, denn, so viel ist sicher, mit dreißig fängt die große Karriere nicht mehr an. Das Sorgenkind der Familie. Erst Langzeitstudentin, dann ohne Geld und ohne Einbauküche, mit einem Beruf, den niemand versteht, und obendrauf noch lesbisch. Oh weh! Ihre Mutter und ihre Tante lachen darüber. Bella und Elle sind immer fleißig am Sorgen-weglachen. Was einen nicht angreift, tut einem nicht weh. Was einem nicht weh tut, kann schnell vergessen werden. Immer schön weich bleiben. Harte Frauen wirken doch eher abschreckend, und verhärmte Frauen sind am allerabschreckendsten. Sanft soll sie sein, die Frau, sanft und lieb und nett. Ein gepflegtes Äußeres und ein außerordentlich liebreizendes Inneres. So ist’s recht.

Petra lässt den Hund von der Leine. Grazia weiß zunächst nicht recht, wie ihr geschieht und rührt sich nicht vom Fleck. Sie betrachtet ihr Teilzeit-Frauchen und wartet auf deren Aktion. Aktion, Reaktion. Affirmation ist die bessere Strategie im Job. Freundlich nicken, freundlich lächeln, zustimmen. Ja und ja und ja! Petra ist darin geschult. Sie schaut den Hund an, geht in die Hocke und strahlt aufmunternd. Der Hund weiß immer noch nicht so recht. Da wirft sie ein Stöckchen tiefer in den Park. Und Grazia tut, was von ihr verlangt wird, und läuft dem Stöckchen hinterher. Petra kommt mit, und so gehen sie weiter in die Natur hinein. Die Vöglein zwitschern und das Bächlein sprudelt, und die Autos werden leiser, und die anderen Menschen sind auch ganz stumm. Endlich Ruhe. Die Enten schnattern, weil der Hund dahergerannt kommt und wenn Grazia endlich kackt, zögert Petra keine Sekunde, um die Plastiktüte aus der Jackentasche zu ziehen, die Scheiße aufzuklauben und geschickt das Tütchen zu verknoten. Petra ist geduldig.

»Denn Geduld ist etwas, das wir Frauen brauchen«, gab ihr die Mutter mit auf den Weg, »Geduld und die Fähigkeit, nachsichtig zu sein.« Dabei zwinkerte sie und deutete auf ihren Mann, der lässig auf dem Sofa fernsah und dessen Hand im Hosenbund steckte. Typische Fernsehpose. Geduldig trägt sie die rote Tüte minutenlang durch den Park, bis endlich der nächste Mülleimer auftaucht.

Als die Ehe für alle entschieden wurde, rief Petras Mutter ihre Tochter erleichtert an, denn auf die Hochzeit ihrer eigenen und einzigen Tochter wollte sie nun wirklich nicht verzichten müssen. Lesbisch oder nicht. Petra entfuhr nur ein schrilles Lachen. Schwamm drüber!

Der Hund hat keine Lust mehr und rennt keinem Stöckchen hinterher. Zeit für eine Pause. Petra setzt sich, nimmt Grazia neben sich auf die Bank, sie warten. Auf bessere Zeiten. Auf noch besseres Wetter. Auf bessere Gründe, wieder zurückzugehen. Schwierig wird’s, wenn alles egal ist. Petra lässt Grazia auf ihren Schoß. Beide machen erschöpft die Äuglein zu.

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