Читать книгу Aufgefressen - J.P. Conrad - Страница 4
I.
ОглавлениеIm Allgemeinen empfinden die Menschen den Montag als den schlimmsten Tag der Woche. Und auch für Mitchell Liberman konnte er kein Glückstag sein, denn es war ein Montag, als er die drei Leichen fand. Sie lagen nebeneinander aufgereiht auf dem Boden eines Lagerraums im Keller der St. Marys Primary School. Man hatte ihnen die Gesichter bis zur Unkenntlichkeit mit Säure verätzt.
Das war Jack Calheys Wissensstand, als er den Hörer in die Hand nahm und seinen Kontakt beim Yard, Detective Inspector Hubert Macintosh, anrief.
»Das ging ja schnell«, war die Begrüßung des Beamten, die Jack sofort ein Grinsen ins Gesicht brachte. »Wie haben Sie davon erfahren?«
»Ich habe so meine Quellen«, tat Jack geheimnisvoll. In Wirklichkeit war es Steven Highsmith gewesen, Macintoshs Kollege und Jacks guter Freund, der ihm die wenigen Infos per E-Mail hatte zukommen lassen. Sie hatten wie rohe Fleischfetzen gewirkt, die man einem hungrigen Hund vorgeworfen hatte.
»Können Sie schon näheres sagen?«
Macintosh schnaubte in den Hörer. »Es sind zwei Frauen und ein Mann. Ihre Gesichter wurden mit Dihydrogensulfat, also Schwefelsäure, sehr stark verätzt. Die Identifizierung von zwei der drei Leichen dauert noch an.«
»Und die dritte?«
»Der Schuldirektor hatte sich die ganze Bescherung angesehen. Er sagte, es könnte sich möglicherweise um eine Lehrkraft handeln.«
Jack machte sich flink Notizen auf seinem Block. »Und?« Er war aufgeregt wie ein kleines Kind, das seine Weihnachtsgeschenke unter dem Christbaum entdeckt hatte und es nun nicht erwarten konnte, sie auszupacken.
Der Inspektor zögerte einen Moment, dann sagte er: »Sie wissen schon, dass ich das hier nur tue, weil Sie noch was gut haben bei mir?«
»Ja, weiß ich«, entgegnete Jack. »Und ich bin Ihnen auch sehr dankbar dafür.«
Es war diese unglaubliche Geschichte vor knapp zwei Jahren, als sich ihre Wege das erste Mal gekreuzt hatten. Damals hatte sich Jack, aus persönlichem Interesse und beruflichem Ehrgeiz, als Lockvogel für eine im Nachhinein äußerst fragwürdige Polizeiaktion zur Verfügung gestellt. Unterm Strich war er nur knapp mit dem Leben davon gekommen; aber auch mit der Story seines Lebens.
»Also, haben Sie die Frau identifizieren können?«, bohrte er nach.
»Ja. Es war tatsächlich eine Grundschullehrerin. Sie war erst vor einem Monat in Rente gegangen.«
»Hm«, brummte Jack nachdenklich. »Dann hatte sie wohl ihren Ruhestand nicht wirklich auskosten können.«
Macintosh räusperte sich. »Allerdings.«
»Haben Sie einen Namen für mich?«, fragte Jack weiter, obwohl er wusste, dass er Gefahr lief, seinen Bonus beim Inspektor auszureizen.
»Dazu kann ich nichts sagen«, kam auch prompt die knappe Antwort.
»Verstehe. Sonst noch was? Wie haben sich die Täter Zutritt verschafft?«
»Es gibt eine Tür, die vom Schulhof direkt zum Tatort führt. Der Hausmeister hat uns erklärt, dass in dem Raum Bänke und Tische für Sommerfeste lagern. Die werden durch diesen Zugang auf den Hof gebracht.«
»Aha. Und die Tür war aufgebrochen worden«, schlussfolgerte Jack und war schon versucht, das Wort ›Einbruch‹ auf seinen Block zu schreiben. Doch der Inspektor entgegnete:
»Nein, eben nicht. Die Spurensicherung hat keinerlei entsprechende Hinweise gefunden.«
Jack runzelte die Stirn. »Woher wissen Sie dann, dass sie durch diese Tür gekommen sind?« Er ging aufgrund der Tatsache, dass es drei Leichen waren, von mehreren Tätern aus und sprach daher immer von ›die‹. Natürlich hätte es auch eine einzelne Person sein können.
»Ich weiß nicht, ob ich Ihnen das sagen soll«, entgegnete der Inspektor zögernd.
Das machte Jack natürlich nur umso neugieriger. »Es wird mir schon keine angeknacksten Rippen und Blutergüsse einbringen, wie beim letzten Mal«, sagte er provozierend und appellierte damit auf gemeine Weise an Macintoshs Gewissen, was meistens auch funktionierte.
Der Mann im Hörer grummelte etwas Unverständliches. Dann sagte er: »Auf der Innenseite der Tür war eine Nachricht hinterlassen worden.«
Jack schluckte. »Was für eine Nachricht?«
»Calhey, Sie dürfen das nicht veröffentlichen! Ich komme in Teufels Küche, wenn das rauskommt«, mahnte Macintosh.
»Noch habe ich nichts, das ich veröffentlichen könnte«, sagte Jack. »Sie kennen mich doch, Hubert. Ich mache keine halben Sachen. Und auf Gerüchte gebe ich nichts. Ich möchte lediglich einen kleinen Vorsprung haben, bevor Scotland Yard offiziell Stellung nimmt.«
Die kleine regionale Tageszeitung Loughton Courier, für die er schrieb, hatte es, dank Jack, bereits einmal geschafft, durch eine exklusive Berichterstattung die großen Zeitungen, allen voran die Times, auszustechen. Das hätte er nur zu gerne noch einmal geschafft. Und drei verätzte Leichen waren ein guter Aufhänger.
Doch der Inspektor blieb hart. »Tut mir leid, ich muss das ablehnen. Ich riskiere hier schon Kopf und Kragen für Sie.«
»Hm.«
Macintosh seufzte demonstrativ. »Aber leider kann ich Sie ja schlecht daran hindern, ihr Büro zu verlassen...«.
Jack glaubte, sein Augenzwinkern förmlich durch den Hörer bemerkt zu haben. »Ich verstehe«, sagte er zufrieden. »Danke, Hubert.«
»Aber Calhey: Machen Sie keinen Unsinn!« Ein leises Stöhnen. »Ach was, hat ja sowieso keinen Sinn bei Ihnen.«
Sie verabschiedeten sich. Nachdem er aufgelegt hatte, betrachtete Jack sich seine Notizen; sie füllten nicht einmal die Hälfte des Blattes. Das war nicht gut. Mehr als eine kurze Randnotiz war das nicht wert. Er brauchte mehr. Insbesondere interessierte ihn brennend, was dort an die Kellertür der Schule gekritzelt worden war. Aber wo konnte er ansetzen? Beim Schuldirektor? Nein, das hätte zu Problemen führen können. Aber vielleicht beim Hausmeister.
Jack sah auf seinen Block: Mitchell Liberman; den Namen hatte er von der Website der Schule. Er hatte ihm dort, nebst den Lehrkräften und anderen Bediensteten, freundlich entgegen gelächelt. Bei ihm konnte er sicher anklopfen, ohne mit den Beamten vom Yard in Konflikt zu geraten. Liberman war ein kleines Rädchen im Schulgetriebe und vielleicht für ein paar Pfund bereit, Jack mehr Details zu verraten. Er bewohnte ein kleines Appartement auf dem Schulgelände, wie Jack schnell in Erfahrung bringen konnte. Dort würde er ihn am Spätnachmittag aufsuchen.
Bis dahin waren es aber noch ein paar Stunden, in denen unter anderem auch eine Redaktionskonferenz anstand. Aber Jack würde zu den Morden in der Schule noch keine Ankündigung machen; es war ja gut möglich, dass bei seinen Recherchen nichts herauskam. In keinem Fall wollte er falsche Erwartungen wecken und insbesondere den langjährigen Chefredakteur Butterworth, der ihm wie ein Vater war, enttäuschen. Stattdessen würde er die Berichterstattung zum Treffen der Oldtimerfreunde in Loughton als sein aktuelles Thema aufs Tableau bringen. Daran hatte er auch tatsächlich fast eine halbe Stunde lang gearbeitet.