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Die Barbaren des Teufels

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Es war noch nicht allzu lange her, als die Nordmänner mit ihren Drachenbooten die Küsten erreichten und mit ihren kaltblütigen Plünderungen und barbarischen Gewalttaten unser heiliges Land einnahmen. Sie hatten schon einige Siedlungen errichtet und das Hab und Gut von einheimischen Völkern gestohlen. Unserem Volk war gewiss, dass es nur eine Frage des Allmächtigen sei, bis sie unsere kleine Festung entdecken, ausrauben und abschlachten würden. Die Zeit war scheinbar nun gekommen und ich fragte mich, warum Lord Colman das einfach so zuließ – warum ich diese Barbaren heilen sollte, wenn sie uns doch auslöschen werden würden.

Der Nordmann ließ mein Handgelenk los und lehnte sich schmerzerfüllt zurück. Ein schlechtes Gewissen holte mich ein, denn das Letzte was ich wollte, war mein Volk zu verraten. Doch mir war auch bewusst, dass Lord Colman kein törichter Mann war und gewiss wusste, was er tat. Auch erinnerte ich mich an die weisen Worte von Keiron. „Ganzgleich was du tust, handle stets mit dem Wissen, das ich dich lehrte. Handle niemals mit Gefühlen.“ So oft er mir diesen Satz auch schon gesagt hatte – zum ersten Mal konnte ich verstehen, was er damit meinte. Ich musste diesen Männern helfen. Ganzgleich woher sie kamen - sie waren Menschen aus Fleisch und Blut – genauso wie ich. Vorsichtig setzte ich meine Heilung fort. „Wie ist dein Name, Heilerin?“ fragte der Mann mit tiefer Stimme. Ich wunderte mich, dass er meiner Sprache mächtig war. „Primrose.“ antwortete ich knapp. „Primrose.“ wiederholte er und schmunzelte so, als sei dies ein Scherz gewesen. Er hatte eine große Schnittwunde am Arm, die ich mit einer Tinktur aus den Blättern von Breit- und Spitzwegerich bestrich und mit einem Stück Leinenstoff abdeckte. Dann zog ich seine Lederstiefel aus und krempelte die schwarze Wildlederhose hinauf, um seine Beine anzusehen. Diese waren unverwundet, seine beiden Füße jedoch stark bläulich angelaufen. „Nun, Eure Füße sind stark unterkühlt. Ihr solltet sie gut warmhalten. Was ist denn passiert?“ fragte ich vorsichtig. „Das geht dir nichts an! Sag mir lieber wo wir sind!“ sprach er laut. „Ich kann Euch und Eure Männer nicht heilen, wenn Ihr mir nicht sagt, was geschehen ist.“ Er drehte den Kopf zu seinen reaktionslosen Männern und überlegte kurz. Grimmig antwortete er dann: „Wir stachen mit zehn Mann in See. Thor überraschte uns heute Nacht mit einem zornigen Sturm und so brach unser Schiff entzwei. Ein paar nutzlose Christen deines Volkes fanden uns verwundet an der Küste liegen. Dein Anführer nahm unsere Waffen in Beschlag und versprach Obhut und Heilung.“ „Und als Gegenzug dafür?“ fragte ich und hoffte auf ein einziges Wort als Antwort, nämlich den Frieden. „Er flehte um Verschonung seines Volkes.“ sprach er und musterte mich grimmig. Erleichtert atmete ich auf. „Und jetzt kümmere dich gefälligst um meine Männer.“ befahl er. Sofort sprang ich auf, nahm meinen Korb und ließ mich neben dem zweiten Mann nieder. Seine Haare waren kurz abrasiert, er trug jedoch einen langen, schwarzhaarigen Bart mit eingedrehten Zöpfen die mit silbernen Ringen zusammengehalten waren. Der Nordmann wirkte vom Körperbau etwas schmächtiger als der erste Mann. Er wachte auf als ich ihn berührte und zappelte panisch um sich. Der erste Mann sagte etwas in einer anderen Sprache zu ihm. Er beruhigte sich langsam und starrte mich mit seinem schmalen Gesicht und grün-braunen Augen an. Um sein langes Leder-Tunika trug er einen großen, schwarzen Gürtel und eine dunkelbraune Stoffhose. Er hustete los, spuckte zähen Schleim und Flüssigkeit aus und warf sich erschöpft zurück. Seine Haut sah sehr trocken aus und schuppte sich. „Tut Euch etwas weh?“ fragte ich ihn. Er deutete auf seinen Bauch und spuckte plötzlich wieder. „Ihr scheint viel Meerwasser verschluckt zu haben. Ihr müsst viel trinken und Euch ausruhen.“ Ich nahm einen Krug aus dem Korb, den ich am gestrigen Tage mit frischen Bachwasser aufgefüllt hatte und streute etwas getrocknete Kräuter hinein. Dann stand ich auf und erhitzte den Krug in den Flammen des Feuers. Ich spürte die neugierigen Blicke der beiden Männer. Es dauerte nicht lange, ehe ich zurückging und ihn dem Mann reichte. Er setzte sich langsam auf und nahm den Krug in die Hand. Auch an seinem Handgelenk entdeckte ich den bronzenen Reifen mit den Drachenköpfen. Skeptisch und mit böser Miene musterte er mich. „Trink das, Erik!“ rief der andere Mann. „Thoralf, woher weiß ich, dass diese Hexe mich nicht vergiftet?“ Seine Stimme war schrill und nicht so tief wie die des anderen. „Wenn Ihr es nicht tut, sterbt Ihr sowieso. Das Salzwasser wird Euch innerlich auffressen.“ sagte ich, nahm meinen Korb und ließ mich neben den dritten Mann nieder. Schließlich trank er es und verzog dabei angewidert das Gesicht.

Der dritte Mann war groß und muskulär. Er hatte dunkelblonde, mittellange, leicht wellige Haare, die ihm wild ins Gesicht hingen und einen Vollbart. Ich berührte ihn vorsichtig an der Schulter, doch er reagierte nicht. Langsam zog ich die Pelzdecke von seinem Körper und achtete auf seinem Brustkorb. „Ist Bjarne tot?“ fragte mich der erste Mann. „Nein, er atmet.“ antwortete ich. Dann entdeckte ich eine große Beule an seiner Schläfe. „Es könnte sein, dass er mit dem Kopf auf den Felsen der Küste aufgeschlagen war und das Bewusstsein verloren hat.“ „Das wissen nur die Götter.“ sagte der zweite Mann forsch. Um sicherzugehen, öffnete ich den Gürtel des Lederwamses, um besser an das schwarze Untergewand heranzukommen, welches Spuren von Blut aufzeigte. Ich schob dieses nach oben und entdeckte eine lange silberne Halskette mit einem Anhänger eines Raben mit weit aufgeschlagenen Flügeln. Es fand sich noch eine tiefe Schnittwunde, die sich von der linken Schulter bis zur Mitte der Brust zog. Ich biss die Zähnen zusammen, denn ich wollte mir nicht vorstellen, wie sehr diese Wunde schmerzen würde, sobald dieser Mann wieder bei Sinnen ist. Ich bestrich die Wunde ebenfalls großzügig mit einer Tinktur aus den heilenden Blättern des Breit- und Spitzwegerichs und bedeckte sie mit einigen Stücken Leinen. Die beiden Männer blickten mich an, als ich meinen Korb nahm und aufstand. „Dieser Mann ist schwer verwundet. Ich bete, dass sich die Wunde nicht infizieren wird, denn sie liegt direkt über seinem Herzen. Ihr werdet mich morgen wiedersehen.“ sagte ich, drehte ihnen den Rücken zu und verließ die Scheune. Nachdem ich die Türe hinter mir geschlossen hatte, lehnte ich mich völlig erschöpft gegen sie, als wäre ich in einem Käfig wilder Tiere gewesen, denen ich nur glatt entkommen konnte. Ich rang nach Luft und schloss dabei die Augen. Mir war nicht aufgefallen, wie rasend schnell mein Herz klopfte. Ich beschloss, Lord Colman über meine Taten zu berichten und machte mich auf dem Weg zur großen Hütte. Er erwartete mich schon auf seinem Thron und sprang sofort auf, als ich die Hütte betrat. „Lord Colman.“ Ich beugte mich vor ihm nieder. „Nun, was hast du mir zu berichten, sind die Männer wohlauf?“ „Der erste Mann, namens Thoralf, hat eine kleine Schnittwunde die ohne Bedenken verheilen wird. Er ist stark unterkühlt, ich habe ihm Ruhe und Wärme geraten.“ Er nickte konzentriert. „Der zweite Mann wird Erik genannt und hat sehr viel Meerwasser verschluckt. Er spuckt und hat Schmerzen im Leibe. Ihm wird mein erhitztes Kräuterwasser guttun.“ Ich machte eine kleine Pause. „Doch ich bete für den dritten Mann. Sein Name ist Bjarne. Ohne jeglicher Wahrnehmung liegt er da und ist nahe dem Herzen schwer verwundet. Ich werde morgen wieder nach ihm sehen.“ Lord Colman starrte nachdenklich auf den Boden. „So verratet mir, Lord, warum seid ihr so besessen darauf, das Leben dieser gefährlichen Männer zu retten?“ „Aus Liebe zu meinem Volk.“ antwortete er selbstsicher. „Ich verstehe das nicht. Ihr hättet sie an der Küste verrotten lassen können, vielleicht wäre unser Volk niemals entdeckt worden und die Menschen könnten ohne Angst in Frieden leben.“ „Deine Meinung ist ohne Belang. Ich bin mir gewiss, dass uns der Herr ein Zeichen gab! Er sandte diese Nordmänner um das Schicksal unseres Volkes unter Probe zu stellen. Ich entschied als guter Christ und verhandelte den Frieden. Heile diese Männer! Das Schicksal unseres Volkes übergebe ich nun, im Namen des Herrn, in deine Hände. Enttäusch‘ uns nicht.“

Es fing wieder an zu regnen, als ich mich auf dem Weg zu meiner Hütte machte. Die Trübseligkeit des Wetters passte wahrhaft zu meinem Wohlbefinden, denn ich ließ mir das Gespräch mit Lord Colman noch einmal durch den Kopf gehen. Nicht seine Entscheidung für das Leben der Nordmänner brachte mich zum Grübeln, sondern die Tatsache, dass ich alles dafür tun musste, sie gesund zu machen, um das Leben meines Volkes zu schützen. Als ich an der Kirche vorbeilief, entdeckte mich Keiron, der gerade dabei war das Kirchentor zu schließen. Wie ich ihn kannte, würde er sich gleich auf dem Weg zu mir machen. In meiner Hütte angekommen, schürte ich ein Feuer, um mit den Nahrungsresten vom vergangenen Tage eine Hühnersuppe zu kochen.

Es dauerte nicht lange, als es an meiner Tür klopfte und Keiron eintraf. Er setzte sich zu mir und sah mir erwartungsvoll dabei zu, wie ich die brodelnde Suppe über den Flammen des Feuers rührte. „Was verlangte Lord Colman von dir?“ fragte er schließlich. „Eine Heilung.“ antwortete ich knapp und ohne ihn dabei anzusehen. Ich nahm zwei Holzschalen, füllte sie reichlich mit der Suppe und übergab eine davon Keiron, der sie dankend annahm. Er musterte mich prüfend. Ich starrte in die Flammen des Feuers, als ich den ersten Löffel der Suppe schlürfte. „Eine Heilung der Nordmänner?“ fragte er etwas leiser. Ich sah ihn erschrocken an. „Du weißt davon?!“ „Gewiss. Zwei meiner Mönche fanden heute Morgen einzelne Schiffsteile und mehrere Männerleichen an der Küste. Der Sturm vergangene Nacht muss auf dem Atlantik sehr gewaltig gewesen sein. Sofort überbrachten sie dies Lord Colman, der daraufhin in Begleitung mit einigen Wachmännern zur Küste eilte. Sie fanden drei Überlebende, nahmen ihre Waffen in Beschlag und brachten sie zur alten Scheune. Oh Primrose, sag mir nicht, dass er dich bat, diese Barbaren zu heilen?“ „Der Lord verbot mir ausdrücklich darüber zu sprechen, es tut mir leid.“ „Mein liebes Kind, ich bin der Letzte, der dich verraten würde. Sprich mit mir!“ Ich überlegte kurz. „Ja, er bat mich um die Heilung der Nordmänner. Zwei von ihnen sind leicht verletzt, doch ich bete um den dritten Mann, ich weiß nicht, ob er an seinen Verletzungen erlegen wird.“ „Nein Primrose, für diese Tiere zu beten wäre eine Schande Gottes! Ich kann nicht glauben, wie dieser Abschaum nur von dir verlangen kann, dich in Gefahr zu bringen! Diese Männer sind ein Werk des Teufels, sie werden uns alle umbringen, sobald sie sich erholt haben. Und er unterstützt dies noch mit dem Nutze deiner heiligen Fähigkeiten! Ich kann es einfach nicht verstehen!“ Er legte die Suppenschale beiseite und vergrub das Gesicht in seine Hände. „Lord Colman verhandelte mit den Männern Frieden. Er weiß was er tut und ich bin mir gewiss, dass wir ihm vertrauen können.“ „Es ist töricht zu denken, mit den Nordmännern Frieden zu verhandeln! Sie ließen sich schon an der Ostküste unseres Landes nieder, warum sollten sie wegen eines Sturms unser Volk verschonen und die Südküste nicht mehr ansegeln? Nein, ich vertraue weder Lord Colman noch den anderen Männern. Ich hoffe, der Herr wird uns begnadigen.“ „Gewiss schenke ich dir Glauben, lieber Keiron, dennoch trage ich stets die Hoffnung des Friedens und die Liebe der Menschheit in mir. Vielleicht sind diese Männer gar nicht so grausam, wie es sich in unserem Lande herumspricht.“ Keiron riss empört die Augen auf. Plötzlich stand er auf, zog die Kapuze seiner braunen Mönchskutte über den Kopf und sprach: „Du bist genauso töricht wie Lord Colman, so habe ich dich nie erzogen, Primrose! Ich bin schwer enttäuscht und hoffe, dass du bald wieder bei Sinnen bist!“ Nach diesem Satz verließ er mit grimmiger Miene die Hütte. Es lohnte sich nicht ihm nachzugehen - Keiron war ein frommer Mönch der stets zu seiner Meinung stand und ich war mir gewiss, dass er sich wieder beruhigen würde. So saß ich nun alleine da - versunken in meinen Gedanken. Ich konnte nicht aufhören, über diese Nordmänner zu grübeln und hätte am liebsten noch einmal nach ihnen gesehen, um mich zu vergewissern, dass sich die Zustände nicht verschlechterten. Doch Keiron hatte recht, ich kannte ihre Absichten nicht und sollte mich daher von ihnen fernhalten.

Bis in die Dunkelheit blätterte ich in meinen Heilbüchern herum, bis meine Augen schwer wurden und ich in den tiefen Schlaf versank.


Primrose & Bjarne - Der Wille der Götter

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