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Meine beste Freundin, die Eiscreme

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Inmitten meines damaligen Kinderzimmers, saß ich auf dem kleinen Bett, neben den alten, ausgewaschenen Plüschtieren, die mittlerweile nicht mehr niedlich, sondern gruselig aussahen. Ich starrte auf den eingestaubten Schreibtisch aus Massivholz - mit passenden Stuhl - der so winzig war, dass ich schon lachen musste. Erschöpft kuschelte ich mich in die Bettdecke ein und starrte auf die Dachschräge, auf der sich noch Spuren eines abgerissenen Backstreet-Boys-Posters befand. Ich erinnerte mich plötzlich daran, dass ich als Teenager in einem der Sänger verknallt war. Jaja, immer diese Liebe. Sie war der Grund, warum ich zu meinem Elternhaus gefahren war, um mal aus meinen eigenen vier Wänden zu flüchten und nicht mehr so viel Eiscreme in mich hineinzufressen. In Liebesfilmen denkt man immer, dass die traurigen Frauen einfach nur übertreiben, wenn sie kiloweise Eiscreme in sich hineinstopfen, doch ich muss gestehen, dass es wirklich gegen meinen Liebeskummer half. Ich wünschte, ich hätte die Zeit zurückdrehen können, um diese Beziehung zu verhindern. Die letzten fünf Jahre hätte ich schließlich anderweitig nutzen können und nicht vergeuden brauchen. Es klopfte plötzlich an der Zimmertür. „Lilly, alles in Ordnung bei dir?“ fragte meine Mutter vorsichtig. „Hast du Eiscreme für mich?“ antwortete ich. Verdammt, ich wollte doch damit aufhören! Sie öffnete nun die Tür, setzte sich neben mich auf das kleine Bett und legte ihre Hand auf meine. Dann schenkte sie mir ein aufmunterndes Lächeln und strich mein langes, glattes, braunes Haar hinter das Ohr. „Mama, du weißt genau das ich das hasse! Seit wann kennen wir uns nochmal? Ach ja, seit 28 Jahren!“ sagte ich und kämmte mit den Fingern meine Haare wieder nach vorn.„Entschuldige, du bist eben immer noch mein kleines Mädchen und ich freue mich so, dich zu sehen.“ flüsterte sie dann. Ich sah sie an und bemerkte, dass sie wirklich älter geworden war. Ihr Kopf war mit vereinzelt grauen Haarsträhnen übersät und einige Falten bedeckten ihr wunderschönes Gesicht mit den strahlend grünen Augen, die ich von ihr geerbt hatte. „Tut mir leid, ich wollte dich nicht anfahren. Mir geht es nur nicht so gut, seitdem mich Pascal verlassen hat!“ „Schon gut, Lilly. Es ist gerade mal zwei Wochen her, das ist vollkommen normal, dass du noch drunter leidest, doch die Zeit heilt alle Wunden und schon bald wird es dir besser gehen!“ Wie ich diesen Satz hasste! Ich legte traurig meinen Kopf auf ihre Schulter. „Ein richtiger Mann verlässt nicht einfach rücksichtslos seine Freundin, nur weil er ein attraktives Jobangebot im Ausland bekommen hat. Glaube mir, es gibt noch bessere Männer da draußen, die dich auch wirklich wertschätzen!“ „Ja, ich hatte aber die Wahl! Ich hätte mit ihm nach Amerika gehen können… Doch irgendwie fühlte es sich nicht richtig an!“ antwortete ich traurig. „Du hast auf dein Herz gehört und somit die richtige Entscheidung getroffen, verlass dich drauf!“ „Danke, Mama.“ Ich küsste sie auf die Wange. „Wie siehst du eigentlich aus? Hast du in den letzten Wochen schon mal in den Spiegel geschaut?“ fragte sie dann. „Hey, ich bin nur ungeschminkt! Das zählt nicht!“ rechtfertigte ich mich. „Moment mal, klebt da etwa Schokosoße unter deinem Kinn?“ rief sie angeekelt. „Könnte sein, Vanilleeis mit Schokoladensoße wurde zu meiner besten Freundin.“ antwortete ich und versuchte zu Lächeln. „Und deine Haare? Wann hast du sie zuletzt durchgekämmt?“ empört starrte sie mich an. Ich schnappte genervt nach Luft. „Lilly, du musst jetzt endlich mit ihm abschließen. Geh zum Friseur, kauf dir neue Klamotten und richte deine Wohnung neu ein, du wirst sehen, dass es dir danach viel besser gehen wird!“ Das war wieder mal das typische Gerede einer Mutter, die es besser weiß. Aber sie hatte recht, Pascal war es nicht wert, zum Zombie zu werden und ich beschloss, neu anzufangen. Ich nickte meine Mutter an und signalisierte ihr, dass sie recht hatte. „Nun gut. Und jetzt besuch doch mal deinen Vater im Garten, er macht sich schon Sorgen um dich, weil du nur in deinem alten Kinderzimmer rumlungerst!“ Ich nickte und verließ das Zimmer.

Mein Vater arbeitete mal wieder im Garten herum, als ich die Terrasse betrat. „Es hat sich wohl nichts daran geändert, dass du die meiste Zeit hier draußen verbringst!“ rief ich freundlich zu ihm und trat näher. Er trug – wie immer - ein typisches zweifarbiges Karo-Hemd, einen Strohhut und Gummistiefel. Die einzige Veränderung, die ich feststellen konnte, waren die grauen Haare auf seinem Kopf und der dicke Bauch unter seinem Hemd. Er legte die Heckenschere beiseite und strahlte mich an. „Na ja, seitdem du ausgezogen bist und nicht mehr bei der Gartenarbeit mitwirkst, gibt es hier viel zu tun. Die Pflanzen und Blumen haben wohl gemerkt, dass mein Mädchen fehlt, die immer den grünsten Daumen hatte.“ antwortete er darauf. Ich lächelte ihn an und erkannte seine müden Augen. „Ruh dich doch etwas aus, ich kümmere mich um den Rest.“ Er musterte mich besorgt. „Fühlst du dich auch wohl genug?“ fragte er dann. „Ach Papa, ich habe ein gebrochenes Herz und nicht Grippe!“ „Danke, Lilly.“ Er küsste mich auf die Wange und verschwand nassgeschwitzt im Haus. So stand ich zwischen verwelkten Blumen, ausgetrockneten Pflanzen, wilden Unkraut und sonstigen Katastrophen. Ich jätete das Unkraut, schnitt überflüssige Stängel ab, goss alle Pflanzen, Blumen und Bäume und war dankbar für diese Tätigkeit, die mich von Pascal ablenkte.

Nachdem die Gartenarbeit getan war, betrat ich wieder das Haus und wusch sorgfältig meine Hände. Meine Eltern deckten derweil schon den Tisch für das Abendessen und ich nahm den köstlichen Geruch von Bratkartoffeln mit Zwiebeln und Speck wahr. „Oh lecker, das habe ich schon ewig nicht mehr gegessen!“ freute ich mich. Meine Mutter lächelte zufrieden.

„Was hast du denn jetzt die nächsten restlichen fünf Wochen vor, in deinen wohlverdienten Sommerferien?“ fragte mich mein Vater beim Abendessen. „Vermutlich weiterhin Eiscreme essen.“ antwortete ich mit sarkastischen Unterton. Meine Mutter warf mir einen bösen Blick zu. „Nein, ich werde die Zeit nutzen, um meine Bude etwas neu zu gestalten.“ antwortete ich. „Und vergiss nicht deine Haare zu kämmen.“ fügte meine Mutter hinzu. Ich verdrehte die Augen, während mein Vater mich amüsiert anlächelte. Am späten Abend verabschiedete ich mich von ihnen und fuhr nach Hause, in diesem ich mich überhaupt nicht wohlfühlte.

Am nächsten Morgen saß ich völlig deprimiert auf dem Sofa und starrte Löcher in die Luft. Der gestrige Tag bei meinen Eltern hatte mir richtig gutgetan, doch mir war klar, dass ich nicht jeden Tag dort auftauchen konnte. Ich musste jetzt dringend meine Wohnung neugestalten, denn nachdem ich alle Bilder von Pascal und mir entfernt hatte, sahen die Wände und die Wohnwand komplett leer aus. Für den Anfang beschloss ich, in die Stadt zu fahren, um neue Dekoration zu kaufen, die etwas Farbe in das Wohnzimmer bringen würde. Schnell stand ich auf, ging ins Badezimmer, betrachtete mich im Spiegel und erschrak. Meine Mutter hatte recht, ich sah wirklich schrecklich aus. Meine grünen Augen waren mit Augenringen geschmückt, die wie Meteoriteneinschläge aussahen und meine lange Haare waren teilweise verknotet oder standen zu Berge. Ich sprang unter die Dusche und wusch sorgfältig meine Haare. Danach föhnte ich sie und kämmte meinen Kopf fleißig durch. Anschließend reinigte ich mein Gesicht und verabschiedete mich somit vom Schokosoßenfleck unter meinem Kinn. Danach trug ich etwas Make-up und Wimperntusche auf. Voilá – ich sah schon gar nicht mehr so zombiehaft aus und fühlte mich viel besser. So tanzte ich zurück ins Schlafzimmer und zog ein schlichtes, korallenfarbiges Sommerkleid aus meinen Kleiderschrank heraus. Es dauerte eine Weile, bis ich den Reißverschluss zu bekam. Diese verdammte Eiscreme ! Ich atmete tief ein und zog ihn schließlich bis nach oben. Glück gehabt! Zuletzt kramte ich meine hübschen Sommersandalen aus dem Schuhschrank, nahm meine Handtasche und verließ die Wohnung. Heute ist ein guter Tag, um neu anzufangen, dachte ich mir. Ich setzte mich ins Auto, drehte das Radio laut auf und fuhr mit breitem Grinsen los.

Der Engel, der mich sandte

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