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6. DIE PROMETHEUS SOFTWARE AG
ОглавлениеZur Feier des Tages genehmigte sich Lutz ein Glas seines besten Whiskys. Behaglich ließ er sich den aromatischen Duft in die Nase steigen, prostete in Gedanken seinem Erzfeind zu und trank einen Schluck voller Andacht. Es hätte kaum besser laufen können. Er hatte nicht nur Zugriff auf das Spiel bekommen, sondern den gesamten Server geplündert und die Spieledateien komplett heruntergeladen. Er grinste gehässig. Ron war so ein Idiot. Er hatte den Mobilfunkstick viel zu spät entdeckt. Egal, welche Verträge er nun mit diesen Koreanern aushandelte, das Spiel würde es in Kürze für jedermann zugänglich im Internet geben. Das sollte dem Verkauf doch wohl etwas den Schwung nehmen. Tja Ron, war wohl nichts mit deinem Comeback!
Lutz genoss den Triumph. Auf diese Gelegenheit hatte er lange gewartet. Und das war erst der Anfang. Er stellte das Glas beiseite, wandte sich wieder seinem Laptop zu und startete den Passwort-Cracker.
****
Yannick irrte durch die Straßen. Es hatte geregnet, überall standen Pfützen mit schmutzig braunem Wasser, doch er achtete nicht darauf. Sein Leben lag in Trümmern. In den vergangenen Wochen war so viel geschehen, dass er innerlich gar nicht mehr hinterherkam: Erst sein glanzvoller Sieg bei den eGames, dann der Job bei einer Legende der Softwarebranche, die Arbeit mit Computerperipherie der Zukunft – und schließlich sie. Betty. Ein Traum von einem Mädchen. Warum begegnet einem so eine nie im realen Leben?
Und nun war alles vorbei. Die langen vertrauten Gespräche mit ihr, die Entwicklung der Spielwelt, die Fachsimpeleien mit Ron, die Träume von einem festen Job in einem Bereich, der hundertprozentig zu ihm passte. Diese Tankstellengeschichte hielt ihn zwar über Wasser, aber damit wollte er sein Leben nun wirklich nicht verbringen.
Er sah auf die Uhr. In einer Stunde begann sein Dienst. Ausgerechnet jetzt. Aber vielleicht war es auch ganz gut so. Das würde ihn von dummen Gedanken abhalten. Fürs Erste.
****
Als das Telefon klingelte, brauchte Ron eine ganze Weile, um sich zu orientieren. Er hatte Kopfschmerzen. Vorsichtig öffnete er die Augen und stöhnte, als er die leeren Flaschen in seiner Wohnung herumliegen sah. Er versuchte, den Anruf zu ignorieren, aber das Telefon klingelte ungerührt weiter. Schließlich gab er auf, hob den Hörer ans Ohr und meldete sich so freundlich er konnte: „Hmpf?“
„Guten Morgen, Herr Schäfer, ich habe Sie doch nicht etwa geweckt? Es ist zehn Uhr morgens!“
Ron erkannte die Stimme von Gerhardt Fleischmann. Der hatte ihm gerade noch gefehlt! Vorsichtig, um den enormen Kopfschmerz nicht noch weiter zu verschlimmern, setzte er sich in seinem Bett auf.
„Ich habe fast die ganze Nacht am Computer verbracht“, sagte er. Das war nicht mal gelogen. Nach der gestrigen Katastrophe hatte er sich auf der Suche nach Ablenkung bis in die frühen Morgenstunden im Internet herumgetrieben.
„Das freut mich zu hören. Ich hoffe, das Projekt geht gut voran? Haben Sie einen Assistenten gefunden?“
„Ja, habe ich. Aber leider musste ich ihn wieder entlassen. Er hat mich hintergangen.“
„Oh, das tut mir leid“, sagte Dr. Fleischmann, und in seiner Stimme schwang aufrichtiges Bedauern mit. „Die Situationen, in denen ich mich mit Vertrauensbruch seitens meiner Mitarbeiter konfrontiert sah, gehören zu den schwärzesten Erinnerungen meines Lebens.“
Er machte eine kurze Pause.
„Aber vielleicht tröstet es Sie ein wenig, wenn ich Ihnen erzähle, dass die Firmengründung nun erfolgreich abgeschlossen ist und ich Ihnen ein Team von zwanzig fähigen Spieleprogrammierern anbieten kann.“
Ron staunte. Der Alte war wirklich ein Mann der Tat. Einen Moment lang überlegte er, ob er ihn in die gestrigen Vorkommnisse einweihen sollte, aber dann besann er sich eines Besseren. Erstmal einen klaren Kopf bekommen.
„Ich erwarte Sie morgen früh in Frankfurt“, fuhr Dr. Fleischmann fort. „Bringen Sie Ihre bisherigen Ergebnisse mit, und bereiten Sie sich darauf vor, das Team einzuweisen. Inwieweit Ihre Anwesenheit vor Ort dann erforderlich ist, müssen wir sehen. Ich bin noch von der alten Schule und habe meine Mitarbeiter gerne vor Augen, aber ihr Computermenschen regelt so was ja heutzutage über das Internet. Es ist mir egal, wie Sie das machen, doch in spätestens sechs Wochen möchte ich an den Markt gehen.“
Ron nickte innerlich. Das war durchaus zu schaffen. Er konnte auf ein Backup zurückgreifen, das er unmittelbar vor Bettys Erschaffung angelegt hatte. Darin fehlten zwar alle Tiere, die Yannick und er seitdem in die Welt entlassen hatten, aber das war zu verschmerzen.
„In Ordnung“, sagte er. „Wir sehen uns morgen.“ Er kletterte mühsam aus dem Bett und wankte ins Bad.
Gut, dass ich nicht schon heute nach Frankfurt soll, dachte er und übergab sich.
Als Ron am nächsten Morgen auf dem Frankfurter Hauptbahnhof eintraf, waren seine Kopfschmerzen einer grimmigen Entschlossenheit gewichen. Er wollte sich von Lutz nicht stoppen lassen, egal was der sich in seinem Rachedurst noch einfallen ließ. Wie konnte ein Mensch bloß so an seinem Zorn festhalten? Immerhin war er selbst es gewesen, der damals den Bug im Internet veröffentlicht und damit den Stein ins Rollen gebracht hatte.
Ron verbot sich, weiter über dieses Thema nachzudenken. Es war sinnlos. Mehr als einmal hatte er versucht, sich mit seinem ehemaligen Assistenten auszusprechen und war dabei immer nur auf eine Wand aus Ablehnung und Hass gestoßen. Ihn schauderte es bei der Erinnerung daran.
Während ihrer Zusammenarbeit hatte er Lutz nie anders als zuvorkommend und nett erlebt, aber im Nachhinein hatte sich das als bloße Fassade erwiesen. In Wahrheit hatte es den Älteren zutiefst gekränkt, dass er nur der Assistent gewesen war und sich nach den Anweisungen eines jüngeren, weniger erfahrenen Programmierers richten musste.
Ron konnte diese Entscheidung der Firmenleitung nachvollziehen. Lutz war auf seine Art brillant; sein enormes Wissen über die Tiefen und Abgründe der Systeme hatte schon fast etwas Unheimliches – aber seine Begabung war doch recht speziell.
Ron war eindeutig der kreativere Kopf. Während Lutz tausend Wege einfielen, um an fremde Ideen zu kommen und sie mit wenigen Veränderungen als seine eigenen auszugeben, sprudelten bei Ron die genialen Einfälle nur so heraus.
Er blickte sich um. Der Bahnhof war voll mit hastenden Menschen, die anscheinend alle wussten, wo sie hinwollten. Ron nahm seinen Koffer auf und ging den Bahnsteig hinab. Diesmal würde ihn wohl kein Bediensteter mit einem Firmenwagen abholen. Aber diesmal würde er auch keine Enttäuschung erleben. Denn jetzt wartete ein ganzes Heer von Programmierern auf seine Anweisungen, um seine Welt nach seinen Wünschen zu gestalten. Er sonnte sich in dieser Gewissheit. Es war ein wohltuendes Gefühl nach der langen Durststrecke, die hinter ihm lag.
Er entschied sich für ein Robotaxi – nicht nur, weil es etwas billiger war als die Fahrzeuge mit Fahrern, sondern vor allem, weil hier keinerlei Risiko bestand, gegen seinen Willen in ein Gespräch verwickelt zu werden. Ron schob seine Kreditkarte in den dafür vorgesehenen Schlitz. Dann nannte er die gewünschte Adresse. Sofort erschien der Straßenname auf dem Display in der Mittelkonsole, Ron bestätigte die Auswahl, und die Fahrt begann. Er war gespannt, wohin es ihn verschlagen würde. Halb rechnete er mit einem verfallenen Fabrikgebäude oder einer zugigen Halle auf irgendeinem Hinterhof. Allzu klein konnte es ja nicht sein, wenn es zwanzig Mitarbeitern samt der nötigen Ausrüstung Platz bieten sollte.
Das Taxi hielt vor einem Verwaltungsgebäude am nördlichen Stadtrand. Es wirkte nüchtern, vielleicht ein bisschen langweilig, aber solide und gepflegt. Ron nickte zufrieden. Er hätte durchaus auch auf einem Hinterhof begonnen, hätte es sogar romantisch gefunden, aber diese Wahl war deutlich besser. Er war gespannt auf das Innere.
Ron nahm seinen Koffer und ging auf das Gebäude zu. Neben der Eingangstür hingen verschiedene Briefkästen. Anscheinend teilten sich mehrere Unternehmen dieselbe Adresse. Er öffnete die Tür und betrat ein Foyer, dessen einziger Schmuck aus den Firmenschildern an den Wänden bestand.
„Prometheus Software AG – 5.OG“, verkündete ein brandneues Messingschild. Glücklicherweise gab es einen Fahrstuhl.
Er bugsierte seinen Koffer in die muffige Kabine und drückte den Knopf mit der schwarzen Fünf. Es gab einen Ruck, als sich der Aufzug ächzend in Bewegung setzte. Ron fühlte sich unbehaglich. Er mochte keine Fahrstühle und atmete dankbar auf, als ihm das Display nach kurzer Zeit signalisierte, dass er das Ziel erreicht hatte.
Die Schiebetür rumpelte zur Seite. Sie gab den Blick auf einen kurzen Flur frei, der mit grauem Nadelfilz ausgelegt war. Ron zog seinen Koffer hinter sich her und ging auf die Glastür zu, an der der Schriftzug seines neuen Arbeitgebers leuchtete. Er war gespannt, was ihn dahinter erwarten würde.
****
Yannick war überrascht, als sein Arbeitskollege in die Tankstelle kam, um ihn abzulösen. Er hatte nicht bemerkt, dass die Schicht vorüber war. Zu gleichförmig waren die Stunden an ihm vorbeigezogen; die wenigen Kunden, die in dieser Nacht unterwegs gewesen waren, hatte er mechanisch bedient, ohne sich dessen bewusst zu sein. Dazwischen hatte er mit leerem Blick auf den Monitor der Videoüberwachung gestarrt. Es fühlte sich an, als wäre ein Teil von ihm gestorben. So als hätte ihn der Tod zwar besucht, aber seine Arbeit nicht vollendet.
Yannick rechnete die Kasse ab und machte die Übergabe für seinen Kollegen fertig. Es kam ihm vor, als würde er einen Fremden bei seinem Tun beobachten.
„He, was ist denn los mit dir, du siehst ja richtig scheiße aus!“, meinte sein Kollege mitfühlend. „Hast wohl wieder zu lange gezockt, was?“
Yannick nickte. „Ja, genau“, sagte er, „und jetzt muss ich mich dringend aufs Ohr hauen. Mach’s gut!“
„Du auch!“, sagte sein Kollege und begann, in den Morgenzeitungen zu blättern. Yannick trat seinen Heimweg an. Mechanisch setzte er einen Fuß vor den anderen. Er war so müde …
Als er über die Eisenbahnbrücke ging, blieb er stehen und blickte nachdenklich hinunter auf die Gleise. Es ist eigentlich ganz einfach. Alle 20 Minuten kommt ein Zug vorbei. Ein kleiner Sprung, und die Sache ist erledigt. So was passiert in Berlin dauernd.
Und wer würde ihn schon vermissen? Betty bestimmt nicht, die war nur virtuell. Seine Mutter? Vielleicht am Anfang, aber auf lange Sicht wäre sie bestimmt eher erleichtert. Lutz? Und wenn schon.
In der Ferne rumpelte es, und die Lichter der Bahn näherten sich. Yannick zog sich am Geländer hoch.
****
Für seine nächsten Schritte brauchte Lutz einen Cyberstar 3, und er hatte nicht vor, damit bis zur offiziellen Markteinführung zu warten. Er scrollte durch die Notizen, die er über Future Computing angelegt hatte, und schnaubte verächtlich. Nicht einmal eine Viertelstunde hatte er gebraucht, um vollen Zugriff auf das firmeninterne Netzwerk zu erhalten. Für einen internationalen IT-Konzern waren die Sicherheitsstandards kümmerlich. Selbst vertrauliche Protokolle lagen unverschlüsselt auf dem Firmenserver – den Verantwortlichen schien es wohl sicher genug zu sein, dass sie auf Koreanisch abgefasst waren.
Lutz überflog die Dokumente, die sein Übersetzungsprogramm erzeugt hatte. Das computergenerierte Deutsch war haarsträubend, doch es reichte aus, um den Sinn zu erfassen. Vieles betraf langweiligen Vorstandsalltag, hauptsächlich Umsatzzahlen und Berichte aus den Abteilungen, aber schließlich stieß er auf eine Information, die ihn aufmerken ließ: Offensichtlich gab es Meinungsverschiedenheiten zwischen dem asiatischen Leiter Dong-Min Choi und einem Dr. Fleischmann, der für den Vertrieb zuständig war. Daraus ließ sich bestimmt etwas machen.
Lutz forschte weiter und beschloss dann, es bei Tae-Gong Lee zu versuchen, einem jungen Mann, der noch nicht sehr lange in der Firma arbeitete, aber in den Protokollen immer wieder erwähnt wurde. Er war der persönliche Assistent von Dong-Min Choi. Nach allem, was Lutz über ihn gelesen hatte, schien er einer dieser Typen zu sein, die ohne mit der Wimper zu zucken ihre eigene Großmutter verkaufen würden – vorausgesetzt, der Preis stimmte, und er konnte dadurch die nächste Sprosse der Karriereleiter erklimmen. Sie hatten also einiges gemeinsam. Es wurde höchste Zeit, dass sie sich kennenlernten.
Er wählte die Nummer, die er in seinen Unterlagen notiert hatte, stellte sich der Vorzimmerdame mit seiner charmantesten Stimme als „Sicherheitsberater“ vor und gab an, Herrn Lee „in einer vertraulichen Angelegenheit“ sprechen zu müssen. Er wurde anstandslos durchgestellt.
Einen Moment lang hörte er Musik, dann meldete sich eine Männerstimme. „Lee.“
„Singer“, antwortete Lutz in geschäftigem Ton. „Guten Tag, Herr Lee. Wir kennen uns nicht, aber ich denke, dass es für uns beide von Vorteil sein könnte, uns kennenzulernen.“
„Worum geht es denn?“, fragte der Koreaner schroff.
„Um eine betriebsinterne Verschwörung, fürchte ich. Ich darf doch davon ausgehen, dass Sie treu hinter ihrem Chef, Herrn Choi, stehen?“
„Natürlich“, gab der Angesprochene zurück. Seine Stimme klang ungeduldig. Lutz spürte, dass er schnell zur Sache kommen musste, um ihn bei Laune zu halten.
„Ein guter Mann“, sagte er und versuchte, seine Stimme nach aufrichtiger Bewunderung klingen zu lassen. „Er hat es nicht verdient, dass Gerhardt Fleischmann an seinem Stuhl sägt.“
„Was reden Sie da?“, fuhr der Koreaner ihn an. Sein Deutsch war nahezu akzentfrei. „Für solch einen Unsinn fehlt mir die Zeit!“
„Ja, genau darauf setzt er. Aber wissen Sie, seit den Unstimmigkeiten wegen der Software für den Cyberstar 3 hat sich manches verändert …“
Die Andeutung verfehlte ihre Wirkung nicht.
„Wer sind Sie, und woher wissen Sie von diesen Dingen?“
Der Assistent klang verunsichert. Lutz grinste in sich hinein. Der Fisch hatte angebissen. Jetzt musste er ihn nur noch an Land holen.
„Nun, meinen Namen habe ich Ihnen ja bereits genannt. Ich bin Sicherheitsberater und werde Ihnen helfen, Ihren Chef zu schützen. Ich denke, wir haben eine ganze Menge gemeinsamer Interessen. Aber bestimmt ist es auch in Ihrem Sinne, keine weiteren Details am Telefon zu besprechen. Wir sollten uns treffen. Sicher kennen Sie ein nettes Lokal, in dem man ungestört zu Abend essen kann.“
****
Yannick hatte geschlafen wie ein Stein und fühlte sich auch so: schwer, unbeweglich, benommen. Mühsam versuchte er, seine Erinnerungen zu sortieren und von den verworrenen Träumen zu trennen, die noch in ihm nachhallten. Betty … die Eisenbahnbrücke … Er hatte schon halb auf dem Geländer gestanden, als er abgerutscht war und sich sein linkes Knie angeschlagen hatte.
Vorsichtig betastete er die lädierte Kniescheibe. Sie tat fürchterlich weh, und er fluchte in sich hinein. Nicht einmal einen anständigen Selbstmord brachte er zustande! Aber vielleicht war es auch gut so. Jetzt, nach ein paar Stunden Schlaf, wirkte seine Situation nicht mehr ganz so aussichtslos wie vorher.
Er sah auf die Uhr. Es war bereits später Nachmittag. In gut einer Stunde öffnete das Bit & Bytes. Er musste dorthin. Er musste mit Lutz reden, musste wissen, wie es nun weitergehen sollte.
Mühsam wälzte er sich aus dem Bett und schlurfte ins Badezimmer, das er mit seiner Mutter teilte. Sie bewohnten dieselbe Wohnung, aber beide hatten gelernt, sich aus dem Leben des anderen herauszuhalten. Yannick schätzte diese stillschweigende Übereinkunft.
Als er vor dem Spiegelschrank stand und sein Gesicht betrachtete, erschrak er. Es war eingefallen und blass; unter den Augen zeichneten sich dunkle Ringe ab. Mechanisch wusch er sich und putzte seine Zähne, wobei er sein Spiegelbild nicht aus den Augen ließ. Nach einiger Zeit wusste er nicht mehr, ob er derjenige war, der vor dem Spiegel stand und hineinsah, oder ob er nicht in Wirklichkeit aus dem Spiegel hinaussah. Das passierte ihm häufiger und hatte ihn schon vor langer Zeit zu der Überzeugung geführt, dass sich die Realität von der virtuellen Welt nur geringfügig unterscheidet. Je länger er lebte und je mehr Zeit er am Computer verbrachte, desto schwerer fiel es ihm, eine klare Trennlinie zwischen diesen beiden Welten zu ziehen. Die Begegnung mit Betty hatte die Sache nicht gerade vereinfacht …
Er hatte keinen Hunger, obwohl er nicht sagen konnte, wann er zuletzt etwas gegessen hatte. So zog er sich rasch an und verließ das Haus.
Das Bit & Bytes hatte bereits geöffnet, als er ankam. Ein paar Kids saßen an den Rechnern und spielten. Von Lutz keine Spur. Hinter dem Tresen stand Tanja. Sie war neu hier; Lutz hatte sie kurz nach den eGames eingestellt, weil der Laden danach immer so voll war. Inzwischen hatte sich der Andrang wieder gelegt, aber Tanja war geblieben. Sie passte gut hierher. Hardware interessierte sie nicht besonders, aber als Gamerin war sie spitze. Sie hatte eine ganze Weile zu den Top 50 bei „World of Warcraft“ gehört.
„Grüß dich, Yannick!“
„Hallo Tanja! Ist Lutz da?“
„Nein, er wollte für ein paar Tage weg. Verwandte besuchen oder so, keine Ahnung. Willst du einen Kaffee? Du siehst aus, als könntest du einen gebrauchen!“
Yannick nickte zerstreut. Wie konnte Lutz jetzt wegfahren? Solange sie sich kannten, hatte er Berlin noch nie verlassen. Er regelte die Dinge lieber online, als aus dem Haus zu gehen. Und von Verwandten hatte er nie erzählt. Er war nicht der Typ für Familie.
Tanja schob ihm einen Becher Kaffee über den Tresen. Abwesend nahm Yannick einen Schluck. Wie sollte es nun weitergehen? Er hatte nicht die leiseste Ahnung.
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Ron holte tief Luft, bevor er die Glastür aufstieß. Er fühlte sich wie damals, kurz vor seinem ersten (und letzten) Kopfsprung vom Fünfmeterbrett.
Er trat ein und befand sich schlagartig mitten in einem bunten Treiben. Sein neues Team war gerade dabei, sich einzurichten. Tische wurden gerückt, Arbeitsplätze aufgebaut, Netzwerkkabel ausgerollt. Ein junger Mann mit kurzen Haaren und einer runden Brille verkabelte konzentriert einen Serverschrank. Niemand schien sich sonderlich für seine Ankunft zu interessieren, die in dem allgemeinen Durcheinander schlicht unbemerkt blieb.
Ron stand mit seinem Koffer an der Tür und blickte unentschlossen umher. Zu seiner Erleichterung hörte er plötzlich die vertraute Stimme von Dr. Fleischmann, der aus einem Nebenraum kam und mit ausgebreiteten Armen auf ihn zueilte. Ron lächelte ihm entgegen.
„Herr Schäfer, wie schön, Sie zu sehen! Mir ist leider erst heute Morgen aufgefallen, dass wir gar nicht über Ihre Ankunftszeit gesprochen haben, sonst hätte ich Sie selbstverständlich abholen lassen!“
Er ergriff Rons Rechte mit beiden Händen und schüttelte sie herzlich.
„Ich hoffe sehr, dass diese Leute wissen, was sie da tun, denn ich habe nicht die leiseste Ahnung davon“, bekannte er im Verschwörerton. Dann wandte er sich um und klatschte in die Hände.
„Ich bitte um Ihre geschätzte Aufmerksamkeit!“ Augenblicklich stockte jede Bewegung, die Gespräche verstummten, und alle blickten erwartungsvoll in seine Richtung.
„Ich freue mich, Ihnen nun Ihren neuen Chef vorstellen zu können“, sagte Gerhardt Fleischmann. „Bitte begrüßen Sie Herrn Ron Schäfer!“
Applaus brandete auf, und im Nu waren sie von freundlichen Menschen umringt, die sich danach drängten, Ron die Hand zu schütteln. Er sah keine Chance, die vielen Namen zu behalten, die ihm bei dieser Gelegenheit genannt wurden. Alle in meinem Alter, dachte er. Kaum jemand über 30. Die meisten Männer. Vier Frauen waren darunter.
Dann erhob Gerhardt Fleischmann erneut seine Stimme. „Ich denke, das sollte erst einmal genügen. Sie werden später noch jede Menge Zeit haben, sich kennenzulernen. Was auch immer Sie eben getrieben haben – machen Sie jetzt damit weiter!“
Ein freundliches Gelächter war zu hören, und der Kreis lichtete sich.
„Nun zeige ich Ihnen erst einmal Ihr Büro“, sagte er, während er die Tür öffnete, aus der er gekommen war. Ron nickte befriedigt, als er eintrat. Es war groß genug, um vernünftig darin zu arbeiten und kleinere Besprechungen abzuhalten; die Einrichtung war zweckmäßig und wirkte weder billig noch protzig.
„Ich würde sagen, Sie haben meinen Geschmack genau getroffen.“
„Das freut mich zu hören, Herr Schäfer, dann also: auf gute Zusammenarbeit!“
****
Das Abendgeschäft lief gerade erst an, als Lutz Singer das gepflegte Restaurant in der Nähe der Frankfurter Oper betrat. Dies war einer der seltenen Momente, in denen er Anzug und Krawatte trug, was ihn erstaunlich seriös wirken ließ. Er blickte sich suchend um, bis er einen schlanken jungen Asiaten im Maßanzug sichtete, der an einem der Tische saß und las. Vor ihm stand ein Glas Mineralwasser. Ohne Umschweife ging Lutz auf ihn zu.
„Herr Lee, nehme ich an?“
Der Angesprochene sah auf. „So ist es. Setzen sie sich bitte, Herr Singer. Wie war die Reise?“
Es folgten einige Minuten höflichen Smalltalks, bevor der Asiate endlich das Gespräch auf den Anlass ihres Treffens lenkte.
„Offengestanden war ich von Ihrem Anruf ziemlich überrascht“, sagte er, „Sie sprachen von Dingen, die nur wenigen Führungskräften unserer Firma bekannt sind. Darf ich fragen, woher Sie Ihre Informationen beziehen?“
Lutz erwiderte das höfliche Lächeln seines Gesprächspartners.
„Sicher dürfen Sie fragen. Aber Sie müssen verstehen, dass ich meine Quellen nicht preisgeben kann. Als Sicherheitsberater habe ich Geheimnisse zu bewahren. Wichtiger ist zunächst die Frage, ob wir auf derselben Seite stehen.“
„Was wollen Sie damit sagen?“
„Nun, wie ich bereits erwähnt habe, geht es um die jüngsten Aktivitäten Ihres Vertriebsleiters.“
„Herr Fleischmann genießt unser vollstes Vertrauen“, erwiderte der Koreaner spröde.
„Sicher tut er das. Und sicher wissen Sie auch, dass er ein neues Unternehmen gegründet hat.“
Sein irritierter Blick verriet zweifelsfrei, dass Lee nichts davon wusste.
„Schauen Sie ins Handelsregister, wenn Sie mir nicht glauben. Die Prometheus Software AG ist in der letzten Woche eingetragen worden. Nun, es ist Ihre Sache, wenn Ihre Angestellten über genügend Freizeit verfügen, um nebenbei noch einen anderen Job auszuüben, aber es gibt ein Detail, das mir an dieser Sache ausgesprochen missfällt: Die Software, mit der er an den Markt gehen will, gehört mir!“
„Wie meinen Sie das?“
„Vor kurzem haben Sie Ron Schäfer kennengelernt, der Ihnen ein neues Spiel präsentiert hat. Angeblich hat er X-World extra für Ihren Cyberstar entwickelt.“
„Ja, ich war bei der Präsentation dabei. Es ist eine hübsche Anwendung, aber wir haben ihm deutlich gemacht, dass unser Geschäftsfeld ausschließlich die Hardware ist und wir nicht vorhaben, seinetwegen von dieser Linie abzuweichen.“
„Und Dr. Fleischmann ist daraufhin in die Bresche gesprungen, hat eine Softwarefirma gegründet und bereitet nun alles für die Markteinführung vor. Das Problem ist nur: Ron Schäfer hat meine Idee geklaut. Wissen Sie, er war jahrelang mein Assistent, und er hat …“
„Dann verklagen Sie ihn doch!“
„Glauben Sie mir, das habe ich bereits in Erwägung gezogen. Aber leider verfüge ich nicht über genügend stichhaltige Beweise.“
„Gut, und was habe ich damit zu tun?“
„Nun, es ist kein großes Geheimnis, dass das Verhältnis zwischen Ihrem Chef und Dr. Fleischmann nicht das beste ist. Herr Choi wäre sicher nicht gerade traurig, wenn sich die neue Firma als Flop erweisen würde. Andererseits kann es für Future Computing nur von Vorteil sein, wenn sich das neue Game schnell verbreitet und die Kids sich Ihren Cyberstar kaufen.“
Erwartungsvoll sah Lutz seinen Gesprächspartner an, doch der hüllte sich in Schweigen.
„Ich habe Folgendes vor“, fuhr er schließlich fort. „Noch vor der Markteinführung werde ich das Spiel ins Internet stellen. Jeder kann es dort kostenlos downloaden. Dann wird der offizielle Start von X-World eine Bauchlandung, das garantiere ich Ihnen.“
Lee blickte ihn mit unbewegter Miene an.
„Selbstverständlich steht es Ihnen frei, zu tun und zu lassen, was immer Sie wollen, aber ich frage Sie nochmals: Was hat das Ganze mit uns zu tun?“
„Um das Spiel angemessen weiterentwickeln zu können, brauche ich Ihre Unterstützung. Ein Cyberequipment der neuesten Generation samt den zugehörigen Datenblättern. Außerdem einen Beratervertrag, um meine Unkosten zu decken.“
„Das können Sie vergessen.“
Der Koreaner trank sein Glas leer und machte Anstalten zu gehen.
„Ich dürfte hier gar nicht mit Ihnen sitzen. Wir werden uns auch mit Ihnen nicht auf das Softwaregeschäft einlassen. Mein Onkel hat die Firmenpolitik unmissverständlich klargestellt.“
Lutz stutzte. Dass der junge Assistent der Neffe von Dong-Min Choi war, hatte er nicht gewusst. Aber es erklärte seinen rasanten Aufstieg in der Firma.
„Zudem werden wir uns nicht in etwas hineinziehen lassen, das möglicherweise illegal ist und unsere Firmenehre verletzen könnte.“
„Das ist nicht illegal. Illegal ist es, das Finanzamt nicht angemessen an seinen Umsätzen zu beteiligen.“ Lutz spielte seine letzte Trumpfkarte aus. Lee wurde eine Spur bleicher.
„Wie darf ich das verstehen? Wollen Sie uns etwa unterstellen …“
„Ich unterstelle niemandem etwas. Das war nur ein allgemeines Beispiel aus der Wirtschaftswelt.“ Lutz drohender Blick stand in krassem Widerspruch zu seinen diplomatischen Worten. „Ich mache Ihnen ein Angebot, das uns beiden große Vorteile bringen kann. Dr. Fleischmann wird ausgebremst, Ihre Umsätze steigen, und ich bekomme das, was mir rechtmäßig zusteht.“
Der junge Mann sah ihn nachdenklich an.
„Also gut. Ich werde dafür sorgen, dass Sie einen Cyberstar 3 bekommen. Ich engagiere Sie als externen Produkttester. Aber mehr als eine einmalige Aufwandsentschädigung ist nicht drin. Und mit allem anderen haben wir nichts zu tun. Sind wir uns einig?“
Lutz verkniff sich ein Grinsen. Stattdessen setzte er eine enttäuschte Miene auf.
„Das ist zwar nicht das, was ich wollte, aber immerhin etwas. Ich danke Ihnen für Ihr Angebot.“
Der Koreaner stand auf, verbeugte sich leicht und verließ das Lokal. Lutz blieb allein zurück und war hochzufrieden. Es hätte kaum besser laufen können.
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Ron schloss die Bürotür und ließ sich mit einem Seufzer in seinen Chefsessel sinken. Er brauchte erst mal Abstand. Normalerweise arbeitete er am liebsten allein. Da behielt er die Übersicht und musste sich nur über seine eigenen Fehler ärgern. Ein kleines Team ließ er sich auch noch gefallen – obwohl schon die letzten beiden Male, als er lediglich mit einem Assistenten zusammengearbeitet hatte, zu einem Fiasko geführt hatten.
Nun aber sollte er gleich zwanzig Leute führen! Ron bezweifelte ernsthaft, dass er dazu in der Lage war. Andererseits konnte er das Projekt nicht allein bewältigen, es sei denn, er hätte 100 Jahre Zeit. Die hatte er aber nicht – stattdessen blieben ihm noch genau sechs Wochen bis zum Verkaufsstart. Er brauchte einen Plan.
Ron kramte seinen Collegeblock heraus und wartete auf eine Eingebung. Versonnen begann er, die Löcher am Rand mit Kritzeleien zu dekorieren. Wolken waren das. Wellen …
Plötzlich segelte ein Schiff vor seinem inneren Auge vorbei. Er erkannte es, es gehörte zu einem Plakat, das er vor kurzem gesehen hatte. Darauf befand sich ein bekanntes Zitat von Antoine de Saint-Exupéry: „Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“
Er nickte versunken. Fachlich brauchte er seinen Mitarbeitern vermutlich nicht viel zu erzählen. Gerhardt Fleischmann war ein hervorragender Geschäftsmann – wenn er ein Team zusammenstellte, dann waren es sicherlich Spitzenleute. Was er ihnen vermitteln musste, war eine Vision, ein gemeinsamer Traum.
Ron stand auf und sah aus dem Fenster. Es war ein trostloser grauer Tag. Ziegeldächer und gepflasterte Parkplätze. Ein kahler Baum versuchte, sich dazwischen zu behaupten. Bald würde er Blätter bekommen und der tristen Umgebung wieder ein wenig Leben einhauchen. Eine Expressdrohne schwirrte geschäftig vorbei.
Allmählich konkretisierten sich Rons Gedanken. Er war kein großer Redner, aber im Groben war ihm jetzt klar, was er seinen Leuten sagen wollte.
Gegen Abend war es endlich so weit: Das Netzwerk stand, und die Server konnten hochgefahren werden. Zu jedem Arbeitsplatz gehörten nicht nur Monitor und Tastatur, sondern auch ein kompletter Cyberstar 3. Erwartungsvoll sahen die Programmierer auf Ron.
Feierabend schien für sie ebenso ein Fremdwort zu sein wie für ihn. Gerhardt Fleischmann klatschte in die Hände.
„Soweit ich sehe, haben wir für heute einen guten Punkt erreicht. Ich danke Ihnen herzlich für Ihren Einsatz. Zur Feier des Tages wartet beim Chinesen um die Ecke ein Tisch auf uns. Das Essen zahlt die Firma – aber denken Sie nicht, dass das jeden Abend so sein wird!“
Freundliches Gemurmel und Gelächter quittierten die Ansage. Gerhardt Fleischmann wandte sich an Ron, der ihn verwundert ansah: „Ich weiß schon, normalerweise finden die Betriebsfeste erst am Ende der Saison statt, aber ich garantiere Ihnen, diese Investition zahlt sich aus. Je schneller wir ein Team werden, desto besser und effektiver arbeiten wir zusammen. Sie werden sehen.“
Ron war beeindruckt. Der Firmengründer war wirklich ein Profi auf seinem Gebiet.
„Ach übrigens: Wir haben in dem Lokal einen Raum für uns allein. Eine gute Gelegenheit für eine erste Rede ans Volk, finden Sie nicht?“
Ron wollte es hinter sich bringen. Er wartete noch ab, bis die mandeläugige Kellnerin jedem ein Getränk gebracht hatte, dann erhob er sich und klopfte an sein Glas. Sofort wich das allgemeine Stimmengewirr einer gespannten Erwartung.
„Die Welt, in der wir leben, ist ein zwiespältiger Ort“, begann Ron. „Einerseits haben wir eine wunderschöne Natur, jedenfalls dort, wo sie noch intakt ist. Es gibt eine faszinierende Pflanzenwelt, Tiere von den kleinen Ameisen bis zu den riesigen Braunbären, wunderbare Sonnenuntergänge, den Mond und die Sterne.“
Er spürte, wie ihm ein Schweißtropfen die Wirbelsäule entlanglief.
Was rede ich da für einen Stuss, dachte er, ich hätte mir das vorher aufschreiben sollen. Er blickte in die Gesichter seiner Mitarbeiter, aber er sah keine Spur von Spott darin, einige nickten leicht, einige sahen überrascht aus, aber alle wirkten interessiert.
„Und dann wir Menschen. Auf der einen Seite gibt es so wunderbare Dinge wie Liebe und Zärtlichkeit, Freundschaft und Vertrauen in unserem Leben, andererseits erleben wir Hass und Eifersucht, Kriminalität und eine unaufhaltsame Zerstörung dieser wunderbaren Welt.
Wie wäre es, wenn man noch einmal neu anfangen könnte, wenn die Menschen, die sich zu Tausenden in den Asphaltwüsten unserer Städte drängen und einander nur mit Misstrauen begegnen, plötzlich in eine paradiesische Welt versetzt würden? Ein einfaches Leben, umgeben von intakter Natur, ein freundliches Miteinander, das wäre doch Balsam für die vielen Gestressten in unserer Zeit. Und wahrscheinlich würde es ihr Leben verändern, solche Erfahrungen zu machen. Davon träume ich. X-World ist mehr als ein Spiel, es ist eine Philosophie, ein Lebensstil, eine … eine andere Welt eben.“
Ron trank einen Schluck, dann fuhr er fort:
„Ich glaube an das Gute im Menschen. Ich glaube, dass der Mensch von seiner Natur her gut ist, aber dass die Umstände, in denen viele gezwungen werden zu leben, dieses Gute unterdrücken. Ändern wir die Umstände, so ändern wir die Menschen.
Das klingt einfach, aber die Geschichte hat gezeigt, dass es alles andere als einfach ist, die Umstände zu verändern. Doch nun haben wir ein ganz neues Werkzeug in der Hand. Wir sind jetzt in der Lage, eine virtuelle Realität zu schaffen, deren Eindruck so intensiv ist, dass die Unterscheidung zwischen Realität und virtueller Welt schwerfällt – ja, auch nicht mehr sinnvoll ist. Wenn ich in X-World online gehe und dort eine Freundschaft mit einem anderen Menschen pflege, wenn wir gemeinsam schöne Dinge erleben und vertrauliche Gespräche führen, dann ist das mehr als Virtualität, dann ist das ein Teil meines Lebens und wird mich nachhaltig positiv beeinflussen.
Wir sind diejenigen, die die Umgebung für diese neuen Erfahrungen erschaffen – und deswegen ist es unsere Aufgabe, dies so detailgetreu und liebevoll wie möglich zu tun. Pfusch würde der Idee entgegenstehen. Was wir brauchen, ist Exzellenz. Eine Welt, die schon durch ihre Harmonie und Perfektion das Gute im Menschen anregt.
Unsere Herausforderung besteht darin, dies im gegebenen Zeitrahmen zu schaffen. Und das funktioniert nur, wenn wir uns im Team blind aufeinander verlassen können. Eine Gruppe, in der Misstrauen und Streit herrschen, kann keine Welt der Harmonie hervorbringen. Wenn die Entwickler sich von Neid und Konkurrenzdenken beherrschen lassen, dürfen sie nicht erwarten, dass ihr Produkt die Menschen zum Frieden inspiriert. Es liegt eine große Aufgabe vor uns. Ich freue mich darauf, sie gemeinsam mit Euch anzupacken. Danke für Eure Aufmerksamkeit.“
Ron setzte sich und nahm einen weiteren Schluck aus seinem Glas. Er schwitzte und fühlte sich wie nach einem Tausendmeterlauf. Besser konnte er nicht zum Ausdruck bringen, was ihn bewegte. Vorsichtig sah er in die Runde. Seine Mitarbeiter schwiegen nachdenklich.
Die Sekunden dehnten sich, die Zeit fühlte sich wie Sirup an, und Ron wusste nicht, was er tun sollte. Hatte er die Techniker mit seinen philosophischen Ideen überfordert? War es nicht vermessen, was er da gesagt hatte? Herrgott nochmal, sie sollten ein Computerspiel programmieren, und er machte ein Programm zur Weltverbesserung daraus.
Ein donnerndes Geräusch riss ihn schließlich aus seinen Gedanken. Zwanzig Männer und Frauen klopften mit den Knöcheln auf die Tischplatte. Ihre Gesichter strahlten, zeigten Zuversicht und Bereitschaft. Die Arbeit konnte beginnen.