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Voraussetzungen
ОглавлениеÜberfahrten nach Amerika vor Columbus sind abhängig von mehreren Faktoren. Die Frage nach der rein technischen Durchführbarkeit einer solchen Überfahrt in der Antike ist schnell beantwortet: die antiken Schiffe waren mindestens ebenso seetüchtig und für lange Fahrten geeignet wie die Karavellen des Columbus. Dabei scheint die Erfindung des mittschiffs am Heck angebrachten Steuerruders keine wirkliche Rolle gespielt zu haben, denn aus antiken Nachrichten ist bekannt, dass auch Schiffe mit seitlich angebrachten Steuerrudern weite Strecken zurücklegen konnten. Ebenso ist es bei der Takelung der Schiffe, denn römische Seefahrer fuhren mit wesentlich einfacherer Takelung bis nach Indien. Auch die zur Verfügung stehenden Instrumente zur Ortsbestimmung waren bis zur ersten Fahrt des Columbus nicht wirklich weiter entwickelt. Auch ein antiker Seefahrer konnte den Sonnen- oder Sternstand messen und so seinen Breitengrad bestimmen. Hinsichtlich der Messung der geographischen Länge waren die Seefahrer der Antike und des Mittelalters in derselben Lage: vor der Erfindung des Schiffschronometers konnte man die Länge nur anhand der zurück gelegten Wegstrecke ungefähr bestimmen. Auch der Kompass war nicht das entscheidende Gerät auf der Fahrt des Columbus, hatten doch über Jahrhunderte die Kapitäne auch bei den längsten Fahrten – die nicht immer entlang der Küsten gingen – bewiesen, dass sie sehr wohl ohne dieses Gerät einen Kurs auch über größere Strecken halten konnten. Auch Columbus traf nicht immer das beabsichtigte Ziel.
Die technischen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Fahrt über den Atlantik waren also seit der Antike gegeben. Wie aber sah es mit dem theoretischen Hintergrund aus?
Als Columbus seine Idee entwickelte, das von Marco Polo (1254-1324) beschriebene Cathay, also China, und die noch viel begehrenswerter erscheinende Insel Cipango mit ihrem Gold gedeckten Palast und reichen Schätzen auf einer nach Westen führenden Route zur See über den Atlantik zu erreichen, griff er nur vordergründig auf Vorstellungen und Forschungen seiner Zeitgenossen zurück. Grundlage seiner These von der Durchführbarkeit dieser Fahrt war in erster Linie das Buch “Imago Mundi” (Bild der Welt) des Kardinals Pierre d’Ailly (1350-1420), das 1410 erschienen war. Dieser hatte allerdings auch auf einen Vorgänger zurückgegriffen, nämlich Roger Bacon (1214-1294). Der gelehrte Franziskaner seinerseits hatte alle Hinweise aus der antiken Literatur gesammelt, die dafür sprachen, dass die Erde eine Kugel sei und damit China (oder Indien) durch eine Fahrt nach Westen über den Atlantik erreichbar sei. Das Weltbild, das der italienische Gelehrte Paolo dal Pozo Toscanelli (1397-1482) in einer Karte niederlegte, die er auch Columbus zur Verfügung stellte, war kein neues Weltbild, keine Rvolution der Geographie, sondern ein Erbe der Antike. Damit erscheint die Frage durchaus berechtigt, ob nicht Seefahrer der Antike, ausgestattet mit diesem Wissen, die Überfahrt nach Westen schon lange vor Columbus gewagt hatten.
Die Vorstellung, dass die Erde eine Kugel sein müsse, reicht weit in die Geschichte der griechischen Naturphilosophie zurück. Zunächst wurde die Kugelgestalt unseres Planeten nur deshalb angenommen, weil man die Kugel als die vollkommenste Form ansah.
Wer als erster lehrte, die Erde sei eine Kugel, ist nicht zu entscheiden. Schon in der Antike wurde diese Feststellung Pythagoras, aber auch Parmenides und Hesiod zugeschrieben. [Diogenes Laertios, 8, 48] Aber die Liste ist noch länger: auch Anaximander von Milet, Anaxagoras, Archytas, Philolaos und schließlich Aristoteles werden heutzutage genannt. Die besten Kandidaten bleiben dabei Pythagoras und Parmenides. Auf jeden Fall war die Lehre von der Kugelgestalt der Erde in der Akademie Platons Teil des Unterrichts. In seinem Dialog Phaidon legte Platon seine Vorstellung von der Erdkugel nieder: „Es heißt, zunächst einmal, die eigentliche Erde biete von oben her gesehen ein Bild wie ein zwölfteiliger Lederball.“ Dabei nimmt Platon an, diese Kugel habe Einsenkungen, in denen sich Luft und Wasser halten, von denen eine die den Griechen bekannte Welt enthalte, doch: „Landregionen gebe es auf ihr in großer Zahl und zwar verliefen sie, den Senken folgend, rings um die ganze Erde: die eine Form sei tiefer und weiter ausgebuchtet als die von uns bewohnte, und eine zweite sei tiefer, doch an der Öffnung schmaler als die unsrige, und eine dritte sei nach der Tiefe zu nicht ganz so ausgedehnt, wie diese hier und zugleich breiter hingelagert.“ [Platon, Phaidon 110B; 111C] Und diese Vorstellung vertritt er auch, wenn er im Dialog Kritias vom „wahren Festland“ spricht, das den Atlantik im Westen begrenze. [Platon, Kritias 25a]
Als sich Aristoteles (384-322 v. Chr.) dieses Problems annahm, rückte er von diesem vorwissenschaftlichen Ansatz ab. In seinem Werk “Vom Himmel” (De Caelo) brachte er gewichtige wissenschaftliche Argumente aus der alltäglichen Beobachtung vor, die nahezu zwangsläufig nur den Schluss zuließen, dass die Erde eine Kugel sei. Er verdeutliche seine Anschauung mit dem Hinweis auf die unterschiedliche Sichtbarkeit insbesondere der hoch im Norden nie untergehenden Zirkumpolarsterne, die aber weiter im Süden zeitweilig nicht am Himmel erscheinen. Aber Aristoteles blieb nicht an diesem Punkt stehen, sondern schon er zog die hier interessierende Konsequenz, wenn er schreibt:
“Darum scheint es, dass die Hypothese nicht allzu unwahrscheinlich ist, die die Gegend um die Säulen des Herakles mit derjenigen um Indien in Verbindung bringt und dort ein einziges Meer annimmt.” [Aristoteles, De Caelo 297b 20] Hiermit war erstmals ausgesprochen, was schließlich Christoph Columbus nach Amerika führen sollte.
Noch im 3. Jahrhundert v. Chr. gelang es dem an der Bibliothek von Alexandria tätigen Eratosthenes (284 - um 202 v. Chr.), den Erdumfang weitgehend richtig zu berechnen. Er hatte dazu den Winkel zwischen Alexandria und Syene zu 7° 12’ bestimmt und errechnete damit aus der bekannten Entfernung der beiden Städte den Erdumfang mit 252.000 Stadien oder 42.336 km. Und mit diesem Wissen gab er auch ein Urteil zu der Möglichkeit ab, über den Atlantik nach Indien zu gelangen, indem er sagte, dass es, “... wenn die Ausdehnung des Atlantiks nicht ein Hindernis darstellte, ohne weiteres möglich sein müsste, von der iberischen Halbinsel nach Indien zu segeln ...” [Strabon, Geographie I 4,6] Doch hielt der Forscher ein solches Vorhaben wohl für unmöglich, denn seiner Ansicht nach nahm die Landmasse von Spanien bis Indien nur ein Drittel des Erdumfangs ein, was bedeutete, dass er den Atlantik mit 168000 Stadien ansetzte, oder 28.224 km. Eine solche Strecke über die offene See erschien für ein Schiff dieser Zeit nicht überwindbar. Doch ließ Eratosthenes ein kleines Schlupfloch für die Hoffnung: Wohl selbst überwältigt von der angenommenen gewaltigen Größe des Atlantiks stellte er die Annahme in den Raum, es könnten sich in diesem Raum sicherlich noch “... zwei oder sogar mehr bewohnbare Länder befinden ...”. Gänzlich unvorstellbar war es in der Antike also nicht, noch unbekannte Länder im Ozean zu finden.