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Fight the MIS
Оглавление"Es war (schon) einmal", sagte die Fledermaus.
"Es war (schon) einmal", sagte die Kirsche.
"Es war (schon) einmal", sagte die Puppe.
Doch dann,
weil es regnete,
weil die Sonne schien,
- - - -
vergaßen sie es.
Es war (schon) einmal
Ein Teil des Umbruchs vom Mittelalter zur Neuzeit war eine grundlegende Umstrukturierung der Herrschaftsverhältnisse. Die Adelsherrschaft wurde durch den Nationalstaat ersetzt. Nation und Staat waren in dieser Form Neuerfindungen. Das bürgerliche Subjekt, der 'freie' Unternehmer-Mann, löste als Idealfigur die adeligen Vorbilder ab. Das Geschlechterverhältnis und die Reproduktionsverhältnisse wurden neu strukturiert. Die bäuerliche Subsistenzwirtschaft wurde durch die bürgerliche Kleinfamilie ersetzt. Auch unsere heutige Vorstellung von Mutterliebe1 und Kindheit2 wurden erst zu diesem Zeitpunkt entwickelt und Teil der Subjektkonstitution.
Für Frauen und die nicht so mächtigen Teile der Bevölkerung bedeuteten die Umbrüche eine erhebliche Verschlechterung ihrer Situation. Eigenständige Einkommens- und Lebensmöglichkeiten für Frauen, z.B. Beginenklöster und Frauenzünfte, wurden im Zuge der Inquisition, die als Teil der Modernisierung zu begreifen ist, zerstört und enteignet. Für die kapitalistische Entwicklung war es substantiell sich die reproduktive Arbeit von Frauen umsonst, ideologisiert als Natur der Frau, anzueignen, und Frauen keine Alternative zur Heirat, daß heißt Übereignung an einen Mann, zu lassen. Frauen wurden auch in ihren sexuellen Freiheiten massiv eingeschränkt. So gibt es z.B. aus dem Mittelalter Lieder von Troubaritza (weiblichen Troubadoren)3 in denen sie selbstverständlich für sich sexuelle Bedürfnisse formulieren. So heißt es in einem Lied, schläfst Du mit ihr, schlaf ich auch mit meinem Liebhaber. Für die bürgerliche Frau des 19ten Jahrhunderts wäre eine derartig sexuell selbstbewußte Aussage zumindest öffentlich undenkbar gewesen. Mit dem Umbruch zur Moderne wurde auch Handwerkern der blaue Montag4 und andere erkämpfte Freiräume gestrichen, Arme wurden durch Arbeit in Arbeitshäusern vernichtet, Land das Allgemeingut war, die Almende, wurde zu Gunsten der Besitzenden privatisiert, u.a.5 .
Das Mittelalter war eine repressive und patriarchale Standesgesellschaft, aber in ihr hatten Frauen und die nicht so mächtigen Gruppen der Bevölkerung für sich bestimmte Freiräume und soziale Absicherungen durchgesetzt. Während es erheblichen Teilen der alten Nomenklatura (Adel, Kirche) gelang ihre Privilegien im Umbruch zur bürgerlichen Gesellschaft in neue Macht (Kapital, Besitz) umzusetzen6 , verschlechterte sich die Lebenssituation für die Mehrheit der Menschen mit wenig Macht und für Frauen mit dem Umbruch zur Neuzeit.
Mit dem zunehmenden Bedeutungsverlust der Nationalstaaten, den Veränderungen in Familien- und Arbeitsverhältnissen und der Aufrichtung neuer Machtregime im Geschlechterverhältnis, z.B. durch die Gen- und Reproduktionstechnologien, deutet sich heute ein ähnlich grundlegender Umbruch der Gesellschaftsverhältnisse an.
Damit stellt sich die Frage was zu erwarten ist und welche Auswirkungen dies für die Möglichkeit anarchistischer, antisexistischer Praxis haben wird?
Welche neuen institutionellen Machtverhältnisse deuten sich an, welche Institutionen lösen den Nationalstaat ab?
Wie sieht das neue Subjekt der Macht aus?
Was ist für das Geschlechterverhältnis zu erwarten?
Was ist bzgl. der Arbeits- und Familienverhältnisse zu erwarten?
Wie kann die Zerstörung erkämpfter Freiräume und sozialer Rechte verhindert werden, ohne sich für den Erhalt der alten Machtverhältnisse, z.B. den Nationalstaat, oder ihre Modernisierung instrumentalisieren zu lassen?
Wie ließe sich der Umbruch für die Durchsetzung ganz anderer anarchistischer Alternativen nutzen?
Wie könnten diese anarchistischen Alternativen aussehen?
Für diese Fragen sollen im Folgenden Ideen entwickelt werden, keine definitiven Antworten. Auf den Versuch zu begreifen und auf Theorie zu verzichten, halte ich für falsch, aber jede anarchistische Theorie muß offen für die Reformulierung an Hand politischer Praxis, der Alltagserfahrung und der Bedürfnisse und Interessen der Menschen sein.
Nach dem Nationalstaat - MIS (Multinationale Institutionelle Strukturen)
Der Ablaßhandel im Mittelalter und der Verkauf von Markenturnschuhen funktionieren nach ähnlichen Prinzipien, verkauft wird primär etwas was beliebig zu Minimalkosten vervielfältigbar ist, ein Markenname heißt er nun Gott oder Nike, aber über Monopolisierung künstlich knapp gehalten wird.
In vielen Science Fiction lautet die Antwort auf die Frage, was kommt nach dem Nationalstaat? Die Konzerne. Dies ist für mich nicht überzeugend. Industriekonzerne allein können die notwendigen Bedingungen, z.B. Rechtssetzung, globale Infrastruktur, u.a., für ihre Existenz nicht sicherstellen - zumindest, wenn ich nicht etwas völlig anderes als bisher üblich unter diesem Begriff denke -. Außerdem wird im Science Fiction diese Konzernherrschaft dann doch wieder wie ein Staat gedacht, z.B. mit festem Territorium7 .
Zur Zeit bilden sich aber neue Strukturen heraus, die durchaus die Nationalstaaten ablösen könnten, Mischformen zwischen Konzernen und überstaatlichen, staatliche Aufgaben wahrnehmenden, Institutionen. Diese Multinationalen Institutionellen Strukturen, kurz MIS, stellen etwas neues dar. Sie entstehen zum Teil aus Konzernen, z.B. aus Gefängnis- und Sicherheitsunternehmen, die exekutive Funktionen vom Staat übernehmen, aber auch aus überstaatlichen Behörden und internationalen Institutionen, die sich zunehmend konzernartig organisieren.
Ein Beispiel für das Zweite ist das Europäische Patentamt, kurz EPA.
Das EPA hat einen eigenen Haushalt, der sich aus seinen Einnahmen aus einem Anteil an den Patentgebühren ergibt, über den es autonom verfügt. EPA-MitarbeiterInnen haben DiplomatInnenstatus und sind nicht der der nationalen Gerichtsbarkeit unterstellt. Das EPA verfügt über eine eigene Gerichtsbarkeit bzgl. Einsprüchen in Patentrechtsstreitigkeiten, deren Entscheidungen national anerkannt werden müssen. Das EPA beschäftigt bevorzugt MitarbeiterInnen, die nicht aus dem Land ihres Hauptsitzes Deutschland kommen. Mitglieder der Kotrollgremien des EPA sind in nicht unbeträchtlicher Zahl, nach Beendigung ihrer Tätigkeit, als führende MitarbeiterInnen des EPA wiederzufinden.
In einem etwas polemischen Kommentar wurde in der Presse dem EPA auch schon empfohlen als autonomer Staat die Mitgliedschaft in der EU zu beantragen.
Das EPA ist also eine multinationale bürokratische institutionelle Struktur, die exekutive und juridikative Funktionen für einen Teilbereich der Gesellschaft in sich vereint und mit nicht unbeträchtlichem Erfolg versucht für diesen Teilbereich auch die Legislative zu kontrollieren. Die Behörde ist dabei zum Teil strukturiert und agiert wie ein multinationaler Konzern, der eigene Standortentscheidungen herbeiführt, sich neue Märkte (durch die Ausweitung des Patentbegriffes) erschließt und wachstumsorientiert arbeitet. Das EPA bricht dabei mit der Erteilung fragwürdiger Patente systematisch EU-Recht und setzt die Interessen multinationaler Konzerne auch gegen die Interessen der EU8 durch.
Interessanterweise ist einer der Sitze des EPA in Berlin Kreuzberg (Ecke Lindenstraße/Glitschiner Str.), diese mit hauptverantwortliche Institution für die Ausweitung genetischer Patente scheint aber die autonome Linke nicht zu interessieren.
Die Multinationalen Institutionellen Strukturen, kurz MIS, unterscheiden sich in einer Reihe von strukturellen Fakten von traditionellen Konzernen und staatlichen Institutionen.
- Für die MIS ist nicht nur das traditionelle Kapital (Geld, Grundvermögen, Besitz an Produktionsmitteln, ..) ausschlaggebend, sondern das Kapital einer MIS kann auch wesentlich aus symbolischen oder rechtlichen Kapital bestehen, z.B. aus dem Recht Patente erteilen zu dürfen, wie das EPA. Dieses Kapital wird auch offensiv zur Ausweitung des Einflußbereiches, also zur weiteren Kapitalakumulation eingesetzt. Im Fall des EPA wird das Patentrecht in diesem Sinn instrumentalisiert.
Außerdem werden die Kapitalarten flexibel in einander umgewandelt. So transformiert das EPA seine Patentierungsbefugnis in Geld und politischen Einfluß. Gefängniskonzerne in den USA setzen Geld in politischen Einflußnahme um mit der sie wiederum auf Gesetzesverfahren Einfluß nehmen können, die ihre exekutiven Machtbefugnisse ausweiten, die sie wiederum in Geld umsetzen können. Die MIS Katholische Kirche ist ein anderes Beispiel für die virtuose Umwandlung unterschiedlicher Kapitalarten, hier wird symbolisches Kapital in Geld und politische Einflußnahme umgewandelt und dies wieder zur Ausweitung des symbolischen Kapitals genutzt. Ein Beispiel für die Transformation von Kapitalarten ist auch die Generierung von Markennamen.
- Ein anderes Merkmal der MIS ist ihre geringe territoriale Bindung. So nutzt das EPA Standortentscheidungen um auf EU-Länder Druck auszuüben. Bei multinationalen Konzernen ist dies sowieso üblich.
Dies ist nur mit dem großen Anteil von nicht vom Produktionsstandort abhängigen Kapitalarten, z.B. einem Markennamen, zu begreifen. Im Extrem führen dies Konzerne wie Nike vor, die andere Firmen für ihre Marke produzieren lassen. Aber auch Wissen und Patente und hochqualifizierte Angestellte, die primär an den Konzern gebunden sind, sind solche standortunabhängigen Kapitalarten. Sie stellen eine wesentliche Erweiterung der klassischen Produktionsmittel, der Produktionsmaschinen, der Fabrik, die an einen Standort gebunden war, dar.
- Die MIS zeichnen sich durch eine starke Identifikation ihrer WissensarbeiterInnen mit dem Konzern aus. Nationalstaatliche oder regionale Bindungen der mittleren und höheren Angestellten sind demgegenüber irrelevant. Es wird Englisch gesprochen und MitarbeiterInnen wechseln häufiger den Ort. Diese Personalpolitik ist durchaus als bewußte Maßnahme zur Unterbindung des Aufbaus alternativer nicht auf den Konzern oder die Institution bezogener Sozialstrukturen anzusehen.
Zum Teil übernehmen MIS auch weitere Funktionen für ihre MitarbeiterInnen. Z.B. gilt dies für Rohstoffkonzerne in einigen Regionen Afrikas, in denen sie semistaatliche Strukturen von Schulen bis hin zu Militärapparaten aufgebaut oder von anderen MIS angemietet haben.
- MIS agieren primär mit Bezug auf andere MIS, sie stehen untereinander in Wechselwirkung, in Bündnissen und Konfrontationen. Noch müssen sie Rücksicht nehmen auf die mächtigeren Staaten der Welt. Noch gibt es starke Bindungen an Nationen. Dies wird aber nicht so bleiben. Zur Zeit werden die MIS von nationalstaatlichen Strukturen ausgehend aufgebaut. Dies ist vergleichbar der Phase des Absolutismus in der die Adelsgesellschaft den Nationalstaat begründete. Doch irgendwann wird es zur Ablösung kommen und zu den ersten Kriegen von MIS gegen Staaten und von MIS untereinander. Kriege nicht mehr unbedingt um reale Territorien sondern um virtuelle Einflußgebiete, z.B. Patenansprüche, Markennamen9 oder Fernsehkanäle, so absurd das heute klingen mag.
- Für die MIS spielt die Ausweitung von Patentrechten, z.B. auf schon lange existierende Nutzpflanzen, die Ausweitung von exekutiven Befugnissen und die Absicherung von Urheberrechtsansprüchen eine ähnliche Rolle, wie der Zugriff auf Land, Ressourcen und Arbeitskräfte für die Kapitalisten im Umbruch vom Mittelalter zur Neuzeit. Es geht hier um eine ursprüngliche Kapitalakumulation, um die Enteignung von Allgemeingut und entsprechend groß ist die Bereitschaft dies auch gewaltförmig durchzusetzen.
Die steigende Bedeutung z.B. des Urheberrechtes für die MIS läßt sich auch heute schon im Alltag beobachten.
Z.B. in der aktuellen10 Kampagne der Zukunft Kino Marketing in der BRD unter dem Titel "hart aber gerecht", in der offensiv Folter als Bestrafung für Urheberechtsverletzungen legitimiert wird. So wird in einem Werbespot 'witzig' die Vergewaltigung von Jugendlichen in Gefängnissen als angemessene Bestrafung für das Raubkopieren von Filmen angepriesen. Diese Form extralegaler Bestrafung ist eindeutig ein Bruch der UN-Folterkonvention. Die ZKM tritt also in diesem 'Witz' dafür ein, das Urheberrecht höher als die Menschenrechtscharta anzusetzen. Finanziert wird dies von der Filmförderungsanstalt, einer Bundesanstalt öffentlichen Rechts, in deren Aufsichtsgremium Vertreter der Parteien und auch die evangelische und katholische Kirche sitzen.
Zu befürchten ist das aus diesem 'Witz' in Zukunft bei Zuspitzung der Interessenlagen ernst wird.
Dies ist keine notwendige Entwicklung. AnarchistInnen stehen vor der Aufgabe sowohl den Nationalstaat wie die MIS zu bekämpfen, ohne sich für eine Seite instrumentalisieren zu lassen. Auch der Niedergang der USA und Deutschlands wäre, wenn er mit entsprechenden Machtzuwächsen für MIS verbunden wäre, kein Grund zum Feiern. Die Ablösung der Nationalstaaten durch MIS verschärft heute schon die Herrschaftsverhältnisse und sozialen Bedingungen. Falls dies so weiterläuft wird sich die Situation weiter verschlechtern.
Gute MIS gibt es ebensowenig wie gute Staaten oder einen guten Kaiser. Dies gilt auch für Groß-NGO's und einen Weltgerichtshof. Die Alternative liegt nicht bei Attac sondern bei Peoples Global Action, der Zusammenarbeit an der Basis.
Elite-Klone - das neue Subjekt der Macht
Die Umbrüche in der Gesellschaft führen auch zu einem neuen internationalem Subjekt der Macht. Das alte bürgerliche Machtsubjekt war weiß, männlich, Unternehmer, Arzt, Architekt, Ingenieur, usw.. Sein sozialer Status hing wesentlich mit seiner Verortung in einer Stadt oder einer Region zusammen. Der Status setzte soziale Beziehungen zu anderen Bürgern der Stadt, Region, voraus. Kontakte die unter anderem sie, seine 'Haus'Frau, zu pflegen hatte, eine Kompetenz, die auch ihr Status verlieh. Der Status war damit örtlich gebunden. Auch die Sozialisation der Kinder erfolgte über lokale Einrichtungen, wie z.B. Gymnasien, in denen sie mit anderen Kindern der lokalen herrschenden Schicht zusammen aufwuchsen.
Das neue Subjekt der Macht konstituiert und definiert sich nicht mehr über lokale Bezüge.
Nur als Reminiszens kaufen sie sich vielleicht ein 'echt' altes Haus irgendwo, wo es schön ist und die Menschen noch so sind wie früher in der bürgerlichen Zeit - zumindest wo sie so tun als ob, der Priester, der Kaufmannsladenbesitzer, usw. -. In dieses Haus ziehen sie dann, wenn sie Ausscheiden aus dem Leben in der MIS, um dort, in der Zeit zwischen den Kreuzfahrten, internationalen Kulturveranstaltungen und Charitybanketts in New York, zu vergammeln.
Das neue Subjekt der Macht findet seine Identität über seine Stellung in der Multinationalen Institution in der es arbeitet, die MIS ist sein(ihr) zu Hause11 , die Wohnung, die Stadt, das Land sind austauschbar.
Moderne Dienstleistungsapparate stellen sicher, daß die Wohnung überall gleich aussieht. Evtl. 'aufgepeppt' mit ein wenig lokalem Interieur, das ist dann aber schon sehr gewagt. Vielleicht liegt auch irgendwo an passender Stelle die Taschenuhr des Urgroßvaters, unauffällig drapiert.
Auch die Subjekte der Macht sehen alle gleich aus. Die Körperformierung von Fittness bis zu Enthaarung und unauffälliger teurer Bekleidung ist gegenüber dem klassischen Bürger wesentlich weiter vor allem nun auch für Männer fortgeschritten. Die Variationsspielräume sind minimal. Die Sprache ist Englisch. Nur bei der Hautfarbe sind außer weiß nun auch ein paar andere Schattierungen zu sehen, sporadisch werden auch Frauen, soweit sie die männlich heterosexistische Norm übererfüllen, akzeptiert.12
Auch diese Formierung wird durch eine internationale Dienstleistungsindustrie abgesichert, die selben Fittnesstudios in Neu Dehli, Berlin und New York, die selben Boutiquen, die selben Golfplätze.
Das Ideal dieser neuen Herrschaftsschicht scheint der in wenigen Tagen im Tank von der Zelle zum Mann gereifte Klon zu sein. Die Abhängigkeit von leiblichen Bedürfnissen, das Gebohren worden sein, Gefühle außerhalb der MIS13 , werden negiert oder als Konserven konsumiert.
Dies entspricht einer Familienorganisation bei der das Leben in der MIS bei der Arbeit stattfindet, am besten beide arbeiten bei der selben MIS, während die Kinderaufzucht zunehmend nach Effizienzkriterien rationalisiert wird.
Von der Pränataldiagnostik über vielfältige frühkindliche Ausbildungs- und Überwachungstechnologien bis hin zur Weiterbildung im Internat haben längst Techniken der sozialen Klonierung alte bürgerliche Familienverhältnisse abgelöst oder sind dabei sie abzulösen.
In den USA gibt es heute schon totalüberwachte Kindergärten, in denen Eltern via Internet und Kameras das Verhalten ihrer Sprößlinge jederzeit und überall kontrollieren können. In der BRD wird gerade damit geworben Handys für Kinder und Jugendliche zu kaufen mit einer Ortsüberwachungsfunktion, die es Eltern ermöglicht jederzeit auf 100m genau via Internet festzustellen, wo sich Handy und Kind aufhalten. Mir geht es hier nicht so sehr um die repressive als um die produktive Funktion dieser Dauerüberwachung. Hier wird das neue Subjekt der Macht, die Eliteklone von Morgen, durch die Machtwirkung im Sinne Foucaults produziert, als ein Subjekt, daß sich allzeit positiv ins Bild zu setzen weiß. Dieses Subjekt wird auch kein Überich im klassischen Sinn mehr entwickeln, sind doch die unüberwachten Momente der Kindheit, in denen das Kind eigenständige Entscheidungen treffen muß, Voraussetzung für die Herausbildung einer solchen internalisierten Instanz. Das neue Subjekt der Macht wird vielmehr im hohen Maße in seinen Vorstellungen von gut und böse die jeweiligen Moden flexibel zu bedienen wissen.
Big Brother läßt grüßen - die TV-Serie ist insofern pädagogisches Versuchslabor für Erziehungspraxen der Zukunft -.
Die Führungsschichten der MIS pflanzen sich längst durch soziale Klonierung fort, die genetische Klonierung wäre hier nur eine nachholende Materialisierung auf der Ebene der Biologie.
Dies bedeutet aber nicht die Auflösung der Familie. Im Gegenteil auf Grund ihrer Irrealisierung bei gleichzeitiger Simulation als Glücksversprechen, wird sie als Phantasma psychologisch nur um so wirkmächtiger. Sie wird zum unerreichbaren Ziel.
Schöne Neue Familien-Simulation
Die neuen Subjekte der Macht haben gelernt ihre unterschiedlichen Fähigkeiten und Vermögen, z.B. Wissen, soziale Kontakte, Geld, Habitus, u.a., als austauschbare Kapitalien zu denken und nach Bedarf ineinander zu transformieren um sie optimal ein- und sich selbst optimal ins Bild zu setzen.
Dies lernen sie wie aufgeführt im Klonierungsprozess.
Dort wo Aufmerksamkeit und soziale Beziehungen einschließlich Sexualität zu einem geldwertem Kapital werden, kann die klassische Familienstruktur nicht mehr funktionieren, beruhte sie doch auf der unentgeltlichen Ausbeutung der Reproduktionsarbeit von Frauen. Außerdem verändern sich dadurch die Beziehungsstrukturen selbst und werden zu austauschbaren von der konkreten Situation und Person abstrahierenden Formeln. Die reproduktiven Tätigkeiten werden im erheblichen Maß aus der Familie ausgelagert.
Das klassische bürgerliche Familienmodell, die Triade Vater, Mutter, Kind, mit seinen in der psychoanalytischen Theorie beschriebenen Funktionsweisen verliert für das Subjekt der Macht seine Gültigkeit. Es geht nicht um Ausbildung eines Überich, Triebverzicht, Ödipuskomplex, u.a., sondern darum frühzeitig zu lernen, sich selbst als Ware optimal zu vermarkten.
Das Kind lernt im sozialem Klonierungsprozess frühzeitig das Vaterzeit und Mutterzeit knapp bemessen und teuer sind, und es lernt gleichzeitig, daß sie eintauschbar ist gegen Geld, denn dafür gehen Papi und Mami arbeiten, und das sie auch eintauschbar ist gegen kindliches Wohlverhalten, oder gegen das Versprechen, mit dem Weinen aufzuhören, wozu natürlich auch gehört bei Zeiten zu lernen richtig loszuheulen. Das Kind lernt außerdem, daß es außer Vaterzeit und Mutterzeit alternativ auch Schokolade, neues Spielzeug oder einen Kinobesuch eintauschen kann. Alles ist ineinander umrechenbar.
Früh übt die Ware ihre souveräne Selbstvermarktung.
Die klassischen Konflikte mit den Eltern sind für dieses Subjekt hinfällig geworden. Statt durch Ausbildung eines Überichs wird das Kind zum Subjekt durch die Selbstobjektivierung als Ware unter anderen Waren. Das primäre Ziel wird die Erhöhung des eigenen Tauschwertes.
Da neue und alte, hegemoniale und alternative, Subjektdiskurse sich in jedem Subjekt überlagern und widersprechen ist die Subjektivierung nicht konfliktfrei, insbesondere in Zeiten des Überganges. Die Gleichzeitigkeit von Anforderungen, noch und schon gültiger, sich ausschließender Diskurse bringt das Subjekt in eine widersprüchliche Situation.
So führt der Warencharakter des Subjektes zu einer verstärkten Sexualisierung insgesamt und insbesondere auch zur Sexualisierung des Körpers von Männern und des männlichen Warensubjektes. In der Werbung ist dies bereits zu beobachten. Diese Sexualisierung birgt aber unter den bestehenden Gesellschaftsverhältnissen immer das Risiko auf ein verfügbares nicht souveränes Sexualobjekt reduziert zu werden.
Dies gilt insbesondere für Frauen, was sie, falls sie Mitarbeiterinnen14 oder wichtige Zuarbeiterinnen der MIS sind, also MIS-Bürgerinnen, vor fast unlösbare Widersprüche stellt. Sie sollen sich auf der einen Seite als souveräne Waren auch mit sexuellen Mitteln selbst vermarkten ohne sich zum verfügbaren Objekt zu machen, aber ganz Frau dabei bleiben und nicht zu männlich aktiv auftreten.
Aber auch für Männer der MIS-Schicht ist die sexuelle Selbstvermarktung nicht unproblematisch, ist dies doch für heterosexuelle bürgerliche Männer eine neue Anforderung und besteht doch auch hier die Gefahr in die Rolle des sexuell verfügbaren - 'schwulen' - Objektes gedrängt zu werden. Was im Fall heutiger Handelsbanker zu einer extrem heterosexistischen machistischen Selbstdarstellungspraxis führt15 . Eine Entwicklung die allgemein einhergeht mit einem aggressiven warenförmigen Zugriff auf Frauen und Kinder, der nicht zu den priveligierten MIS-BürgerInnen gehörenden marginalisierten Mehrheit der Bevölkerung, wie im Prostitutionstourismus sichtbar.
Außerdem kann die Ware nie ihre Versprechungen, die sie macht, erfüllen. Die Rakete unter dem Weihnachtsbaum fliegt halt nicht tatsächlich zum Mond, sie fliegt meist nicht einmal bis zur Zimmerdecke. Eine Ware zeichnet sich gerade dadurch als Ware aus, daß sie ihren Tauschwert über ihren Gebrauchswert erhöht, also mehr verspricht, als sie ist. Die neue reale Familie produziert so immer einen Überschuß an leeren Versprechungen, die sie nicht erfüllen kann.
Um die so enstehenden Bedürfnisse aufzufangen, wird die nach Effizienzkriterien organisierte reale neue Familienform der MIS-BürgerInnen durch die Familien-Simulation ergänzt. 1,5 Stunden am Freitag Abend immer von 18.oo bis 19.3o Uhr hat Papa für seine Tochter Zeit. In dieser 'Qualitätszeit' wird Familie simuliert. Und da die Simulation nicht die Widersprüche der Realität, die alltägliche Arbeit an der Optimierung des Warenwertes, aushalten muß, ist alles hier nun viel schöner, zumindest nachdem der Widerstand der Kinder gegen diese Zeitpraxis gebrochen ist16 . Die schöne neue Familien-Simulation kann so nach ausreichend Training, als Projektionsfläche für all die im Alltag des Warensubjektes nicht erfüllten Bedürfnisse fungieren.
Die Struktur der Auslagerung wesentlicher Teile der Familien('HausFrauen')arbeit aus der Familie und ihre Kommerzialisierung setzt dabei die sexistische Arbeitsteilung fort, nur das sie nun mit einer rassistischen Arbeitsteilung verschränkt wird. So sind es meist Frauen marginalisierter Bevölkerungsgruppen, z.B. 'Ausländerinnen' mit unsicherem Aufenthaltsstatus, die gezwungen17 werden diese Arbeiten gegen geringfügige Bezahlung zu übernehmen.
Dies gilt nicht nur für die westlichen Industrieländer und es geht hier nicht 'nur' um Haushaltshilfen sondern um die gesamte Billiglohnökonomie. Der Metropolenkapitalismus ist auf eine verfügbare Masse an Billigarbeitskräften, die Nachts die Banken putzen und für die/den BankerIn das Chop Suey kochen angewiesen18 . Die bevölkerungspolitische und frauenpolitische Strategie der Weltbank weist genau in diese Richtung. Durch Kleinstkredite zum Aufbau einfacher Dienstleistungen für die regionale MIS-Schicht und ihre ZuarbeiterInnen werden insbesondere Frauen im Trikont in diese Billigweltmarktökonomie integriert und von ihr abhängig. Zusätzlich zur direkten ökonomischen Vernutzung ergibt sich als Nutzen für das Kapital, daß die Frauen damit in die Lage versetzt und dazu angehalten werden, die Grundausbildung ihrer Kinder zu finanzieren. So können auch diese Kosten für die Ausbildung zukünftiger Arbeitskräfte auf die Frauen abgewälzt werden.
Die sexistische Spaltung verläuft nicht mehr zwischen dem souveränem Subjekt ('Mann') und der Ware ('Frau') sondern zwischen Waren, die sich souverän selbst vermarkten, eben den Führungsschichten der MIS und wichtigen ZuarbeiterInnen (Überwiegend 'Männer' aus wenigen reichen Ländern mit bürgerlichem Familienhintergrund), den MIS BürgerInnen, und Waren, denen es durch rassistische und sexistische Gesetze und Gesellschaftsstrukturen, z.B. durch das Aufenthalts- und Arbeitsrecht, unmöglich gemacht wird, sich souverän selbst zu vermarkten, und die sich zu Dumpingpreisen verschleudern müssen (Der überwiegende Teil der Frauen, die Bevölkerungen der Trikont-Länder und die ärmeren Schichten der Metropolen). Obwohl der Warencharakter, die Menschen in dieser Ideologie alle gleich macht, gibt es auch hier wie im Absolutismus eine klare Hierarchie der oberen und unteren Diener Gottes, also in diesem Fall der oberen und unteren Diener des freien Marktes, der wie Gott eine ideologische Fiktion im Interesse der Herrschenden ist.
Essen Sie mehr Christen!
Sie wissen doch, wenn Sie Menschen essen, eignen Sie sich die Eigenschaften dieser Menschen an.
Und Christen sind zivilisiert.
Wollen Sie nicht zivilisiert sein?
Falls es nicht wirkt müssen Sie einfach mehr Christen essen. Das ist wie mit der freien Marktwirtschaft, Sie haben halt nur noch nicht genug davon.
Ein wesentliches Moment dieser Hierarchie ist die, daß WeltbürgerInnentum der MIS-Klone ergänzende, Reteritorialisierung für die Beherrschten. Es wird ein immer ausdifferenzierteres System der Zuweisung an Bewegungsfreiheit aufgebaut. An deren einem Ende die MIS-BürgerInnen stehen, die sich überall bewegen und ihren Zugang zu Territorien auch militärisch erzwingen, und an deren anderem Ende zu Hungerlöhnen zwangsarbeitende Gefängnisinsassen, Kriminalisierte mit elektronischer Fußfessel, Menschen mit keiner oder beschränkter Aufenthaltsbefugnis und die Masse der Bevölkerung der Länder des Trikont stehen. Auf der städtischen Ebene bildet sich dies ab über No-Go-Areas für Obdachlose, DrogenutzerInnen und Farbige besonders in aufgewerteten Innenstadtbereichen. Auch im Internet zeigen sich mit vielfältigen Paßwortzugängen inzwischen Tendenzen zum Aufbau ähnlicher Strukturen.
EinE MIS-BürgerIn wird in vielen Fällen diese Barrieren nicht einmal mehr wahrnehmen, läuft doch die Zugangskontrolle im Internet inzwischen längst im Hintergrund automatisiert ab, und wird sie doch an den Außengrenzen bevorzugt behandelt, bzw. erledigt die MIS die Formalitäten.
Den meisten Menschen wird die Möglichkeit zur souveränen Selbstvermarktung genommen, sie müssen sich zu Zwangsbedingungen verkaufen.
Ideologisch abgesichert und real ermöglicht wird diese Spaltung durch die systematische Aufwertung der alten überholten bürgerlichen Familie in diesen Bevölkerungsschichten in ihrer sexistischten und reaktionärsten Form durch religiöse und kulturelle Institutionen, die vom Großkapital finanziert auf die Masse, der nicht zur Klonschicht der MIS gehörigen Bevölkerung, gerichtet sind. Diese Funktion erfüllt z.B. der vom saudischen Großkapital finanzierte islamische Fundamentalismus, aber auch protestantisch christliche Organisationen in den USA und bestimmte Massenmedien.
Die bürgerliche Familienform erfüllt hier zwei Zwecke.
- Sie sorgt für die weitere ausreichende Zurverfügungstellung zu Niedriglöhnen ausbeutbarer Arbeitskräfte.
- Sie sichert ideologisch ab, daß den marginalisierten Bevölkerungsgruppen die Selbstvermarktung als Unmoral erscheint, und sie somit den auf der Spaltung basierenden Bestand der Herrschaftsverhältnisse von sich aus aufrechterhalten. Dies vor allem über eine repressive sexistische insbesondere gegen eine sowohl reproduktiv wie lustvoll selbstbestimmte Sexualität von Frauen gerichtete Sexualmoral und Homophobie. Da souveräne Selbstvermarktung immer auch, auch bezogen auf Männer19 , sexuelle Aspekte mit einbezieht schließt eine solche Moral eine vollwertige Teilnahme als Ware am Markt aus.
Als Legitimation für diese repressive Sexualnorm wird dabei der genannte immer aggressivere sexistische Zugriff durch MIS-Bürger auf Kinder und Frauen aus diesen marginalisierten Schichten angeführt. Wobei in der klassischen Strategie des "Blaming the Victim" diese für ihre sexuelle Ausbeutung auch noch selbst verantwortlich gemacht werden.
Auf männlicher Seite wird auch in diesen marginalisierten Gesellschaftsbereichen der Reduktion auf ein sexuelles Objekt durch verstärkt aggressiv heterosexistisches Auftreten entgegen gearbeitet.
Da diese klassische bürgerliche Familienform aber im globalisierten Kapitalismus zunehmend disfunktional wird, z.B. weil sie häufig auf Mutter und Kind reduziert wird, oder sie migriert sind, oder auch die Mutter in Freihandelszonen oder in der internationalen Dienstleistungsökonomie einschließlich Prostitution ihre Haut zu Markte tragen muß, u.a., ist sie nur noch aufrecht zu erhalten durch die verschärfte Ausbeutung der (Reproduktions)Arbeit von Frauen. Diese Ausbeutungsverhältnisse werden durch extreme Formen von Gewalt gegen Frauen, gegen aufkeimenden Widerstand und alternative Lebensentwürfe von Frauen, abgesichert.
Der Islamismus ist hier nur ein Beispiel, massenhafte sexuelle Gewalt in den Freihandelszonen Mexicos oder den französischen Vorstadtgettos sind ein anderes Beispiel für diese Gewalt zur Aufrechterhaltung der klassischen Familie.
Diese Gewalt ist und dies gilt auch für den islamischen Fundamentalismus ein funktionaler Bestandteil der kapitalistischen Modernisierung, sie ist dies ebenso, wie die Inquisition Teil des Modernisierungsprozesses im Umbruch vom Mittelalter zur Neuzeit war, und eben kein Überbleibsel einer 'unzivilisierten' Vergangenheit.
Für AnarchistInnen muß es wiederum darum gehen, sowohl die alte bürgerliche Familienform, wie auch das neue souveräne Warensubjekt gleichzeitig zu bekämpfen.
Der gerechte Orgasmustausch als Liebesideal
Ausgehen von den Theorie des französischen Philosophen Michel Foucault zur Bedeutung der Bio-Macht für den modernen Kapitalismus gilt, daß die Machtdiskurse auf das Subjekt wesentlich über die Sexualität laufen. Durch die Sexualitätspolitiken und -praxen werden die bevölkerungspolitischen Machtinteressen auf die Ebene des einzelnen Menschen übersetzt und durchgesetzt. Der Körper wird durch sie diszipliniert und produktiv umgeformt im Sinne der Steigerung seines Nutzens für die kapitalistische Produktion und seiner Einbettung in den kapitalistischen Markt. Gleichzeitig führt die Anreizung spezifischer sexueller Praxen zu einer Umstrukturierung der Subjekte, die sich in den veränderten sexuellen Praxen neu situieren und neu definieren. Die Festlegung der Sexualitätsdiskurse ist ein entscheidendes Mittel zur Durchsetzung von Machtinteressen.
Mit Foucault gilt für die Moderne das Konzept der Biomacht, die die Verwaltung des Lebens übernimmt. Als Disziplinarmacht gegenüber dem Körper übernimmt sie "seine Dressur, die Steigerung seiner Fähigkeiten, die Ausnutzung seiner Kräfte, das parallele Anwachsen seiner Nützlichkeit und seiner Gelehrigkeit, seine Integration in wirksame und nützliche Kontrollsysteme"20 und als "Biopolitik der Bevölkerung"21 , als Normierungsmacht, reguliert sie "die Fortpflanzung, die Geburten- und Sterblichkeitsrate, das Gesundheitsniveau"22 . Die Lebensdauer, die Langlebigkeit mit all ihren Variationsbedingungen wird zum Gegenstand eingreifender Maßnahmen.
"Diese Bio-Macht war (..) ein unerläßliches Element bei der Entwicklung des Kapitalismus, der ohne kontrollierte Einschaltung der Körper in die Produktionsapparate und ohne Anpassung der Bevölkerungsphänomene an die ökonomischen Prozesse nicht möglich gewesen wäre. Aber er hat noch mehr verlangt: das Wachsen der Körper und der Bevölkerungen, ihre Stärkung wie auch ihre Nutzbarkeit und Gelehrigkeit; er brauchte Machtmethoden, die geeignet waren, die Kräfte, die Fähigkeiten, das Leben im ganzen zu steigern, ohne deren Unterwerfung zu erschweren."23
Es geht nicht mehr darum, auf dem Feld der Souveränität den Tod auszuspielen, sondern das Lebende in einem Bereich von Wert und Nutzen zu organisieren.
"Der Sex eröffnet den Zugang sowohl zum Leben des Körpers wie zum Leben der Gattung. Er dient als Matrix der Disziplinen und als Prinzip der Regulierungen."24 (..) "Die Mechanismen der Macht zielen auf den Körper, auf das Leben und seine Expansion, auf die Erhaltung, Ertüchtigung, Ermächtigung oder Nutzbarmachung der ganzen Art ab. Wenn es um Gesundheit, Fortpflanzung, Rasse, Zukunft der Art, Lebenskraft des Gesellschaftskörpers geht, spricht die Macht von der Sexualität und zu der Sexualität, die nicht Mal oder Symbol ist, sondern Gegenstand und Zielscheibe."25
Entsprechend sind mit dem Umbruch zur postmodernen Machtstruktur der MIS auch Änderungen in den sexuellen Praxen und ein Umbruch in dem was als 'sexuelle Wahrheit' gilt zu beobachten.
Wie schon bzgl. der Familienorganisation beschrieben bilden sich auch hier zwei scheinbar widersprüchliche sexuelle Wahrheitssysteme mit ihren jeweiligen sexuellen Praxen heraus, eins für die neuen Subjekte der Macht, die MIS-BürgerInnen, und eins für die Masse der Bevölkerung.
Für das neue Subjekt der Macht gilt, wie schon ausgeführt, daß es zu lernen hat seine/ihre Sexualität, und dies umfaßt nicht nur die sexuellen Praxen sondern auch das geschlechtliche Auftreten, souverän im Wert zu maximieren und als Tauschwert einzusetzen. Die Entwicklung einer solchen souveränen Warensexualität ist ein Schritt in dem sich dieses neue Subjekt der Macht im Sinne des Foucault-Zitats selbst konstituiert.
Zieh Dir doch mal was anderes an.
Ein bißchen körperbetonter.
Willst Du denn gar nicht attraktiv sein?
Und die Haare.
Hast Du die selbst geschnitten.
Ich will Dir ja nicht reinreden.
Du mußt ja selber wissen.
Aber ...
Für das souveräne Warensubjekt sind eine Reihe sexueller Tabus dabei nicht mehr zeitgemäß. So behindert das Tabu der Sexualität zwischen Männern den souveränen Einsatz einer Tauschsexualität, z.B. schon auf der Ebene des Einsatzes bewußt geschlechtlichen Auftretens. Die Unterstützung der Enttabuisierung von Homosexualität durch postmoderne Machtzusammenhänge ist so zum Teil zu begreifen. Gleichzeitig bedeutet dies aber wie ausgeführt nicht das Ende von Homophobie, es bildet sich hier nur eine neue Form heraus, denn all die Schwulenklischees werden nun auf das nicht souveräne Warensubjekt übertragen. Das heißt die neue verworfene Sexualität wird die nicht souveräne Sexualität, die nicht dem Ideal des gerechten Orgasmustausches genügt.
Dieses Ideal des gerechten Orgasmustausches ersetzt innerhalb der MIS-Schicht das bürgerlich christliche Ideal der Aufopferung für die Liebe (Romeo und Julia). Es ist das Ideal der freien Marktwirtschaft übertragen auf die Sexualität.
Aber auch einen gerechten Orgasmustausch gibt es nicht, denn wieviel kg wiegt ein Orgasmus, wie hoch ist sein Wert, wie vergleiche ich Orgasmen? Brauchen Menschen die mehr wiegen mehr kg Orgasmus als leichtere Menschen?
Tatsächlich produzieren die Sexualwissenschaften seit den 70er Jahren hierfür Tabellen, Statistiken und Orgasmusverlaufskurven. Eine Ideologieproduktion die inzwischen in den Alltag eingesickert ist.
Das Ideal des gerechten Orgasmustausches ist nur ebenso eine romantische Schimäre, wie das bürgerliche Aufopferungs-Liebesideal. Ist der Leib und die Lust, sind die Bedürfnisse nach Intimität, doch nicht auf Kurvenverläufe reduzierbar.
Und wie das bürgerliche Liebesideal hat der Orgasmustausch eine ungleiche Wirkung innerhalb der zweigeschlechtlichen Organisation der Gesellschaft zur Folge. Steht sie doch immer im Verdacht gar keinen Orgasmus gehabt, d.h. nicht das eigentliche gegeben zu haben, zu simulieren und damit den Tausch zu unterminieren. Ein Diskurs der aus der Prostitution hinlänglich bekannt ist.
Und auch dieses Sexualitätsideal dient Herrschaftsfunktionen, der Schaffung herrschaftsaffirmativer Subjekte durch eine herrschaftskonforme Strukturierung der Sexualität.
War Romeo und Julia zu Shakespeares Zeiten ein Diskurs zur Modernisierung des sexuellen Subjektes im Sinne der Aufrichtung bürgerlicher Herrschaft, in dem letztendlich vor allem den Frauen die Aufopferung für die Liebe und die damit verbundene unbezahlte Reproduktionsarbeit überlassen wurde, wird dieser Diskurs für die MIS-BürgerInnen nun durch den Mythos des gerechten Tausches abgelöst.
Wobei zu sehen ist, daß der Orientierungspunkt eben der männliche sichtbare Orgasmus, als mechanischer Ablauf, ist, und damit der weibliche 'unsichtbare' Orgasmus und mit ihm die 'unsichtbare' Reproduktionsarbeit', die überwiegend Frauen leisten, wieder einmal entwertet wird.
In der medizinischen Normierung gilt heute, daß ein Penis nur zu klein aber nie zu groß sein kann. Die Klitoris kann hingegen nur zu groß aber nie zu klein sein.
Die Kindergynäkologie und Operationen zur Normierung, die gewaltsame Herstellung der sexuellen körperlichen Norm aufgrund der Entscheidung der Eltern/ÄrztInnen, sind ein Wachstumsmarkt.
Aufgrund der materiellen Widerständigkeit des Leibes und der Ängste und Lüste und aufgrund bewußter Entscheidungen, konstituiert sich auch dieses Warensubjekt nicht widerspruchsfrei. Treten auch hier neben die machtförmigen sexuellen Praxen einer Warensexualität auch andere Bedürfnisse nach Nähe und Begreifen. Der herrschende Diskurs ist nie vollständig in Lage die Subjekte zu disziplinieren und zu normalisieren.
Dies sind die Ansatzpunkte für Widerstand.
Gleichzeitig gilt für die Masse der Bevölkerung wie ausgeführt in verschärfter Form das alte bürgerliche Sexualitätskonzept, in dem vor allem ihr 'der Frau' eine Rolle der Aufopferung für 'die Familie' abverlangt wird.
Da auch dieses Konzept aber zunehmend mit einer Realität von Frauenerwerbsarbeit, Migration, feministischem Widerstand, u.a., in der Frauen sich anders situieren müssen/wollen bzw. die ihnen andere Selbstdarstellungen abverlangt, in Konflikt gerät, wird es zunehmend zu einer nur noch gewaltsam aufrechterhaltenen Hülle.
Die Ungleichzeitigkeit der Entwicklungen führt außerdem dazu, daß zur selben Zeit in unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft alte, neue, oder Sexualitätspraxen im Umbruch gelten. Insbesondere für Frauen, deren Leib sowohl im alten wie im neuen Sexualitätsdiskurs im besonderen Maß sexualisiert wird, bedeutet dies sich permanent mit unterschiedlichen Diskursen mit widersprüchlichen Anforderungen auseinandersetzen zu müssen.
Sich vollständig auf die Seite der Warensexualität zu schlagen bedeutet in diesem Zusammenhang immer das Risiko durch repressive Beschränkungen, direkte Gewalt und öffentliche Diskurspraxen zur nicht souveränen sondern fremdbestimmten Ware gemacht zu werden, im Extrem zeigt sich dies in der Gewalt gegen Prostituierte.
Wie bei der Familiensimulation führt die Disfunktionalität der Sexualitätskonzepte aber auch hier meist nicht zu ihrer Infragestellung, sondern eher zu einer zeitweisen Simulation einer glücklichen Sexualität entlang der vorgegebenen Linien. Diese Simulation ist aber nie lange aufrecht zu erhalten, was dann aber meist auf individuelles Versagen zurückgeführt wird - es war halt nicht die/der Richtige -.
Welche/Wer kennt diese Aussage nicht?
Das fremdbestimmte Warensexualität (Prostitution in ihrer üblichen Form) und bürgerliche Ehe ein Kontinuum eines Gewaltverhältnisses darstellen, wie dies z.B. Ti Grace Atkinson schon in den 60er Jahren formuliert hat, und das politische Gegenwehr, die das gesamte Kontinuum von Ehe, fremdbestimmter und heute moderner souveräner Warensexualität angreift, notwendig ist, scheint vergessen.
AnarchistInnen stehen auch hier wieder vor dem Problem sich sowohl gegen das bürgerliche Liebesideal, wie gegen die postmoderne Warensexualität zu stellen, ohne sich für den jeweils als gegenteilig aufgefaßten Standpunkt vereinnahmen zu lassen.
Was tun?
Das weiß ich auch nicht!
Trotzdem einige Ideen aber nicht mehr.
Eine Lösung könnte sein, Sexualität als flüssige wandelbare Praxis zu leben, in der keine Wahrheit gesucht wird, und in der auch keine Wahrheit zu finden ist. Dies würde auch einen Tausch ausschließen, da eine Sexualität, die nicht sie selbst bleibt, die sich unberechenbar in anderes umwandelt, sich einer Tauschwertzuweisung entzieht. Eine andere Lösung wäre ein willkürliches sich Verausgaben oder auch bei sich zu bleiben, ohne einen Tausch zu erwarten.
Was habe ich dann?
Alles und Nichts.
Die Selbstinwertsetzung des Subjektes als Ware erfordert die Möglichkeit der Zuweisung eines Tauschwertes. Dies weist auf eine Ansatzmöglichkeit für Widerstand hin.
Nehmen wir an ein Ding würde sich willkürlich und unberechenbar von einem Edelstein in ein Kaninchen und dann vielleicht in eine Leberwurst umwandeln. Einem solchen Objekt wäre ein Tauschwert nicht zuweisbar.
Für alltägliche materielle Objekte ist dies eine absurde Vorstellung. Für das Warensubjekt gilt hier aber anderes. Das Warensubjekt muß seinen Wert gerade um ihn stabil zu halten alltäglich in der Interaktion reproduzieren.26 Dies gilt z.B. für die sexuelle Attraktivität aber auch für das vergeschlechtlichte Subjekt selbst.
Nach der Theorie der feministischen Theoretikerin Judith Butler (re)produzieren wir die (hetero)sexuellen Verhältnisse täglich neu.27 Nur diese alltägliche Reproduktion stellt den sexuellen Tauschwert des modernen Warensubjektes sicher. Wird die Reproduktion unterbrochen, bzw. zur Subversion genutzt, wird mit der Infragestellung des Gebrauchswertes, bzw. seiner Fluktuation, auch der Tauschwert in Frage gestellt.
Das heißt, die Verweigerung der Reproduktion der (sexuellen) Wertzuweisungen in der Interaktion oder ihre Störung durch z.B. inadäquates Agieren kann, zumindest sobald dies massenhaft auftritt, das System zum Zusammenbruch führen. EinE die/der heute schön und morgen häßlich und übermorgen wieder schön auftritt oder die Spiegelung des Gegenüber entsprechend verweigert, Männer wie Frauen behandelt und Frauen wie Männer usw., Mann wie Frau, bzw. beides nicht, ist, verflüssigt die Wertzuweisungen und verunsichert den Tauschwert. Dies ist mit der Sexualität als flüssiger Praxis gemeint.
Dies ist aber erstens nicht einfach umsetzbar und löst zweitens massiv Aggressionen aus. Auch hier ist das Agieren aus sozialen und politischen Zusammenhängen notwendig, die die Handlungsmöglichkeiten erst schaffen.
Ich behaupte nicht, daß ich dies hier und heute umsetze.
Dies ist ein Versuch eine Alternative erst einmal zu formulieren.
Zu schauen ist auch, ob sich Strategien dieser Art auch außerhalb der sexuellen Inwertsetzung des Subjektes anwenden lassen. Wie und wo?
Was würde dies z.B. für eine antirassistische Praxis bedeuten, oder für ein Agieren in Wissenschaft und universitären Verhältnissen?
Ist nicht gerade im Wissenschaftsbereich die Reputation hochgradig eine Frage der Interaktion?
Wie ist festgelegt wessen Aussage und welche Interaktion zählt?
Wie läßt sich hier eingreifen?
Und wie ist dies mit der materiellen Realität durchmischt, mit dem Körper, mit den Produktionsverhältnissen?
Wie kann die Tauschwertzuweisung unterlaufen werden?
Jörg Djuren - Hannover, 2005
(Erstveröffentlichung - vers beaux temps - Hannover, 2005)
FIN