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Wes Geistes Kind? Arbeit(s)-Religion

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1. Teil

Von Luther zu Müntefering

Das der protestantische Geist das ethische Rückrat bei der Herausbildung des Kapitalismus war, gilt seit 100 Jahren in der Soziologie als Allgemeinplatz. Vom Beten, zum Beten und Arbeiten, zur Arbeit als 'Gottesdienst' bzw. als Beweis der eigenen Ausgewähltheit durch 'Gott', führt der Weg des Protestantismus. Die Aufwertung der Arbeit zum Lebenssinn ist nicht begreifbar ohne ihre religiöse Überhöhung.

Max Weber führt in seiner Schrift 'Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus' schon 1904 aus, daß das Verständnis von Arbeit als Beruf(ung) und nicht als Notwendigkeit zum Erwerb von Lebensmitteln durch einen langwierigen Sozialisationsprozeß erst erzeugt werden mußte.

Für die präkapitalistische Zeit, das Mittelalter und davor, war typisch, daß Arbeitskräfte genau so viel arbeiteten, wie zum Erwerb des Lebensnotwendigen nötig war. Eine Erhöhung des Akkordlohns verringerte die Produktivität, da mit geringerer Stückzahl das gleiche verdient werden konnte. Die Arbeit wurde mit dem geringsten möglichen Aufwand erledigt und nicht mit Pflichtbewußtsein. In der griechisch-römischen Zivilisation wurde Arbeit als Sklaventätigkeit betrachtet.

Für katholische Mönche war Arbeit eine Demutsbezeugung und ein Mittel der Selbstkasteiung.

Erst mit Beginn der Neuzeit kommt es zu einer Umwertung.

In seiner Schrift 'Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus' hat Max Weber die kulturellen Umbrüche untersucht, die hierzu geführt haben. Max Weber vertritt dabei im Gegensatz zu Karl Marx die Position, daß die materiellen Bedingungen alleine zur Erklärung nicht ausreichen. Er stellt die Frage, wie sich die neue kulturelle Hegemonie durchsetzen konnte, und wieso dies in Europa geschah.

Historisch führt Weber die Sozialisation, zum Begreifen der Arbeit als Beruf(ung), auf den Protestantismus zurück. Der Protestantismus hat im Gegensatz zum Katholizismus, im Gegensatz zur mönchischen Askese, die weltliche Pflichterfüllung innerhalb des BERUFES, ein Begriff der zuerst in der Bibelübersetzung von Luther im Sinn von weltlicher Arbeit verwendet wurde, als höchsten Inhalt sittlicher Selbstbestätigung gesetzt. Die Erfüllung der innerweltlichen Pflicht ist für die lutherischen ProtestantInnen der einzige Weg, 'Gott' wohlzugefallen.

Luther und der luthersche Protestantismus dachte dies aber konservativ, die Menschen waren von 'Gott' an ihren Arbeitsplatz gestellt worden und hatten dieses Schicksal ohne Murren zu ertragen.

In seinen Schriften gegen die aufständischen Bauern, fordert er von ihnen gegenüber dem deutschen Adel Gehorsam ein, und den Adel fordert Luther auf, die aufständischen Bauern wie tollwütige Hunde zu erschlagen.

Der Calvinismus und mit ihm diverse weitere radikalisierte asketische protestantische Richtungen spitzten den Arbeitsbegriff weiter zu, der Beruf (im Englischen 'Calling'), wurde hier noch zentraler für das Seelenheil. Im Gegensatz zum lutherischen Protestantismus ging es aber nicht mehr primär um das Ausfüllen des von 'Gott' zugewiesenen Ortes sondern um beruflichen Erfolg.

Nach Weber war es in einer paradoxen Logik gerade die Askese und die Weltabgewandtheit die zum Materialismus und zur Berufsdisziplin der 'PuritanerInnen' führte. Im Gegensatz zum lutherschen Protestantismus waren den niederländischen, englischen usw. protestantischen Richtungen Genuß und Lebenslust zutiefst zuwider. Der Zusammenhang mit der Berufsauffassung wird klar, betrachte ich die disziplinatorischen Aspekte der Arbeit als Ursache für die Arbeitssucht der CalvinistInnen. Die Arbeit galt als Mittel um nicht sündigen Gelüsten und sündigem Handeln zu verfallen, z.B. sollte der Beischlaf in der Ehe ausschließlich zum Zweck der Kinderzeugung erfolgen und keine Lust bereiten, um dies zu erreichen wurden kalte Wickel, fades Essen und ein diszipliniertes Arbeitsleben empfohlen.

Der Unterschied zum lutherschen Protestantismus wird vielleicht am einfachsten deutlich an Hand des Lutherausspruch; 'Warum furzet und rülpset Ihr nicht?' gegenüber calvinistisch beeinflußten ProtestantInnen.

Aber es wird noch paradoxer. Weber führt dies auf das calvinistische Dogma der Gnadenwahl zurück.

Dieses Dogma sagt aus, daß 'Gott' der Allmächtige schon immer festgelegt hat, wer verdammt ist und wer zu denjenigen gehört, die erlöst werden beim Jüngsten Gericht, menschliches Handeln kann daran nichts ändern.

Nun haben die CalvinistInnen daraus nicht etwa den logischen Schluß gezogen, daß es dann ja egal sei und alle ihren Spaß haben könnten, sondern, um sich selbst ihres Status als die Ausgewählten zu versichern, versuchen sie sich bereits im Leben als protestantische Heilige zu konstruieren. Als Beweis vor sich selbst, zu den ausgewählten 'Gottes' zu gehören, galt dabei strenggläubigen CalvinistInnen und erst Recht sektiererischen Abspaltungen, der berufliche materielle Erfolg. Die calvinistischen Gläubigen zeichneten sich damit auf der einen Seite durch extreme Selbstdisziplin und Sinnenfeindlichkeit aus und auf der anderen Seite durch ein extremes Gewinnstreben. Dies führte dazu, daß Gewinne fast vollständig reinvestiert wurden, und es führte in calvinistischen Gebieten zu einem Boom der kapitalistisch-industriellen Entwicklung. Ihren geschäftlichen Erfolg sahen die CalvinistInnen dabei als Beweis ihrer Auserwähltheit vor 'Gott'.

Nun mag aus heutiger Sicht jede/r denken - haben die ein Rad ab -, aber erstens sind Restbestände dieser Logik bis heute z.B. in den USA wirksam und zweitens geht es hier um historische Prozesse zu einem Zeitpunkt als materielles Gewinnstreben z.B. der katholischen Kirche als unethisch galt. Für die CalvinistInnen wurde es zur ethischen Pflicht.

Der Arbeitsethos wurde nach Max Weber im calvinistischen Ideal innerweltlicher Askese, also einer Askese, die sich im alltäglichen moralisch korrektem tätigem Handeln zeigt, noch ergänzt um die Überzeugung, daß sich die Auserwähltheit durch 'Gott' im erwirtschafteten Gewinn äußern würde. Damit wurde eine Ideologie, die Arbeit, als Mittel zur Durchsetzung einer asketischen Lebensführung, und, effizientes funktionales Gewinnstreben, als die moralisch richtigen Verhaltensweisen protestantischer ChristInnen setzte, zum Maßstab des Handelns.

Aus psychoanalytischer Sicht wurden damit soziale und sexuelle Bedürfnisse auf ein Arbeits-Gewinnstreben umgeleitet, der Gelderwerb durch Arbeit wurde zur einzigen legitimen Lust. 'Geldgeilheit' und die 'Lust' am Funktionieren als Arbeitskraft, wurde zur 'perversen' moralischen Norm.

Während der Calvinismus (USA, GB, ..) zum Teil zu sozialrassistischen Ideologien führt, die Armut als Zeichen der Verworfenheit durch 'Gott' deuten und Geiz als Tugend verklären, führt das luthersche Arbeitsideal (Deutschland), daß sich am Gehorsam vor 'Gott' und der produktiven Teilhabe an der 'Schöpfung' orientiert zum Teil zu einem Arbeitsideal, daß sich nicht am Ergebnis sondern am Prozeß orientiert - Hauptsache, gut gemacht, egal was und sei es die Organisation von KZ's -. Und zweitens führt es zur Unterscheidung von produktiver und unproduktiver Arbeit.

Und diese Unterscheidung war auch bei Martin Luther bereits mit antisemitischer Hetze verbunden:

„Ja wohl, sie halten uns Christen in unserem eigenen Land gefangen, sie lassen uns arbeiten im Nasenschweiß, Geld und Gut gewinnen, sitzen sie derweil hinter dem Ofen, faulenzen, pompen und braten Birnen; fressen, saufen, leben sanft und wohl von unserm erarbeitetem Gut; haben uns und unsere Güter gefangen durch ihren verfluchten Wucher [..]“

(Martin Luther - „Von den Juden und ihren Lügen“ - Artikel 293 – 1542)

In der selben Schrift fordert Martin Luther die Synagogen und Schulen der Juden mit Feuer anzustecken und die jungen Juden und Jüdinnen zur Zwangsarbeit zu verurteilen.

Die Unterscheidung zwischen Produktiv- und Finanzkapital, die sich in Luthers Hetze gegen die Juden spiegelt, ist bis heute Propagandainstrument der Herrschenden in Deutschland und eng mit dem Arbeitswahn verbunden.

Zu sehen z.B. bei Franz Müntefering, der am 22.11.2004 in einem Vortrag äußerte:

„Wir müssen denjenigen Unternehmern, die die Zukunftsfähigkeit ihrer Unternehmen und die Interessen ihrer Arbeitnehmer im Blick haben, helfen gegen die verantwortungslosen Heuschreckenschwärme, die im Vierteljahrestakt Erfolg messen, Substanz absaugen und Unternehmen kaputtgehen lassen, wenn sie sie abgefressen haben.“

Der Antisemitismus wird dabei durch Antiamerikanismus ersetzt. Im Frühjahr 2005 wiederholte er dies noch mal sinngemäß.

Und auch hier ist dies eng mit der Arbeitsideologie verknüpft, nur kurz danach hetzte Müntefering in einem Interview mit dem ZDF vom 24.07.2005 gegen Arbeitslose:

„Es gab einen ganz alten Spruch in der Sozialdemokratie: "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen". Das traut man sich heute gar nicht mehr zu sagen. Aber das war sozialdemokratisches Denken. Die haben gewusst: Jeder muss sich anstrengen, jeder muss seinen Teil dazu beitragen.“

Aber auch dieser Satz Münteferings ist das Zitat eines Zitates, die Sozialdemokratie hat sich im 19ten Jahrhundert mit diesem Zitat auf die protestantische Ethik bezogen und auf ältere gleichlautende Aussagen von protestantischen Theologen und der Satz geht letztendlich auf die protestantische Interpretation der Bibel (Paulus) zurück.

Und er findet sich bei protestantischen Sekten in unterschiedlichen Versionen wieder;

"Man arbeitet nicht allein, daß man lebt, sondern man lebt um der Arbeit willen, und wenn man nichts mehr zu arbeiten hat, so leidet man oder entschläft."

(Zinzendorf (18tes Jahrhundert) zitiert nach Max Weber - „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“)

"Aber ein Träger oder Fauler kann kein Christ sein und selig werden. Er ist bestimmt, totgestochen und aus dem Bienenkorb hinausgeworfen zu werden."

(Eine Aussage von Seiten der Mormonen zitiert nach Max Weber - „Die protestantische Ethik und der Geist es Kapitalismus“)

Dies alles gilt historisch für die Phase der Durchsetzung des Kapitalismus in Europa und insbesondere, als einem Staat, der in wesentlichen Teilen von protestantischen SektiererInnen begründet wurde, in den USA. Und dieser Prozeß wurde im 19ten Jahrhundert weitestgehend abgeschlossen.

Heute wirken zweifelsfrei primär andere ideologische Formationen und doch mäandern Versatzstücke dieser Ideologie, siehe Franz Müntefering oder George W. Busch, auch heute noch durch die Diskurse.

Gegen Ende des 19ten Jahrhunderts gab es allerdings noch einmal mit der Missionsarbeit ein neues Aufgabengebiet der Kirchen bei der Durchsetzung einer 'zeitgemäßen' Arbeitsmoral.

Mission und Arbeit

Die Kirche ist als Vermittler der Arbeitsideologie in ihrer Gesamtheit zu sehen. Und nachdem diese Ideologie in Europa im 19ten Jahrhundert weitestgehend durchgesetzt war, kam die Religion erneut zum Einsatz, zur Durchsetzung 'europäischer' Arbeitsmoral in Afrika.

Es waren die Missionsschulen, die die Menschen in Afrika für die Kolonisation zurichteten. Dieser Prozeß lief zwar nicht immer widerspruchsfrei, grundsätzlich lief aber die Bildung zumindest in der deutschen Missionsarbeit meist entlang des protestantischen Arbeitsideals. Als Ziel der deutschen Missionsarbeit galt die Vermittlung von Zucht, Ordnung, Pünktlichkeit, Gehorsam, Reinlichkeit und Disziplin. Die Mission in Afrika war insofern nicht zuletzt ein biopolitisches Projekt.

"Wenn neben dem selbstverständlichen Religionsunterricht, Lesen schreiben und die Elemente des Rechnens beigebracht werden und zugleich die Sanglust der Jugend befriedigt wird, so ist damit erreicht was billigerweise verlangt werden kann. Die Hauptsache wird auch bei diesem in einfacher Form gehaltenem Unterricht sein, daß die Zöglinge an Zucht und Ordnung, an Pünktlichkeit und Gehorsam, an Reinlichkeit und Disziplin gewöhnt werden."74

Und die Missionare scheuten kein Mittel um ihr Ziel zu erreichen. Die Kinder wurden durch Geschenke, aber auch durch Drohungen und Polizeigewalt in die Schule gezwungen. Die Missionsschulen waren damit ein Eckpfeiler der Ausbeutung in den deutschen Kolonien. Und die Missionsschulen trugen wesentlich zur langfristigen Kulturzerstörung in den Kolonien bei.75

Dies gilt auch trotz des Scheitern vieler 'Erziehungs'bemühungen und obwohl die angeeignete Bildung und Religion76 auch ein Ansatz für Widerstand waren.

2. Teil

Arbeitsideologie 2007

Historisch sind die Zusammenhänge von Arbeitswahn, Antisemitismus und Protestantismus unbestreitbar, vor allem die protestantischen Sekten waren der Schlüssel zur Durchsetzung einer kapitalismusdienlichen Arbeitsmoral. Dies führte soweit, daß es von Seiten organisierter ArbeiterInnen in Großbritannien bis ins 19te Jahrhundert gewalttätige Ausschreitungen gegen Mitglieder bestimmter protestantischer Sekten gab.

Aber hat das für die Reproduktion der Arbeitsideologie heute in Deutschland, ich sage hier bewußt nicht USA, Indien, Japan,.., für die anderes gelten mag, noch eine Bedeutung?

Als Thesen würde ich hier aufstellen:

- Die Arbeitsideologie, Arbeit als Notwendigkeit für ein sittliches Leben, für die Selbstbestätigung, .. ist längst hegemonial.

Die historische Herausbildung durch die protestantische Ethik ist heute nicht mehr von Belang. Der Protestantismus war für die Arbeitsideologie relevant nur zu ihrer Durchsetzung gegen eine alte hegemoniale kulturelle Ordnung.

Als hegemoniale Ideologie reproduziert sie sich heute in der Alltagswahrnehmung, Familie, Film, öffentliche Debatten, .. . Zusätzlich wird sie, einschließlich Zeitorganisation, Disziplin, .. durch DIE moralische Anstalt der Neuzeit schon Kindern inkorporiert (in den Körper eingeschrieben), durch DIE SCHULE, die modernisierte Mischform aus Kloster und Kaserne.

Krisen der Arbeitsideologie - Massenarbeitslosigkeit - sind damit notwendiger Weise auch Krisen der schulischen Ausbildung.

Die Schule als Ablösung, bzw. als Instanz, der protestantischen Erziehung hat eine Tradition, die bereits in den Anfängen des Protestantismus angelegt ist, geht es doch darum die Bibel selbst zu LESEN. Die Geschichte der Schule ist also auch ein Teil der Geschichte des Protestantismus bezogen auf Deutschland.

Im Kolonialismus steht dieser Zusammenhang mit den Missionsschulen noch einmal plastisch vor Augen.

- Abgeleitet wird die Arbeitsideologie heute nicht mehr unter Bezug auf 'Gott', sondern unter Bezug auf Naturwissenschaften, Soziobiologie, und ein damit verknüpftes naturalisiertes Kapitalismusverständnis der 'naturalisierten' (Standort-)Konkurrenz. Sie wird als Arbeits-Leistungs-Konkurrenz-Ideologie verbreitet. Leistung, und ein daraufhin optimiertes Arbeitsverhalten, wird hier als Notwendigkeit um in der Konkurrenz, Standort bzw. zwischenmenschlich, bestehen zu können, definiert.

Religionen spielen für die ideologische Produktion 'der Wahrheit über den Menschen' nur noch eine nachgeordnete Rolle in Deutschland.

Die soziobiologistische Ideologieproduktion, die Naturalisierung gesellschaftlicher Verhältnisse, Kapitalismus, Sexismus, Sozialrassismus, findet heute vor allem in der Genetik und der Neurologie statt. Diese beiden Wissenschaften dienen zum erheblichen Teil neoliberaler Ideologieproduktion, und werden unter anderem aus diesem Grund finanziert. Die 'wissenschaftlichen Standards' dieser 'Wissenschaften', der soziobiologistischen Bereiche der Neurologie und Genetik, sind dann auch in vielen Aussagen und 'Belegen' eher vergleichbar mit Rassenbiologie, Physiognomik und anderen älteren 'Scheinwissenschaften'.77

Die Verbreitung dieser Ideologie findet aber über vielfältige Kanäle statt,

- über Tierfilme, die mit menschlichen Begriffen hantieren,

- durch Berichte zur 'Überbevölkerung' und 'asiatische' Ökonomien,

- durch Managerschulungen78 ,

- durch Talkshows mit Herrn Henkel und Co.79 ,

- durch den Leistungssport, das Laufen auf einer Aschenbahn gegen die Uhr ist wohl eine der zugespitztesten Varianten sinnentleerter entfremdeter Arbeit und reine Dokumentation funktionaler Körperdisziplin als Selbstzweck,

- durch die Ratgeberliteratur, wie verkaufe ich mich selbst,

- oder durch Berichte über Arbeitslose als Opfer bzw. Schmarotzer.

- ..

Überall läuft die Arbeits-Leistungs-Konkurrenz-Ideologie als Subtext mit.

Das es sich hier um die Fortsetzung religiöser Praxen zur Verbreitung von Ideologie handelt, ist an den verschiedenen Aufgriffen religiöser Mythen und kultischer Handlungen ersichtlich.

So sind Olympiaden und Weltmeisterschaften kultisch religiöse Großereignisse, bei denen sich Menschen z.B. mit den Farben 'ihrer Mannschaft' kleiden oder Körperbemalungen auftragen, spezielle Gesänge anstimmen, stimulierende Drogen zu sich nehmen und sich mit Wildfremden verbrüdern. Verehrt wird dabei ein Arbeits-Leistungs-Kult.

Es wäre sicher interessant gezielt die Olympia-Berichterstattung aus China unter diesem Gesichtspunkt zu analysieren, da hier das kultische Großereignis verschmolz mit dem Mythos asiatischer Ökonomien. Das heißt, die Olympia-Berichterstattung aus China dürfte zu einem nicht unerheblichen Teil der ideologischen Mobilmachung in Europa im Sinne der Arbeits-Leistungs-Konkurrenz-Ideologie gedient haben.

Auch die Rekurse der Genetik auf das Versprechen ewigen Lebens, den Quell der Jugend, die Heilung aller Krankheiten, bzw. im Negativmythos, der Rekurs auf die Seuchenmetapher u.a. sind nichts anderes als Rückgriffe auf religiöse Mythologie.

Und auch die Diskussion von Neurologen über den freien Willen gehört in diesen Bereich der Rückbindung der Wissenschaft an religiöse Diskurse. Die mittelalterlich Frage, ob die Allmacht und Allgegenwart 'Gottes' einem Konzept des freien Willens widersprechen würde, wird hier wieder aufgebrüht mit dem einzigen Unterschied, daß 'Gott' durch 'DIE BIOLOGIE' ersetzt wird.

Die soziobiologistischen Argumentationen für Arbeit und Konkurrenz sind dabei nicht weniger absurd als die protestantischen.

Auf der einen Seite wird sozialdarwinistisch der Kampf jede/r gegen jede/n zur biologischen Natur der Menschen (v)erklärt, auf der anderen Seite wird gerade dies dann als Argument verwandt, um die Arbeits-Leistungs-Konkurrenz-Ideologie gegen andere politische und gesellschaftliche Entwicklungen mit staatlicher Gewalt und Propaganda durchzusetzen.

Würde es sich um Biologie handeln, wäre aber eine politische Durchsetzung überflüssig, da die Menschen sich dann auf Grund ihrer biologischen 'Natur' von selbst entsprechend der Arbeits-Leistungs-Konkurrenz-Ideologie verhalten würden. Schließlich muß auch niemand zum Atmen gezwungen werden. Das die Arbeits-Leistungs-Konkurrenz-Ideologie durch einen großen Aufwand an Gewalt (Arbeitshäuser, Zwangsarbeit, Schule, ..) und Propaganda erst durchgesetzt werden mußte zeigt, daß es sich bei ihr mitnichten um ein naturgegebenen Verhalten handelt.

- Der Punkt in dem die Arbeitsideologie auch heute noch am stärksten auf die Herkunft aus der Ethik des asketischen Protestantismus verweist, ist ein Punkt, bei dem dies am wenigsten gesehen wird. Die instrumentelle Vernunft, die zweckfreie Lust an funktionalen Abläufen, die den Kern der Identifikation des Subjekts mit entfremdeter Arbeit ausmacht, ist im wesentlichen identisch mit dem asketischen Ideal, dem Haß des asketischen Puritaners auf eine amoralische, lusterfüllte, schmutzige, unberechenbare Welt. Denn die funktionale Betrachtungsweise negiert ja gerade all die Dinge, die ein lusterfülltes, lebendiges Leben ausmachen, die halt unberechenbar, schief, lustvoll und witzig sind, und sich nicht in Formelwerten, Kennziffern und Geldwert abbilden lassen80 .

Der kapitalistische Inwertsetzungsfanatismus, die zwanghafte Reduktion aller Dinge auf einen Geldwert, also auf Kennziffern und Zahlen, ist insofern nur eine modernisierte Variante der puritanischen Abtötung der Welt als lebendige, eines Puritanismus, der letztendlich nur noch die 'perverse' Lust des sinnentleerten Funktionierens und der zweckfreien Kapitalakkumulation übrig läßt.

3 Teil

Und zum Schluß noch eine etwas queere These:

- Ich behaupte, daß die Aufwertung der Arbeit durch den Protestantismus sowohl den Kommunismus als auch den modernen Anarchismus erst ermöglicht hat.

Diese Aufwertung hat neben der Arbeit als 'Gottesdienst', also Arbeit um ihrer selbst Willen, noch eine zweite Seite, der Aufwertung von Arbeit als wirkender Tätigkeit, die es den Arbeitenden ermöglicht die Welt zu gestalten, die also ein zentrales Moment der Befreiung des Subjektes vom Zwang darstellt. Mit der Arbeit wird auch das arbeitende Subjekte aufgewertet.

Das Christentum ist eine Sklavenmoral und auch das im doppelten Sinn. Im Sinn der Unterordnung, des sich Einfügens in 'Gott' gewollte Verhältnisse, aber eben dazu im Widerspruch auch, im Sinn der Aufwertung der Arbeitenden zu vollwertigen Subjekten und der Sichtbarmachung der Bedeutung ihrer Tätigkeit.

Ohne diese Aufwertung der Arbeit und der Arbeitenden wäre weder der Kommunismus noch der Anarchismus denkbar.

Eine Grundmoment der anarchistischen Utopie ist die Überzeugung, das ich durch Arbeit die Welt verändern kann, das die Handlungsmacht letztendlich bei den Tätigen liegt und nicht bei den Herrschenden, das ich durch Arbeit eine freiere und bessere Welt schaffen kann.

Nur ist die Voraussetzung, daß sich die Menschen selbst ihre Arbeitskraft wieder aneignen.

Die Abwertung der eigenen Fähigkeit, durch Arbeit die Welt zu gestalten und zu verändern, führt politisch ins NICHTS!

Die feministische Bewegung hat in den 70er Jahren wesentlich durch die Aufwertung und Sichtbarmachung der Arbeit von Frauen dazu beigetragen Frauen als politische Akteure in der Gesellschaft zu stärken. Dies war mit problematischen Glorifizierung weiblicher Arbeit verbunden, trotzdem war es eine wesentliche Voraussetzung für die Wirksamkeit der feministischen Bewegung.

Anarchistinnen und Anarchisten sollten ihre Fähigkeit durch Arbeit gestaltend in die Welt einzugreifen positiv aufgreifen und offensiv nutzen ohne falsche Verklärung und Glorifizierung der erzwungenen und entfremdeten Arbeit.

Es geht darum die Enteignung der eigenen Arbeitskraft zurück zu drängen, und die eigene Arbeitskraft in alternative selbst bestimmte Projekte einzubringen, als Mittel der Befreiung, als ein Stück vorweg genommene Freiheit.

Dem Protestantismus ist in diesem Sinn vor Allem vorzuwerfen, daß er auf halben Weg stehen geblieben ist.

Jörg Djuren - Hannover, 2008

(Ursprünglich Vortragsmanuskript für eine Veranstaltung der FAU Mannheim)

FIN

Anarchistische Analysen zur Gegenwart

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