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Einleitung

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Unsere Phantasie, die sich bis zur Besessenheit für den Alltag anderer begeistern kann, scheitert gerade an unserem eigenen. Wenn wir uns als Thema einer Promi-Show im Fernsehen behandeln müssten: Was um Himmels willen ist nach Abzug großer Ereignisse – der Hochzeit, des Mauerfalls – kennzeichnend oder auch nur interessant daran, wie wir vor fünf, vor zehn Jahren gelebt haben? Wie war das eigentlich noch? Nicht dieselbe Arbeit wie heute, zwei Zimmer weniger zum Wohnen, ein anderes Gesicht, neben dem wir aufwachen – das war damals alles anders, schon richtig. Vielleicht sagt aber sogar der Wasserkocher, vor dem wir morgens ungeduldig warten mussten, mehr über unser Leben. Er war eben keine Espressomaschine, so weit waren wir noch nicht ...1

Auch dieser Versuch, ein Vorher und Nachher in die eigene Vergangenheit einzubauen, wird höchstens im Ausnahmefall das treffen, was fernen Beobachtern typisch vorkäme. Die festen Bestandteile der Alltagsgeschichte erfassen wir nur aus den Augenwinkeln. Und einer gut publizierten Quelle geht es da nicht anders als unserem Gedächtnis. Wir sind trainiert, uns ausgerechnet das nicht einzuprägen, was sich immer wiederholt – warum auch, wenn es uns nicht gerade völlig bizarr vorkommt statt einfach monoton? So kommt es, dass sich schnell ins Vage verflüchtigt, was Menschen aller Prominenzgrade ,so gemacht‘ haben, wenn sie nicht gerade Geschichte und Epoche machten, sondern schlicht vom Aufstehen bis zum Schlafengehen durch den Tag gingen.

Agrippa berät den jungen Augustus

Und achte bei allem, was du selber tust, auf jede Kleinigkeit, behandle dich nur ja nicht mit Nachsicht, damit du auch immer ganz genau weißt, dass augenblicklich jeder erfahren wird, was du sagst und was du tust. Denn leben wirst du sozusagen wie auf der Bühne eines einzigen großen Theaters, bestehend aus der ganzen bewohnten Welt [...]

CASSIUS DIO 52,34,2

Über den Alltag der Römer ist schon viel geschrieben worden – und doch längst nicht genug. Aber hatte Roms erster Mann – der dazu verdammt war, lauter denkwürdige Dinge zu tun und schon seinen Zeitgenossen interessant wie keiner zu sein – überhaupt so etwas wie einen Alltag, konnte er es der Definition seiner Stellung nach? In unserer Wahrnehmung ist er oft eingezwängt zwischen Szenen wie aus einem Monumentalfilm einerseits und Bildern verspielter Selbstherrlichkeit andererseits; aber weder ließ so ein Mann den ganzen Tag Kriege erklären und Triumphbögen errichten, noch köpfte er im Stundentakt Senatoren und epilierte persönlich seine Konkubinen.2 Wir sind gehalten, uns nach dem nicht ganz so Spektakulären umzusehen.

Es hat schon in der Antike Versuche gegeben, für einen einzelnen Kaiser die festen Punkte eines Tagesablaufs aufzuzählen.3 Der kaum überschaubaren Vielzahl von Aufgaben, Anlässen, Ablenkungen, persönlichen Präferenzen zum Trotz enden sie jeweils bei einer Art Generalplan, der den langen imperialen Tag in sechs oder acht Blöcke zerlegt und beweisen soll, dass seine Hauptperson alles vorbildlich im Griff hatte. Mehr brauchte es auch nicht, wenn allein dieser jeweilige Kaiser interessierte und die gebildeten Leser im Rahmen ihrer Informationsmöglichkeiten ,wussten‘ (ohne es sich gezielt ins Gedächtnis zu rufen), was ein Kaiser ,so machte‘. Für den klassischen Prinzipat – die „Hohe Kaiserzeit“ zwischen Augustus und den hektischen Herrscherwechseln in der Ära der Soldatenkaiser nach 235 – behielt dieses Allgemeinwissen seine Gültigkeit.

Wir Heutigen aber hätten gern einen Terminkalender, keinen Stundenplan, und am liebsten eine mitlaufende Kamera mit sachkundigem Kommentator. Müßige Wünsche: Kein antiker Autor hat vorhersehen können, welche Bagatellen und Selbstverständlichkeiten – die nach zweitausend Jahren keine mehr sind – er uns hätte erklären müssen; und wo er tatsächlich Antworten gibt, da passiert es ihm oft genug wie nebenbei, versteckt und erst nach langer, zudringlicher Befragung. Das ist die Grunderfahrung und zugleich eine der Existenzberechtigungen für Historiker überhaupt.

Die Wissenslücken sind riesig – so riesig wie andererseits unser Schatz an Spezialkenntnissen über einzelne Sachgebiete und besondere Vorfälle. Kein ,kompletter‘ Standardtag irgendeines römischen Princeps von Augustus bis Severus Alexander lässt sich auch nur annähernd so dokumentieren, wie wir gern möchten. Ein Tag aus Caesars Leben ist ein Aufsatz, der nie gedruckt werden wird.4 Was dagegen möglich erscheint, ist die Rekonstruktion dessen, was seit Max Weber „Idealtyp“ heißt: eines Tages irgendwann zwischen 27 vor und 235 nach Christus, der zwar in der vorgestellten Form nie hätte ablaufen können, weil er viel mehr als nur komplett ist, doch dafür angefüllt mit allem, was sich überhaupt ,normalerweise‘ hätte ereignen können, und in hoffentlich sinnvoller Reihenfolge. Die Speisekarte in einem Restaurant ist größer als meine Mahlzeit (und mein Magen), doch irgendwo zumindest versteckt sich mein Essen in ihr – und um im Bild zu bleiben, verkehrt ein Kaiser in einem dermaßen exklusiven Lokal, dass das Menü von vornherein so erlesen wie überschaubar ist. Verkürzen wir ihm die Zeit und leisten wir ihm Gesellschaft!

Kaiser von morgens bis abends

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