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Vorwort des Autors

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Die Gelegenheit, eine antike Persönlichkeit aus deren eigenen Schriftzeugnissen beschreiben zu können, ist für die römische Kaiserzeit so selten wie verführerisch. Längere wörtliche Zeugnisse der Kaiser selber, offizielle Anlässe ausgenommen, existieren mit Ausnahme der Hauptperson dieses Buches nur noch von Julian (361–363), der sich nach Charakter wie Umständen enorm von dem hier vorgestellten Mann unterschied, sosehr er ihn verehrte.

Marc Aurels eigene Worte – dazu eine mäßig reichliche, problembeladene historische Überlieferung – haben uns teils in Gestalt von privaten Briefen vor allem seiner Jugendjahre erreicht, teils in Gestalt der berühmten Selbstbetrachtungen, einer als Privatsache geschriebenen Sammlung von Aphorismen. Viel ‚authentischer‘ kann antike Überlieferung nicht sein. Ein Mensch, der uns anzieht und von seinen Historikern und Lobrednern noch anziehender gemacht worden ist, spricht aus diesen Texten – Herrscher und Philosoph, Handelnder, Denker und Menschenfreund. Wenige Figuren wecken ein solches Bedürfnis, sich mit ihnen zu identifizieren, sich dem stummen Dialog mit Weisheit, Verstand, Selbstbeherrschung und Güte eines vergangenen Zeitalters zu überlassen. Eine Scheinvertrautheit, das Denkschema „ich und Marc Aurel …“ als bewusster wie unbewusster Ausgangspunkt droht das Erkennbare jederzeit zu überwuchern und zu entstellen.

Die zugespitzte Lebenszeit dieses Kaisers tut das Ihre gegen unsere Vorsicht. Ein familiär wie politisch wechselvolles Leben, das schmerzliche Ende einer Glanzzeit in Krisen und Katastrophen, eine Umbruchsepoche ruft zur Anteilnahme auf; ein Mann scheint hier tatsächlich einmal Geschichte zu schreiben und für Taten und Versäumnisse seiner Zeit die einzig mögliche Erklärung zu bilden. Zugleich glauben wir in sein Innerstes zu blicken, das zur Bewunderung drängt: Fels in der Brandung ungewollter Kriege, harmonische Persönlichkeit, vergöttert und dennoch bedauernswert, so steht er wie unmittelbar uns. Eine dankbare Aufgabe für Biographen, die in manche fähige Hand gekommen ist; eben deshalb auch eine gefährliche, die auf wohlgemeinte Abwege führen kann.1

Zeit und Charakter Marc Aurels haben sich verschworen, ihn und das Geschehen, in dem er stand, mit Gefühlen zu überhäufen und als eine so notwendige Einheit erscheinen zu lassen wie den Ablauf eines Dramas der Weltliteratur. Ihnen die Freiheit wiederzugeben fällt schwer; ein legitimer Weg dazu ist der Rückzug auf schlicht vorgetragene Tatsachen, doch auch sie bleiben dem Magnetismus des Gesamtbildes ausgesetzt und schließen sich unbeaufsichtigt rasch wieder zu jenem Phänomen an Transparenz und Ganzheit zusammen. Es lohnt sich darum, noch etwas weiterzugehen und das Phänomen, ohne es als Lüge zu verdammen, auf ein bewusstes Lebenskunstwerk und dessen Aufnahme zu reduzieren. Eine Person aus einem Guss wollte Marc Aurel sein; kristallklar und für die Wahrheit, aus der er zu leben verlangte, durchlässig wollte er sein. Daher müssen wir den seinem Willen nach Unbedingten, innerlich Freien zurückversetzen – zwischen Bedingtheit, Abhängigkeit, Zwang, Denkhindernisse, Konventionen und automatische Abläufe, von Zufall und Unvorhergesehenem zu schweigen. Eine andere Pflicht ist die Suche nach Disharmonien oder möglichen negativen Folgen seiner Harmonie.

Für einen Kaiser, der es problematisch fand, sich von den Ansprüchen seiner Rolle formen zu lassen, bedeutet die Suche nach dem Vieldeutigen einen Wiedergewinn an Individualität – eine Ermutigung zu dieser Lesart, weil es Indizien gibt, dass es dem Individuum Marc Aurel mitunter schlecht ergangen ist, während es sich zum Typus ausprägte und damit den Nerv antiken Denkens traf. Auch wir Heutigen gewinnen, wenn wir nicht mehr behaupten, ‚alles‘ über ihn wissen zu können, was es im Wesentlichen zu wissen gäbe, sondern bei undurchsichtigen Stellen haltmachen, die wir in der Transparenz finden mögen.

Wie die scheinbar lückenlose, gleichwohl sorgsam dosierte Selbstdarstellung, so ist das Alleinsein des Individuums hinter der Grenze, die dem Darstellbaren und dem Wunsch nach Identifikation gezogen ist, ein Leitgedanke der Gegenwart, die sich zwischen Lust und Leiden an der Vereinzelung nie ganz entscheiden kann. Die Geschichte spiegelt unsere Befindlichkeit, ohne sie vorwegzunehmen, aufzuklären oder zu lösen; schon das genügt, sie unentbehrlich zu machen.

Für die Annäherung an Marc Aurel habe ich mich dank meinem Bonner Lehrer Klaus Rosen seit vielen Jahren an der richtigen Stelle befunden. Die fortdauernde Gastfreundschaft von Freunden und Kollegen am Rhein hat mir das Schreiben ebenso erleichtert wie viele Begegnungen und Eindrücke der Vergangenheit. Neben Prof. Dr. Helmut Castritius (Darmstadt) danke ich froh wie immer der curiositas von Jens Bartels (Zürich) und Anke Bohne (Bonn), nicht zu vergessen die Entbehrungen meiner Familie, die für dieses Buch auf Gesellschaft, zahlreiche Mahlzeiten und strukturierte Antworten verzichten musste.

Aachen, im Januar 2007 J. F.
Marc Aurel

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