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3 Das Lied der Deutschen« – Inhalt und Bedeutung
ОглавлениеDeutschland, Deutschland über alles,
Über alles in der Welt,
Wenn es stets zu Schutz und Trutze
Brüderlich zusammenhält;
Von der Maas bis an die Memel,
Von der Etsch bis an den Belt:
Deutschland, Deutschland über alles,
Über alles in der Welt!
Deutsche Frauen, deutsche Treue,
Deutscher Wein und deutscher Sang
Sollen in der Welt behalten
Ihren alten schönen Klang,
Uns zu edler Tat begeistern
Unser ganzes Leben lang:
Deutsche Frauen, deutsche Treue,
Deutscher Wein und deutscher Sang!
Einigkeit und Recht und Freiheit
Für das deutsche Vaterland!
Danach lasst uns alle streben
Brüderlich mit Herz und Hand!
Einigkeit und Recht und Freiheit
Sind des Glückes Unterpfand;
Blüh im Glanze dieses Glückes,
Blühe, deutsches Vaterland!
Die beiden ersten Zeilen des »Deutschlandliedes« gehören zu den bekanntesten Versen überhaupt. Oft zitiert, gesungen, gegrölt, inhaltlich missbraucht und missverstanden, sind sie nicht im Sinne eines chauvinistischen Herrschaftsanspruchs anderen Staaten gegenüber zu verstehen. Auch sie spiegeln den Geist der Zeit, insbesondere die Gesinnung ihres Verfassers wider. August Heinrich Hoffmann fordert als verbindende Klammer ein Deutschland über viele deutsche Länder hinweg, also die Einheit und das Ende der Partikularstaaten. Denn nur ein geeintes, mächtiges Deutschland könne die Gebietsansprüche Frankreichs zurückweisen. Im Gegensatz zu anderen Rheinliedern jedoch erwähnt der Verfasser in seinem Lied weder den Rhein noch Frankreich. Vielmehr nennt er in seiner ersten Strophe vier Flüsse, die die Grenzen dieses neuen Deutschlands markieren. Alle vier Gewässer liegen außerhalb der deutschen Grenzen von 1937, doch damals entsprachen sie im Wesentlichen den allseits akzeptierten Grenzen des Deutschen Bundes:
Die rund 875 Kilometer lange Maas, die in Frankreich entspringt, Belgien und die Niederlande durchfließt, bevor sie in das Rhein-Maas-Delta mündet, bildet die Grenze zwischen den Provinzen Belgisch-Limburg und Niederländisch-Limburg. Aufgrund einer neuen Gebietsregelung im Jahr 1839 (»Londoner Protokoll«) fiel der niederländische Teil von Limburg an den Deutschen Bund, damit war die Maas die westliche Grenzmarkierung des Staatenbundes. Daran hat sich bis heute kaum etwas verändert; die Maas nähert sich in ihrem Lauf der deutschen Grenze bei Kaldenkirchen (Nordrhein-Westfalen) auf rund fünf Kilometer.
Die rund 940 Kilometer lange Memel entspringt in Weißrussland und zieht sich durch Litauen, wo sie ins Kurische Haff (Ostsee) mündet. Die Hafenstadt Memel (Klaipeda) war bis 1920 die nördlichste Stadt Deutschlands. Zwar gehörte Ostpreußen nicht dem Deutschen Bund an, doch weil im Memelgebiet Deutsche lebten, bzw. Kaschuben, Polen und Masuren, die als Preußen geführt wurden, vielerorts dort auch deutsch gesprochen wurde und überdies das preußische Königspaar Friedrich Wilhelm III. (1770–1840) und Luise (1776–1810) während der napoleonischen Herrschaft hier Zuflucht gefunden hatte, galt den Zeitgenossen diese Gegend als deutsch. Die Memel als östlicher Grenzfluss war zwar problematisch, doch ganz abwegig war diese Markierung nicht.
Mit Nennung der Etsch als südlicher Grenze ist der Oberlauf des 415 Kilometer langen Flusses in Südtirol gemeint und Südtirol mit seiner Hauptstadt Bozen gehörte zu Österreich und damit staatsrechtlich betrachtet zum Deutschen Bund.
Als letzte Markierung wird der Belt genannt, damit verweist der Textdichter auf die Wasserstraße zwischen den Inseln Fehmarn und Lolland, auf den Fehmarnbelt. Fehmarn gehörte zum Herzogtum Holstein und war damit Teil des Deutschen Bundes.
Auch wenn die erste Liedstrophe einen gewissen Nationalstolz verkörpert, liegt es entstehungsgeschichtlich gesehen fern, diese Verse als Ausdruck nationalistischer Überheblichkeit des deutschen Volkes interpretieren zu wollen. Mit »Schutz und Trutz« ist Verteidigung gemeint, nicht Angriff.
Hoffmann von Fallersleben, der sich mit dem mittelalterlichen Minnesang auskannte, nahm sich Walter von der Vogelweides (um 1170–um 1230) Dichtung »Ir sult sprechen willekomen« (um 1200) zum Vorbild, darin schon nennt der Lyriker zwei Flüsse: »Von der Elbe unz an den Rhin« (also »von der Elbe bis an den Rhein«).
Die zweite Strophe erinnert eher an ein Weinlied, auch an einen Minnesang. Verehrt werden die Frauen, die die Sänger, Männer, zu einer »edlen Tat« motivieren sollen, was immer Hoffmann darunter auch verstanden haben mag. Dazu erklingen ein paar Lieder (»deutscher Sang«) und selbstverständlich gibt es ein paar Gläser Rheinwein (»deutscher Wein«) zu trinken. Diese inhaltlich weniger anspruchsvollen Zeilen wirken wie ein Sittengemälde der damaligen Zeit. Doch auch in diesen Versen steckt mehr, wie der Autor einen Tag nach Fertigung des Liedes in einem Brief vom 27. August 1841 an seine Jugendliebe Henriette von Schwachenberg (1792–1845) mitteilte. Es ist ein Liebesgedicht: »Dass ich, als ich ›Deutsche Frauen‹ schrieb, in erster Linie Ihrer gedachte, ist kaum der Erwähnung wert. Wie mein Erstlingswerk widme ich nach genau 20 Jahren auch mein Deutschland-Lied Ihnen.«9
Die dritte Strophe spiegelt allgemeine Wesensmerkmale des demokratischen Rechtsstaats wider. Einigkeit und Recht und Freiheit – diese drei Schlagwörter, uns heute eine Selbstverständlichkeit, waren 1841 als erstrebenswerte Ziele definiert. Noch bestand kein einheitliches Deutschland, noch galten die 1819 auf Initiative des österreichischen Staatskanzlers Clemens Fürst Metternich (1773–1859) von der Bundesversammlung verabschiedeten autoritären »Karlsbader Beschlüsse« (u. a. Pressezensur, Berufsverbot für national und liberal gesinnte Professoren), noch waren bürgerliche Rechte nicht verwirklicht. Die beschworenen Werte befinden sich heute auch auf dem Rand der deutschen 2-Euro-Münzen (früher standen sie auf den 2- und 5-DM-Münzen). Einigkeit und Recht und Freiheit sind Garanten (»Unterpfand«) für das Glück, zugleich sind sie als Mahnung und Programm für den Zusammenhalt eines Volkes zu verstehen, man könnte die drei vielzitierten Begriffe als Motto der Bundesrepublik interpretieren. Auch bei dieser Strophe bzw. dem Dreiklang »Einigkeit und Recht und Freiheit« mag Hoffmann inspiriert worden sein von ihm bekannter Literatur, nämlich von Schillers »Wilhelm Tell« (1804), jenem Drama, das den Freiheitskampf der Eidgenossen darstellt; so spricht der sterbende Bannerherr Werner von Attinghausen in der zweiten Szene des vierten Akts: »Dass sich der Bund zum Bunde rasch versammle – seid einig – einig – einig.«
Dieser Gedanke fand zunächst Eingang in Hoffmanns Gedicht »Eins und Alles«, das als »Vorbild« des »Deutschlandliedes« gesehen werden kann und später als Teil seiner »Unpolitischen Lieder« veröffentlicht wurde. Im Juni 1841 getextet, nimmt es die Einheit Deutschlands vorweg:
Deutschland erst in sich vereint!
Auf! Wir wollen uns verbinden,
und wir können jeden Feind
treuverbunden überwinden.
Deutschland erst in sich vereint!
Lasset alles, alles schwinden,
was ihr wünschet, hofft und meint!
Alles andere wird sich finden.
Deutschland erst in sich vereint!
Danach strebet, danach ringet!
Dass der schöne Tag erscheint,
der uns Einheit wiederbringet.
Deutschland erst in sich vereint!
Wenn uns das einmal gelinget,
hat die Welt noch einen Feind,
der uns wiederum bezwinget?
Nur zwei Monate später, im August 1841, entstand auf Helgoland das »Lied der Deutschen«. August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, Professor für deutsche Sprache und Literatur an der Universität zu Breslau, befand sich in jenem Sommer drei Wochen lang im Urlaub auf der damals zu England gehörenden Hochseeinsel. Dort hatte er wiederholt gehört, wie zu Ehren der britischen und französischen Gäste die Hymnen »God Save the Queen« bzw. die
Abb. 3: »Villa Hoffmann« auf Helgoland, Aufenthaltsort Hoffmann von Fallersleben1840 und 1841, Postkarte von 1910.
»Marseillaise« gespielt wurden. Nach einem Spaziergang verfasste er die drei uns bekannten Strophen in seinem Quartier in der Feldstraße. In seiner 1868 erschienenen Autobiografie »Mein Leben« heißt es dazu:10
»Am 23. August kehrten die meisten Hannoveraner heim […]. Den ersten Augenblick schien mir Helgoland wie ausgestorben, ich fühlte mich sehr verwaist. Und doch tat mir bald die Einsamkeit recht wohl: ich freute mich, dass ich nach den unruhigen Tagen wieder einmal auch mir gehören durfte. Wenn ich dann so einsam wandelte auf der Klippe, nichts als Meer und Himmel um mich sah, da ward mir so eigen zumute, ich musste dichten und wenn ich es auch nicht gewollt hätte. So entstand am 26. August das Lied: ›Deutschland, Deutschland über alles!‹, den 28.: ›Wir haben’s geschworen‹, und bald nachher […] ›Es saust der Wind, es braust das Meer‹.«
Hoffmann, als Germanist vertraut mit der deutsch-europäischen Literaturgeschichte, mag auf Helgoland ferner an den Titel einer Schrift des österreichischen Nationalökonomen Philip Wilhelm von Hornick (1640–1714) gedacht haben, die lautete: »Österreich über alles« (1684). Doch in dieser Hinsicht war Hoffmann nicht der einzige; bereits 1800 hatte Philipp von Gemmingen (1771–1831) seiner Zeitschrift den Titel »Teutschland über alles« gegeben und wenige Jahre später orientierte sich daran auch der österreichische Dichter Heinrich Joseph von Collin (1771–1811), der 1809 ein Soldatenlied dichtete, dessen erste Strophe lautete: »Wenn es nur will, ist immer Österreich über Alles! Wehrmänner ruft nun frohen Schalles: Es will, es will! Hoch Österreich!«
In der Stimmung der Abgeschiedenheit und Einsamkeit, der Unzufriedenheit über die politischen Zustände im Deutschen Bund, andererseits der Selbstzufriedenheit, des persönlichen Wohlergehens in Urlaubstagen, fern ab den deutschen Landen, brachte Hoffmann das »Lied der Deutschen« zu Papier. Letztlich war es eines von annähernd 3.000 Liedern, Gedichten, Trinkliedern und vaterländischen Texten. Bewusst schrieb er keine Ode, keine Huldigung an einen Herrscher, sondern eine spontane »Liebeserklärung« an seine Heimat: »Ich will ein Lied schreiben, das die Deutschen eint. Keine Huldigung an die Fürsten, sondern ein Lied der Sehnsucht nach der Einheit der Nation.«11
Hoffmann von Fallersleben hatte der dritten Strophe zunächst eine Variante gegeben; in der Urschrift des vollständigen Liedes steht:
Einigkeit und Recht und Freiheit
Sind des Glückes Unterpfand.
Stoßet an und ruft einstimmig:
Hoch das deutsche Vaterland!
Als Melodie hatte der Dichter von Anfang an Joseph Haydns (1732–1809) allseits bekannte Komposition zur österreichischen Kaiserhymne vorgesehen. Er fand sie wunderschön, nur ihr Text missfiel ihm als liberalem Demokraten. Hoffmann hatte als Germanist Wert auf einprägsame Stilmittel gelegt. Jedes Kind konnte sich die einfachen, ein- und zweisilbigen Flussnamen merken, eingängig ist die Alliteration »Maas« und »Memel«, ebenso die Wiederholung »Deutsche Frauen, deutsche Treue, deutscher Wein und deutscher Sang« in der zweite Strophe sowie die Aufzählung (»Einigkeit und Recht und Freiheit«) in der dritten Strophe. Das heißt, wie bei den meisten Kirchenliedern lagen mit diesem »Lied der Deutschen« eine einfache Textstruktur und eine ebenso eingängige Melodie vor, ideale Voraussetzungen für eine schnelle Verbreitung. Hoffmann war sich bewusst, dass man sich gereimte Texte viel leichter merken kann und dass die Musik den Verstand und das Gefühl berührt, dass sie Erinnerungen sowie Empfindungen wie Trauer, Empörung, Sehnsucht und Freude hervorrufen kann und zwar in der Gemeinschaft und bei jedem Einzelnen.
Am 28. August 1841 erhielt der Professor und Volkslieddichter Besuch von Julius Campe (1792–1867), einem der bekanntesten Verleger Hamburgs, mit dem er zuvor schon mehrfach zusammengearbeitet hatte. Campe erschien nun in Begleitung des Stuttgarter Buchhändlers Paul Neff (1804–1855), um Hoffmann das erste Exemplar des zweiten Teils der »Unpolitischen Lieder« zu überreichen. Während eines Strandspaziergangs berichtete Hoffmann seinem Gast von seiner aktuellen Schöpfung. Auch diese Begegnung ist überliefert:12
»Am 29. August spazierte ich mit Campe am Strande. ›Ich habe ein Gedicht gemacht, das kostet aber vier Louisdor.‹ Wir gehen in das Erholungszimmer. Ich lese ihm: ›Deutschland, Deutschland über alles‹ und noch ehe ich damit zu Ende bin, legt er mir die 4 Louisdor auf meine Brieftasche. Wir beratschlagen, in welcher Art das Lied am besten zu veröffentlichen. Campe schmunzelt: ›Wenn es einschlägt, so kann es ein Rheinlied werden. Erhalten Sie drei Becher, muss mir einer zukommen.‹ Ich schreibe es unter dem Lärm der jämmerlichen Tanzmusik ab, Campe steckt es ein, und wir scheiden. Am 4. September bringt mir Campe das Lied der Deutschen mit der Haydnschen Melodie in Noten, zugleich mein Bildnis, gezeichnet von C.A. Lill. An letzterem nichts gut als der gute Wille. Hoffentlich werden meine Freunde ein besseres Bild von mir in der Erinnerung behalten haben.«
Abb. 4: »Das Lied der Deutschen« vom 1. September 1841, Arrangement für Singstimme, Klavier und Gitarre.
Campe musste sich des Erfolgs des Liedes sicher gewesen sein, denn er ließ es wenige Tage später als Flugblatt in einer Auflage von mehr als 400 Exemplaren drucken. Der Titel des Hamburger Erstdrucks vom 1. September 1841 lautete:
»Das Lied der Deutschen von Hoffmann von Fallersleben, Melodie nach Joseph Haydn’s: Gott erhalte Franz den Kaiser, Unsern guten Kaiser Franz! Arrangiert für die Singstimme mit Begleitung des Pianoforte und der Guitarre (Text Eigentum der Verleger). 1. September 1841, Hamburg, bei Hoffmann und Campe, Stuttgart, bei Paul Neff. 4 bill. gr. 8º. Satz und Stereotypie von Fabricius (Preis 2 g. Groschen).«
Genauso erstaunlich ist, dass die öffentliche Uraufführung des Liedes nur einen Monat später stattfand. Die Hamburger Liedertafel unter Leitung ihres Gründers Albert Methfessel (1785–1869) sang es am 5. Oktober 1841 anlässlich eines Fackelzuges zu Ehren von Carl Theodor Welcker (1790–1869), Professor für Rechtswissenschaften an der Universität Freiburg. Über dieses Ereignis, bei dem Hoffmann von Fallersleben anwesend war, berichteten die »Hamburger Nachrichten« am 8. Oktober:13
»Nach einem sehr unfreundlichen […] Tage war das Wetter ein paar Stunden nach Sonnenuntergang nach und nach ruhiger geworden, die Wolken hatten aufgehört, ihre nassen Gaben zu spenden, sie verteilten sich und der Mond zog hell herauf, um mit seinem milden Licht das Schauspiel, die öffentliche Würdigung eines Biedermannes, von anderen gleichgesinnten Ehrenmännern, das hier an den Ufern des schönen Alstersees vor den Augen von Tausenden stattfand, zu beleuchten. Kopf an Kopf standen nicht nur an der Straße vor dem Hause, sondern auch auf dem daran stoßenden Gänsemarkte und in den beiden Alleen des alten und neuen Jungfernstiegs die Massen der Teilnehmer, die zugleich Mitwirkende und Zuschauer waren.
Zuerst ward von dem ausgezeichneten Hornisten-Corps unseres Bürger-Jäger-Bataillons ein Marsch gespielt, dann beim Licht rot brennender Fackeln Hoffmann v. Fallerslebens ›Lied der Deutschen‹ nach der Melodie ›Gott erhalte Franz den Kaiser‹ gesungen, worauf Herr Dr. Wille den Herrn Hofrat Welcker im Namen Hamburgs begrüßte und ihm ein dreimaliges Hoch! brachte. Nachdem die Fackeln ihr Licht in Weiß geändert, ward von dem Herrn Professor Wurm eine kurze Anrede gehalten, in welcher er sich über die deutschen Verhältnisse überhaupt in kräftigen Worten aussprach. Hierauf dankte unser werter Gast mit gerührter Stimme aus dem offenen Fenster herab für die freundliche Aufnahme, die er in Hamburg, der freisten Stadt und dem ersten Handelsplatze Deutschlands, gefunden […] und brachte zum Schluss seiner Rede ein Hoch! auf das freie und einige Deutschland aus. Während nun von den Mitgliedern der Liedertafel Hoffmann von Fallerslebens ›Rückkehr aus Frankreich‹ gesungen ward, begab sich eine Deputation zu dem Geehrten hinauf und überreichte ihm ein in die deutschen Farben gebundenes Prachtexemplar des bei dieser Gelegenheit gesungenen ›Liedes der Deutschen‹, welches von dem Herrn Doktor Wille übergeben ward.«
Welcker, ein führender Repräsentant des badischen Liberalismus, war Redakteur der Zeitung »Der Freisinnige« und Mitherausgeber des »Rotteck-Welckerschen Staatslexikons«, eines deutschlandweit beachteten Standardwerkes zum politischen Wissen seiner Zeit. Welckers politische Haltung, die ihm mehrfach Pressezensur und Berufsverbot einbrachte, entsprach der seines Kollegen Hoffmann von Fallersleben. Welcker war 1848/49 Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung, der auch überregional bekannte Gelehrte, Dichter und Publizisten wie Ernst Moritz Arndt, Friedrich Christoph Dahlmann (1785–1860), Friedrich Ludwig Jahn (1778–1852), Heinrich von Gagern (1799–1880), Jacob Grimm (1785–1863) oder Ludwig Uhland (1787–1862) angehörten. In der »48er Revolution«, deren Teilnehmer voller Begeisterung das »Deutschlandlied« aufnahmen und verbreiteten, sollten sich kurzzeitig die politischen Forderungen des Wartburgfestes und des Hambacher Festes erfüllen. Auch wurden Schwarz-Rot-Gold, die Farben der liberalen Bewegung, zum Symbol der Revolution und der Nationalversammlung. Die dazu passenden patriotischen Lieder wurden vor allem in den konstitutionellen Staaten Süd- und Mitteldeutschlands über die wachsenden Männergesangsvereine kultiviert. Mitte des 19. Jahrhunderts existierten rund 1.100 dieser Vereine mit ca. 100.000 Mitgliedern. Die Sängerbewegung bildete die an Mitgliederzahl größte und auch territorial am weitesten verbreitete Organisation mit eindeutig nationalpolitischem Anspruch.14 Zum festen Repertoire dieser Gesangsvereine gehörten die Lieder »Lützows wilde Jagd« von Theodor Körner (1791–1813), »Rheinlied« von Nikolaus Becker, Max Schneckenburgers »Die Wacht am Rhein«, Ernst Moritz Arndts »Was ist des Deutschen Vaterland« oder Max von Schenkendorfs »Freiheit, die ich meine« sowie »Das freie Wort« von Georg Herwegh (1817–1875) – und August Heinrich Hoffmann von Fallerslebens »Lied der Deutschen«. Die rasche Popularität des »Deutschlandliedes« ist auch dem renommierten und geschäftstüchtigen Verleger zu verdanken, der bereits mehrere Werke von Hoffmann verlegt hatte. Julius Campe, der zu den »geistigen Zentren des deutschen Vormärz« zählte,15 hatte zuvor schon Heinrich Heine (1797–1856), Ludwig Börne (1786–1837) und Friedrich Hebbel (1813–1863) unter Vertrag. Zwar hieß es im Erstdruck »Text Eigentum des Verlegers«, doch wie damals vielfach üblich, wurde das »Lied der Deutschen« unautorisiert nachgedruckt. Hoffmann selbst nahm es 1842 in seinen Band »Deutsche Lieder aus der Schweiz« auf.
Während des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 standen die Fürsten- und Landeshymnen sowie Heimatlieder der einzelnen Bundesstaaten im Vordergrund, etwa »Schleswig-Holstein meerumschlungen«, »Ich bin ein Preuße«, »Gott mit dir, du Land der Bayern«, »Heil dir mein Badnerland« oder »Heil dir, du schönes Siegerland« und das »Westfalenlied«. Mit der Reichsgründung am 18. Januar 1871 hatten die Deutschen endlich einen Nationalstaat, mit Berlin eine Hauptstadt und mit Wilhelm I., dem Deutschen Kaiser, auch ein Staatsoberhaupt. Die Reichsflagge wehte in den Farben Schwarz-Weiß-Rot, doch eine gemeinsame Nationalhymne existierte nicht. Bei offiziellen Anlässen erklang die seit 1795 übliche preußische Volkshymne »Heil dir im Siegerkranz«.
9 Zit. nach Fritz Andrée: Hoffmann von Fallersleben, 1972, Höxter, S. 49.
10 Hans Benzmann (Hg.): August Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Ausgewählte Werke in vier Bänden, Leipzig 1905, Bd. 3 (»Mein Leben«), S. 196.
11 Zit. nach Hamburger Abendblatt, 23.09.1991.
12 Hoffmann von Fallersleben: Mein Leben, Bd. 3, S. 197.
13 Zit. nach Zeitschrift für Musik, Monatsschrift für eine Geistige Erneuerung der deutschen Musik, hg. von Gustav Bosse, Heft 5/1936, Regensburg 1936, S. 523.
14 S. Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2, München 1987, S. 402
15 Ebd., S. 537.