Читать книгу Grundkurs Sozialverwaltungsrecht für die Soziale Arbeit - Jörg Reinhardt - Страница 11

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3 Formen des Verwaltungshandelns

3.1 Hoheitliches Handeln

Von hoheitlicher Tätigkeit spricht man immer dann, wenn die Verwaltung gegenüber dem Bürger in einem „Über- / Unterordnungsverhältnis“ tätig wird.

Hoheitliches Handeln bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass es sich um behördliche Vorgaben und Eingriffe handeln muss: Auch die Entscheidung über öffentliche Leistungen (z. B. das Gewähren einer Ausbildungsbeihilfe nach dem BAföG, einer Unfallrente nach dem SGB VII oder die Zuweisung eines KiTa-Platzes) erfolgt im Über- / Unterordnungsverhältnis zwischen Bürger und Staat und ist damit hoheitlich.

Die rechtswissenschaftlichen Theorien (Subjekts-, Interessen-, Subjektions-, Sonderrechtstheorie und weitere) darüber, wann eine Maßnahme hoheitlich bzw. dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist, müssen hier nicht erörtert werden. Für die Praxis der Sozialen Arbeit genügt die Faustregel, dass hoheitliches Handeln vorliegt, wenn zwischen Bürger und Staat ein Über- / Unterordnungsverhältnis besteht.

3.2 Privatrechtliches Handeln

In einer Vielzahl von Alltagssituationen wäre es nicht „passend“, wenn die Verwaltung hoheitlich handeln würde. Es wäre beispielsweise kaum vorstellbar, dass ein Sozialamt seine Dienstwägen oder ein Ministerium die Amtsräume sowie das erforderliche Büromaterial hoheitlich beschlagnahmt. Deshalb hat die Verwaltung die Möglichkeit, auch zivilrechtlich, also „wie ein Bürger“, am Rechtsverkehr teilzunehmen und Verträge abzuschließen. Rechtlich ist das möglich, denn nicht nur natürliche, sondern auch juristische Personen sind rechtsfähig. Der Staat (d. h. der Bund und die Länder) sowie die Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sind sogenannte juristische Personen des öffentlichen Rechts und können als solche in gleicher Weise wie privatrechtliche juristische Personen (z. B. ein eingetragener Verein, eine GmbH oder eine AG) am Rechtsverkehr teilnehmen und zivilrechtliche Verträge abschließen.

Für diese zivilrechtliche Verwaltungstätigkeit gelten die „normalen“ Vorschriften des bürgerlichen Rechts (v.a. das BGB). Das Verwaltungsrecht ist dagegen nicht einschlägig, wenn Behörden privatrechtlich handeln. Das ergibt sich u. a. aus § 1 SGB X, wonach das SGB X nur auf die hoheitliche Tätigkeit (d. h. im Über- / Unterordnungsverhältnis) von Behörden anwendbar ist.

Handeln Behörden zivilrechtlich, dann ist auch der Rechtsweg zur Zivilgerichtsbarkeit (z. B. Amtsgericht, Landgericht, Arbeitsgericht) eröffnet, denn laut §§ 40 VwGO und 51 SGG sind die Verwaltungs-und Sozialgerichte (mit wenigen Ausnahmen) nur für „öffentlich-rechtliche“, also für Streitigkeiten aus dem Über- / Unterordnungsverhältnis zwischen Staat und Bürger zuständig.

Beispiele

• Das Bundesfamilienministerium führt eine Fachtagung über familienpolitische Leistungen durch und bucht eine Sozialarbeiterin aus einem Forschungsinstitut für einen Vortrag über besondere aktuelle Bedarfslagen alleinerziehender Elternteile. Zwischen dem Ministerium und der Vortragenden wird ein privatrechtlicher Dienstvertrag (§ 611 BGB) geschlossen. Kommt es zum Streit über dessen ordnungsgemäße Abwicklung, so ist je nach Höhe des Streitwerts das Amts- oder Landgericht, jedenfalls aber ein Zivilgericht zuständig.

• Ein Bundesland schafft 20 neue Stellen, die nicht mit Beamten, sondern mit Verwaltungsangestellten besetzt werden. Mit den Bewerbern wird also ein privatrechtlicher Arbeitsvertrag (§ 611a BGB) geschlossen (eine Verbeamtung wäre dagegen ein hoheitlicher Akt). Kommt es in der Folge zum Streit über die Vergütung, eine Kündigung oder die Formulierung eines Arbeitszeugnisses, so ist der Rechtsweg zum Arbeitsgericht eröffnet.

Manchmal betrifft eine Frage mehrere Rechtsgebiete gleichzeitig: Die Entscheidung über die Aufnahme eines Kindes in einer kommunalen KiTa (also das „ob“) erfolgt hoheitlich. Dagegen können die Betreuungszeiten, die Höhe des Entgelts, Fragen der Abholung und Krankmeldung etc. (also das „wie“) durch einen privatrechtlichen Belegungsvertrag zwischen der Gemeinde und den Personensorgeberechtigten des Kindes ausgestaltet werden.

Auch Entscheidungen über staatliche Subventionen (z. B. über die Förderung eines Inklusionsprojekts) können Elemente sowohl privatrechtlichen als auch hoheitlichen Handelns haben: Die Entscheidung über die Bewilligung der Subvention (also das „ob“) trifft die Verwaltung hoheitlich; werden die Fördermittel als zinsgünstiges Darlehen vergeben, werden die Verzinsungs- und Rückzahlungskonditionen (also das „wie“) sodann in einem privatrechtlichen Darlehensvertrag festgelegt.

Als mögliche Unterformen privatrechtlichen Verwaltungshandelns werden die in Übersicht 6 aufgeführten Bereiche unterschieden.

Übersicht 6

Privatrechtliches Verwaltungshandeln


3.2.1 Fiskalisches Verwaltungshandeln

Dieser Begriff ist der Oberbegriff für die Fälle, in denen die Verwaltung rein privatrechtlich handelt, also für.

• die sogenannte „Beschaffungstätigkeit“ der Verwaltung, wie z. B. Bau oder Miete eines Bürogebäudes; Anstellung von Beschäftigten; Kauf von Computern oder Büromaterial; Leasing eines Dienstwagens; Reparatur eines Kopierers.

• die erwerbswirtschaftliche Tätigkeit der Verwaltung, wie bspw. Vermietung von Rathausräumen für private Veranstaltungen; Verkauf von Blumen durch die Stadtgärtnerei; Schlossführung durch die staatliche Schlösserverwaltung; Weinverkauf durch ein staatliches Weingut.

3.2.2 Verwaltungsprivatrecht

Verwaltungsprivatrecht ist die Bezeichnung dafür, dass die Verwaltung zwar hoheitliche Aufgaben wahrnimmt, sich dabei aber einer privaten Rechtsform bedient.

Beispiele

• Die Müllabfuhr, die Wasser- oder Stromversorgung sind originäre öffentliche Pflichtaufgaben der Gemeinden. Die Gemeinden müssen diese Aufgaben aber nicht zwangsläufig mit eigenem Personal oder eigenen Sachmitteln erledigen; sie können auch andere Organisationsformen wählen und die Müllabfuhr z. B. durch eine „eigene“ GmbH erledigen oder die städtischen Elektrizitätswerke in eine Aktiengesellschaft umwandeln.

• Im Bereich der Krankenhausversorgung werden viele (von den Landkreisen und kreisfreien Städten errichtete und betriebene) Kreiskliniken privatisiert und in privater Form (in aller Regel als GmbH) betrieben. Das ist zulässig; entscheidend ist lediglich, dass im Landkreis bzw. der kreisfreien Stadt eine ausreichende Versorgung sichergestellt ist.

In diesem Fall richtet sich das Verhältnis zwischen dem Bürger und der Verwaltung ebenfalls nach dem Zivilrecht.

Beispiel

Ein Patient benötigt eine Operation. Er schließt mit dem städtischen Klinikum, das in der Form einer städtischen GmbH betrieben wird, einen zivilrechtlichen Krankenhausvertrag ab. Kommt es nun zu Behandlungsfehlern, kann er etwaige Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche gegen die Klinik GmbH aufgrund der Verletzung des Behandlungsvertrags vor den Zivilgerichten geltend machen.

Nachdem es sich beim Verwaltungsprivatrecht um die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben handelt, muss die Verwaltung aber auch dann, wenn sie eine privatrechtliche Betriebsform gewählt hat, zusätzlich bestimmte öffentlich-rechtliche Bestimmungen beachten. Insbesondere sind die Grundrechte, Benachteiligungsverbote und der (Sozial-) Datenschutz zu berücksichtigen. Begründet wird dies mit dem Merksatz „Keine Flucht der Verwaltung ins Privatrecht“: In einem Rechtsstaat muss die Verwaltung rechtsstaatlich handeln und darf sich dieser Verantwortung nicht entziehen, indem sie auf privatrechtliche Formen und die damit verbundene Gestaltungsfreiheit („Vertragsfreiheit“) ausweicht. Das ergibt sich aus Art. 1 Abs. 3 GG, wonach alle drei Staatsgewalten, mithin auch die Verwaltung, stets der unmittelbaren Bindung an die Grundrechte unterliegen.

Beispiel

Wenn eine Gemeinde die Müllentsorgung in der Form einer GmbH wahrnimmt, muss sie bei der Gestaltung der Verträge mit den Anwohnern aus Gleichbehandlungsgründen (Art. 3 Abs. 1 GG) einheitliche Entgeltsätze zugrunde legen. Der zivilrechtliche Grundsatz der Freiheit der Vertragsgestaltung wird somit durch die Grundrechtsbindung der öffentlichen Hand eingeschränkt.

Fall 3: Die Kreditfalle

Die kreisfreie Stadt A subventioniert den Kindergartenausbau durch zinslose Darlehen, die den KiTa-Trägern bewilligt werden. Nach Ablauf der Kreditlaufzeit von drei Jahren fordert die Stadt vom freien Träger T gemäß der Vereinbarung im Darlehensvertrag die Rückzahlung des Darlehens. T macht geltend, er hätte vor der Rückforderung nach § 24 SGB X angehört werden müssen. Im Übrigen verstoße die Rückforderung gegen Art. 3 GG, weil von einem anderen Träger entgegen den Vertragsbestimmungen ohne Grund nur die Hälfte der Darlehenssumme zurückgefordert wurde, da dessen Vorsitzender und der erste Bürgermeister von A befreundet sind. Hat T Recht?

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