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Die Luft
ОглавлениеDraußen herrschte ein heftiger Wind. Goldram und Schersold standen auf einem kleinen Hügel in einer weiten Ebene, die bewachsen war von Gras, Sträuchern und wenigen Bäumen. In einiger Entfernung befand sich ein Waldgebiet, an dessen Rand sich eine kleine Schlucht befand. Dort waren die beiden Reisenden durch einen Felsspalt wieder an die Erdoberfläche gekommen. Von der Ebene aus war dieser Spalt nicht zu sehen.
Die tief hängenden Wolken waren grau, weiß und stellenweise fast schwarz. Wolken, Himmel und Ebene bildeten eine faszinierende und wilde Atmosphäre, die die beiden genossen. Jedoch waren sie sich im nächsten Moment wieder der Ernsthaftigkeit der Lage bewusst.
Die Gegend, in der sie sich wiedergefunden hatten, war ihnen unbekannt, und sie wussten nicht, welche Richtung sie für den weiteren Weg einschlagen sollten. Eine kleine Welle von Hilflosigkeit brandete an das Herz Schersolds. Die Energie dieser Attacke entlud sich, indem der Ritter sein Schwert zog und in den Boden rammte. Im nächsten Moment wies Goldram zum Himmel. Der Ritter sah zu seinem Begleiter, der schräg nach oben zeigte. Etwas Merkwürdiges musste sich dort oben befinden, so dachte er. Allerdings hatten die beiden schon so viel Seltsames erlebt, so dass Schersold sich nicht mehr wunderte. Er blickte also in die Richtung, in die sein Freund immer mehr verwundert und mit halb offenem Mund starrte.
Dort oben im Himmel entdeckte der Ritter in geringer Entfernung ein Segelschiff, das durch die Lüfte flog und das auf die beiden zusteuerte. Schersold waren Segelschiffe bekannt, denn er hatte schon einige Schiffsreisen unternommen gehabt, jedoch gänzlich neu war ihm, dass sie auch fliegen konnten.
Der liebe Goldram erwachte allmählich aus seiner Starre und dachte bei sich, dass es nun ganz nützlich sei zu stottern. Nachdem er seine Sprache in verständlicherer Weise wiedergefunden hatte, erfuhr Schersold von einigen Visionen und Träumen des Mönchs, die er gemalt und zum Teil in Form von Bauplänen gezeichnet hatte. Einige von den gemalten Dingen hatte er als durchführbar empfunden, von den anderen angenommen, dass sie – zumindest vorerst – nicht zu realisieren seien. Dazu gehörten auch fliegende Segelschiffe. Um so mehr war Goldram erstaunt, dass er nun einen seiner Träume verwirklicht sah.
Das Schiff stoppte einen Steinwurf von den beiden entfernt in zehn Metern Höhe. Ein Anker wurde geworfen und in ein Beiboot, das heruntergelassen wurde, befanden sich drei Luftschiffer, die zu Ritter und Mönch ruderten. Das Boot landete nach wenigen Ruderschlägen nahe der beiden sanft auf dem Grasboden. Einer der drei Männer, die in lange, im Wind wehende Tuchgewänder gehüllt waren, stellte sich als Käpt'n des Segelschiffes vor. Er bat den Ritter und den Mönch, ihn im Ruderboot zu seinem Schiff zu begleiten. Schersold erkundigte sich nach dem Grund und erhielt als Antwort, dass die Luftschiffer Aerianer seien. Sie waren beauftragt worden, den beiden zu helfen.
Solcherlei hatten die beiden schon einige Male gehört, und auch dieses Mal willigten sie ein zu folgen. Sie stiegen also ins Beiboot, und die beiden Aerianer an den Rudern pullten das Boot durch das Windmeer zum Segelschiff zurück. Der Käpt'n befahl Ankerlichten und Segelsetzen, und der Wind über der Ebene knatterte in das Leinen der Segel hinein. Das Schiff nahm Kurs auf die zentrale Burg der Luftvölkler.
Es gewann schnell an Höhe und tauchte bald in die Wolkensphäre ein. Das Luftsegelschiff drang in Wolken ein, man verlor die Sicht, und es flog wieder aus ihnen heraus. Der Wind ließ die Segel knattern, die Takelage ächzte und der Mann am Ruder hatte ordentlich zu tun. Die Gewänder der Aerianer flatterten, ebenso die Fahnen und Flaggen des Schiffes an den drei Masten. Luftwellen donnerten an den Rumpf und bildeten Wirbel, damit die innewohnenden und konstituierenden Moleküle in alle Richtungen zerstoben. Doch die wollende Fahrt des Schiffes konnte durch das wilde Tosen, Fauchen und Donnern des Windes nicht gestört, gar verhindert werden. Der Steuermann verstand es hervorragend, die Kraft der bewegten Luft für das Schiff einzusetzen. Es war sein Zuhause, sein Element, ebenso auch für all' die anderen Vertreter der Luftvölkler. Sie liebten die Freiheit in diesen Sphären, das Spiel, die Kraft und die brausende Willkür des Windes. Ohne ihn, ohne Sturm, ohne tosendes, wuchtiges und machtvolles Chaos wäre ihr Leben nur eine zweitrangige Existenz, eine Art Gefängnis, eine Tragödie.
Das Segelschiff passierte eine erste Burg der Aerianer, die stand auf einem Wolkengebilde. Neben der Burg schwebte ein weiteres Schiff, das mit Leinen an ihr befestigt war. Die Luftbewohner winkten sich zu. Weitere Burgen auf Wolken säumten den Weg, bis das Segelschiff die zentrale Burg der Aerianer erreichte. Es legte an, und Goldram und Schersold wurden über den Anlegekai und durch das Burgtor ins Innere der Hauptburg geführt. In einem schlichten und nicht allzu großen Saal - die Ansprüche des Luftvolkes waren nur in einem Bereich sehr groß: sie liebten ihre Freiheit über alles – erwartete sie der Herr der Aerianer. Er erklärte, dass sie beauftragt worden waren, dem Mönch und dem Ritter zu helfen.
Da gelang es Schersold zu fragen, wer denn nun der Auftraggeber sei. Der Luftvolkherr verriet ihn nicht und gab dazu den Hinweis, dass sie zur Zeit den Namen dessen erfahren werden. Der Ritter war enttäuscht und hartnäckig und konnte trotzdem dem Herrn der Aerianer keine zufrieden stellende Antwort entlocken.
Dann ließ dieser einen durchsichtigen Quader kommen, den er Schersold und Goldram übergab. In dem Quader war ein flatterndes Tuch eingefangen, und die Größe des Quaders entsprach der der anderen. Er sollte den Besitzern die Kraft der Winde und der Stürme zur Verfügung stellen.
Anschließend wurde den beiden erneut Beschenkten der Umgang mit einem kleineren, fliegenden Segelschiff gezeigt, das ihnen für den Kampf gegen den Raubritter eine Hilfe sein sollte. Schließlich kam der Abschied, und sie erhielten zur Orientierung für den Rückweg eine Landkarte, die ein Aerianer ihnen erklärte.
Dann bestiegen Ritter und Mönch ihr neues Schiff, legten vom Burgkai ab und nahmen Kurs auf Sturmfels.