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Malapropismus

Frank, der Elektriker, wartet schon auf uns. Er ist ein feiner Kerl, immer gut gelaunt und freundlich. Ich habe ihn noch nie schreien hören, oder schlecht gelaunt gesehen. Frank ist genau wie ich, nicht sonderlich groß, aber im Gegensatz zu mir hat er noch volles Haar. Das Alter von Frank kann ich nur schwer schätzen, aber er soll es auch nicht mehr lange bis zu seinem wohlverdienten Ruhestand haben. Der Elektriker soll vorsichtshalber die Stromzufuhr des Motors abschalten, damit dieser nicht versehentlich anläuft, während wir das Getriebe wechseln. Sicherheit wird groß geschrieben. Früher gab es jedes Jahr viele Tote im Bergbau. Das ist glücklicherweise nicht mehr der Fall. Elektriker ist im Bergbau nicht der schlechteste Job. Aber wenn man wie ich so gut wie farbenblind ist, dann kann man das vergessen.

Wir betreten die Lampenstube, nehmen uns Filter und Kopflampe. Ich achte darauf, dass der Auszubildende sich auch beides nimmt. Am Teeautomaten, der in der Lampenstube steht, füllen wir unsere Trinkflaschen auf. Der Früchtetee schmeckt noch schlechter als der Kaffee. Der hat seinen Namen eigentlich nicht verdient. Aber wenn man Durst hat, dann trinkt man auch etwas, was nicht wirklich schmeckt. Ich entscheide mich für Kirsch. Auch wenn man viel Fantasie haben muss, um die Kirsche da heraus zu schmecken.


Bevor wir zum Schacht gehen, müssen wir durch eine Wetterschleuse. Die sorgt im Grunde nur dafür, dass die Schachthalle luftdicht ist. Es keinen zu starken Wetterzug gibt. Am Schacht stehen schon dutzende Kumpel, die alle nach unter Tage wollen. Der Elektriker grinst die ganze Zeit. Das ist auch Marek aufgefallen. Er haut mir auf die Schulter und zeigt in Richtung Frank.

„Was ist denn mit dem los?“, fragt er mich.

Ich zucke mit den Schultern.

„Keine Ahnung, frag ihn doch selber, du neugieriges Waschweib“, erwidere ich.

„Wen nennst du hier neugieriges Waschweib?“, spielte sich Marek wieder auf.

So laut, dass ihn auch jeder hören kann. Grinsend setzt er noch einen drauf.

„Hast du keinen Prospekt vor mir? Ich glaube einer von uns beiden ist blöder wie ich.“

Der Auszubildende schaut verwundert. Er denkt wir streiten uns.

„Was guckst du so mich so schräg an, bin ich Turm von Pisa?“, fährt Marek ihn an.

„Lass es gut sein Marek“, fordere ich ihn auf.

„Ist doch wahr“, regt Marek sich weiter künstlich auf. „Sowas wie den haben die früher in Frankreich mit der Gelatine hingerichtet.“

Der Auszubildende findet das nicht halb so witzig wie die Kumpel um ihn herum. Er wendet sich ab.

„Nun spiel mal nicht die beleidigte Currywurst“, foppt Marek ihn weiter.

Manchmal treibt er es ein bisschen weit. Aber zu lachen haben wir immer und eigentlich ist es auch nie böse gemeint.

„Ist nur Spaß, Junge“, lacht Marek und klopft dem Jungen mit seiner riesigen Hand auf die Schulter.

Steiger Gänsehals schüttelt den Kopf. Mareks Humor ist ihm zu derbe. Nicht, dass Gänsehals zum Lachen in den Keller geht, aber er ist mehr ein Freund des feineren Humors. Er mag Ironie und Sarkasmus lieber.

„Irgendwann wird es mit deinem Malapropismus mal ganz böse enden.“

Marek baut sich vor dem Steiger auf. Er genießt die ganze Situation regelrecht. Alle Augen sind auf die beiden gerichtet. Keiner spricht ein Wort.

„Meinem was? Ich war noch vor zwei Wochen beim Werksarzt, der hat gesagt, dass ich kerngesund bin. Also, Junge erzähl mir hier nichts von Krankheiten. Dass du Steiger bist imprägniert mich nicht im Geringsten. Ich glaube, ich muss dir mal eine Lotion erteilen. “

Als hätte Marek das auswendig gelernt. Ich bin mir aber sicher er macht das alles ganz spontan. Gänsehals verzieht das Gesicht. Ich glaube Marek hat es zu weit getrieben. Ich ziehe Gänsehals am Ärmel.

„Malapropismus?“

Der schaut zu mir herunter.

„Malapropismus ist die absichtliche, oder auch unabsichtliche, Verwendung eines ähnlich klingenden Wortes in einem Satz. Anders ausgedrückt, ein Wort, das einem Satz einen Sinn geben würde, wird durch ein ähnlich klingendes Wort ersetzt. Es ist abgeleitet von der Romanfigur Frau Malaprop, die gezielt umständliche Sätze bildete, um klüger zu wirken. Leider hat die gute Frau diese immer falsch verwendet.“

Verwundert schau ich Gänsehals an. Woher weiß der das alles? Das geht doch weit über das Schulwissen hinaus. Und vor allem, wieso interessiert der sich denn für so etwas?

„Hab ich alles mal im Internet eruiert“, erklärt er weiter, obwohl ich gar nicht gefragt habe.

Der Anschläger Udo ruft zur Seilfahrt. Das wurde auch Zeit. Marek hätte noch stundenlang so weiter gemacht, wenn die Seilfahrt nicht dazwischen gekommen wäre. Das wird sicher noch eine spannende Schicht mit Marek und Gänsehals. Das schwere Schachttor öffnet sich. Einer nach dem anderen steigt auf den Korb. Der Anschläger schließt das Tor. Auf insgesamt vier Sätzen fahren wir in die Tiefe. Langsam setzt der Maschinist den nächsten Satz vor. Die nächsten Kumpel steigen auf. Wir bekommen mit unserer Schienenkarre einen eigenen Satz. Auch am Schacht und bei der Seilfahrt ist Sicherheit oberstes Gebot. Der Auszubildende schaut nicht gerade glücklich. Wahrscheinlich habe ich ähnlich bei meiner ersten Seilfahrt geschaut. Ich lege dem Jungen meine Hand auf die Schulter. „Mach dir keine Sorgen. Hier ist noch nie etwas passiert.“

Der Auszubildende hat sichtlich Angst.

„Wenn wir jetzt mit dem Fahrstuhl da runter fahren, wie lange dauert das?“, fragt der Junge.

Ein Grinsen kann ich mir jetzt nicht verkneifen.

„Der Fahrstuhl heißt einfach nur Korb. Das was wir jetzt machen, die Fahrt nach unter Tage, das ist die Seilfahrt. Ebenso die Fahrt nach über Tage. Die einzelnen Etagen auf dem Korb heißen Sätze. Das Ganze dauert höchstens 2 Minuten“, erkläre ich ihm.

„Was heißt denn Übertage und Untertage? “

Viel weiß der Junge aber noch nicht. Wird denen in der Berufsschule denn gar nichts beigebracht? So etwas war das Erste was wir früher gelernt haben.

„Das Wort Tag bedeutet im Bergbau die An- und Abwesenheit des Tageslichts. Unter der Erdoberfläche, wo kein Tageslicht scheint, ist unter Tage. Alles was sich oberhalb der Erdoberfläche befindet ist über Tage. “

So habe ich es damals gelernt. Zumindest fragt der Junge.Heißt ja dass es ihn interessiert.


Wir steigen auf und der Anschläger gibt das Signal zur Seilfahrt nach unter Tage. Er steigt als letzter auf. Hinter uns schließt sich das schwere Eisentor. Mit zwölf Metern pro Sekunde schießt der Korb abwärts. Das sind über vierzig Stundenkilometer. Mit einem Aufzug im Kaufhaus ist das nicht zu vergleichen. Wasser läuft vom Dach des Korbes herab und tropft auf unsere Helme. Es gab Tage, da waren wir schon durchnässt, bevor wir vom Korb abgestiegen sind. Das meiste Wasser kommt aus undichten Rohrverbindungen. Wenn mal ein Rohr platzt, dann wird es richtig nass. Der Korb wird langsamer und kommt schließlich zum Stillstand. Wir haben die siebte Sohle erreicht. Über tausend Meter tief befinden wir uns jetzt.

Udo öffnet die Schachttore und wir schieben unsere Schienenkarre vom Korb. Ich nehme meine Schutzbrille ab und reibe sie mit meinem Halstuch trocken. Seit einigen Jahren gibt es eine Brillentragepflicht, über deren Sinn und Unsinn wir schon oft diskutiert haben. Wahrscheinlich hatten unsere Väter ähnliche Diskussionen bei der Einführung der Schienbeinschoner, oder als sie die Kanarienvögel abgeben mussten und ihr Leben einem Messgerät anvertrauten. Ein trauriges Kapitel Bergbau, in dem Kanarienvögel oder auch Mäuse eingesetzt wurden, um giftige Gase aufzuspüren. Die kleinen Lungen der Tiere waren weitaus empfindlicher und wenn ein Tier tot umfiel, war immer noch genug Zeit für die Bergleute sich in Sicherheit zu bringen.

Einer unserer Maschinensteiger steht bereits am Anschlag. Ich kenne ihn gut. Es ist Volker. Unser Nachtschichtsteiger. Zwei Kumpel aus einem anderen Revier stehen bei ihm. Ich habe sie öfter gesehen, kenne sie aber nicht. Ebenso ein weiterer Steiger aus unserem Revier. Der ist allerdings noch nicht lange bei uns. Gearbeitet habe ich noch nicht mit ihm, habe aber gehört er soll ein Choleriker sein. Ich weiß noch nicht einmal wie der heißt. Wenn ich ihn mir so anschaue, ist er bestimmt noch nicht in einem Alter, in dem man sich rasieren muss. Seine Eltern scheinen ihn gut gefüttert zu haben. Der überragt selbst den Gänsehals noch um ein paar Zentimeter. Ein bisschen sieht er aus wie Goofy aus den Micky Maus Comics. Er muss vor uns angefahren sein, dreckig ist er noch nicht.

„Nachtschichtgesöcks, was machst du denn noch hier?“, begrüßt Gänsehals seinen Kollegen.

Ich werfe unserem Nachtschichtsteiger und dem zu groß geratenen Jüngling im Vorbeigehen ein Glück auf zu. Möchte mich nicht lange aufhalten. Der Personenzug fährt immer recht pünktlich los. Volker und Gänsehals unterhalten sich lautstark. Die beiden scheinen sich zu streiten. Das interessiert mich nicht und so schiebe ich die Schienenkarre schon mal in Richtung Wettertür. Marek, Eismann und der Auszubildende trotten hinterher.

„Ey, wo wollt ihr hin?“, schreit Gänsehals uns hinterher.

„Zum Bahnhof“, antwortet Marek. „Wenn der Personenzug weg ist, müssen wir auf den nächsten Zug warten und verlieren Zeit.“

„Hiergeblieben, einer muss mit Volker mitgehen, ein Wasserohr in der Pumpenleitung wechseln“, bestimmt Gänsehals.

„Nehm den Eismann, der ist technisch serviert“, grinst Marek.

Obwohl die Schicht gerade erste angefangen hat, kann Gänsehals nicht mehr über Mareks Späße lachen.

„Nein Marek, ich will mir dein dummes Gelaber nicht die ganze Schicht anhören. Du gehst mit!“, ordnet Gänsehals an.

Das passt Marek gar nicht. Er hätte ja nur seine Klappe halten brauchen. Wäre er dem Gänsehals nicht so auf den Nerv gegangen, dann hätte der sicher den Eismann mitgeschickt. Marek, Volker und die beiden Kumpel machen sich auf den Weg. Die Arbeit muss ja dringend sein, wenn der Nachtschichtsteiger deswegen länger machen muss.

„Da hast du dich aber wieder toll aus der Atmosphäre gezogen“, rufe ich Marek lachend nach.

Gänsehals und der junge Steiger scheinen noch wichtiges zu besprechen. Mit einem lauten Knall öffnet sich die Wettertür, die uns zum Bahnhof führt. Eine riesige Staubwolke bewegt sich rasend schnell in Richtung Schacht. Wasser lässt die Schienen hinter der Wettertür nur erahnen. Eine Pumpe zischt ein paar Meter weiter und stößt eine stinkende Wolke aus dreckigem Wasser und Luft aus. Genau da müssen wir durch. Nun werden wir nasse Füße bekommen. Dabei hat die Schicht noch nicht einmal richtig angefangen. Ich schaue mich nach Frank um. Vom Elektriker ist weit und breit nichts zu sehen. Der Drückeberger hat sich aus dem Staub gemacht und sitzt sicherlich schon gemütlich im Personenzug. Dafür würde ich jede Wette eingehen. Es nutzt ja alles nichts. Alleine bewegt sich die Schienenkarre nicht. Fast bis zu den Knien verschwinden Eismann, der Junge und ich in dem dreckigen Wasser. Von der Schienenkarre sehen wir nicht mehr viel. Ich möchte lieber nicht wissen was in dem Wasser so alles rumschwimmt. Tote Ratten sind sicher noch das harmloseste. Nach einer kleinen Biegung geht es leicht bergauf und das Wasser wird weniger. Dafür stehen einige Wagons mit schwerem Material auf den Schienen. Nun müssen wir unsere Schienenkarre, vorbei an den Wagons, über den Schotter zerren. Obwohl hier ein starker Wetterzug herrscht, läuft uns der Schweiß nur so herunter. Die Hauer der Nachtschicht kommen uns entgegen. Der Aufsichtshauer Schorsch winkt uns von weitem zu.

„Getriebe gut, alles ausgebaut“, ruft er uns in gebrochenem Deutsch zu. Mehr Informationen bekommen wir nicht. Die haben es eilig, wollen Feierabend machen. Nach wenigen hundert Metern haben wir den Personenzug erreicht. Frank schaut aus dem letzten Wagon und winkt uns freudig zu.


„Ich hab euch einen Platz reserviert.“

So ein Schauspieler, aber ich bin viel zu erschöpft, um wütend zu sein. Mittlerweile trifft auch Gänsehals ein. Den Steiger Goofy hat er im Schlepptau.

„Ich habe telefoniert und noch einen Mann angefordert, sonst wird das zu viel Arbeit mit dem Getriebe. Wir dürfen nicht zu viel Zeit verlieren, in vier Stunden muss alles wieder laufen. Der Kanisterkopf kommt noch nach. Ich selber muss dringend nach Schacht sieben.“

Ich frage nicht nach was Gänsehals auf Schacht sieben will. Das ist mir am frühen Morgen schon wieder zu viel Durcheinander. Kanisterkopf. Warum der Kollege diesen Namen hat, ist nicht schwer zu erraten. Dass er einer derjenigen ist, der nicht glücklich damit ist, sollte auch klar sein. Zusammen wuchten wir die Säcke mit den Schrauben in den Personenwagen. Die Schienenkarre lassen wir stehen. Unsere Arbeitsstelle ist nicht weit von dem Bahnhof entfernt, an dem der Zug anhält. Wir steigen ein.

Der kleine Achmet von der Reinigungskolonne und sein immer übel gelaunter Kumpel Alfred sitzen schon im Wagen. Nach uns zwängen sich noch zwei Steiger der Sicherheitsabteilung und der lange Andreas aus dem Pumpenrevier in den Personenwagen. Der jüngere Steiger schließt die Augen und lehnt sich zurück. Die beiden werden anscheinend bei der Sicherheitsausstellung nicht benötigt, oder sie haben keine Lust Gebäck zu verteilen. Essen ist ein gutes Stichwort. Ich packe meine Brote aus und beiße in ein Brot mit Leberwurst. Später werde ich sicher nicht mehr dazu kommen. Gänsehals isst einen Apfel. Einige haben sich zurückgelehnt und die Augen geschlossen. Der ältere Sicherheitssteiger blättert in seinem Notizbuch. Das ist die letzte Möglichkeit sich noch ein bisschen auszuruhen. Wenn wir ausgestiegen sind werden wir keine ruhige Minute mehr haben.

Gänsehals und Putenbrust

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