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2. Die Neue
Оглавление>>> Montag, 25. Juni 2012 ( Eine Woche zuvor )
"Eddy, bringst du auf dem Heimweg noch einen Kopf Salat mit? Aber achte bitte darauf, dass er ganz frisch ist und keine Druckstellen hat. Außerdem vielleicht auch noch zwei Stück Butter. Wir haben fast keine mehr. Kannst du das erledigen? Und …"
„Warte Schatz, ich hole mir nur schnell Stift und Papier, das kann ich mir nicht alles merken. – So, nun kann es weitergehen.“
Mein fleißiges Lieschen, oder besser gesagt meine Frau Elisabeth, äußert noch eine Reihe weiterer Wünsche. Aber eigentlich ist es mir ganz Recht. Die letzten Wochen an der Arbeit waren ziemlich langweilig und öde. Nur Routinetätigkeiten und stundenlang Papierkram erledigen.
Da kommt mir ein kleines Abenteuer im Supermarkt ganz Recht. Jedes Mal, wenn ich dort einkaufen gehe, stehen die Dinge an einem anderen Ort. Stets ist mein ganzer kriminalistischer Spürsinn gefragt, um die Dinge zu finden, die ich besorgen will bzw. soll. Meist hilft sogar das Fragen einer Verkäuferin nicht viel, da sie selbst anscheinend den Überblick bei den ständigen „Reorganisationen“ und „Optimierungen“ den Überblick verloren haben. Kundenoptimiert ist dies auf keinen Fall!
Aber wie gesagt, die letzten Wochen waren ziemlich monoton. Nur einen einfachen Fall von Einbruch konnte ich erfolgreich abschließen. Aber der Täter war auch mehr als dämlich. Er hinterließ dutzendfach seine Fingerabdrücke. Und da der Intelligenzbolzen bereits vorbestraft war, konnte der Computer seinen Namen und ebenfalls die aktuelle Adresse in Sekundenschnelle ausfindig machen.
Kaum hatten wir ihn verhaftet, gestand er auch schon und bettelte laut schluchzend um Gnade. Um ihn können sich nun die Anwälte und Richter kümmern. Ich hingegen habe ein Vielfaches mehr an Zeit mit dem Ausfüllen der Formulare und Berichte zu tun, als mit der Suche nach ihm!
Mein Arbeitspartner, Georg Engelhardt, seines Zeichens Polizeioberkommissar, ist mir mal wieder keine große Hilfe. Er sitzt mir gegenüber hinter seinem uralten Schreibtisch. Gefährlich weit auf seinem Bürostuhl nach hinten gelehnt hält er sich mit beiden Händen seinen üppigen Bierbauch. Seine Augen bereits halb geschlossen und ohne jegliche Regung. Das einzige Zeichen, dass er noch lebt, ist ein gelegentliches, herzhaftes Gähnen.
Ich arbeite bereits seit über zehn Jahren mit ihm zusammen und er ist eine Seele von Mensch. Aber sein Alter hat er mir nie verraten. Ich vermute, es kennt auch sonst niemand. Er arbeitete schon hier, als ich nach Kassel versetzt wurde. Es würde mich auch nicht wundern, wenn er hier noch sitzt, wenn ich längst im Ruhestand bin.
Er ist genauso zeitlos wie sein ewig extrem laut knarzender Bürostuhl. Mein Partner sitzt auf diesem Unikum schon von Anbeginn an und jeden Tag hoffe ich aufs Neue, dass dieses absolut nervige Teil unter Georgs immensem Gewicht endlich aufgibt und zusammenbricht. Aber der Stuhl tut mir einfach nicht diesen Gefallen und raubt mir weiterhin täglich ein paar Nerven.
Wie gerne hätte ich für uns wieder einmal einen richtig schweren Fall! Eine Aufgabe, die all unsere Intelligenz herausfordert und die nur wir beiden, die besten des ganzen Reviers, lösen können! Etwas, was uns von dem tristen Alltag und Schreibkram ablenkt. Allerdings befürchte ich gleichzeitig, dass sich dieser sonderbare Wunsch irgendwann fürchterlich rächen wird.
Am frühen Nachmittag bin ich tatsächlich mit dem letzten Bericht fertig. Gemütlich lehne ich mich etwas zurück und schaue mich in unserem kleinen Büro um. Sämtliche Regale sind vollgestopft mit Ordnern und die beiden Schreibtische von Georg und mir füllen fast den Rest des Raumes aus. Auf meinem sieht es inzwischen weitestgehend aufgeräumt und leer aus, während auf Georgs das zügellose Chaos seine Heimat hat: Riesige Stapel von Papier, teilweise übersät mit Kaffeeflecken, Ordnern und anderem, teilweise kaum noch zu identifizierenden Dingen.
Und erneut unternehme ich einen Versuch: „Na Georg, willst du nicht endlich mal deinen Papierkram erledigen und etwas aufräumen? So viel Zeit wie jetzt hatten wir noch nie dafür! Los, raff dich auf!“
„Du weißt doch Eduard: Wer aufräumt ist nur zu faul zum Suchen und das Genie beherrscht das Chaos! Und ich bin ein Genie, dass weißt du doch!“
Mal wieder einer seiner ewigen Sprüche und Zitate. Ich hätte darauf wetten können! Abermals haut er mir so ein Ding um die Ohren. Mein Partner scheint alle schlauen und leider auch dummen Sprüche dieser Welt zu kennen und auch zu benutzen. Meiner Meinung nach sollte man einen Waffenschein dafür benötigen.
Aber zumindest in seinem Papierkorb herrscht ständig Ordnung. Oder besser gesagt: Vollkommene Leere. Ich habe noch nie gesehen, dass mein Partner auch nur irgendetwas wegwirft. Er hebt einfach immer alles auf. Er kann sich von absolut nichts trennen. Ich war noch nie bei ihm zu Hause, aber ich hoffe dort benimmt er sich anders. Sonst würde er den perfekten Messie abgeben.
Ansonsten enthält unser Räumchen noch einen dritten, aber ziemlich kleinen und etwas klapprigen Schreibtisch. Aber auch dieser ist mit Ordnern und anderen Krimskrams vollgepfropft. Dieser Katzentisch wurde von uns beiden vor Jahren als ideale Abstellfläche erkannt und auch heftig und sehr intensiv genutzt. So wie Georg sagen würde: Aus den Augen, aus dem Sinn. Ich für meinen Teil weiß auf jeden Fall wirklich nicht mehr, was sich dort alles befindet.
Gerade als ich mich etwas früher als sonst auf den Heimweg machen will, schließlich muss ich noch in das mystische Labyrinth eines großen Supermarktes, geschieht es! Unser Haus- und Hoftechniker Karl Oberschunke kommt in unser Büro geplatzt. Ein kleiner, knochiger Typ in dunkelblauer Arbeitsmontur. In seiner unendlich freundlichen und kommunikativen Art nickt er uns griesgrämig und extrem knapp zu, deutet auf den überfüllten, dritten Schreibtisch und brummt nur: „Das Zeug muss runter! Sofort!“
Georg und ich schauen uns ungläubig an. Was will er uns damit sagen? Stört ihn plötzlich die Unordnung oder benötigt er den Tisch an einem anderen Ort? Als wir in unserer Ratlosigkeit nicht sofort reagieren, entspringt unserem lieblichen Karlchen, so zumindest sein inoffizieller Spitzname, ein weiteres, noch grimmigeres Raunen. Würden wir ihn nicht kennen, würde uns angst und bange werden.
Zielstrebig stapft er zum Tischchen und schnappt sich die erste Fuhre der dort gelagerten Dinge. Seine gewaltigen, buschartigen Augenbrauen sind eng zusammengezogen, nur noch durch eine extrem tiefe Zornesfalte voneinander getrennt. So griesgrämig und bärbeißig habe ich ihn bisher nur selten gesehen. Seine Augen von Unlust, aber auch vor Anstrengung eng zusammengekniffen, sieht er noch dämonischer aus als sonst. Seine blassgraue Haut tut ein Übriges dazu, dass er mir zurzeit fast wie ein zorniger Zombie vorkommt.
Unter der Last der Dinge in seinen Armen laut stöhnend und fürchterlich genervt, schaut er kurz im Zimmer herum und entdeckt mit einem fiesen Grinsen im Gesicht meinen freien, ordentlichen Schreibtisch. Und schon schaufelt Karlchen Fuhre um Fuhre um, so dass mein Arbeitsplatz bereits drei Minuten später schlimmer aussieht als der meines Partners. Und ich kann nur mit offenem Mund ungläubig der rabiaten Veränderung meines Umfeldes beiwohnen.
Nach getaner Umschichtung der alten Akten verschwindet unser Techniker grußlos, taucht aber bereits Sekunden später wieder mit einem vollgeladenen, laut quietschenden Rollwagen auf. Warum hat unser Polizeirevier eigentlich nur so altes Zeug, das penetranten Lärm macht, sei es Bürostühle oder Wagen?
Und dann wird mein Staunen nur noch größer. Als Karl samt seinem
stechenden Schweißgeruchs zwanzig Minuten später unser Büro endgültig verlässt, stehen ein neuer Computer samt Bildschirm, Tastatur und Maus auf dem Katzentisch und ein nagelneuer Bürostuhl davor!
Zehn Minuten später schauen Georg und ich uns noch immer ratlos an. Keiner von uns hat bisher ein Wort gesprochen. In all unseren gemeinsamen Jahren in diesem Büro ist so etwas noch nie passiert. Für wen soll dieser dritte Arbeitsplatz sein? Und wieso in unserem Büro? Es ist sowieso schon recht klein und im restlichen Gebäude gibt es genug leerstehende Räume, in denen Notarbeitsplätze eingerichtet werden können. Immer wieder werden externe Mitarbeiter dort problemlos untergebracht.
Bevor wir auch nur den Ansatz einer Lösung finden können, stürmt unsere Eiserne Lady herein. Unser PHK und KL. Oder anders ausgedrückt: Polizeihauptkommissarin und gleichzeitig die Leiterin unseres Kommissariats. Und somit auch unsere Chefin! Auch wenn ihr das auf Anhieb niemand ansieht.
Im privaten Leben, zumindest wird gemunkelt dass sie so etwas eventuell haben könnte, heißt sie Margaretha Thätmeyer. Sie ist höchstens einen Meter und fünfundsechzig Zentimeter groß, etwas stämmig und mit dem sanften Ansatz eines Doppelkinns. Stets trägt sie grellbunt geblümte Kleider und eine Strickjacke darüber. Immer vervollständigt sie ihr extravagantes Outfit durch bunte Halsketten, Armreifen und gewaltige Ringe an den Fingern. Georg meint hinter vorgehaltener Hand immer: Wie aus einer Wundertüte entsprungen! Die leicht ergrauten Haare steckt sie sich zu einem Dutt hoch und der bildet den krönenden Abschluss.
Sie hat aber auch nicht die kleinste Ähnlichkeit mit ihrer Namensvetterin Margaretha Geertruida Zelle, besser bekannt als Mata Hari, die während des ersten Weltkrieges weltberühmt wurde als exotische Nackttänzerin und gleichzeitig noch berüchtigter als Doppelspionin.
Aber bevor man noch durch das grellbunte Auftreten unserer Margarethe geblendet die Augen schließen möchte, würde man am liebsten vorher schon seine Nase zuhalten. Dieser fürchterlich penetrante Geruch nach Parfüm weht ihr stets weit voraus. Es ist angeblich ein sehr gutes und teures Parfüm, zumindest behaupten das kundige Kolleginnen, aber unsere Chefin scheint darin morgens zu baden.
Nicht genug mit geplagten Augen und Nase, selbst die Ohren werden von ihrer unwahrscheinlich hohen und schrillen Stimme gequält. Jedes Wort wird von ihr unnötig in die Länge gezogen und die Sätze enden stets im Ultraschallbereich und bringen die Ohren zum Schmerzen!
Aber wehe man unterschätzt dieses merkwürdige und einmalige Wesen. Nicht umsonst hat sie unter den Kollegen den Spitznamen „Eiserne Lady“! Zumal auch ihr Name Margarethe Thätmeyer sehr an Margaret Thatcher erinnert, die ehemalige englische Premierministerin, die ebenfalls sehr treffend diesen Spitznamen erhielt. Und diese englische Maggy führte 1982 den Falklandkrieg gegen Argentinien. Und sie gewann ihn!
Auch unsere Maggy ist im Inneren ein hochintelligenter Mensch! Mehr als einmal hat sie mit ihren scharfsinnigen Schlussfolgerungen die Wendung in scheinbar unlösbaren Fällen gebracht! Sogar menschlich ist sie und sehr mitfühlend – zumindest wenn es aus ihrer Sicht unbedingt notwendig ist.
Und wehe man unterschätzt unsere KL! Vor drei Jahren hat sich ein neuer Kollege recht offen über sie lustig gemacht. Anfangs prallte dies schlicht von ihr ab. Aber als er sie öffentlich, vor der gesamten Mannschaft, ob ihres Aussehens beleidigte, warf sie ihm einen schwierig zu deutenden Blick zu. Halb Wut, halb Mitleid. Sie verschwand nur kurz in ihr Büro und führt ein einziges Telefongespräch. Am nächsten Tag wurde der Kollege irgendwo in die Pampa ans Ende von Deutschland zwangsversetzt!
Also, genau diese einmalige, besondere Frau stand nun in unserem Büro und schaute uns tief in die Augen.
„Ich kenne Sie nun seit Jahren und Sie kennen mich. Ich bitte Sie beide nun, mir einfach zu vertrauen.“
Sie bittet uns! Das gab es noch nie! Stets gab sie eindeutige Befehle und wir mussten kuschen! Auch wenn ich zugeben muss, dass alle Anweisungen wohl durchdacht und stets sinnvoll waren! Aber eine Bitte…
„Wie sie bemerkt haben, werden Sie nun zu dritt in diesem Büro arbeiten. Sie erhalten in Ihrem Team Verstärkung. Sie müssen hierzu nur so viel wissen: Ihre neue, junge Kollegin heißt Yolanda Schmidt und wird ab nun mit Ihnen zusammenarbeiten. Bitte nehmen Sie sie unter ihre Fittiche. Und ich will frühestens in vier Wochen eine Meinung über sie hören! Auf keinen Fall früher! Verstanden!“
„Jawohl!“
Mehr können wir nicht herausbringen. Eine Bitte unserer Chefin. Eine neue Kollegin in unserem Team. Und dann der merkwürdige Wunsch, frühestens in vier Wochen ein Feedback über sie zu erfahren. Was soll das?
Nach einer weiteren viertel Stunde kommen Georg und ich langsam wieder zu uns. Wahrscheinlich liegt es auch daran, dass nun endlich der intensive Parfümduft durch die sperrangelweit geöffneten Fenster auf ein erträgliches Maß abgenommen hat.
„Alle guten Dinge sind drei!“, meint mein Partner schließlich. „Und gegen junges Blut habe ich absolut nichts einzuwenden!“
Und so wie seine Augen leuchten, bezieht er diese Aussage vorzugsweise auf das weibliche Geschlecht. Dieser Schwerenöter.
Mein Vorhaben, etwas früher zu gehen, ist vergessen. Zumal jetzt auch das Telefon wieder ständig nervtötend klingelt, Kollegen um Rat fragen, unsere Verwaltung Rückfragen zu meinen Abrechnungen hat und ich auch sonst wieder in das meist sehr eintönige Tagesgeschäft eintauche.
„Schmidt.“
Plötzlich steht in unserer Bürotür eine Frau, oder zumindest so etwas ähnliches. Und was für eine Frau, aber definitiv nicht im positiven Sinne! Sie trägt ein offensichtlich uraltes, fleckiges T-Shirt. Ich muss raten, aber die Ursprungsfarbe ist vermutlich grau und es ist ihr drei Nummern zu groß. Dazu weite, zerrissene Jeans, eine eklig speckige, schwarze, zerschundene Lederjacke und kniehohe, schwarze Lackstiefel mit dutzenden Schnallen. Den schlampigen und dreckigen Eindruck runden ihre langen, schwarzen Haare ab, die fettig und strähnig das Gesicht fast vollständig verdecken. Durch eine Lücke der wilden Haarpracht sehe ich als Krönung schwarzen Lidschatten und Lippenstift. Und auch ihre halb abgebrochenen Fingernägel sind schwarz lackiert.
Auf Anhieb würde ich schätzen: „eine billige Professionelle“.
„Hier gibt es keinen Schmidt!“, meint auch Georg sofort kühl. „Versuchen Sie es ein Stockwerk weiter oben.“
Mein Partner mag zwar auf Frauen vielerlei Art stehen, aber es gibt auch Ausnahmen. Und so ungepflegte und dreckige gehören auf jeden Fall dazu.
„Dorftro…“
Was murmelt sie da in ihre klebrigen, fettigen Haare, die halb vor ihrem Mund herumbaumeln. Sie sprach immer leiser, aber ich meine das Wort „Dorftrottel“ verstanden zu haben.
„Vorsicht, junges Fräulein!“
„Jo.“
„Wie bitte?“, was soll „Jo“ bedeuten?
Wer ist dieses junge Weib? Warum mustert sie uns zwar genervt, aber umso gründlicher? Auch jeden Zentimeter unseres Büros scheint sie zu sondieren. Ich meine von ihren stechenden Augen regelrecht seziert zu werden, obwohl ich ihre Augen hinter den Haaren kaum erkennen kann.
Selbst Georg, der so gut wie nie aus der Ruhe zu bringen ist, beginnt sich langsam in seinem Bürostuhl aufzurichten. Zu so einer immensen Anstrengung haben ihn sogar einige Schwerkriminelle nicht bewegen können!
„Meiner?“, fragt sie plötzlich, als sie hinter sich schaut.
Was ist ihrer? Wenn ich wenigstens ihre Augen etwas besser hinter dem Haarvorhang erkennen könnte! Langsam wird sie mir unheimlich. Vorsichtshalber stehe ich auf und schiebe den Stuhl etwas zurück. Man weiß ja nie.
Langsam zieht sie ihre schäbige Lederjacke aus. Will sie sich mit uns anlegen? Ist sie vielleicht einfach nur verrückt?
„Ätzend!“, raunt sie, als sie ihre Jacke über den Bürostuhl des Katzentisches wirft und sich selbst mit dem Rücken zu uns daraufsetzt. Umgehend schaltet sie Computer und Bildschirm an.
„Was für ´ne olle Büchse. Un´ so ´nen Mini-Monitor. Drecksdorf!“
So ein unverschämtes Weibsbild habe ich noch nie erlebt. Und ich habe schon sehr merkwürdige Damen verhören dürfen. Nachdem der Tag so gewöhnlich und langweilig begonnen hat, wird er immer absonderlicher!
Inzwischen ist der Computer hochgefahren. Da ich jetzt schräg hinter ihr stehe, kann ich den Login-Bildschirm erkennen.
„So, junge Frau, das war´s. Ohne Username und Passwort kommen Sie hier nicht weiter. Also, der schräge Spaß hat ein Ende. Stehen Sie bitte auf und verlassen Sie umgehend unser Büro!“ Ich versuche so ernst wie möglich zu klingen, aber mir scheint doch in meiner eigenen Stimme eine kleine Unsicherheit mitzuschwingen.
„Sonst was? Wollt ihr etwa die Bullen holen?“
„Werden Sie nicht frech, mein Fräulein! Wer Wind sät, wird Sturm ernten!“, schreit Georg!
Ich traue meinen Augen kaum. Mein Partner, sonst eine Seele von Mensch, hat sich vollständig aus seinem Stuhl erhoben und steht mit hochrotem Kopf neben mir! Selbst seine sonst schier unendliche Geduld, die oft mit Gleichgültigkeit oder Trägheit verwechselt wird, geht einmal zu Ende.
Aber all das scheint sie überhaupt nicht zu stören. Wer ist sie? Was will sie? Noch immer sitzt sie mit dem Rücken zu uns vor dem Bildschirm. Sie macht sich noch nicht einmal die Mühe ihren Kopf zu uns zu drehen, wenn wir mit ihr sprechen. Wie selbstverständlich zieht sie die Tastatur zu sich heran und beginnt zu tippen:
Y-O-L-A-N-D-A- -S-C-H-M-I-D-T
Unsere Kinnladen klappen wie auf Kommando herunter. Die Neue! Das soll unsere neue Kollegin sein? Die dritte in unserem Team. Dieses absolut ungepflegte, undefinierbare und noch unfreundlichere Wesen?
Georg schnaubt wie ein Stier und stürmt wie ein Wilder aus dem Büro in Richtung Chefin. Bleibt aber bereits zwei Schritte später wie angewurzelt stehen. Und ich kann es sehr gut nachvollziehen. Ich höre noch die Worte der Eisernen Lady in meinen Gehörgang nachhallen: „Und ich will frühestens in vier Wochen eine Meinung über sie hören! Verstanden?“
Und hinter dem Wort „Verstanden“ meinte ich mindestens fünf Ausrufungszeichen gehört zu haben. Ich bin mir nicht sicher ob mein Partner es überleben würde, wenn er sich bereits nach fünf Minuten bei ihr über die Neue beschweren würde.
Zumindest wäre der Anpfiff garantiert so laut, dass er im ganzen Bürogebäude zu hören wäre und das ein oder andere Trommelfell geplatzt wäre. Und mein armer Partner sieht es wohl genauso, denn langsam und mit hängenden Schultern kommt er zurück in unser Büro getrottet.
Na, das kann ja ein lustiger nächster Monat werden!
Der Rest des Tages vergeht wie im Fluge. Neugierig beobachten wir unsere Kollegin. Diese sitzt mit dem Rücken zu uns an ihrem Computer und hat sich inzwischen Kopfhörer in die Ohren gesteckt. Gebannt und nahezu regungslos starrt sie auf den Bildschirm, auf dem für mich auf Anhieb nur ein kunterbuntes Durcheinander zu erkennen ist. Läuft da gerade ein Monster herum? Wahrscheinlich ein typisches Computerkind. Nur an der Kiste spielen, keine sozialen Kontakte, keine körperliche Ertüchtigung und somit absolut unfit. Ich vermute nach ein paar schnellen Schritten ist sie komplett außer Atem. Absolut ungeeignet für den Außeneinsatz.
Mein Partner beugt sich zu mir rüber und flüstert:
„Was macht die da?“
„Keine Ahnung! Hat die Figur da spitze Ohren? Aber wie Spock von der Enterprise sieht sie trotzdem nicht aus!“
„Haben unsere Rechner hier im Revier nicht Sicherheitsvorkehrungen, so dass man nicht willkürlich im Internet surfen oder anderen Unfug mit den Kisten anstellen kann. Wie macht die das?“
Ratlos zucke ich mit den Schultern. Das ist nicht meine Generation. Für mich müssen die Computer meine Arbeit vereinfachen, aber sonst…!
Gebannt schauen wir zu und versuchen dem bunten Geflimmer einen Sinn zu entnehmen, aber es erscheint sich uns keiner zu erschließen.
Als ich das nächste Mal auf die Uhr schaue, bekomme ich fast einen Schreck. So spät schon? Ich wollte doch früher gehen und nicht eine halbe Stunde später als sonst. Also los! Schnell packe ich meine Sachen zusammen und eile zum Auto.
Kurz bevor ich zu Hause ankomme, fällt mir zum Glück die Einkaufsliste ein. Schnell wieder gewendet und ab in das Abenteuer Supermarkt. Aber heute macht es mir keinen Spaß, zu sehr grüble ich über diese Yolanda Schmidt.
Was ist sie für ein Mensch? Warum ist sie bei uns gelandet? Und warum setzt sich unsere Chefin für sie ein? Zumindest drängt sich mir dieser Eindruck auf.
Zu Hause angekommen, muss ich meiner Frau sofort davon berichten. Immer heftiger rede ich mich in Rage. Als ich geendet habe, überlegt mein Lieschen kurz.
„Vielleicht steckt hinter ihrer Fassade mehr als du glaubst.“
Ich bin fassungslos. Meint sie das ernst?
„Ach! Hättest du ihre schrecklichen Klamotten und ihr ungepflegtes Äußeres gesehen, würdest du nicht so denken. Auf Fragen hat sie gar nicht reagiert oder nur Schwachsinn von sich gegeben. Sie sitzt nur stumpfsinnig vor dem Computer und schaut sich bunte Filmchen an. Da kann nicht viel Intelligenz hinter sein.“
„Hat sie das selber dort installiert?“
„Ja, muss sie wohl.“
„Aber hast du nicht immer gesagt, das wäre nicht möglich. Es gäbe auf den Computern in den Polizeirevieren Firewalls und Sicherheitspolicies?“
Seit meine kleine Tochter, mein kleines Baby, Informatik studiert, meint auch meine Frau, mit Fachausdrücken umgehen zu können. Aber hier hat sie Recht, auch wenn ich erst eine Minute benötige, um in meinem Kopf zu übersetzen, was meine geliebte Frau mir gerade sagte!
„Naja, das stimmt schon…“
„Also muss sie clever sein, um die Sicherheitseinstellungen zu umgehen, oder?“
„Ja, aber…“
„Du bist oft so vorschnell mit deinen Einschätzungen von Menschen.“
„Aber ich habe auch sehr oft Recht.“
„Ja. Beim Beurteilen von Kriminellen bist du unschlagbar. Deswegen bist du auch der beste Polizist, den ich kenne.“
Oh, wie ich meine Frau liebe!
„Aber wenn es um uns normale Mitmenschen geht, irrst du dich leider viel zu oft. Wie war es mit unseren Nachbarn, die du auf Anhieb nicht leiden konntest?“
„Die waren aber auch merkwürdig.“
„Ach! Inzwischen sind wird vier die dicksten Freunde und du gehst regelmäßig mit Fred wandern.“
„OK, da hatte ich mich wohl geirrt.“
„Und wie war es mit …“
„Jaja! Du hast ja Recht! Ich gebe es zu. Ich verspreche dir, morgen unvoreingenommen mit der Neuen zu sprechen!“
„Schön! Und jetzt hilf mir bitte den Tisch für das Abendbrot zu decken!“
Nach dem Essen kommt mein Töchterchen auch wieder aus der UNI nach Hause. Ich kann es noch immer nicht glauben, dass meine Kleine inzwischen zwanzig Jahre alt ist und studiert. Und dann auch noch Informatik! Ein Thema, zu dem ich irgendwie überhaupt keinen Zugang finde. Aber sie liebt es und ihre guten Noten sprechen für sich.
Auch ihr erzähle ich von der Neuen, aber da meine Frau mit zuhört, diesmal etwas netter und neutraler. Dafür beschreibe ich umso plastischer das, was „Frau Schmidt“ an ihrem Computer angestellt hat. Die bunten Bildchen und die komischen Monster und merkwürdig aussehende Menschen.
„Sie spielt anscheinend WOW.“
„Was ist Weh Ohweh?“, frage ich stirnrunzelnd zurück. „Ist Ohweh ein Spiel? Es sah überhaupt nicht so aus.“
„Ach Paps!“, seufzt meine Kleine. „W.O.W. ist die Abkürzung für World of Warcraft.. Das ist ein MMORPG.“
„Aha!?“
„Ein Massiv Multiplayer Online Role-Playing Game. Zu Deutsch: Massen Mehrspieler Online Rollenspiel. Also ein Spiel, das man über das Internet mit tausenden anderen gleichzeitig spielt. Jeder der Figuren wird von einem anderen Menschen an einem anderen Computer irgendwo auf der Welt gesteuert.“
„Aber unser Internet ist doch geschützt!“, werfe ich kurz ein.
„Kein Schutz ist perfekt. Da muss eure Neue ganz schön clever sein.“
Also auch mein Töchterchen meint, die Yolanda Schmidt sei nicht so dumm, wie ich es auf Anhieb vermutet habe. Den Rest des Abends geistern mir immer wieder unterschiedliche Szenarien durch den Kopf, wie der nächste wohl Tag ablaufen könnte. Aber in keinem Fall komme ich zu einem positiven Ergebnis.
Der nächste Arbeitstag beginnt nahezu normal. Georg sitzt bereits am Schreibtisch, liest die Tageszeitung und trinkt schlürfend seinen schwarzen, dampfenden Kaffee. Und natürlich hat er mal wieder meine Tasse genommen, da seine sicherlich irgendwo in seinem Chaos auf wundersame Weise verschwunden ist. Von wegen: Das Genie beherrscht das Chaos! Aber mein Partner ist wie immer auch der erste im Revier! Aber aus meiner Sicht leider nur, um in Ruhe frühstücken zu können. Also soweit alles wie immer.
Nur mein Arbeitsplatz sieht nicht wie gewohnt aus. Noch immer türmen sich die umgelagerten, alten Akten und andere, teilweise kaum zu erkennende Dinge auf meinen Schreibtisch. Ich werde heute vermutlich den gesamten Tag benötigen, um sie zumindest oberflächlich zu sichten und einen neuen, besseren Ablageort für sie zu finden. Wieder ein Tag ausschließlich mit Aktenwühlen beschäftigt. Na super!
Der Schreibtisch von Frau Schmidt ist noch verweist. Die gnädige Frau beliebt erst zwei Stunden später zu erscheinen. Genauso schlampig angezogen und anscheinend ungewaschen wie gestern.
„Moin.“, ist das einzige was wir von ihr hören. Danach nimmt sie keine weitere Kenntnis von uns. Sie setzt sich einfach wieder mit dem Rücken zu uns an ihren Computer, versenkt die Kopfhörer in den Ohren und widmet sich wieder ihrem merkwürdigen Spiel. Am liebsten würde ich dieses Früchtchen links liegen lassen. So stört sie wenigstens keinen. Aber dank meiner Frau habe ich für heute gute Vorsätze.
Zur Überraschung von Georg gehe ich zu unserer neuen Kollegin und tippe ihr sanft auf die Schulter. Dazu lege ich noch mein freundlichstes Lächeln auf. Mit einem genervten Brummen dreht sie sich langsam zu mir um und schaut mich finster an.
„Wenn Blicke töten könnten“, gibt mein Partner von sich. Kein hilfreicher Kommentar, aber leider sehr passend. Zumindest benötige ich ein paar Sekunden, um mein Vorhaben weiter umzusetzen.
„Darf ich mich vorstellen? Ich bin Hauptkommissar Eduard Steingraf.“
„Ach.“
„Und ich bin Oberkommissar Georg Engelhard.“, kommt mir mein Partner zur Hilfe.
„Klar.“
Und schon will sie sich wieder zu ihrem Spiel umdrehen. Aber anscheinend beeindrucken sie doch unsere fragenden Blicke ein wenig.
„Hab ich doch gestern schon gesagt: Jo. Kommissarin ohne Ober und wieder ohne Haupt. Darf ich jetzt weitermachen? Ohne mich schaffen das die anderen nie. Diese Loser. Aber ohne die Masse der anderen komme ich eben auch nicht weiter.“
„Das Jo steht also für Yolanda?“, nehme ich den Faden wieder auf.
„Schlau von dir. Deshalb bist du also ´n Hauptkommissar!“, erwidert sie mit unüberhörbaren Spott in der Stimme.
„Was hat Sie in unsere schöne Stadt verschlagen? Haben Sie sich Kassel bereits etwas näher angesehen?“, frage ich so freundlich wie es noch geht.
„Dieses winzige Kuhdorf? Das soll ´ne Stadt sein? Hamburg, München und Berlin sind Städte. Meinst du, ich bin freiwillig hier? In diesem Nichts am Ende von Nirgendwo? Ehe ihr euch verseht, gehe ich wieder in eine richtige Stadt, unter normale Menschen und löse richtige Polizeifälle. Dann brauch ich mich nicht länger mit Dorfpolizisten herumärgern, die bereits stolz darauf sind zu ermitteln, dass Jo die Abkürzung von Yolanda ist. Und nebenbei: Wehe du nennst mich jemals Yolanda!“
Ehe ich mich von der harten Abfuhr und den Beleidigungen erholen kann, dreht sie sich erneut um, steckt die Ohrhörer tiefer den je in ihre Gehörgänge und spielt. Soll sie nur! Zumindest werde ich nie wieder versuchen, mit ihr freundlich zu reden! Wenn überhaupt, soll sie zu mir kommen, sich entschuldigen und dann überlege ich es mir noch einmal. So etwas habe ich nicht nötig.
Am liebsten würde ich nun sofort zur Chefin gehen, aber auch ich zucke zurück. Soll Yolanda eben einen Monat still da sitzen und ihre blöden Spiele spielen, danach sehen wir weiter! Georg und ich werden der Eisernen Lady die dümmliche, bösartige und destruktive Art von ihr in aller Ausführlichkeit und allen Einzelheiten schildern. Danach kommt unsere Jo wahrscheinlich wieder nach Berlin, aber höchstens als Verkehrspolizistin in einem stinkenden Autotunnel ohne Tageslicht. Und vor allem ohne Computer, an dem sie stundenlang spielen kann!
Plötzlich erschrecke ich mich vor mir selber. Was ist mit mir los? So in Rage hat mich seit Jahren niemand mehr gebracht. Was hat nur diese junge Frau an sich, dass sie mich so auf die Palme bringt?
Sie war also vorher in einer Großstadt tätig. Zumindest entnehme ich das ihrer Schimpftriade. Und sie ist nicht freiwillig hier. Folglich wurde sie strafversetzt. Und degradiert, da sie wieder ohne Haupt vor dem Kommissar ist. Was ist vorgefallen? Ist sie vielleicht deshalb so schlecht auf ihre Kollegen zu sprechen? Wurde sie reingelegt?
Und während ich so darüber nachdenke tut sie mir schon fast ein bisschen leid.
>>> Mittwoch, 27. Juni 2012
So versuche ich auch die weiteren Tage der Woche, Kontakt zu ihr herzustellen. Immer wieder stelle ich ihr Fragen aller Art. Ob sie weiterführende Ideen zu einem bereits abgeschlossenen Fall hat oder notwendige Randinformationen liefern kann. So haben wir vor Wochen einen Kleinkriminellen verhaftet, der in Kenia geboren wurde. Nun wollte ich beiläufig von ihr wissen, wie wohl die Hauptstadt heißt. Richtig wäre hier Nairobi gewesen. Aber leider antwortet sie stets nur stereotyp: „Keine Ahnung.“, „Weiß ich nicht.“ oder am liebsten „Interessiert mich nicht!“
Aber immerhin schaut sie mir dabei inzwischen in die Augen. Zumindest so gut es durch den schwarzen Vorhang ihrer ungepflegten Haare geht.
„Du meinst wohl auch: Steter Tropfen höhlt den Stein?“, ist Georgs einzige Bemerkung zu meinen Bemühungen. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf.
>>> Donnerstag, 28. Juni 2012
Heute stellt sich der erste Erfolg ein. Zumindest ist dies meine Interpretation des Ganzen. Sie stellt ihrerseits die erste Frage.
„Sag mal, Ede, dein Name ist doch das Synonym für Ganoven. Oder, Ede? Warum bist du dann hier gelandet? Und dann auch noch in so einem Kaff?“
Ich war ein wenig verwirrt. Eddy nennen mich viele, aber Ede?
„Ich habe bereits als Kind gerne Krimis gesehen. Ich fand es faszinierend, wenn die Polizei ihre Schlussfolgerungen zog und die Bösewichte hinter Gitter gebracht hat. Wie oft habe ich mitgefiebert und immer versucht, selber vorher auf die Lösung zu kommen. Dann all die psychologischen Kniffe. Schon damals war ich mir sicher, dass ich zur Polizei gehe! Aber ich mag keine Uniformen und so war klar, dass ich zur Kripo will. Und ich bin gut darin, die Bösen zu überführen. Aber selbst heute noch schockiert mich gelegentlich die gnadenlose Bösartigkeit oder auch kaltherzige Gleichgültigkeit von Menschen!“
Jo hat sich meinen kurz zusammengefassten Lebenslauf tatsächlich neugierig angehört. So uninteressiert wie sie bisher tat, ist sie also doch nicht. Sollte sie jetzt endlich etwas auftauen? Ermutigt stelle ich folglich die Gegenfrage.
„Und wie war es bei dir?“
„Ist doch egal.“ Schlagartig schottet sie sich wieder ab.
„Bei mir war es wie folgt…“, beginnt nun mein Partner.
„Wer will das wissen?“, unterbricht ihn Jo extrem hart. „Schlaf du nur weiter in deinem ollen Bürostuhl, Gorgilein. Schnarch aber nicht zu laut!“
Georg zieht hörbar tief Luft ein und hört auf zu atmen, während sein Kopf schlagartig knallrot wird und zu platzen droht. Ich bin kurz davor den Notarzt zu holen, als er endlich weiteratmet. So eine brutale Abfuhr hat er seit Jahren nicht mehr erhalten. Und nie würde es einer seiner Kollegen wagen, ihn Gorgi oder gar Gorgilein zu nennen.
Erst nach über fünf Minuten ist seine Atmung wieder regelmäßig und sein Kopf hat fast wieder eine normale Farbe. Aber eine Retourkutsche kann er sich dann doch nicht verkneifen, auch wenn sie viel zu spät erfolgt.
„Dann eben nicht, Yolandalein!“
Nun schnellt Jo auf ihrem Stuhl herum, springt blitzartig auf und stützt sich auf Georgs Schreibtisch. Ist die schnell! In ihrer Hand hält sie einen Brieföffner, wo auch immer sie ihn in der halben Sekunde hergezaubert haben mag. Mit vernichtendem Blick starrt sie meinen Partner an.
Seine Wangen sind schlagartig vom Rötlichen ins Weiße gewechselt. Einige Schweißperlen tauchen auf seiner Stirn auf, während Jo ihn immer weiter mustert. Endlich entspannt sich Jo und setzt sich wieder auf ihren Stuhl. Mit ihr sollte sich wirklich niemand anlegen. Und ich bin mir hundertprozentig sicher, dass mein Partner nie wieder Yolandalein zu ihr sagen wird.
>>> Freitag, 29. Juni 2012
Endlich scheinen sich beide darauf geeinigt zu haben, sich mit Gorgi und Yolanda anzureden. Beide sticheln sich gegenseitig um die Wette. Eine kleine Nettigkeit folgt der nächsten, aber ohne sich zu sehr zu beleidigen. Immerhin ein gewisser Status Quo. Es kann nur besser werden.
Die beiden verbindet so eine Art Hassliebe. Wobei ich zugeben muss, dass der Hass noch überwiegt. Aber ich bin von Natur aus ein gnadenloser Optimist. Außerdem kenne ich Georg gut genug um zu wissen, dass er manchmal etwas länger benötigt um mit anderen Menschen klar zu kommen. So gesehen ist die von der Chefin gewählte Frist von einem Monat bis zu unserer Beurteilung der Neuen wirklich perfekt. Erneut behält unsere Kommissariatsleiterin Recht.
Kurz nach der Mittagspause füllt sich unser Büro neuerlich mit einer massiven Duftwolke. Unsere Eiserne Lady kündigt ihr Erscheinen an.
„Oh, J´adore.“, meint Jo unvermittelt.
„Hä?“, ist die beste Reaktion, die mir in der Kürze dazu einfällt.
„Ein sehr exquisites Parfüm von Dior. Aber vielleicht hat sie doch einen Hauch zu viel davon aufgetragen.“
Erkenne ich da ein schmales Lächeln auf ihren schwarzen Lippen hinter dem Haarvorhang? Nein, ich muss mich getäuscht haben. Ihre Mimik ist so ausdruckslos und gelangweilt wie immer.
Aber bevor ich sie weiter neugierig anstarren kann, tritt auch schon Maggy ein.
„Alles in Ordnung?“, fragt sie in ihrer unnachahmlichen Art und Weise, wie immer viel zu laut und zu schrill!
„Ja“, kommt es sofort einstimmig aus unseren drei Kehlen.
Es besteht anscheinend doch ein Fünkchen Hoffnung für unser Team.