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3. Der Fall

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>>> Montag, 02. Juli 2012


Die neue Woche beginnt arbeitstechnisch gesehen genauso eintönig wie die letzte endete. Kein Fall und keine neue kriminalistische Herausforderung. So kann ich in aller Ruhe meinen Schreibtisch von den letzten alten, teilweise heftig verstaubten Aktenordnern befreien. Aber ansonsten nur Langeweile.

Wobei das so auch nicht mehr stimmt, denn Jo sorgt auf ihre Art für Abwechslung. Sie hat in dieser Woche nicht mehr ihr graues Shirt an, sondern das aktuelle soll wohl so eine Art olivgrün sein.

Auch ihre Begrüßung uns gegenüber ist neu und schon etwas freundlicher.

„Moin Ede, Moin Gorgi.“

„Guten Morgen Jo“, antworte ich artig.

„Moin Yolanda“, kommt hingegen die Erwiderung von meinem Partner erheblich aufgebrachter und sarkastischer zurück. Er mochte es noch nie, Gorgi genannt zu werden, aber wenn unsere Neue es tut, bringt es ihn regelrecht auf die Palme.

„Hast wohl ein neues T-Shirt gefunden. Hättest es vorher mal waschen sollen“, setzt er noch nach.

„Ar...!“, grummelt Jo in ihren nicht vorhandenen Bart, wendet sich ab und beginnt mit ihrem anscheinend nie enden wollenden Spiel. Den Rest des Tages ist sie ansonsten genauso uninteressiert wie die Woche zuvor.

Während der Mittagspause gehe ich wie gewohnt mit Georg in der Kantine essen. Es gibt, wie mindestens einmal pro Woche, Currywurst mit Pommes - und der Speck auf meinen Hüften freut sich über Zuwachs. Verschwörerisch beugt sich plötzlich Georg zu mir rüber und flüstert mir zum wiederholten Male zu: „Die kann doch überhaupt nichts. Wie ist die bloß durch die Prüfungen gekommen.“

Es folgen noch weitere, teilweise nicht ganz so nette Formulierungen. Auf Anhieb würde ich ihm Recht geben, aber irgendwie erhebt da meine Intuition Einspruch. Auch wenn ich logisch gesehen dies nicht nachvollziehen kann.


So verrinnt der Tag träge. Langsam tröpfeln die Minuten so vor sich hin. Aber auf diese Weise habe ich wenigstens kein schlechtes Gewissen, als ich mich bereits gegen fünfzehn Uhr auf den Heimweg begebe. Mein Lieschen und ich haben heute siebenundzwanzigsten Jahrestag unserer Verlobung. Kein runder Jahrestag und auch kein Hochzeitstag, aber wenn man Zeit hat, kann man auch so einen Tag als Anlass einer kleinen Feier zu zweit und einem gemütlichen Abendessen nehmen.

Auf den letzten Kilometern vor meinem Heimatort Wellerode, direkt nach der Ortsausfahrt Vollmarshausen, klingelt mein Diensthandy. Per Freisprecheinrichtung gehe ich ran und mein Partner meldet sich.

„Du, Eddy, wir haben einen Toten. Vermutlich Selbstmord, aber kannst du nicht trotzdem vorbeifahren?“

„Kannst du das nicht übernehmen? Ich bin fast zu Hause.“

„Eben.“

„Verstehe ich nicht.“ Manchmal ist auch mein Partner etwas umständlich im Erklären von Sachverhalten.

„Du bist fast da.“

„Ja, ich bin fast zu Hause. Was willst du von mir?“

„Ich will, dass du zum Tatort fährst.“

„Oh Mann! Ich bin aber jetzt in Wellerode, Söhrewald und nicht mehr in Kassel!“

„Eben.“

Manchmal könnte ich ihn …

„Der Tote ist auch dort. – In der Wabbel-Hütte, oder so ähnlich.“

„Du meinst Warpelhütte? Der potenzielle Selbstmörder hat sich in Wellerode umgebracht?" „Dein Bauch wabbelt auch ganz ordentlich, mein Freund.“

Wobei ich den letzten Teil natürlich nur denke und nicht laut ausspreche. Zumal mein Bauch Bestrebungen an den Tag legt, sich bezüglich des Umfangs von Georgs Bauch anzupassen. Aber zumindest ergibt nun Georgs Telefonanruf langsam einen Sinn.

„Sag ich doch!“, erwidert mein Partner nur.

„Hast du zwar nicht, aber egal. Ich übernehme das. Wir sehen uns morgen.“

Soviel also zu dem geplanten, gemütlichen Zusammensein mit meiner Frau. Zu Hause fahre ich aber trotzdem erst einmal vorbei. Mein Lieschen begrüßt mich überschwänglich. Ich hatte ihr bereits gestern angekündigt, dass ich vermutlich etwas früher heimfahre.

„Schatz, sei mir bitte nicht böse, aber ich muss leider gleich wieder los.“

„Was, aber wir wollten doch …“

„Es gibt da einen Selbstmord …“

„Kann sich da nicht Georg mal aufraffen?“

„Der Tote ist oben in der Warpelhütte.“

„Oh, hier quasi um die Ecke? In unserem friedlichen Dorf? Kaum zu glauben! Wer ist es? Stammt er von hier? Kennen wir ihn?“

„Keine Ahnung, es liegen mir noch keine Einzelheiten vor. Aber sicherlich weiß ich mehr wenn ich zurück bin.“

Schnell beginne ich noch ein paar Sachen zusammenzupacken, während ich mir kurz die Einzelheiten über die Hütte in mein Gedächtnis rufe. Schließlich haben meine Wanderfreunde, die alle hier aufgewachsen sind, oft genug davon erzählt.

Die Warpelhütte liegt ca. drei Kilometer südwestlich von Wellerode im Wald und wurde 1968 erbaut. Benannt wurde sie nach dem naheliegenden Basaltmassiv namens Warpel. Schon oft haben wir in der kleinen Schutzhütte auf unseren ausgiebigen Wanderungen eine deftige Brotzeit zu uns genommen. Und genau dort soll nun jemand Selbstmord begangen haben.

Mit dem Auto biege ich von der Landstraße in Wellerode in die Rosenstraße ab, vorbei an der Straße Sackgasse. Wer war wohl so einfallsreich und hat eine Sackgasse den Straßennamen Sackgasse gegeben? Egal. Dann bergauf und wieder aus meinem kleinen Dorf hinaus.

Im Schritttempo passiere ich die Streuobstwiese Ziegenböckchen. Bei diesem schönen Wetter lassen Dutzende von Spaziergänger ein schnelles Vorankommen nicht zu. Aber der Tote wird mir schon nicht weglaufen, das ist todsicher. Manchmal tun mir meine eigenen Gedankengänge weh.

Wie sehr stumpft man in meinem Beruf doch ab. Der Tod ist stets eine tragische Angelegenheit und muss immer todernst genommen werden. Jetzt muss ich über meine Gedanken doch selber grinsen.

Bevor ich noch weitere miese Wortspielereien ersinnen kann, erreiche ich das Ende der asphaltierten Straße. Der Weg dahinter ist für Autos bereits im Normalfall etwas schwierig zu befahren. Nun hat es aber die letzten Tage ausgiebig geregnet. Außerdem habe ich gehört, dass hier größere Holzfällaktionen stattfinden. Die Kombination hat meist extrem matschige und rutschige Wege zur Folge.

So ziehe ich mir die von zu Hause mitgebrachten Wanderstiefel an und stapfe los. Und ich hatte Recht. Obwohl eigentlich doch nicht, denn der Weg, wenn man ihn überhaupt noch so nennen kann, sieht noch schlimmer aus als erwartet!

Hier muss mal wieder ein Harvester gewütet habe. OK, ich gebe zu, diese gewaltigen Holzerntemaschinen mit ihren Kettenantrieben helfen den Holzfällern ungemein und sehen wirklich sehr beeindruckend aus. Aber die Auswirkungen auf die ungepflasterten Wege sind verheerend. Gefährlich tiefe Spurrillen, in denen sich das Wasser zu großen, braunen Pfützen sammelt.

Als ich gerade losgehen will, hält ein weiterer Wagen hinter meinem. Georg hat sich tatsächlich doch noch aus seinem Stuhl erhoben. In den letzten Jahren hat er sich selten freiwillig aufgerafft.

„Was führt dich hierher?“

„Weißt du wie es ist, mit Yolanda alleine in einem Büro zu sitzen? Dieses Mädchen ist mir unheimlich. Und vielleicht färben sonst noch ihre Gleichgültigkeit und ihre Unwissenheit von ihr auf mich ab. Dann gehe ich schon lieber mit dir in den Wald.“

Mein Partner wird auch immer sonderbarer, aber nun ist er einmal hier. Allerdings ohne besondere Ausrüstung. Aber er klagt nicht, auch wenn seine schwarzen Halbschuhe mehr als einmal vollständig im Morast versinken und bereits nach wenigen Minuten dunkelbraun und vollkommen durchnässt sind. Tapfer stapft er hinter mir her.

An der Hütte angekommen, warten bereits zwei Streifenpolizisten auf uns. Sie haben es sich allerdings einfach gemacht und sind mit ihrem Auto bis hierher gefahren. Keine Ahnung wie sie dieses Wunder vollbracht haben. Aber so tief wie die Räder bereits jetzt eingesunken sind, werden sie extreme Schwierigkeiten haben, auch wieder zurückzukommen.

Nach einer schnellen Vorstellung folgt knapp der Bericht:

„Ein Wanderer hat den Toten entdeckt. Per Handy hat er uns alarmiert. Wir haben seine Personalien aufgenommen, jetzt ist er nach Hause und wollte einen kräftigen Schluck nehmen. Der Tote hat sich im Inneren der Hütte erhängt. Der Gerichtsmediziner ist benachrichtigt und sollte jede Moment ankommen.“

„Danke.“

Knapp und präzise. So mag ich es. In der Hütte schauen wir uns den Toten, der im sachten Wind immer noch am Strick baumelt, genauer an. Zuerst fallen uns seine toten, weit geöffneten Augen auf. Unnatürlich weit scheinen sie aus ihren Augenhöhlen zu quellen und uns irgendwie auf unheimliche Weise anzustarren. Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken, aber schnell reiße ich mich wieder zusammen. Schließlich zählen zuerst die Fakten und Beweise!

Ein Mann mittleren Alters. Sehr schäbige, zerschlissene und verschmutzte Klamotten. Aber auch sonst macht er auf Anhieb einen sehr ungepflegten Eindruck. Schlecht geschnittene Haare, abgebrochene Fingernägel, dreckiges Gesicht, Arme und Hände. Eine Schlaufe um den Hals und das Seil am höchsten Punkt befestigt. Neben ihm ein Holzstumpf, auf dem er anfangs wohl stand und ihn dann selbst weggetreten hat.

Ein anscheinend am Computer ausgedruckter und unterschriebener Abschiedsbrief liegt auf einer der Bänke:

„Ich kann nicht mehr! Die Einsamkeit macht mich wahnsinnig! Ich will nicht so weiterleben!“, unterschrieben mit „Maximilian Klein“.

Der erste Eindruck lässt wirklich auf Selbstmord schließen. Aber…!




Ehe wir weiter untersuchen können, trifft auch ein Gerichtsmediziner ein. Leider ist es heute nicht Dr. Truber, mit dem wir normalerweise zusammenarbeiten. Einige knifflige Fälle verdanken seinen geschulten Augen die Aufklärung. Aber er ist nach meinem Wissen noch einige Tage auf einem Symposium in Berlin.

„Professor Doktor von Hungen, mein Name!“

Nachdem auch wir uns vorgestellt haben, stehen wir zu dritt im Halbdunkel der Hütte. Auf die Schnelle wirft der Herr Dr. einen Blick auf die Leiche. Flüchtig streifen seine müden Augen über die an der Decke baumelnde Leiche.

„Alles klar. Und dafür musste ich durch den Dreck!“, sind seine ersten, sehr mürrisch vorgetragenen Bemerkungen.

Aber schon folgt die nächste Unterbrechung.

Ein weiteres Auto arbeitet sich den Berg zu uns herauf. Nach dem Zufallen der Wagentür beginnt einer der Streifenpolizisten zu schimpfen.

„Steigen sie bitte umgehend wieder in ihren Wagen und fahren zurück. Hier gibt es nichts zu sehen!“

„Halt die Klappe.“, ist die knappe Antwort. Woher kenne ich nur diese Stimme? „Was ist das hier überhaupt für ein Siff! Was ein verfluchtes Drecksloch ist das? Aber ihr zwei Hampelmänner passt sehr gut hierher!“

„Was bist du überhaupt für eine? Wo bist du entsprungen und was ist das für eine Klapperkiste? Übrigens, dass Befahren des Weges ist verboten. Wenn du nicht gleich verschwindest, stecken wir dich in den Knast.“

„Dämliche Dorftrottel! Aber ich habe hier auch nichts anderes erwartet!“

Jo!? Was macht unsere Jo hier? Diese liebevolle Erwiderung kann nur von ihr stammen. Schnell eile ich nach draußen, um Schlimmeres zu verhindern. Jo steht vor einem uralten, klapprigen VW Käfer, mit dem sie es anscheinend sogar bis hier hoch geschafft hat. Die Farbe ihres Autos ist eine schräge Mischung aus grau, beige und olivgrün. Und es ist so ein altes Model, es hat sogar noch ein Brezelfenster. Ich weiß nicht, ob der Käfer eher ins Museum oder auf die Müllkippe gehört, aber hier im Wald sieht er doch sehr fehl am Platz aus.

Jo selber steht etwas unglücklich aussehend Mitten in einer Pfütze. Ihre langen Stiefel sind tief in dem Schlamm, der einmal ein Weg war, versunken. Ich bin mir absolut sicher, sie fühlt sich hier in der Wildnis nicht sehr wohl. Extrem vorsichtig formuliert! Wenn sie könnte wie sie wollte, würde sie hier sofort verschwinden und in den hektischen Trubel einer Großstadt entfliehen.

Aber auch hier scheint sie ihren Mann zu stehen, wie man so sagt. Mit ihrem vernichtenden Blick, den ich bereits an meinem eigenen Körper spüren durfte, hat sie die beiden jungen Kollegen zur Ruhe gebracht. Leicht erblasst stehen sie ihr gegenüber und schauen sie ziemlich verunsichert an. So jemanden haben sie wohl noch nie erlebt, was ich gut nachvollziehen kann!

„Meine Herren“, versuche ich zu vermitteln „sie gehört zu uns.“

„Was soll das heißen?“, fragt einer der beiden ungläubig zurück.

Wenn ich das mal selber wüsste. Aber meine Antwort lautet natürlich anders.

„Darf ich vorstellen: Frau Kommissarin Schmidt.“

Ehe sich einer der beiden erholen kann, schiebe ich Jo mit sanfter Gewalt in die Hütte. Mit ihrer bezaubernden Art macht sie sich sofort überall Freunde.

„Was ist das hier für ein ödes Kuhdorf? Kein Wunder, dass sich hier jemand aus Verzweiflung umbringt.“

„Das hübsche, kleine Dorf ist Wellerode und ich wohne hier zufällig auch.“, entgegne ich hart. „Was machst du überhaupt hier?“

„Mir war langweilig - und ein Toter ist doch eine nette Abwechslung.“

Oh dieses Mädel! Aber bevor ich weiter verzweifeln kann, übernimmt der Gerichtsmediziner das Wort.

„Leider habe ich keine Zeit um mir weiter die kleinen Nettigkeiten zwischen Kollegen anzutun. Der Tote ist tatsächlich Maximilian Klein, der Personalausweis beweist dies ausreichend.“

Kurz zeigt er ihn hoch, zusammen mit dem Abschiedsbrief.

„Und alle Indizien deuten auf Selbstmord hin. Es gibt keine weiteren Wunden oder Verletzungen. Zyanose und Petechien sind außerdem eindeutige Beweise für Strangulation. Der Fall ist somit klar.“

„Aber Doktor von Hungen…“, beginne ich mit meinen Einwänden.

„Professor Doktor von Hungen! So viel Zeit muss sein! Und es gibt kein ABER!“, werde ich rüde unterbrochen. „Ich bin hier der Gerichtsmediziner und ich habe natürlich Recht! Die Beweise ….“

„Bullshit!“, schreit Jo plötzlich dazwischen. „Bin ich denn nur von ignoranten Volltrotteln umgeben. Und sie, Doktor Doktor Professor von was auch immer sind die absolute Krönung an Unfähigkeit!“

„Was erlauben sie sich…“, wagt der Doktor zu unterbrechen.

„Sind Sie wirklich so blöd, dass Sie glauben was Sie da von sich geben? Das war eindeutig Mord!“

„Du sprichst ein großes Wort gelassen aus.“ Georg will wohl auch seine Meinung in seiner speziellen Art von sich geben.

„Hör mit deinen zusammenhanglosen Sprüchen auf. Wenn Goethe wüsste, was du da mit seinem Werk Iphigenie von 1787 anstellst, würde er sich im Grab in Weimar herumdrehen. Der Satz ist übrigens die Antwort von Thoas auf Iphigenie, als sie behauptet, dass sie von Tantalus abstammt.“

„Aha.“, sagt Georg. Mehr kann er nicht von sich geben.

Mit seinen eigenen Mitteln geschlagen. Von der so unwissenden Jo. Zumindest waren das seine Worte vor etwas über dreißig Minuten am Wagen.

„Ich bin auch der Meinung, dass es Mord war. Aber was führt dich zu diesem Schluss, wehrte Kollegin?“

„Eine Prüfung? Aber bitte gerne. Die Petechien, also erkennbare Einblutungen durch die geplatzten kapillaren Blutgefäße in den Augäpfeln, und die Zyanose, Blaufärbung der Haut durch zu wenig Sauerstoff, deuten sicherlich oberflächlich auf eine Strangulation hin. Aber unter dem Strick am Hals hat sich kein Hämatom gebildet. Für Gorgi auch blauer Fleck genannt. Wenn aber noch ein zirkulierender Blutkreislauf existiert hätte, müsste sich eine Hämatom gebildet haben und deutlich zu sehen sein! Er war also schon tot, bevor er aufgeknüpft wurde! Quod erat demonstrandum.“

„Das sollte keine Prüfung sein, aber trotzdem Danke für den Beweis und die sehr ausführliche Erklärung. Aber was sagst du zu diesem Holzklotz?“, frage ich weiter. Wie gut ist unsere Jo wirklich?

„Du meinst, weil er, egal wie man ihn dreht und wendet, nie hoch genug ist, dass das Opfer, der jetzige Tote, jemals mit der Schlinge um den Hals darauf gestanden haben könnte?“

Sie ist gut!

„Aber auch die Fingernägel “, fährt sie fort „sind für so einen ansonsten schlampigen und dreckigen Typen viel zu sauber. Da hat wohl der Täter in der Glotze zu viel CSI und andere neumodische Fernsehkrimis geglotzt und hofft, nun damit Beweise beseitigt zu haben. Aber es erhärtet in unserem Fall nur die Vermutung, dass es Mord war.“

Sie ist wirklich gut!

„Das sind auch meine Argumente.“ Damit sind alle Gründe aufgezählt. Dachte ich. Zumindest bis Jo noch einen drauflegt.

„Aber am wichtigsten für mich ist, dass die Unterschrift auf dem Abschiedsbrief gefälscht ist!“

Uff! Wie das? Sie hat den Brief doch nur wenige Sekunden gesehen und seine Unterschrift kann sie doch nicht kennen.

„Wie kommst du darauf?“, frage ich ungläubig.

„Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“, ergänzt Georg. Er hat sich wieder gefangen und beginnt erneut mit Weisheiten um sich zu schmeißen.

„Erneut Goethe, diesmal Faust I“, bemerkt Jo unbeeindruckt, um dann mit ihrer Begründung fortzufahren.

„Der Schreibstil entspricht zwar in etwa seiner Unterschrift auf seinem Ausweis.“

Daher kennt sie also seine Schrift.

„Aber“, fährt sie fort „auf dem Brief hat der Schreiber nach jedem Buchstaben abgesetzt, um zu überlegen wie er weiterschreiben soll. Gut zu erkennen an den Verdickungen zwischen den einzelnen Buchstaben.“

Gleichzeitig hält sie den Brief in einen einzelnen Sonnenstrahl, der gerade günstig durch den Eingang der Hütte hereinfällt. Und sie hat Recht! Mann, ist die gut! Sie hat sogar mich übertrumpft. Ich verspreche, ich werde sie nie wieder unterschätzen!

Die Unterschrift auf dem Abschiedsbrief enthält alle genannten Kennzeichen einer Fälschung. Buchstabe für Buchstabe wurde quasi abgemalt. Recht gute Fälscherarbeit, aber nicht gut genug für Yolanda. Sie hat dies tatsächlich in wenigen Sekunden im Halbdunkel erkannt. Respekt.

Der Doktor sieht seinen Irrtum wohl langsam auch ein, denn er dreht sich so unauffällig wie möglich um und verschwindet auf leisen Sohlen.

„Und Abgang“, murmelt mein Kollege.

„Ich werde hier wohl nicht weiter benötigt.“, nuschelt der Professor Doktor von Hungen nur, während er mit hängenden Schultern durch den Matsch langsam bergab stakst.

„Es irrt der Mensch, solang' er strebt.“, ruft Georg ihm noch nach. Und an Jo gewannt: „Ja, auch dieses habe ich aus Goethes Faust.“

Während wir drei uns unterhalten, wird die Leiche abgeholt. Der Umgebung angemessen nicht mit einem Leichenwagen, sondern einem Traktor mit Anhänger. Selbst ich habe so etwas in meiner langjährigen Laufbahn noch nie erlebt.

Auch sind die Kollegen der Spurensicherung, in ihren weißen Overalls, inzwischen eingetroffen und versuchen, noch weitere Beweise sicherzustellen. Millimeter für Millimeter suchen sie die Hütte und Umgebung ab. Aber nachdem hier erst vor kurzen Holzerntemaschinen durchgepflügt sind, dürfte es reichlich schwierig werden.

Jetzt können auch wir endlich gehen. Wir hören die beiden Streifenpolizisten noch ausgiebig über Jo lästern. Über unsere Jo! Die beiden flüstern zwar leise, aber nicht leise genug.

Schließlich steigen sie aber in ihr Auto und fahren los. Zumindest haben sie dies vor, aber das Ergebnis ist nur eine gewaltige Matschfontäne, die ihre durchdrehenden Hinterräder erzeugen. Immer tiefer gräbt sich der Wagen in die Erde ein. Hoffnungslos! Wie von mir erwartet und befürchtet! Ich wusste schon vorhin, warum ich den halben Berg zu Fuß hinauf gewandert bin. Laut schimpfend und den Matsch verfluchend steigen die beiden wieder aus dem Auto und schauen sich den Schlamassel an.

Trotzdem steigt Jo in ihr Auto, als würde sie es nichts angehen. Ich bin mir sicher, auch sie wird es nicht herausschaffen.

„Das klappt nie, obwohl so ein Käfer mit seinem Heckantrieb und Heckmotor so einiges bewältigen kann.“, stimmt Georg meinen Gedanken zu. Manchmal meine ich, wir beide sind wie ein altes Ehepaar und wissen, was der andere denkt. Erschreckend!

Als unsere Kollegin den Motor anlässt, kommt aus seinem Munde aber nur ein anerkennendes „Oh!“

„Das ist aber kein Käfermotor!“, kommentiert er das satte Röhren der Maschine. „Der hört sich gewaltig an. Ob sie einen VW-Porsche Motor eingebaut hat? Von einen Porsche 914? Ich habe gelesen, die lassen sich auf über 200 PS frisieren und passen tatsächlich in einen Käfer. Respekt!“

Georg liebt Autos! Besonders Oldtimer! Noch besser, wenn sie etwas aufgemotzt sind. Heutzutage heißt das wohl: gepimpt! Je mehr PS, desto besser. Ich kenne keinen, der sich so gut damit auskennt wie er. Und nun steht ein sehr alter Käfer mit Porschemotor direkt vor ihm. Seine Augen funkeln so verzückt wie bei einem kleinen Kind, das den Weihnachtsmann sieht.

„Aber hilft der Motor auch bei dem Matsch hier?“, muss ich ihn ernüchtern.

„Zumindest wird ihre Matschfontäne erheblich größer, wenn sie Vollgas gibt!“, grinst er frech wie ein Schulbub.

„Besonders bei den ungewöhnlich breiten Reifen. Schau dir nur dieses grobstollige Profil an. Kannst du dir denken, warum die so sind?“

„Die sind mir noch gar nicht aufgefallen.“, gesteht mein Partner. „Solche hab ich noch nie auf einem Käfer gesehen. Höchstens bei Strandbuggys oder anderen Geländewagen. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, was diese monströsen Reifen auf einem Käfer zu suchen haben. Und wie Aristoteles schon sagte: Auch das Denken schadet bisweilen der Gesundheit.

Ehe wir weiter diskutieren können oder ich ihn für sein unpassendes Zitat tadeln kann, fährt Jo los. Einfach so! Als gäbe es keinen Schlamm, keine Pfützen und keine Spurrillen. Langsam aber unaufhaltsam kämpft sich dieser sonderbare Käfer tapfer durch die Matschberge.

Einige Zeit rangiert sie auf dem Weg herum, als wolle sie uns allen zeigen was ihr Wagen kann. Warum tut sie das? Warum fährt sie nicht einfach zurück ins Revier? Plötzlich hält sie an und sie steigt wieder aus.

„Fuck!“, schreit sie, während sie durch den elendigen Matsch nach vorne an den Kofferraum stapft.

Georg und ich schauen uns ratlos an. Mit einem Abschleppseil in der Hand geht sie auf die beiden Streifenpolizisten zu und drückt ihnen das eine Ende in die Hand.

„Hier, ihr Loser! Macht das fest! Ich zieh euch raus.“

Sprachlos tun sie wie ihnen befohlen. Artig steigen sie in ihr Auto, während Jo, die ihren Käfer optimal vor sie gestellt hat, den Motor startet.

„Niemals! Das kann nicht klappen. Es wäre ein Wunder.“, meint Georg.

Aber es klappt! Und wie!

„Wunder gibt es immer wieder.“, gebe ich diesmal zum Besten.

Langsam aber stetig! Nur im Schritttempo, aber unaufhaltsam! Immer weiter zieht Jo mit ihrem Käfer das andere Auto aus dem Morast und den Berg hinunter, bis sie auf halbwegs festen Boden kommen.

„Wie nur?“, stammelt mein Partner immer wieder, während wir dem Gespann so gut wie möglich zu Fuß folgen. Wir erreichen die beiden Autos gerade, als Jo das Abschleppseil wieder verstaut hat. Die beiden Polizisten sind ausgestiegen und stehen fassungslos neben ihrem geretteten Wagen.

„Was ist das nur für ein Wagen, Jo?“, ruft er ihr neugierig zu. Ich glaube, soeben hat er unsere Neue zum ersten Mal Jo genannt. Was so ein merkwürdiges, altes Auto doch bewirken kann.

„VW-Käfer Typ 87, Baujahr 1942. Zuschaltbarer Vorderradantrieb. Kam während des zweiten Weltkrieges vor allem in Russland und bei Rummels Afrika-Korps zum Einsatz. Ich glaube, es gibt von der Sorte nicht mehr allzu viele.“

„Machst du Witze, mein Schatz?“

Jetzt ist sie sogar schon sein Schatz. Ich glaub es ja nicht!

Aber es bleibt nicht lange dabei, denn als Jo in ihren so besonderen Käfer heftig auf das Gaspedal tritt, spritzt sie dieses Mal eine gewaltige Fuhre Schlamm und Dreck in unsere Richtung. Ich stehe zum Glück etwas weiter abseits und kann mich mit einem beherzten Sprung aus der Gefahrenzone bringen. Aber Georg und die beiden andern Polizisten haben erheblich weniger Glück. Die Windschutzscheibe des Polizeiautos ist auf jeden Fall mit einer dicken Matschschicht bedeckt.

Die Schimpftriaden, die mein geehrter Partner von sich gibt, sind in keiner Weise wiederzugeben. Selbst mir, der doch schon viele Flüche von miesen Ganoven gehört hat, treibt es bei einigen Ausdrücken die Schamesröte ins Gesicht.

Blutgold

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