Читать книгу Schwarzer Schatten - Jürgen Brandt - Страница 6

3. Erste Etappe (jetzt)

Оглавление

Nach zehn Tagen Marsch kommt der Zug in Hunga an. Die Pferde der Proviantwagen werden ausgespannt und in den Ställen der Stadt versorgt. Auf dem Vorplatz des Verteilers sagt Gorm erneut seinen Willkommensspruch auf und auch hier werden sie mit Jubel und Freudenrufen empfangen.

Hunga ist etwas kleiner als Sizza. Eine kleine, idyllische Stadt, weiter im Landesinneren. Die Bewohner hier leben hauptsächlich von Viehzucht und Landwirtschaft. Auch hier wird das Stadtbild durch pittoreske Fachwerkhäuser geprägt. Am Stadtrand sind sie einstöckig, im Zentrum auch mal ein Stockwerk höher. Heute, zur Feier des Tages, alle herausgeputzt und mit Blumengirlanden geschmückt.

Dem Zug treten hier voll Stolz fünfzehn weitere Erstgeborene bei. Über die Hälfte von ihnen sind junge Frauen. Alle Neulinge machen einen sehr gut durchtrainierten und überaus kräftigen Eindruck. Aber trotzdem sticht ein besonders stattlicher Hüne unter ihnen deutlich heraus. Fast zwei Meter groß und extrem breite Schultern. Gigantische Muskelpakete zeichnen sich unter seiner Kleidung ab. So stellt man sich den perfekten Krieger vor.


Björn wird, wie alle anderen Ankömmlinge, für drei Tage in Gastfamilien untergebracht. Er wird von einem älteren Ehepaar herzlich aufgenommen und bekommt ein kleines, lichtdurchflutetes Zimmer im ersten Stock zugewiesen. Dies Zimmer hatte früher der Tochter gehört, aber nach ihrer Hochzeit ist sie zu ihrem Mann auf einen Bauernhof außerhalb der Stadt gezogen. Nachdem er seinen Tornister dort abgestellt und sich etwas erfrischt hat, wird er zum Abendessen gebeten. Wie es der Zufall will, gibt es Lamm mit Kartoffeln. Extrem lecker gewürzt und fast so gut wie das Essen seiner Mutter.

Plötzlich ist da ein Anflug von Heimweh. So weit weg von seiner geschätzten Heimat, von seinen geliebten Eltern und Geschwistern. Und selbst Roland, seinen alten Lehrmeister, vermisst er. Aber genauso schnell wie die Sehnsucht kam, verschwindet sie auch wieder, denn er hört von draußen die ersten Musiker aufspielen und Menschen singen.

Nachdem er so gut gegessen hat wie seit Tagen nicht mehr, bedankt er sich vielfach bei der Familie, um dann an der Feier teilzunehmen. Tanzen, Singen, Lachen, kleine Leckereinen vernaschen und einen guten Wein. Björn bekommt nicht genug von dem beschwingten Fest!

Unerwartet entdeckt er Gorm auf einer Bank bei einem Krug Bier. Er zögert kurz, aber dann setzt er sich doch neben ihn und bestellt ebenfalls. Nach einiger Zeit des Schweigens und einigen Schlucken herrlichen, frischen Bieres meint Gorm:

„Wenn ich in dieser Stadt bin, komme ich immer hierher und trinke ein Maß. Stell dir vor, die Wirtsleute brauen es selbst. Nur aus Hopfen und Malz. Und mit dem Zusatz von eigens gezüchteten Hefepilzen wird angeblich der Zucker in Alkohol verwandelt. So haben die beiden es mir wenigstens erzählt. Ich weiß nicht, wo sie dieses Rezept herhaben, aber es muss bereits ewig existieren. Einfach köstlich, oder?“

„Stimmt, leicht bitter, aber auch sehr erfrischend.“

"Dein Lehrer, der dich zum Krieger ausgebildet hat, war Roland, stimmt´s?"

Björn ist verblüfft. Woher weiß er das? Und wieso kennt er Roland?

"Woher wissen Sie das?"

"Dein Kampfstil hat es mir verraten. Ich habe bereits viele Züge geführt. Sehr viele sogar. Und mit allen Teilnehmern habe ich trainiert, genau wie mit euch. Der einzige, der fast genauso gut war wie du, war Roland. Ich habe ihm unterwegs so viel beigebracht, wie ich konnte. Es war auf meinem ersten eigenen Zug. Wir waren beide jung und wild und übten jede freie Minute. Ich lieferte ihn damals mit den anderen in Castel ab und war mir sicher, er würde seine Aufgabe glorreich erfüllen."

"Castel? Ziehen wir auch dahin? Verteidigen wir dort unsere Welt?"

"Nicht direkt. Castel ist eine Stadt. Die letzte Stadt vor der Grenze. Dort werdet ihr von mir abgeliefert. Weiter bin ich nie gegangen. Bis zur Grenze gehen nur die Erstgeborenen. Und es kam nie einer zurück."

"Und Roland? Er ist doch zurück!"

"Er ist der einzige. Er hatte einen Arm verloren, lebte aber noch. Er wurde in Castel gesund gepflegt und wollte dann nur noch heim nach Sizza."

"Kannte er den Weg zurück? Ging er ganz alleine?"

"Weder noch. Als ich wieder einmal mit einem Zug in die Stadt kam, fragte er einfach, ob er mit mir zurückgehen könne. Und so hatte ich ein einziges Mal auf dem Rückweg einen Begleiter."

"Hat er Ihnen erzählt, was mit seinem Arm passiert ist?"

"Nein! Er hütete es wie ein Geheimnis. Ich hörte aber in Castel Gerüchte. Angeblich hat er mit einem Bären, mehr als doppelt so groß wie ein normaler Bär, ein fürchterlich schwarzer Bär, gekämpft. Vier andere Menschen waren verwundet und er allein sorgte dafür, dass sie sich zurückziehen konnten und gerettet wurden."

"Und wie entkam er?"

"Er tötete den Bär! Er hat angeblich sein Schwert, samt Arm, tief in den Rachen des Bären gestoßen. Dieser biss ein letztes Mal zu und starb. Nur dass er dabei Roland den halben Arm, der im Rachen steckte, abtrennte!"

Sein Lehrer war ein Held. Er rettete anderen das Leben und tötete riesige Monsterbären. Björn kannte ihn nur als einen netten, alten, einarmigen Lehrer.


Am nächsten Morgen gibt es ein ausgiebiges Frühstück bei seiner Gastfamilie. Frisch gebackenes Brot, Wurst und dazu ein Glas Milch. Sogar Marmelade und Honig hat er zur Auswahl. Aber am besten schmeckt ihm der Käse. Er hat einen unglaublich würzigen Geschmack und eine sehr interessante Maserung. Seine Gastfamilie erklärt ihm, dass dies eine Spezialität dieser Stadt ist. Und zwar wird der Käse während der Herstellung mit einem Edelschimmel geimpft. Daher diese bläuliche Maserung und der herrlich intensive Geschmack.

So gestärkt geht Björn aus dem Haus und schlendert gemütlich durch die Gassen der Stadt. Auch hier sind die Straßen mit normalen Steinen gepflastert.

Bei dem Anblick muss er an die Ruinenstadt denken und die glatten Straßen dort. Kein heutzutage lebender Mensch kann so etwas zu Stande bringen. Was für Wissen hatten sie früher. Gab es damals Hexer, oder besser gesagt, Bewahrer? Grübelnd streift er weiter durch Gassen und Straßen, über Plätze und an Geschäften aller Art vorbei. So in sich vertieft stößt er plötzlich mit jemand zusammen. Als er aufblickt, erkennt er Felix. Was für ein Zufall.

„Hallo Felix, erkundest du auch ein wenig die Stadt?“

„Ja, sicher. Ich will so viel lernen, wie ich kann.“

„Was ich schon seit Tagen fragen wollte, warum nimmst du am Zug teil? Du bist kein Krieger und kein Erstgeborener.“

„Stimmt, aber ein kluger Geist kann an der Grenze sehr von Nutzen sein. Und so gab es dort schon immer auch Bewahrer. Wir wollen dort mit unserem Wissen die Kämpfer unterstützen.“

„Und nun willst du helfen?“

„Im Prinzip, ja. Gorm hat bei der letzten Rückkehr von der Grenze dem Orden mitgeteilt, dass die Brüder dort junges Blut bräuchten. Einige sind bereits an Altersschwäche verstorben. Die meisten anderen wären ebenfalls schon in die Jahre gekommen und nicht mehr so fit, wie sie es gerne wären.“

„Und du hast dich gemeldet!“

„Viele Brüder in Neappa sind zu alt für so einen langen Marsch. Andere wiederum sind noch nicht erwachsen. Ich war einer der wenigen, die in Frage kamen. Und, ja, ich habe mich von denen als einziger freiwillig gemeldet!“

„Aber wenn du an den Rand unserer Welt gehst, kannst du dich überhaupt verteidigen? Kannst du kämpfen?“

„Auch Schwertkampf haben wir im Orden gelernt. Die Technik ist nur anders. Keiner von uns Brüdern ist so stark wie du zum Beispiel.“

Inzwischen ist die Mittagszeit angebrochen und gemeinsam suchen sie sich ein Wirtshaus, in dem sie essen können. Björn bestellt sich einen Linseneintopf, während sich Felix eine Schlachtplatte bestellt, frisches Brot, Butter und verschiedene Wurstsorten.

Während sie essen, plaudern sie weiter über den Schwertkampf. Am Ende beschließen sie, ihre Schwerter zu holen um außerhalb der Stadt ein wenig zu fechten und ohne Zuschauer das Können von Felix zu testen.

Eine halbe Stunde später stehen sie sich in einer kleinen Fichtenschonung gegenüber. Felix musste sich ein Schwert von seiner Gastfamilie leihen, da er selbst keins mit auf die Reise genommen hat. Das Schwert aus PiReM wollte er hierfür natürlich nicht nutzen. Nach einer Verbeugung geht es los.

Langsam trägt Björn einen Angriff vor, den Felix durch eine Körperparade umgeht. Er geht schlicht einen Schritt zurück. Auch den nächsten Angriffen weicht er aus. Ob durch einen Schritt nach hinten, Wegdrehen oder Ducken. Björns Angriffe werden schneller und gezielter, aber er kann trotzdem keinen einzigen Treffer landen. Er bewundert immer mehr die Beweglichkeit und Reaktionsschnelligkeit seines Kontrahenten. Einmal springt Felix sogar hoch, um einem Schlag gegen seine Beine zu parieren. Als Felix dann doch eine Klingenparade tätigen muss, erbebt sein ganzer Körper unter dem heftigen Schlag und er geht leicht in die Knie.

Er unterbricht kurz das Duell, um sich von dem Treffer zu erholen. Björn schätzt inzwischen ehrlich das Können seines Gegenübers. Er macht viel mehr aus seinen Möglichkeiten, als er ihm zugetraut hat. Mangelnde Stärke gleicht er sehr gut durch seine enorme Wendigkeit aus. Björn sieht aber auch erhebliches Verbesserungspotenzial bei den Klingenparaden. Auch hierbei muss nicht alles durch Kraft abgefangen werden. Klingenhaltung, Trefferpunkt und Hebelwirkung können sehr von Nutzen sein und harte Schläge sanft zur Seite ableiten.

Nun darf Felix angreifen. Björn weicht nur wenigen Schlägen aus, sondern pariert die meisten einfach mit seiner Klinge. Hinter den Angriffen steckt nicht sehr viel Kraft und die Abwehr fällt ihm leicht. Doch dann eröffnet Felix seine Angriffe mit Finten aller Art. Und sogar Doppelfinten kommen zum Einsatz. Björn kennt solche komplexen Angriffsfolgen überhaupt nicht und kommt sofort ins Schwitzen. Immer wieder landen Treffer auf seinem Körper, auch wenn sie nicht sehr kräftig sind.

Björn geht nun auch zum Gegenangriff über. Und schon nach wenigen, aber sehr harten Schlägen kommt Felix in Bedrängnis. Im direkten Kampf hätte der Bewahrer nur wenige Chancen gegen einen gut geschulten Krieger. Aber immerhin hätte er Chancen. Und dies findet Björn wirklich bemerkenswert.

Bis zum Abend erklären sie sich gegenseitig ihre Technik und diskutieren gemeinsam, was davon der jeweils andere übernehmen kann, teilweise abgeändert und auf Körperbau und Kraft angepasst.

Erschöpft gehen sie beim Anbruch der Dunkelheit wieder zu ihren Gastfamilien, um ihr abendliches Mahl zu sich zu nehmen.


Die weiteren Tage bis zum Aufbruch nutzen beide, um ihre Kampfkünste zu verbessern. Sie werden zu Freunden und unternehmen alles gemeinsam. Ob Gorm dies ahnte, als er sie in der Marschordnung nebeneinander aufstellte?

Schwarzer Schatten

Подняться наверх