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Prolog Irland

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B é ara, Februar 2004

Oskar Randow war jemand, der es zuweilen hasste, doch wieder recht behalten zu haben. Seine Augen schweiften über die Halbinsel Béara im Südwesten Irlands. Er war eine gute Autostunde von Cork entfernt, seinem neuen Wohnsitz. Die ersten fünf Wochen Irland waren vergangen. Es war ungewöhnlich mild, fast fünfzehn Grad, und das für Anfang Februar. Man hatte ihm gesagt, dass es im Sommer auch nicht viel wärmer sein würde. Aber deutlich mildere Winter als in seiner Heimatstadt Berlin waren zumindest jetzt ein Vorteil. Sollte er dann im Sommer frieren, statt wie in Berlin zu schwitzen, wäre das sicherlich weniger angenehm. Vielleicht sollte man in Irland ohnehin nicht auf den Kalender, sondern lieber aus dem Fenster sehen. Falls die Sommertemperaturen kaum über den jetzigen vierzehn Grad lägen, könnte man einfach jahrein jahraus die selbe Kleidung tragen. Egal, welche Jahreszeit der Kalender zeigt. Es sei denn, es regnet. Das tat es in Irland nicht gerade selten. Aber heute war das Wetter fantastisch. Wolken und klare Abschnitte mit blauem Himmel wechselten einander ab – ein herrliches Licht- und Schattenspiel, das mit der zerklüfteten Südwestküste ein Irland wie aus dem Bilderbuch malte. Oskar hatte sich eine Decke aus dem Auto mitgenommen, das ihm sein neuer Arbeitgeber zur Verfügung gestellt hatte. Sein erster eigener Dienstwagen war auch dann eine Freude, obwohl er mit dem Linksverkehr immer noch auf Kriegsfuß stand. Die Decke war nicht ausgebreitet, damit sie dicker und bequemer zum Sitzen war. So saß er in einigen respektvollen Metern Abstand von der Kante des Kliffs und sah in die Weiten. Sattes Grün wechselte sich mit dem fahlen Graubraun der Caha Mountains ab, dazu das dunkel-blaugraue Meer.

Er hatte es auch dieses Mal gehasst, recht gehabt zu haben. Andererseits wäre er ohne sein sicheres Gespür höchstwahrscheinlich in Berlin geblieben, trotz der bereits erhaltenen Zusage für die Arbeitsstelle in Cork. Er wäre wegen ihr geblieben – freischaffend, aber auftragslos, daher pleite und ohne Aussicht auf Besserung. Obendrein wäre er von Gabi fröhlich weiter betrogen worden. Um ihr dann irgendwann drauf zu kommen oder ihre Beichte zu hören, dass sie ihn leid ist und schon jemand anderen hat. Frau weg, Jobchance in Irland weg… und noch pleiter als zuvor. Daher war es gut, dass er vor knapp zwei Monaten ein Wiedersehensessen angesetzt hatte, das mehr ein Entscheidungsessen war. Da gab es dann keine Ausreden mehr. Sie vermied es zwar, Tacheles zu reden, aber es verriet sie zuviel: ihr Verhalten, ihre Gleichgültigkeit, ob er nach Irland geht oder nicht, ihre nichtgesagten Sätze zwischen den Zeilen. Die ultimative Klarheit hatte er sich geholt, indem er seine eigene Freundin gestalkt hatte. Er hatte sie bis nach Hause verfolgt und verbarg sich im Schutz der Dunkelheit einer Baumgruppe vor ihrem Hauseingang. Sie hatte den obligatorischen finalen Kaffee bei ihm abgelehnt – zu müde, sie müsse ins Bett. Natürlich war der Kaffee auch hier nicht nur als Kaffee gedacht gewesen. Von wegen ‚müde‘, in Wahrheit bekam sie nach dem gemeinsamen Essen mit Oskar noch Besuch von einem gutaussehenden, jungen Mann mit längeren Haaren. Deswegen hatte sie während des Essens ein paar Mal in sich hineingeschmunzelt und war alle Nase lang auf der Toilette verschwunden. Wahrscheinlich um SMSe abzusetzen oder gar zu telefonieren. Sein nicht gerade gentlemanlikes Nachspionieren war nicht mehr und nicht weniger als die Abkürzung für eine Gewissheit, die zuvor nur sichere Ahnung war. Finito amore.

Dann also Irland. Es lief auch alles andere als schlecht. Am Montag würde er in eine neue Abteilung versetzt werden. Diese firmenintern nur ‚Spielwiese‘ genannte Abteilung war der Pool der Talente. Derer, die besser als die anderen waren – innovativer, verspielter, kreativer. Mehr oder weniger junge Wilde, die neue Tools, ganze Anwendungen oder gar die heiligen Kühe der Software-Branche, die sogenannten Killer-Applikationen quasi als Abfallprodukte ihrer Spielerei entwickelten. Die Spielwiese eben. Wieder ein guter neuer Abschnitt im Leben.

Also vergiss endlich Gabi!

Oskar Randow setzte eine Flasche Kilkenny an die Lippen und schmunzelte. Der Wind fuhr in seine blonden, halblangen Haare. Er hatte sich die Haare nach vielen Jahren Kurzhaarschnitt mal wieder wachsen lassen. Dazu trug er einen verwegenen Fünftagebart. Für die Aufrechterhaltung dieses Looks hatte er sich extra einen Barttrimmer zugelegt. Ähnlich der Gepflogenheit vieler Frauen sollte diese äußere Veränderung gleichzeitig eine Veränderung seiner Lebensumstände, wenn nicht Persönlichkeit anzeigen. Und: Manche Frauen stehen offensichtlich auf Männer mit längeren Haaren. Es war ziemlich mühsam, sich bei dem auflebenden Wind eine Zigarette anzuzünden. Der Wind frischte immer dann auf, wenn er sich eine Zigarette an die Lippen setzte. War das ein Zeichen, dass er das Rauchen aufgeben sollte? Er rauchte ohnehin nicht mehr soviel wie in Berlin, wollte aber auch nicht ganz darauf verzichten. In der Firma herrschte absolutes Rauchverbot, insofern mutierte Oskar zum Outdoor-Raucher. Dieser Zustand würde sich sehr bald noch intensivieren. Die irische Regierung setzte bereits das nächste Zeichen zum Rauchverzicht. Für dieses Frühjahr winkte ein Rauchverbot in allen Pubs – und das in Irland! Es blieben noch gute sechs Wochen hemmungsloser Qualmerei zu Guinness, Kilkenny und Whiskey. Vielleicht sollte er es doch mal ganz lassen. Es gab ohnehin Wichtigeres als Rauchverzicht oder gar -verbote. Obwohl Oskar die Spielwiese noch bevorstand, hatte er bereits etwas in der Pipeline. Etwas, was das Zeug zur Killer-Applikation haben könnte. Die Spielwiese bot ihm alle Möglichkeiten, das zu perfektionieren. Dort stand ihm kein produktives Tagesgeschäft mehr im Wege, das ihm wenig Zeit für die Weiterentwicklung seiner ‚Nebenbaustelle‘ ließ. Nebenbaustellen, ja Spielereien waren das Tagesgeschäft der Spielwiese. Eine Entwicklungsabteilung für große Kinder, die sich nach Kräften austoben dürfen und sollen. Der Streichelzoo für die begabtesten Programmierer der Softwareschmiede für professionelle 3D-Animationsprogramme, besser bekannt als ‚Soft Apricot‘. Oskar würde bald dazugehören. Nach nur vier Wochen! Gelänge die Weiterentwicklung seiner bisherigen Nebenbaustelle, wäre es vielleicht die entscheidende Veränderung schlechthin. Der Durchbruch, die Killer-Applikation seines Lebens. Es sah gut aus.

Der Blonde ging zum nahestehenden Auto. Die Türen standen offen, er drehte die Auto-Hifi-Anlage fast bis zum Anschlag auf. Aus dem Wagen dröhnten Nickelback mit ‚Where Do I Hide’ aus ihrem Erfolgsalbum ‚Silver Side Up’. Nochmal zurück, von Anfang an. Harte Gitarrenriffs dröhnten über die Klippen.

Got a criminal record, I can t cross state lines

First on the bad list, and you re last on mine

Oskar Randow saß wieder auf der Decke, schmunzelte und setzte sein Bier an die Lippen. Er, der zwar pleite, aber in jeder Hinsicht unbescholten aus Berlin ‚geflüchtet‘ war, fühlte sich nun selbst als Outlaw, als er Melodie und Zeilen lauschte. Vor allem aber hasste er es nun doch nicht, recht behalten zu haben. Was ihn gerade eben noch nachdenklich werden ließ, half ihm, sich für Irland zu entscheiden. Mit Mitte dreißig war er endlich erwachsen und doch noch jung genug. Alles stand ihm offen.

Er war angekommen.

In diesem Moment begann er, seine neue Heimat zu lieben.

Cork, Juli 2004

Grün soweit das Auge reicht, wirklich eine grüne Insel. Dieses Grün war allerdings künstlich angelegt. Kurzgeschnittener Rasen wechselte mit weniger gepflegtem, naturbelasseneren Gras, dem Rough. Um das Ganze noch spannender und schwieriger zu machen, gab es zudem Bäume, Sandbunker und Teiche. Ein Golfplatz.

Das Eisen pendelte bedrohlich hinter dem kleinen weißen Ball, der Spieler nahm Maß für den Schlag.

»Du bist sehr wertvoll für unser Unternehmen, Oskar«, sagte der graumelierte Typ, der eine Mischung aus Jugendlichkeit und Reife verkörperte. Der Mann mit dem Golfschläger in beiden Händen war fraglos ein Frauentyp. Darüberhinaus besaß er ein weiteres Attribut, das seiner Anziehungskraft beim anderen Geschlecht nicht zwingend schadete.

Er war äußerst vermögend.

Der Adressat des eben getätigten Ausspruchs dachte kurz über diesen nach. Eigentlich ein Kompliment. Immer dieses vermaledeite ‚eigentlich‘.

»Es wäre schade, dich verlieren zu müssen.«

Der Mann holte mit dem schweren Abschlageisen aus, setzte einen Schwung, traf und verursachte dieses Klack, das den Ball in die Weiten des Courts beförderte. Die beiden Golfer sahen dem Ball nach. Er senkte sich über dem Green und kam in der Nähe der Fahne hinunter, die das nächste Loch markierte. Ein ausnehmend guter Schlag. Beide Männer nickten.

»Wer redet davon, mich zu verlieren?«

»Ich«, sagte der Mann.

»Ja. Das hab ich gehört. Es geht hier nicht darum, mich zu verlieren. Ich wollte übers Gewinnen und nicht übers Verlieren reden. Und das schließt mein Gewinnen mit ein.«

Der Mann lächelte und nickte wohlwollend. Oskar fuhr fort.

»Es geht um eine Win-win-Situation. Ich verhelfe dem Unternehmen zu noch mehr Gewinn und dir zu noch mehr Reichtum. Daran möchte ich meinen Anteil haben.« Er pausierte. »Jeder soll etwas davon haben.«

»Klingt einleuchtend«, sagte der Mann und grinste breit.

Genau dieses Grinsen ließ den Blonden ahnen, dass sein Gegenüber es in der Tat einleuchtend fand, aber nicht daran dachte, es auch so geschehen zu lassen. Oskar verzog seine Mundwinkel nach unten.

»Es war so in meinem Vertrag, Bob.«

Der CEO und Gründer von Soft Apricot schmunzelte und sah ihm in die Augen.

»Weißt du, was der zu seiner Zeit reichste Mann der Welt über Verträge sagte?«

»Nein. Was sagte der?«

»Also, Paul Getty sagte: Verträge sind nutzlos. Wenn du jemandem trauen kannst, brauchst du keinen Vertrag. Kannst du jemandem nicht trauen, wird dir ein Vertrag nicht helfen.« Er fixierte den anderen und schmunzelte unbeirrt. »Wie findest du das, Oskar?«

»Der Spruch ist super.«

»Ja, nicht wahr?«

»Aber der Zustand ist beschissen.«

Robert W. Quitte, genannt Bob, verfinsterte seine Gesichtszüge.

»Keiner weiß, dass du die Software entwickelt hast, Oskar. Egal, ob du jemandem davon erzählt hast oder nicht. Das ist nur Gerede. Die Leute quatschen viel, wie wertvoll sie angeblich für‘s Unternehmen sind. Aber nachweisen kann man nichts. Deine grandiose Entwicklungsarbeit ist quasi spurenlos. Man kann sie mit nichts zu dir zurückverfolgen, auch nur irgendwie mit dir in Verbindung bringen. Firmenpolitik.

Alle Daten werden auf zentralen Servern gespeichert. Kein Computer ist personalisiert, keiner erlaubt das Anstecken von Wechselmedien, das Lesen oder Schreiben von CDs oder DVDs. E-Mails mit Anhängen oder einkopierten Programmcodes? Auslagern auf Internetserver? No way! Aber das weißt du selbst alles. Dafür kann jeder Mitarbeiter mit seinem persönlichen Passwort auf jedem Rechner arbeiten und seine Daten von überall im Haus abrufen und mit ihnen arbeiten. Nur: Unser Haus verlassen sie nicht. Niemals und in keiner Form. Das Beste daran ist, dass wir das als Transparenz und brüderliche Gleichheit verkaufen. Glasnost, wenn du so willst«, amüsierte er sich. »Wie gesagt: Klar kann jeder seine Daten per Passwort vor den anderen schützen…«

»Aber du kannst auf alle Daten zugreifen, stimmt‘s?«

»Hmmm…« Bob stülpte die Unterlippe vor. »Lass es mich so formulieren: Ich hab den Fortschritt deiner Arbeit in den letzten Monaten sehr genau verfolgt – und sehr wohlwollend.«

»Kann ich mir vorstellen. Wahre Glasnost also nur für dich. Perfekt um Mitarbeiter, die etwas Großes zuwege bringen, über den Tisch ziehen zu können«, entkam es den Lippen eines Mannes, der sich um die Früchte seiner Arbeit gebracht sah.

»So wie dich jetzt.«

»Ja, so wie mich jetzt.«

»Stress dich nicht allzusehr. Du bist nicht der Erste, bei dem wir das so händeln.« Bob legte den Kopf schräg und überlegte. »Aber zugegeben: Es hat sich selten so gelohnt wie bei dir. Du hast wirklich etwas Großes zuwege gebracht. Etwas, mit dem wir zusätzliche Marktmacht generieren und sehr viel Geld verdienen werden.« Er blickte Oskar kalt an. »Wir, Oskar. Dieses ‚Wir‘ schließt dich nicht mit ein. Du bist kein Member of the board und somit auch kein Shareholder.«

Der nächste Satz von Robert W. Quitte, dessen Mittelinitial dem ungewöhnlichen zweiten Vornamen ‚Wagner‘ entsprach und der seinen ursprünglich französischen Nachnamen wie das englische ‚quite‘ aussprechen ließ, war ein Todesurteil.

»So leid es mir tut, mein Lieber.« Er sog hörbar Luft ein. »Nachdem du dieses Große für uns geleistet hast, brauchen wir dich nicht mehr. Besseres wird schwerlich nachkommen, das musst du doch zugeben.

Du wirst die übliche Abfindung bekommen. Aber auch nicht mehr.«

»Und was ist der Entlassungsgrund?«, presste Oskar eine überflüssige Frage durch die Zähne, die nur der Vollständigkeit halber einer Beantwortung harrte.

»Hmm… gute Frage. Wie wär‘s mit Differenzen mit deinem Chef?

Ja, das klingt plausibel! Wie du siehst, haben du und ich gerade Differenzen. Schwerwiegende. Oder vielleicht nicht?«

»Ja. Die haben wir.«

Der Blonde mit dem Kurt Cobain-Look wirkte nun in der Tat so unpassend wie der ewig junge, weil früh verstorbene Nirvana-Frontmann auf einem Golfplatz – mit diesem angewiderten Gesicht. Er sah sich um. Kein Mensch auf weiter Flur. Sein Ball lag abschlagbereit auf dem Pin. Nun war er mit Abschlagen dran. Und genau das tat er. Da er im Gegensatz zu seinem Chef ein Golfanfänger war, hatte er die Richtung zum nächsten Green nicht annähernd so gut erwischt. Dennoch stimmte die Richtung. Auch der Schlag war hervorragend. Genug Schwung, der Ball wurde voll getroffen. Nicht nur der Ball. In wenigen Minuten würde er den Ambulanz-Notruf wählen. Sobald die Ambulanz einträfe, kniete er bei seinem blutüberströmten Chef auf dem Abschlagpunkt, würde ihn verzweifelt im Arm halten. Er würde sogar weinen, dazu brauchte er nur vergangene Seelenqualen wieder aufleben zu lassen. Oder die soeben geschehene Tragödie verinnerlichen. Oskar hatte einen Menschen getötet und realisierte damit den Scherbenhaufen seines eigenen Lebens. Er brauchte keine Supervorstellung abzuliefern, sobald die Hilfe für den tödlich getroffenen Bob einträfe. Seine Verzweiflung war echt. Als ob ein innerer Knoten in ihm platzte, schaltete sein verzweifelter Blick plötzlich auf kalt und entschlossen um. Nun musste er wohl doch eine schauspielerische Glanzleistung abliefern. Das Leben seines Chefs war beendet, er hatte es beendet.

Bob war ein gewissenloses Schwein. Ein Unersättlicher, der trotz allen Reichtums nicht mit jemandem teilen wollte, der diesen Reichtum weiter vermehren konnte. Wegen dem sollte Oskars Leben nicht zerstört sein.

Er sah auf den Toten mit dem zerschmetterten Gesicht.

»Wer schon mit zweitem Vornamen ‚Wagner‘ heißt«, flüsterte er bitter.

Es gab eine dreitägige Unternehmenstrauer bei Soft Apricot, während der die Arbeit ruhte. Oskar hatte sich zu dieser Zeit den polizeilichen Ermittlungen und Verhören zu stellen. Er tat dies mit Bravour und dachte sich insgeheim, wie Bob noch kurz vor seinem Tod darauf hingewiesen hatte, dass nichts mit ihm in Verbindung zu bringen war. Bob brüstete sich sogar damit. Nichts deutete auf den fleißigen, gewissenhaften Blonden mit den klischeehaft deutschen Tugenden. Auch hatte er niemandem von seinem Durchbruch in dieser Entwicklung erzählt. Nur vor seinem Chef hatte er die Karten aufgedeckt, ihm seine Asse gezeigt.

Er verweigerte sich der Empfehlung des firmeneigenen Psychologen, mindestens eine Woche lang zuhause zu bleiben, heuchelte dem, dass Arbeit die beste Ablenkung sei und erschien wie alle anderen am Tag nach der Trauerruhe im Unternehmen. Dummerweise nahm Bob mit Oskars Motiv auch seine Entwicklungsarbeit mit ins Grab. Der Chef schätzte den Wert der Arbeit richtig ein. Diese Arbeit war abgeschlossen, und Bob hatte sie daher vor jedem Fremdzugriff gesichert. Vielleicht hätten die fähigsten Programmierer mit Hackertalenten einen Zugriff auf den einzigen personalisierten Computer von Soft Apricot gehabt. Kollegen, die zumindest darin noch besser als er sein mussten. Aber wer immer danach suchte, musste wissen, dass es etwas zu suchen gab. Dieses Wissen ließ wiederum den Schluss zu, irgendwas mit der gesuchten Sache zu tun zu haben. Er würde den Teufel tun, sein Motiv für das Dahinscheiden des Chefs auf dem Silbertablett zu servieren. Insofern zog er es vor, keine Mitwisser zu schaffen, obwohl es ihm nicht gelang, in Bobs Rechner einzudringen. Bevor es auffiel, stellte er dieses Vorhaben nach dem zweiten Versuch ein. Seine goldbringende Entwicklung, die er so nie wieder rekonstruieren könnte, war unwiederbringlich verloren! Jeder weitere Versuch, daran etwas ändern zu wollen, könnte ein Motiv dafür liefern, dass Bobs Tod kein Unfall war. Da der Boss und er sich hervorragend verstanden hatten, bis zum verhängnisvollen Ende auf dem Golfplatz sogar freundschaftlich verbunden schienen, schied das aus. Also nahm er alles hin, wie es war. Immer noch besser als eine Mordanklage! Außerdem würde er wohl seinen Arbeitsplatz behalten, weil Bob ihn jetzt nicht mehr entlassen konnte – Kunststück! Doch es war eine trügerische Sicherheit, ein vermeintlich kleineres Übel, indem er sich wähnte.

An diesem vierten Morgen nach der Trauerpause war der komische Typ auch wieder da, der vorher nicht jeden Tag da war. Und jetzt war er bereits den vierten Tag hintereinander da. Dieser amerikanische Freelancer mit dem wilden dunklen Haarschopf, der auch sonst einen ziemlich schlunzigen Eindruck machte. In Irland spuckten zwar alle nicht gerade ins Glas, aber dem sah man es wirklich an. Beide hatten sich bislang nicht sonderlich beachtet, so schien es zumindest. In den Tagen nach dem Tod des CEOs hatte dieser von den anderen geschnittene Nerd irgendwie ein Auge auf ihn geworfen. Nein, nicht im sexuellen Sinne. Der komische Ami war sicher manches, wenn nicht gar ein verkappter Soziopath, aber schwul ganz sicher nicht. Das wirklich Sonderbare war, dass der zuvor auffallend ungesellige Ami nun mit ihm redete, gar süffisante Bemerkungen machte, zwinkerte. Warum auf einmal? Dem war doch vorher jeder egal, genauso wie niemand sich um ihn kümmerte.

Oskar drehte den Computer an seinem Arbeitsplatz auf. Er durchlief die Routine eines jeden Morgens: E-Mails abrufen, dann ins firmeneigene Intranet gehen, was heute so anliegt. Auf dem Flachbildmonitor poppte auf einmal ein Fenster auf. Eine Botschaft speziell für ihn. Der Text spielte auf einen populären Teenager-Horrorfilm jüngeren Datums an.

‚I know what u did this summer!‘

Die Schrift stand auf dem kontrastmäßig zurückgenommenen, gesofteten Foto von einem Golfplatz. Nein. Nicht von einem, von dem Golfplatz. Er starrte eine Zeit lang paralysiert auf den Bildschirm, dann klickte er hektisch das Intranet zu. Das Motiv verschwand.

Wie? Verflucht! Wer konnte… ???

Es riss ihn innerlich. Er sah sich im Großraumbüro um und versuchte dabei so unauffällig und ruhig wie nur möglich zu sein. Wenigstens war niemand hinter ihm, der gesehen haben konnte, was er gesehen hatte. Er blickte wieder nach vorn, an seinem Monitor vorbei. Dort vorn saß der sonderliche Ami und kräuselte seine buschigen Augenbrauen.

Er sieht mich an… dieser Arsch sieht mich an. Weil er es weiß.

Er ist es.

Greg… Greg Norman…

Oskar trifft die Todesgöttin

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