Читать книгу Oskar trifft die Todesgöttin - Jörgen Dingler - Страница 6

Vierunddreißig.

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Barcelona, Juli 2011

Die Frage, was er tun sollte, hatte sich erledigt. Die Frau, die er liebte, befand sich im selben Raum. Die Frau, die er auch laut Kali verloren hatte. Ein Urteil aus berufenem Munde, weil Kali eine Vertraute Christines war.

Und nun war Kali tot. Oskar hatte die beste Killerin aller Zeiten zur Strecke gebracht, was Christine soeben gemerkt hatte. Dem geschäftigen Rascheln und Zerren nach, hatte sie Kalis Leichnam in einen der zahlreichen großen Pappkartons verfrachtet. Christine ging allem Anschein nach davon aus, dass Oskar nicht nur dafür verantwortlich war, sondern sich eventuell auch noch hier befand. Oskar verharrte in seinem Versteck, hatte die Lippen leicht geöffnet und starrte mit aufgerissenen Augen durch die offenen Stufen der Metalltreppe nach vorn. Er hörte das näherkommende Klackklack ihrer Highheels. Sie durchschritt einen der langen Gänge, war auf dem Weg zum Kontrollhäuschen, also auf dem Weg zu ihm.

»Oskar!!! Oskar???«, hörte er sie rufen. Sie konnte nicht mehr weit sein.

Weswegen sollte er rauskommen, falls er noch da sein sollte? Wäre das professionell? Wohl eher nicht. Wäre ja noch schöner! Damit sie ihn für den Mord an ihrer Freundin und Vertrauten zur Rechenschaft ziehen und gleich abknallen konnte. Oskar ging davon aus, dass Christine nicht nur einen Waffenschein besaß, sondern – wie mit allem Technischen – auch exzellent mit Waffen umzugehen verstand. Wahrscheinlich war sie sogar bewaffnet, hier und jetzt. Und er sollte rauskommen. Hielt sie ihn für so dumm oder für so verliebt oder beides? Christine war am Ziel. Sie blieb wenige Meter vor dem Aufgang zur Empore stehen und blickte sich um. Oskar trat etwas zurück, weiter in die Dunkelheit unterhalb der Empore. Sie stand wenige Meter direkt vor ihm und sah ihn nicht. Als ob sie ahnte, dass Oskar nicht mehr weit sein konnte, senkte sie ihre Stimme und rief nicht mehr so laut wie zuvor.

»Oskar? Bist du noch da?«

Das klang sogar irgendwie verletzlich, fast trostsuchend. Es war wieder… einfach nur niedlich, Beschützerinstinkte weckend. Und es verfehlte auch hier nicht seine Wirkung. Wie gesagt: Die Frage, was er tun sollte, hatte sich erledigt. Er war genauso dumm und verliebt, wie sie glauben musste, um eine derart naive Erwartung an ihn zu adressieren.

Oskar huschte mit einer schnellen seitlichen Bewegung hinter der Treppe hervor und schritt dann langsam auf sie zu. Das Neonlicht nahm ihn mit jedem Schritt mehr ein. Er blieb vor ihr stehen und blickte sie schweigend an. Die Walther hatte er hinten in den Hosenbund geklemmt, wahrscheinlich eine unnötige Verschleierung. Hoffentlich nur unnötig und nicht auch noch gefährliche Sekundenbruchteile kostend, wenn‘s drauf ankäme.

Untersch ä tze niemals niemanden!

Kali lag zwar tot in einer Pappkiste, aber auch eine Christine Vaarenkroog war ein ganz besonderes Kaliber. Und gefährlich. Oskar wartete auf eine Eröffnung. Da kam sie.

»Ich dachte mir, dass du noch da bist«, gab sie von sich und sah ihn mit einer Mischung aus Ernst und Nachdenklichkeit an.

»Hörte sich ganz danach an, dass du das dachtest.« Er scannte sie, hatte sie bereits genau beobachtet, als er noch in seinem Versteck war. Sie trug keine Waffe… augenscheinlich. Wozu auch? Ihre großen Augen waren schon genug Waffe – wie ihr ganzer Anblick. Die Elfe wirkte unwiderstehlich wie eh und je, obwohl sie für ihre sonstigen Maßstäbe geradezu harmlos gekleidet war: enges weißes T-Shirt, nicht wirklich enge, eher bequeme, gerade geschnittene, verwaschene Jeans. Darunter cognacfarbene Stiefeletten oder Boots mit nicht annähernd so hohen Absätzen, wie sie sich angehört hatten. Auch anderweitig war sie dieses Mal recht schmucklos unterwegs. Bislang hatte er sie nie ohne ein Minimum an Schmuck gesehen, wenn sie sich in die Öffentlichkeit begab. Auch war sie kaum geschminkt. Sie war generell eher dezent, oder sagen wir mal gekonnt geschminkt, aber so ungeschminkt wie jetzt hatte er sie bislang nur nach dem gemeinsamen Aufwachen gesehen. Trotzdem war sie unwiderstehlich. Nach einem gegenseitigen Anschauen und Anschweigen eröffnete diesmal er.

»Ich geh mal davon aus, dass du weißt, was hier passiert ist.«

Sie schnaufte aus.

»Ja. Weiß ich.«

»Woher weißt du es?«

»Sie hat es mir erzählt.« Sie wartete, ob er noch eine Frage oder Stellungnahme zu dieser Aussage abgeben würde. Tat er nicht. »Sie glaubte, dass du auf sie angesetzt warst. Ich war mir da nicht so sicher. Naja, auf jeden Fall wollte sie dir eine Falle stellen.«

Er kniff ein Auge zu und besah sich die Frau, mit der ihn bis vor ein paar Tagen etwas verband, was landläufig Liebesbeziehung genannt wird.

»Was heißt ‚du warst dir nicht sicher‘?«

»Du fragst mich aus, Oskar!«

Na endlich eine Empörung! Und aus welchem Grund? Weil er sie ausfragte. Nicht etwa, weil dank ihm eine ihr nahestehende Person in einem großen Pappkarton lag. Und zwar sehr tot.

»Ja, tu ich.«

»Um das mal klarzustellen, Killer: Du, der heute abend jemanden getötet hat, der mir sehr viel bedeutet hat, fragt mich aus.«

Okay, da war es. Aber war eine einfache Empörung die angemessene Reaktion jemandem gegenüber, der einen nahestehenden Menschen getötet hatte?

»Wir können danach wechseln, und du fragst mich dann aus.

Also, was hast du geglaubt?«, ließ er sich nicht die Bohne irritieren.

»Ich hab ihr geglaubt, was sie über dich gesagt hat.«

»Das wäre?«

»Dass du ein Auftragskiller bist.«

»Und bei dem anderen warst du dir nicht sicher.«

»Richtig. Ich hab bezweifelt, dass du überhaupt jemanden von uns beiden auf dem Kieker hast.«

»Warum hast du das bezweifelt?«

Das Frage- und Antwortspiel ging Schlag auf Schlag.

»Ganz einfach: Mich hast du geliebt, und gegen sie zu gehen, ist nur etwas für einen komplett Verrückten. Und so verrückt fand ich dich auch wieder nicht.« Sie sah ihn durchdringend an. »Aber anscheinend bist du komplett verrückt. Und auch wieder nicht: Denn du hast sie ja besiegt.«

»Und genau das scheint dir nicht allzuviel auszumachen.«

Er durchbohrte sie mit Blicken und wartete auch bei dieser Vorlage auf eine Stellungnahme, eine Erklärung von ihr. Hier verkaufte sich die abgefeimteste Agentin der besten Killerin des Planeten wieder mal als Unschuld vom Lande. Bei dieser Gelegenheit: Oskar stellte sich innerlich die ketzerische Frage, ob er nunmehr der beste Killer des Planeten war, da er die Beste besiegt hatte. Diese innere Frage war nicht ernst gemeint, weil

»Und übrigens besiegt…«, schickte er nach und betonte das ‚besiegt‘ sarkastisch. »Sie hat mit mir gespielt wie die Katze mit der Maus. Sie hatte mindestens dreimal die Gelegenheit, mich zu töten.« Beide durchbohrten sich gegenseitig mit Blicken. »Wie wir sehen, hat sie es nicht getan.«

»Aber du hast es getan. Du hast sie getötet«, quittierte sie eiskalt.

»Ja. Ich konnte nicht spielen wie sie. Und ich hatte den Eindruck, als ob auch sie das Spiel beenden wollte. Wenn du verstehst, was ich meine.« Sie nickte. »Aber so oder so: Ich musste sie töten.«

»Ach ja?«

»Ja.«

»Warum?«

»Nein, …« Er wollte eigentlich ‚nein, Schatz‘ sagen, verkniff es sich im letzten Moment. »Nein, Christine. Eine Frage von mir noch, dann kommst du. Okay?«

»Okay.«

»Warum bist du so cool? Nur so zur Erinnerung: Ich hab deine liebe Freundin getötet.«

Er hatte den Kopf nicht nur gesenkt, weil sie kleiner als er war. Auch er konnte ähnlich gefährlich wie Kali schauen. Und er war auch ähnlich gefährlich, wie spätestens seit Kalis Tod feststand.

»Pffff…« Sie pustete aus und sah zur Seite. Aha, die Lügenkörpersprache! Sie sah wieder nach vorn, blickte ihn nun streng an. »Erstens: Auch wenn du und ich uns noch nicht allzu lange kennen, mein Schatz, war mir lieber, dass du dieses Duell gewinnst. Du weißt, warum.«

»Ich weiß das? Echt?«

»Natürlich. Wegen meiner Gefühle für dich. Sollte es zu diesem Duell kommen, wie sie gesagt hat.«

»Wie wir sehen, kam es so, wie sie gesagt hat. Zweitens?«, versuchte er zu beschleunigen. Ihr ‚mein Schatz‘ galt für ihn als taktisch gewählt, daher maß er ihm keine wirkliche Bedeutung zu. So gern er es auch getan hätte.

»Zweitens wurde sie mir zu autonom und damit zu gefährlich.« Sie pustete wieder aus. »Sie hörte nicht mehr auf mich. Wenn, dann nur noch unwillig.«

»Heißt?«

»Du solltest mich mittlerweile schon etwas kennen«, eröffnete sie spitz, Oskar hob die Augenbrauen. »Kali sollte nur töten, wer diese Welt nicht gerade mit seiner Anwesenheit bereichert, um es mal so zu sagen.«

»Und das bestimmst du, wer das ist«, spitzte er zurück.

»Ja. Das bestimme ich«, kam es entschieden, ganz Chefin, auch hier. Sie war wohl wirklich die Chefin der Welt, sah sich zumindest sogar selbst so. »Normale Aufträge sollte Kali nie annehmen. Wir haben es längst nicht mehr nötig, für Geld zu töten«, entließ sie Bekanntes.

»Ah, deine Abneigung gegen Herrschende!«, betonte er sarkastisch und nickte pseudo-verständnisvoll.

»Gegen ganz bestimmte Herrschende. Absolutistische Herrscher, gleich ob politisch, wirtschaftlich oder religiös, die dem sozialen Fortschritt der Menschheit entgegenstehen«, kam es hochtrabend. Die vorgebliche Idealistin schien nicht am Ende ihrer Ausführungen. Daher kürzte Oskar erneut ab.

»Und deine mordende rechte Hand wurde dir zuletzt zu wenig selektiv, verfiel also in alte Muster.«

»Sehr richtig. Es sah ganz danach aus, als hätte ich sie früher oder später ohnehin loswerden müssen.

Nur hätte keiner diesen Job annehmen wollen.« Sie grinste gekünstelt, sarkastisch.

»Na dann hab ich es eben gemacht. Wie praktisch.«

»Ja, wie außerordentlich praktisch«, wiederholte sie eiskalt seine ebenso ironischen Worte, die er seinerzeit über ihren Sessellift auf Maryfuego zum Besten gegeben hatte. Sie fixierte ihn mit ihren Riesenaugen. »Ich glaube, wir haben jetzt alle Fragen geklärt, oder?«

»Ja«, antwortete er wie ferngesteuert und fixierte ihre Stirn, eine ganz bestimmte Stelle an ihrer Stirn, knapp unterhalb ihres Haaransatzes.

»Dann kannst du mir auch helfen, sie wegzubringen. Das wäre nämlich genauso außerordentlich…«

Bevor sie ihren Satz beenden konnte, riss er seine Walther aus dem hinteren Hosenbund und richtete sie auf sie. Sie tat nahezu zeitgleich dasselbe, da sie im selben Moment gemerkt hatte, dass er etwas gemerkt hatte. Gesehen hatte sie es an seinen Augen, an seinem schockierten Blick. Ein Blick, der eine ganz bestimmte Stelle ihres Gesichtes fixiert hatte. Sehen war Merken, war Reagieren. Kaum hatte sie seine Reaktion registriert, riss sie ihre Waffe hervor – in Sekundenbruchteilen.

Christine hatte ebenfalls eine Pistole im hinteren Hosenbund stecken. Sie richtete ihre Beretta auf ihn, er seine Walther auf sie.

»Das ist nicht die Druckstelle einer Mütze, mein Schatz«, entkam es ihm heiser.

»Nein. Einer schicken Mütze erst recht nicht, mein Schatz.«

Oskar trifft die Todesgöttin

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