Читать книгу Am Anfang war die Sintflut - Jürgen Herget - Страница 7
1.1 Ein paar Begriffe …
ОглавлениеUm den Aufbau der Ausführungen leicht nachvollziehen zu können, ist es sinnvoll, sich der Bedeutung einiger Grundbegriffe im Klaren zu sein. Dabei soll hier nicht ein einleitendes Glossar durchdekliniert werden oder sterile Definitionen aufgelistet werden, sondern ein paar Begriffe vorgestellt werden, die zur Beschreibung und Charakterisierung von Hochwassern gebraucht werden.
Als Hochwasser bezeichnet man Wasserstände bzw. Abflüsse, die über einem festzuliegenden Schwellenwert liegen. Diese Definition scheint vergleichsweise schwammig, doch ist sie universell anwendbar und gültig. Dies wird insbesondere dann augenfällig, wenn man sich aus dem gewohnten Bild Mitteleuropas entfernt und vergegenwärtigt, wie unterschiedlich die hydrologischen Verhältnisse in andern Klimazonen aussehen können. In Wüstengebieten etwa, in denen kein permanenter sondern nur episodischer Abfluss stattfindet (Abb. 1–4), macht ein Bezug auf einen mittleren Abfluss oder gar Wasserstand zur Definition von Hochwasser keinen Sinn.
Abb. 1–4: Furnance Creek Wash im Death Valley, Kalifornien, ist berüchtigt für seine verheerenden Hochwasser, auch wenn er längst nicht jedes Jahr überhaupt Wasser führt.
In der Definition schwingt auch mit, dass Hochwasser hinsichtlich ihres potentiellen Schadens definiert werden. Dabei ist es in der Regel unerheblich, ob der hohe Wasserstand etwa durch einen Rückstau im Gerinne entsteht und dabei nicht unbedingt auch einen erhöhten Abfluss beinhaltet, oder durch einen so großen Abfluss entsteht, dass das Flussbett zu klein wird und der Fluss über seine Ufer treten muss. Ein gleich hoher Wasserstand kann also unterschiedlich verursacht worden sein. Übrigens sollte nicht vergessen werden, dass Hochwasser auch etwas Positives und Lebensspendendes haben können und nicht nur von schadenbringendem Nachteil sein müssen. So basierte die Hochkultur des Alten Ägypten auf den alljährlichen Nilhochwassern, die weite Landstriche überfluteten und dabei fruchtbaren Schlamm ablagerten, der aus der Bodenerosion im Oberlauf stammte. Doch davon später mehr.
Hochwasser weisen eine Ganglinie, das heißt eine Veränderung des Abflusses angegeben als Wasservolumen pro Zeiteinheit (meist m3/s) auf (Abb. 1–5).
Abb. 1–5: Kenngrößen eines Hochwassers.
Ausgehend von einem Basisabfluss, der in unseren Breiten typischerweise vom Grundwasser gespeist wird bzw. dem festzulegenden Schwellenwert des Abflusses entspricht, beginnt der Abfluss mit Einsetzen des Hochwassers anzusteigen. Der maximale Wert des Abflusses wird Scheitel- oder Spitzenabfluss genannt. Er tritt ein, ehe der Abfluss wieder abzunehmen beginnt. Diese Änderung des Abflusses mit der Zeit wird als instationär bezeichnet. Stationärer Abfluss, graphisch einer Parallele zur Zeitachse entsprechend, tritt in der Praxis nicht auf, da es immer wenigstens minimale Änderungen gibt, wird aber aus Gründen der Vereinfachung bei einigen Modellierungen angenommen. Häufig sind mehrgipfelige Abflussganglinien mit vorübergehendem An- und Abschwellen zu beobachten. Bei Abklingen des Hochwassers hat der Basisabfluss in der Regel zugenommen, weil ein Teil des Wassers aus dem Flussbett, man spricht häufig vom Gerinne, in den Untergrund versickert ist. Dieser Effekt und der Rückhalt durch Benetzung von Oberflächen sowie Rückstau im Bereich des Hochwasserbettes von Flüssen führen dazu, dass Hochwasser entlang ihres Fließweges tendenziell abnehmen, sofern keine weiteren Zuflüsse aus Nebenläufen erfolgen. Diese Abnahme wird als Retentionsverlust bezeichnet. Da dieses rückgehaltene Wasser mit zeitlicher Verzögerung wieder ins Gerinne kommt und abfließt, klingen Hochwasser oftmals langsam aus. Dabei ist der ansteigende Ast der Hochwasserganglinie steiler als der abfallende. Ausnahmen bestätigen dabei die Regel und können als Charakteristika für bestimmte Prozesse beispielsweise bei Stauseeausbrüchen gewertet werden. Das Volumen eines Hochwassers ergibt sich aus der Fläche bzw. dem Integral unter der Ganglinie und entspricht der Summe des Abflusses.
Es liegt eine Fülle an Definitionen und Differenzierungen für die Begriffe „historisches Hochwasser“ und „Paläohochwasser“ vor, die sich je nach Arbeitsrichtung und -region des Autors unterscheiden. Generell lassen sich die Hochwasser, die sich vor dem Beginn der systematischen und permanenten Messungen und Aufzeichnungen ereignet haben, in solche in historischer und prähistorischer Zeit differenzieren. Erstere werden als historische Hochwasser, letztere als Paläohochwasser bezeichnet (vgl. Brázdil et al. 2006). Der Zeitraum der historischen Zeit ist je nach Kulturraum unterschiedlich lang, so dass sich keine universelle zeitliche Abgrenzung festmachen lässt. In Kulturräumen mit nur kurz zurückreichender schriftlicher Überlieferung wie Nordamerika wird generell nur von Paläohochwassern gesprochen. Da hier der Schwerpunkt der Arbeiten auf der Auswertung natürlicher Paläowasserstandanzeiger wie beispielsweise Hochwasserablagerungen liegt, definiert Costa (1987a) Paläohochwasserhydrologie als Wissenschaft von der Bewegung von Wasser und Sediment (!) in Gerinnen vor dem Zeitraum der hydrologischen Aufzeichnungen und direkten Messungen. Baker (2008) gibt einen breiten Überblick über die Entwicklung der Disziplin und definiert historische Hochwasser als solche, die von Nicht-Hydrologen beobachtet bzw. dokumentiert wurden, ohne dass er eine zeitliche Differenzierung vornimmt. Diese Definition scheint wenig glücklich, da das wesentliche Adjektiv „historisch“ keinen inhaltlichen Bezug zu „Nicht-Hydrologen“ aufweist. Aus USamerikanischer Perspektive ist aber nachvollziehbar, wie man auf eine derartige Idee kommen kann.
Vollends verwirrend wird das Bild, wenn man einen Blick in die Arbeitspraxis wirft. So finden paläohydrologische Untersuchungsmethoden immer dann Anwendung, wenn man keine direkten Messungen auswerten kann. Dies gilt auch für rezente Hochwasserabschätzungen in abgelegenen Gebieten, in denen indirekte Methoden Anwendung finden (Benson&Dalyrymple 1967), die in weiten Teilen mit denen der Paläohochwasserforschung identisch sind und nach dem Ende eines Hochwasserereignisses genutzt werden. Das nachfolgende Kapitel veranschaulicht, wie diese Methoden und Techniken aussehen.