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Vorwort Ende der Mauer – Anfang der deutschen Einheit?

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November 1989. Ganz Berlin ist eine Wolke, ein Herz, eine Seele. Nicht wiedervereinigt, doch wiedervereint.

Am Ende hat eines der traurigsten Kapitel deutscher Geschichte überwiegend heitere Seiten: Auf der Mauer treten Feuerschlucker auf, kreisen Sektflaschen, reichen sich Polizisten (West) und Grenzsoldaten (Ost) die Hände, sinken sich Deutsche (BRD) und Deutsche (DDR) in die Arme, wird das Ende des kalten Krieges mit heißen Getränken und wärmendem Schnaps begossen. Seither beschäftigt eine Frage die geteilte Nation: War das Ende der Mauer der Beginn der deutschen Einheit?

„Die Deutschen sind jetzt das glücklichste Volk der Welt“, sagt Berlins Regierender Bürgermeister Walter Momper. „Ich habe meiner Tränen kaum Herr werden können“, gesteht Willy Brandt. Der Chefredakteur der „Zeit“, Theo Sommer, hat sein Ohr am Volke und hört heraus: „In den Herzen der Deutschen läuten die Glocken.“ Und als im Bundestag „Einigkeit und Recht und Freiheit“ angestimmt wird, da entringt sich dem Abgeordneten Hubert Kleinert der Stoßseufzer: „Mein Gott, auch das noch.“

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Überraschen konnte der Massenausbruch unterdrückter Gefühle kaum. Nichts hat die Deutschen so sehr getrennt wie die Mauer in Berlin, physisch, politisch und emotional. 28 Jahre, zwei Monate und 26 Tage lang verlief hier für die meisten von uns die Front zwischen Gut und Böse, zwischen sozialer Marktwirtschaft und sozialistischer Zwangsherrschaft, zwischen Demokratie und Diktatur.

Für die einen war das von Hunden und Minen und von Männern mit Maschinenpistolen gesicherte Bauwerk aus Beton „die Schandmauer“, errichtet von „kommunistischen Unterdrückern, die 17 Millionen Deutsche in ein riesiges Gefängnis gesperrt haben“. Für andere galt es als „moderne Friedensgrenze“, als „antiimperialistischer Schutzwall“, als „Bollwerk gegen westliche Militaristen, Revanchisten und Monopolkapitalisten“. Dabei wurde auf beiden Seiten der Mauer vergessen – oder böswillig unterschlagen –, daß nach dem Krieg engagierte Menschen in Deutschland-West wie in Deutschland-Ost eine bessere Welt bauen wollten, in der sich die Katastrophe des Hitler-Reiches nie wiederholen sollte:

Die Deutsche Demokratische Republik war als Staat mit marxistischen Idealen gedacht, mit Gleichheit und Brüderlichkeit, ohne Ausbeutung des Menschen durch den Menschen – aber mit staatlicher Planung, mit Vorrang des Kollektivs und Einschränkungen für den einzelnen. Zum Wohle aller. In der Bundesrepublik Deutschland wurde mit Hilfe der westlichen Siegermächte ein demokratisches System installiert, mit freien Wahlen, mit Meinungs- und Pressefreiheit, mit politischem und wirtschaftlichem Wettbewerb und mit Recht auf Selbstverwirklichung für den einzelnen. Zum Wohle aller.

Der Wettkampf der Systeme, von den Supermächten USA und UdSSR in beiden Teilen Deutschlands angefacht und weiter geschürt, eskalierte zum 13. August 1961. Berlin wurde geteilt. Mitten in der Stadt wuchs die Mauer. Die jeweils von ihrer gerechten Sache überzeugten Deutschen hüben und drüben entfremdeten und verfeindeten sich noch mehr.

Die Mauer wurde zum Monument dieser politischen Entfremdung – gleich von welcher Seite aus man sie betrachtete. Sie war Anlaß und Schauplatz ungezählter menschlicher Tragödien. Familien und Freundschaften sind durch sie zerrissen worden. Menschen wurden getötet, verletzt und ins Gefängnis gesperrt, weil sie die Mauer überwinden wollten. Ein 22jähriger Ostberliner starb noch im Februar 1989 im Kugelhagel. Er war das 80. Todesopfer.

Für dieses Leid sind diejenigen verantwortlich, die die Mauer gebaut haben: die damaligen Machthaber in Ost-Berlin und in Moskau. Mitverantwortlich sind aber auch Politiker und Meinungsmacher im Westen, die die DDR politisch und wirtschaftlich in den Ruin treiben wollten – Konrad Adenauer und Axel Springer, um zwei herausragende Persönlichkeiten aus der Zeit des kalten Krieges zu nennen.

Aber, so stellte sich bei den Recherchen für dieses Buch auch heraus, es ist nicht auszuschließen, daß durch den Mauerbau Schlimmeres verhütet worden ist – ein Krieg um Berlin, der schnell zu einem Atomkrieg geworden wäre. Erst als in den USA die Archive geöffnet wurden, als die Pläne der Militärs an die Öffentlichkeit kamen und Mitwirkende der Geschichte zu sprechen begannen, wurde klar, wie knapp wir alle davongekommen sind. Deutsche, Amerikaner und Russen. Der damalige US-Präsident John F. Kennedy wußte, wovon er sprach, als er wenige Tage nach der Teilung Berlins im Weißen Haus in Washington sagte, er könne die Aufregung der Deutschen nicht recht verstehen, die ein energisches Eingreifen der Amerikaner in Berlin forderten. „Es ist keine sehr schöne Lösung“, sagte Kennedy, „aber die Mauer ist, verdammt noch mal, besser als ein Krieg ...“

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Und heute, 28 Jahre später? Herrscht nach den vom Volk in der DDR erkämpften Reformen, nach der Öffnung der Grenzen Friede, Freude, wenigstens Zufriedenheit im Lande über die unerwartet positive Wende der späten Nachkriegsgeschichte? Leider nicht. Schon sind rechte CDU-Politiker, Kanzler und Generalsekretär vorneweg, beim Ausheben alter Gräben zu beobachten. „Freiheit oder Sozialismus“ hieß die demagogische Wahlkampf-Devise der „Christlichen Demokraten“ in den sechziger Jahren. Hilfe für die DDR erst, wenn dort dem Sozialismus in allen denkbaren Formen für alle Zeit abgeschworen wird, heißt es heute. Nun sind sowohl die nun verblüffend reformfreudigen alten Parteien der DDR (inklusive der Basis der SED) ebenso wie die neuen radikal-demokratischen Volksbewegungen nicht für die Abschaffung, sondern ausdrücklich für eine „demokratische Erneuerung des Sozialismus“. Wie in der Sowjetunion Gorbatschows soll auch auf deutschem Boden ein gesellschaftliches Modell in eine zweite Versuchsphase gehen: Nachdem totalitäre Kommunisten von Stalin bis Honecker ihre Völker mit Gewalt und mit Meinungsterror, durch Gefängnisstrafen und Arbeitslager, durch Mauer und Schießbefehl zu ihrem vermeintlichen Glück zwingen wollten, sollen jetzt Selbstbestimmungsrecht und freie Wahlen, Freizügigkeit und offene Grenzen, mehr Leistungsprinzip und Marktwirtschaft mit sozialistischen Idealen von einem besseren, humaneren Zusammenleben in einer Gesellschaft vereinbart werden. Ein historisches, ein dramatisches, ein zerbrechliches Unternehmen, dessen Gelingen beste Absichten aller Beteiligten und aller Nachbarn voraussetzt. Denn nach dem Sturz der korrupten SED-Clique um Erich Honecker und Günter Mittag kann das Experiment „Demokratischer Sozialismus“ ebenfalls am natürlichen Egoismus der beteiligten Bürger scheitern – den von Marx konzipierten „neuen Menschen“, der sein persönliches Wohlergehen zugunsten der Gesellschaft zurückstellt, hat es bisher bestenfalls als Prototypen, nicht aber als massenhafte Erscheinung gegeben. Wenn dennoch eine Mehrheit der Bevölkerung in der DDR eine völlig reformierte sozialistische Staatsform wünscht, sollten wir sie unterstützen. Demokratischer Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik – sozialer Kapitalismus in der Bundesrepublik Deutschland. Das erst wäre ein wirklicher Wettkampf der Systeme.

Erst wenn dieser alternative Versuch in der DDR mißlingt – erst dann ist der Sozialismus als idealistisches Modell staatlichen Zusammenlebens endgültig gescheitert. Erst danach, so meint der Münchener Historiker Prof. Christian Meier, könne die Frage der Vereinigung der DDR mit der Bundesrepublik aktuell werden. (Nicht die der „Wiedervereinigung“ wohlgemerkt, denn was es so zuvor nie gegeben hat, kann auch nicht „wieder vereinigt“ werden.)

Doch: „Finanzhilfen für die DDR dürfen keine Finanzierung des Sozialismus werden“, hat Helmut Kohl seinen Volker Rühe verlautbaren lassen. Entpuppen sich also die jahrzehntelangen Sonntagsreden von „Hilfe für unsere unterdrückten Brüder und Schwestern drüben“ als das, was schon immer darin vermutet werden mußte: als Heuchelei? Es scheint, als fürchte die Bonner Nachhut des kalten Krieges (Abteilung rechter Flügel CDU/CSU) ein ernstzunehmendes gesellschaftspolitisches Konkurrenzmodell auf deutschem Boden, einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“, wie ihn der politisch wiederauferstandene Alexander Dubcek vor mehr als zwanzig Jahren in Prag proklamiert hat. Das wollen die Bonner und Münchener Deutschnationalen nicht. Sie berufen sich auch auf das Gebot des Grundgesetzes, nach dem die „Einheit der Deutschen“ anzustreben sei. Was das heißt? Da sind unserem Einfallsreichtum keine Grenzen gesetzt. „Einheit der Deutschen“ könnte besonders enge Zusammenarbeit zweier Staaten verschiedener Gesellschaftssysteme bedeuten; oder „Vertragsgemeinschaft“, wie sie der neue DDR-Ministerpräsident Hans Modrow vorgeschlagen hat; oder Kooperation auf allen Gebieten; oder eine Konföderation der beiden souveränen Staaten in einem einigen Europa, mit oder ohne Nato und Warschauer Pakt. Helmut Kohls von den Sozialdemokraten unterstützter sogenannter „Zehn-Punkte-Plan zur Wiedervereinigung“ hat ein großes Deutschland mit sogenannten „föderativen Strukturen“ als Ziel. Die DDR wäre darin nicht Partner und schon gar nicht Alternativ-Modell, sondern letzten Endes ein eingemeindeter Bundesstaat.

Der Nestor der DDR-Reformbewegung, Stefan Heym, sieht in Kohls Plan „die Ouvertüre zur Vereinnahmung der DDR“. Er und seine Kampfgefährten fürchten „nach der Bevormundung durch die SED eine neue Bevormundung durch das große Geld“. Wen wundert es nach den Erfahrungen in diesem Jahrhundert, daß von deutschem Boden aus ein Gespenst um die Welt geht: die Furcht vor einem von Amerikanern, Engländern und Israelis bereits sogenannten „Vierten Deutschen Reich“. Von den historisch wohlbegründeten Ängsten in Polen und in der Sowjetunion nicht zu reden.

Während im Osten Europas Entspannung nach innen und außen praktiziert wird, ist bei uns noch nicht einmal die geplante Wehrpflichtverlängerung vom Tisch. Tiefflieger terrorisieren weiter die eigene Bevölkerung und üben „Gegenangriffe“ gegen einen weit und breit nicht mehr auszumachenden potentiellen Angreifer. Noch immer sollen Milliarden für den „Jäger 90“ verpulvert werden, noch immer ist nicht dementiert, daß neue US-Kurzstreckenraketen mit noch tödlicheren Nuklear-Sprengköpfen auf dem Boden des deutschen Grundgesetzes in Schußposition gebracht werden sollen.

Nie war der „Wahnsinn Rüstung“ wahnsinniger als heute: Zielrichtung all dieser Vernichtungswaffen wären auch Schwerin, Dresden und Leipzig, Orte, in denen „unsere Brüder und Schwestern“ noch immer den Ruf auf den Lippen haben, der schon Geschichte gemacht hat. „Wir sind das Volk ...!“

Jürgen Petschull

Dezember 1989

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Dieses Buch will Ursachen und Folgen der Ereignisse um den 13. August 1961 aufzeigen. Und es schildert die Freude der Menschen und die politischen Ereignisse, als 28 Jahre später die Mauer als Symbol des kalten Krieges zusammenbrach, als die Grenzen von Deutschland-Ost nach Deutschland-West geöffnet wurden. Bei den Arbeiten zu diesem Buch standen mir Dokumente (vor allem aus Washingtoner Regierungsarchiven) zur Verfügung, die bisher geheim waren, und Gesprächspartner, die bisher geschwiegen hatten. Für Informationen, Hinweise und Anregungen bedanke ich mich bei Zeugen und Mitwirkenden der Zeitgeschichte; besonders bei Willy Brandt und Egon Bahr, bei Professor Arthur Schlesinger jr. (Anfang der sechziger Jahre Berater Präsident Kennedys), Foy D. Kohler (damals stellvertretender US-Außenminister) und Allan Lightner (früher amerikanischer Gesandter in Berlin).

Die Mauer

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