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Duke die Fellnase

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„Papi?“

„Ja mein Schatz?“

„Kann ich ein Eis haben?“

„Ja, natürlich mein Schatz.“

Ich stöhnte und verdrehte die Augen. Kaum hatten wir den Zoo betreten, da jammerte meine kleine Schwester schon nach einem Eis. Sie hing bei meinem Vater am Arm und sah ihn mit ihren blauen Augen schmachtend an.

Das hätte ich einmal versuchen sollen! ‚Tim Amadeus Förger‘, würde mein Vater sagen und das ‚Amadeus‘ extra betonen, da er wusste, dass ich meinen Zweitnamen hasste. ‚Tim Amadeus Förger, sind wir denn nicht gerade eben erst in den Zoo gekommen? Und schon verlangst du ein Eis? Schämen solltest du dich, schämen!‘

Doch zu meiner zehnjährigen Schwester mit den blonden Locken sagte er lediglich ‚Ja, natürlich mein Schatz‘. Und es dürfte garantiert nicht mehr als fünf Minuten dauern, bis sie ihr Eis auch in der Hand halten würde.

Im Prinzip sind wir ja eine nette, kleine Familie: Da wäre zunächst das Familienoberhaupt, meine Mutter Sabine. Dann mein Vater Thomas, meine Schwester und ich mit meinen dreizehn Jahren, Tim Förger. Mutter nennt sich selbst die gute Seele des Haushalts und bildet sich ständig fort, indem sie im Fernsehen wichtige Dokumentationen anschaut. Einmal - es ist jetzt schon einige Jahre her - habe ich sie gefragt, was eine ‚Daily Soap‘ sei.

„Das sind Dokumentationssendungen über das tägliche Leben“, hat sie mir geantwortet und: „Davon verstehst du nichts, du bist noch zu klein. Wieso bist du jetzt schon hier? Ist die Schule ausgefallen?“ Ich verdrückte mich dann schleunigst auf mein Zimmer.

Vater ist da ganz anders, aber er hat ja auch nicht so viel zu tun, wie Mutter. Er geht wochentags immer um Punkt sieben Uhr aus dem Haus, nimmt den Bus, der direkt vor unserem kleinen Reihenhaus hält und fährt damit zur Arbeit. Vater ist ein wichtiger Mann bei der Post am anderen Ende der Stadt. Er sagt, seine vornehmliche Aufgabe sei sicherzustellen, dass die Menschen mit dem wichtigen Gut der Kommunikationssicherstellung versorgt würden.

Das hatte ich nicht verstanden und grübelte lange darüber nach, um was für eine vornehme Arbeit es sich denn handeln könnte, bis mich der Lehrer ermahnte und mir eine Strafarbeit aufgab. ‚Warum soll ich im Unterricht immer aufpassen und nicht schlafen?‘ war der Titel. Dabei hatte ich doch gar nicht geschlafen. Ein paar Tage später fragte ich meine Mutter, was Vater so Vornehmes machte, doch sie knurrte lediglich: „Er verkauft Briefmarken bei der Post.“

„Aber dafür gibt es doch Automaten“, gab ich das geballte Wissen meines damals elfjährigen Lebens zum Besten. „Oder man bestellt sie sich über das Internet.“ Das wusste ich auch schon, denn ein Freund von mir besaß einen Computer, mit dem er ins Internet konnte. Er selbst hatte sich schon einmal dort einen Stapel Briefmarken gekauft, was ihm aber einen Monat Computerverbot und Stubenarrest einbrachte.

„Deswegen ist dein Vater dort ja auch so etwas wie ein Dinosaurier“, erklärte meine Mutter kurzangebunden und scheuchte mich fort, denn die Reklamepause im Fernsehen war vorbei.

Am Abend beobachtete ich beim Essen meinen Vater genau, ob er irgendwelche Anzeichen eines Dinosauriers an sich hätte, doch ich konnte nichts entdecken.

„Tim, was ist?“, fragte er schließlich, sichtlich nervös durch mein Starren. „Was guckst du mich so an? Stimmt mit meinem Gesicht irgendetwas nicht?“ Er wischte sich mit der Hand über den Mund und verschmierte dabei die Tomatensoße im Gesicht, doch wie ein Dinosaurier sah er immer noch nicht aus.

„Mama hat gesagt, du wärst ein Dinosaurier“, grinste ich und wartete darauf, ob er sich vielleicht verwandeln würde. Doch in diesem Moment flog eine geballte Ladung Spaghetti mit Tomatensoße über den Tisch, den meine damals achtjährige Schwester mit der Gabel in meine Richtung geschnippt hatte. Ich wich geschickt aus und die Matsche landete an der Wand hinter mit.

„Lass die Sauerei, Stefanie“, schrie meine Mutter und sprang auf, einen Lappen zu holen. „Du gehst jetzt sofort auf dein Zimmer!“

„Sei doch nicht so streng mit dem Kind“, mischte sich mein Vater ein und erntete einen bösen Blick dafür. „Das hat Steffi doch bestimmt nicht extra gemacht. Nicht wahr, Steffi?“

Meine blondgelockte Schwester machte einen Schmollmund und sah Vater an. „Nein, das war doch Tims Schuld.“

Anstatt meiner Schwester musste ich dann auf mein Zimmer gehen und darüber nachdenken, dass ich sie nicht immer provozieren sollte.

Aber jetzt steuerten wir wirklich auf einen der vielen Verkaufsstände im Zoo zu, die Süßigkeiten, Zuckerwatte und Eis anboten. „Was möchtest du denn für ein Eis, mein Schatz?“, säuselte mein Vater und zückte auch schon die Brieftasche. Das einzig Gute an der ganzen Sache war, dass ich ebenfalls ein Eis bekommen würde.

Schließlich wanderten wir weiter, doch nach ein paar Metern blieb Steffi einfach stehen. „Das Eis schmeckt nicht“, murrte sie. „Ich möchte eine Zuckerwatte.“

Meine Mutter, die ein Stück vor uns ging, merkte nicht einmal, wie wir umdrehten und zu dem Stand zurückgingen.

Wir haben dann den halben Tag damit verbracht, in dem Zoo nach Mutter zu suchen, bis uns eine Lautsprecherdurchsage zu ihr führte: „Frau Förger sucht ihren Mann und ihre Kinder. Bitte melden sie sich beim Zooeingang.“ Während wir fast im Laufschritt zum Eingang strebten, wurde die Durchsage noch zweimal wiederholt.

An dem kleinen Häuschen, das als Kasse und Information diente, erwartete uns schon ein Pulk von Menschen, die alle wild durcheinandersprachen. „Ich bin Frau Görger, haben sie nach mir gesucht?“, hörte ich eine alte Frau rufen, von einem anderen Ehepaar vernahm ich: „Wir sind die Hörpers, warum haben sie uns ausgerufen? Wir haben doch gar keine Kinder ...“

Jedenfalls war Mutter glücklich, uns wiederzusehen, was sie mit den Worten ‚Thomas, was hast du dir bloß wieder dabei gedacht? Es ist doch immer wieder das gleiche Elend mit diesem Mann‘ seufzend zusammenfasste. Und da meine Eltern für heute genug Aufregung miteinander hatten - und in Kürze eine der wichtigen Lebensdokumentationen im Fernsehen lief - machten wir uns auf den Heimweg.

„Ich habe Hunger“, ließ sich meine Schwester Minuten später vernehmen und verschränkte die Arme vor der Brust, was kein gutes Zeichen war. Zumal jetzt ein Imbiss in Sichtweite kam.

„Wir sind ja gleich zu Hause, da gibt es etwas zu essen“, knurrte meine Mutter, die offensichtlich den Verlust ihrer Restfamilie in dem Zoo noch nicht ganz überwunden hatte. „Du musst dich noch etwas gedulden, Stefanie.“ Sie nannte meine Schwester immer ‚Stefanie‘, wenn sie sauer war.

„Ich habe aber jetzt Hunger“, beharrte die Zehnjährige und verlangsamte ihren Gang. „Bis nach Hause schaffe ich es nicht mehr. Papiii - sag doch auch mal was.“

Wir hatten noch gut fünfzehn Minuten zu gehen.

„Wir sind doch gleich zu Hause, Steffi.“

„Papiii ...“

„Da vorne ist ja eine Frittenbude“, bemerkte mein Vater. „Sabine, wir könnten doch kurz ... Ich meine ... also, Tim hat bestimmt auch Hunger.“

Ich hätte jetzt sagen können: ‚Nein, habe ich nicht‘, doch uns Kindern war beigebracht worden, nicht zu lügen und so nickte ich nur.

„Und mir täte eine Stärkung auch ganz gut“, lächelte mein Vater und steuerte den Imbiss an.

Steffi hakte sich bei ihm unter, schenkte meinem Vater ein strahlendes Lächeln und meinte: „Du bist der beste Papi der Welt.“

Mutter und ich folgten den beiden in das kleine Lokal, in dem es nach Pommes Frites, Bratwurst und ... Schweiß roch. Mutter verzog angewidert das Gesicht, doch wir Kinder waren angesichts der zahlreichen Speisenangebote auf einer kleinen Tafel begeistert.

„Ich will eine Currywurst mit Pommes“, krähte meine kleine Schwester und drückte sich die Nase an der gläsernen Verkaufstheke platt. „Und das da, das sieht lecker aus.“ Sie zeigte auf einen großen Fleischklops, der eine Frikadelle darstellen sollte.

In dem kleinen Lokal gab es keine Sitzplätze und so stellten wir uns an einen freien Stehtisch. Mutter hatte sich für einen gemischten Salat entschieden, ich bekam eine Jägerwurst und Vater bestellte sich eine Flasche Bier. „Wir essen ja gleich noch zu Hause“, lächelte er, als Mutter ihn mit einem bösen Blick bedachte. „Da will ich mir doch jetzt nicht schon den Appetit verderben.“

„Thomas, du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass ich mich zu Hause noch hinstelle und koche, wenn ihr euch hier schon alle satt esst!“ Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und fügte hinzu: „Außerdem beginnt gleich meine ... mein ... Dokumentarfilm.“

„Dann hole ich mir am besten auch noch etwas“, gab mein Vater von sich und trug die leere Bierflasche zurück zum Tresen. Kurz darauf kehrte er mit einem Zwiebelschnitzel, reichlich Pommes und einer neuen Flasche Bier zurück.

„Hast du nicht schon genug getrunken?“, fragte Mutter bitter und Steffi hackte mit ihrem Pommesgäbelchen in den Zwiebeln auf Vaters Teller herum.

„Was ist das?“

„Das sind Zwiebeln, mein Schatz. Möchtest du einmal probieren?“ Vater schaufelte ein paar der glitschigen, fettigen Zwiebeln auf das Schälchen meiner Schwester. Die probierte kurz und spuckte sie anschließend angeekelt über den Tisch.

„Die sind ja ekelhaft. So etwas kannst du essen, Papi? Tu das Zeug weg, tu es weg!“

Vater entfernte die Zwiebeln wieder von Steffis Schälchen und schnitt ein Stück von dem Schnitzel ab. „Möchtest du das probieren?“

„Nein!“ Meine Schwester verschränkte die Arme vor der Brust. „Und meine schöne Currywurst hast du verseucht. Ich will eine neue!“

Vater zeigte Stil und besorgte ihr ohne weitere Diskussionen eine neue Portion. Bei der Gelegenheit versorgte er sich mit einer frischen Flasche Bier.

„Das ist schon deine dritte“, ließ sich meine Mutter bissig vernehmen. „Darüber werden wir zu Hause einmal reden müssen!“

Vater ließ sich seine gewohnt gute Laune nicht verderben und erwiderte: „Alle guten Dinge sind drei, Sabine. Heute sollten wir uns - und den Kindern - doch einmal etwas gönnen. Schließlich haben sie ja Ferien.“

„Aber keine drei Bier, mein Lieber!“

Steffi matschte in der neuen Portion herum, vermischte Soße mit Mayonnaise und pikste ein Stück Wurst auf, das sie anschließend in die Höhe hielt und verkündete: „Ich bin satt. Können wir nicht bald gehen?“

Mutter blickte auf ihre Uhr - sie dachte bestimmt an ihre Fortbildung im Fernsehen - und nickte. „Ja, wir sind alle satt. Gehen wir.“

Ich hatte noch nicht aufgegessen und versuchte noch schnell so viel von meiner Wurst, Pilzen und den Pommes wie möglich in den Mund zu stopfen, bevor wir das Lokal verlassen würden.

„Nun sieh dir einmal an, wie gierig der Junge isst“, ließ sich meine Mutter auch prompt vernehmen. „Das Kind kommt ganz auf dich, Thomas.“

Ich schaffte es nicht, meine Mahlzeit zu beenden, sondern wurde von ihr vom Tisch fortgezogen. Dabei fiel die kleine Pappschale um und Soße ergoss sich auf mein Hemd.

„Das war das letzte Mal, dass wir dich in ein Restaurant mitnehmen“, giftete meine Mutter. So etwas hatte sie beim letzten Mal auch gesagt ...

Während wir fast im Laufschritt zurück zu unserem kleinen Häuschen strebten, begann es in Strömen zu regnen. Innerhalb von Minuten waren wir vollständig durchnässt, wodurch auch ein Großteil der braunen Soße von meinem Hemd gewaschen wurde. Leider floss jetzt alles an mir herunter und färbte meine Hose ebenfalls braun.

„Das ist nur Tims Schuld“, krähte Steffi. „Hätte der aufgegessen, dann würde es jetzt schönes Wetter geben. Aber der isst ja nie seinen Teller leer ...“

Wie gerne hätte ich doch meine Wurst aufgegessen, doch ob das an dem Wetter etwas ändern würde?

Wir waren nur noch zwei Straßen von zu Hause entfernt, als Steffi plötzlich stehenblieb. Mutter, die wie immer voranging und ein sehr zügiges Tempo vorgab, bemerkte wieder nicht, dass der Rest der Familie zurückblieb und wenige Sekunden später war sie im dichten Regen verschwunden. Kurz flammte in mir die Angst auf, jetzt - wie zuvor im Zoo - den Rest des Tages und vielleicht sogar die halbe Nacht durch die Stadt irren und Mutter suchen zu müssen, doch dann beruhigte ich mich: Wir konnten uns ja zu Hause treffen.

„Steffi, was ist?“, fragte mein Vater besorgt. „Warum bist du stehengeblieben?“

„Da, da vorne.“ Die Kleine zeigte mit dem ausgestreckten Arm auf eine Laterne, hinter der ein dichter Strauch wuchs.

Vater lachte. „Das sind Brombeersträucher, Steffi. Die Früchte sind aber noch nicht reif, sie sind ja noch ganz rot. Die darfst du erst essen, wenn sie schwarz sind, sonst schmecken sie noch nicht. Du kannst zu Hause aber ein paar Erdbeeren bekommen, es sind noch welche im Kühlschrank.“

Nun, da irrte sich mein Vater, im Kühlschrank befanden sich keine Erdbeeren mehr. Das musste ich ja schließlich wissen, denn die hatte ich heute Morgen heimlich aufgegessen. Allerdings sagte ich lieber nichts.

„Nein, da, da“, beharrte meine Schwester. „Sieh doch, Papiii.“

Mein Vater und ich blickten genauer hin und tatsächlich: Mitten in dem dornigen Gesträuch saß ein kleiner Hund, der sich vor dem Regen dorthin geflüchtet hatte. Er war mit einem einfachen Strick an der Laterne festgebunden.

Mein Vater hasste Hunde, denn irgendwann einmal - zu der Zeit, als er noch im Außendienst der Post gestanden hatte und (wie er selbst sagte) ‚die hochwichtige Aufgabe vertreten hatte, den Leuten gute und weniger gute Nachrichten überbringen zu dürfen‘ - war er (nach seinen Worten) von einer riesigen Bestie angefallen und in den Hintern gebissen worden. Ich habe später erfahren, dass es ein Jack Russel gewesen war, der meinen Vater bewogen hatte, vom gefährlichen Außendienst in den (seine Worte) ‚weitaus wichtigeren Innendienst‘ zu wechseln.

Jedenfalls tat Vater so, als würde er den Hund nicht sehen und fasste Steffi am Arm. „Komm, mein Schatz, wir müssen nach Hause, es regnet.“

„Papiii, Papiii der arme Hund.“

Vater tat erstaunt. „Ein Hund? Ich sehe keinen Hund. Nun komm schon, mein Schatz ...“ Doch sein Widerstand erlahmte zusehends.

„Papiii ...“ Steffi zog meinen Vater zu der Laterne. „Den hat hier jemand angebunden. Der arme, arme Hund.“

„Bestimmt kommt der Besitzer gleich wieder“, meinte mein Vater unbehaglich. „Der holt bestimmt nur ein Leckerli für seinen Fiffi. Komm, Steffi, Mama wartet bestimmt schon auf uns.“

„Nein, nein“, beharrte meine Schwester. „Den hat bestimmt jemand abgesetzt.“

„Ausgesetzt“, korrigierte ich sie und spürte im selben Moment den bösen Blick meines Vaters.

„Nein, wahrscheinlich nicht“, gab Vater von sich und hielt eine Hand über seinen Kopf. Doch das schützte ihn nicht vor dem Regen, der jetzt in seinen Jackenärmel lief. Rasch nahm er den Arm wieder herunter. „Der Besitzer kommt bestimmt gleich wieder.“

Wir warteten eine geschlagene Stunde im Regen auf den Besitzer, weil Steffi sich vehement weigerte, weiterzugehen. Dann endlich gab mein Vater auf.

„Na gut“, seufzte er schließlich. „Wir können ihn ja erst einmal mit nach Hause nehmen ...“

„Papi, du bist der beste Papi der Welt“, ließ sich Steffi vernehmen und es klang irgendwie sehr selbstzufrieden.

Vater löste das Seil von der Laterne, wobei er sehr langsam vorging. Vermutlich hoffte er immer noch, dass sich der Besitzer des Hundes zeigen würde, doch das geschah natürlich nicht. „Komm Hundchen, komm“, lockte er schließlich und zog an der Schnur. Doch das Tier bewegte sich nicht einen Millimeter. „Nun komm schon du Kö... lieber Hund. Du kriegst auch ein Leckerli.“ Erneut zerrte er an der Leine, diesmal etwas fester.

„Papi, du tust ihm ja weh“, krähte meine Schwester. „Nicht so feste. Sieh mal, wie der arme Hund zittert.“

Der arme Hund zitterte aus dem gleichen Grund, wie wir alle: Es regnete und es war saukalt. Bestimmt würde ich mir einen Riesenschnupfen holen.

Vater zog noch einmal mit einem Ruck an dem Seil, worauf der Hund gequält jaulte.

„Papi, sei vorsichtig. Der liebe Hund. Er jammert ja schon. Du musst gaaanz gaaanz vorsichtig sein!“

Mein Vater nickte und sah ratlos auf den Hund. Am liebsten hätte er das Seil wieder an die Laterne gebunden, doch Steffi stand mit beiden Fäusten in den Hüften da und sah ihn böse an. „Nun mach doch endlich was. Der kleine Kerl wird dort noch erfrieren.“

Würde er bestimmt nicht, so kalt war es jetzt im Sommer auch wieder nicht. Aber ich sagte nichts und versuchte weiterhin unbeteiligter Zuschauer zu bleiben. Nicht, dass mein Vater noch auf die Idee käme, ich sollte in das Gebüsch kriechen und den Hund dort herausholen.

Doch zum Glück kam er nicht auf solche Gedanken, sondern wickelte sich die Schnur um die Hand, ließ sich auf alle Viere herunter und kroch langsam in den Dornenbusch herein.

„Gaaanz vorsichtig, Papi, gaaanz vorsichtig“, ließ sich Steffi wieder vernehmen.

Aber meinem Vater brauchte sie das nicht extra zu sagen, da er schon mit äußerster Vorsicht durch die Dornen navigierte. Allerdings nützte ihm das nichts, denn plötzlich verhakte sich ein Zweig in seiner Hose und riss ein großes Loch in den Stoff.

„Scheiße“, schimpfte er und versuchte den Zweig beiseite zu schieben, wobei er sich blutige Hände holte, als die Dornen sich dort in die Haut bohrten. „Scheiße, Scheiße, Scheiße“, fluchte er und bewegte sich plötzlich ruckartig, was zur Folge hatte, dass ein Ärmel seiner geliebten Jacke ebenfalls einriss.

„Papiii?“

„Ja mein Schatz.“

„Scheiße sagt man nicht, Papi.“

„Ja mein Schatz, da hast du vollkommen recht. Tut mir leid, das wird nicht wieder vorkommen.“

Wenigstens hatte er sich jetzt näher an das Tier herangekämpft, auch wenn inzwischen in seinem Gesicht einige blutige Striemen zu erkennen waren. Mein Vater streckte die Hand aus und wollte den Hund greifen, als dieser sich auf seine kurzen Beinchen erhob und seelenruhig an ihm vorbei aus dem Gebüsch stiefelte.

Steffi ließ sich auf die Knie nieder und hielt dem Tier die Hände hin. „Du bist aber ein Lieber. Und so hübsch ...“

Das Vieh war potthässlich, hatte kurze, dicke Beine, einen gedrungenen Körper und eine platte Schnauze. Ein typischer Mops eben. Das Tier schnaufte wie eine kaputte Dampfmaschine - ich hatte noch nie eine Dampfmaschine gesehen oder gehört, doch so musste sich eine anhören, wenn sie kaputt war - und ließ sich von Steffi den Kopf kraulen.

Mein Vater kroch derweil langsam rückwärts aus dem Gebüsch, konnte dabei aber nicht die Dornenzweige kontrollieren und riss sich den Hosenboden auf. Leise fluchend - aber so, dass Steffi es nicht mitbekam - zog er dann Dornen aus seinem Handrücken und dem Gesicht.

Meine Schwester hätte aber ohnehin kaum etwas mitbekommen, denn sie verwöhnte jetzt den Hund nach Strich und Faden. Sie strich ihm über das nasse Fell, ließ sich das Gesicht ablecken und versuchte das Tier auf den Arm zu nehmen, was aber nicht gelang, da es zu glitschig war.

Vater hatte sich inzwischen wieder zu seiner vollen Größe aufgerichtet und hielt Steffi das Seil hin, doch die schüttelte den Kopf.

„Du musst ihn tragen, Papi. Schau doch mal, wie geschwächt der kleine Kerl ist.“

Nun, einen geschwächten Eindruck machte das Tier jetzt nicht auf mich, zumal es sich direkt vor meiner Schwester auf den Gehweg hockte und dort sein großes Geschäft verrichtete.

Mein Vater sah sich gehetzt um, ob uns jemand beobachtete, denn er wusste, dass er verpflichtet war, die Hinterlassenschaften seines Hundes zu beseitigen. Auch wenn es ja eigentlich gar nicht sein Hund war. Schnell nahm er den Mops auf den Arm, der sich dagegen vehement wehrte, und rief uns ein ‚nun kommt schon‘ zu.

Schnellen Schrittes entfernten wir uns von der Laterne, dem Dornenbusch und dem Hundehaufen auf dem Gehweg.

Endlich zu Hause angekommen, stürmten Steffi und ich direkt zum Badezimmer, wobei die kleine Kröte Sekunden schneller war, als ich. Während sie die Tür zuschlug, streckte sie mir noch die Zunge heraus. Ich schlich auf mein Zimmer und trocknete mich dort mit einem alten T-Shirt ab, zog frische Kleidung an und lauschte auf das Knurren meines Magens. Die wenigen Wurststückchen vorhin hatten mich einfach nicht satt gemacht und schließlich ging ich in die Küche.

Stefanie befand sich immer noch im Badezimmer und das Rauschen der Dusche war bis in die Küche zu vernehmen. Ich sah mich nach meiner Mutter um und fand sie schließlich im Wohnzimmer vor dem Fernseher, in dem einer ihrer ‚Dokumentarfilme‘ lief. Vor ihr auf dem Tisch stand eine halbvolle Schachtel Pralinen.

„Ich bekomme ein Kind von dir“, klang eine weibliche Stimme aus dem Fernseher und ein schrilles Lachen erklang. Ein Mann antwortete: „Wie konnte das passieren?“

Ich grinste. Mit meinen dreizehn Jahren hätte ich es dem Mann dort schon recht gut erklären können.

„Tim, geh auf dein Zimmer“, ließ sich meine Mutter vernehmen. „Das hier ist nichts für dich, dafür bist du noch zu jung.“

„Aber ich habe Hunger. Gibt es nichts zu essen?“

„Du hast doch gegessen. Bist du denn mit der riesigen Jägerwurst und den Pommes immer noch nicht zufrieden?“ Meine Mutter seufzte. „Ja, ja das Wachstum. Schau doch mal im Kühlschrank nach und stör mich jetzt nicht.“

„Wir haben doch nur einmal gevögelt“, meldete sich der Mann im Fernsehen wieder. „Wie kann da so etwas passieren?“

„Nun geh schon, Tim.“ Meine Mutter stopfte sich drei Pralinen gleichzeitig in den Mund.

„Was ist vögeln?“, ließ sich Steffi, die endlich das Bad freigegeben hatte, von der Tür her vernehmen. Ich schoss aus dem Zimmer zum Bad, doch gerade schloss sich die Tür hinter meinem Vater. Achselzuckend kehrte ich in die Küche zurück.

Der Mops hatte inzwischen auch seinen Weg dorthin gefunden, lief kreuz und quer zwischen dem Tisch und den Stühlen umher und hob schließlich am Türrahmen sein Bein. Ich wandte mich angeekelt ab und öffnete den Kühlschrank. Irgendetwas Essbares musste doch zu finden sein. Ein dickes Stück Fleischwurst lachte mich an und ich wusste, dass ich es auch ohne Brot herunterbekommen würde. Ich sah mich noch einmal um, doch was sollte mir passieren: Schließlich hatte Mutter mich doch selbst zum Kühlschrank geschickt. In dem Moment, als ich nach der Wurst greifen wollte, sauste ein Schatten an mir vorbei, polterte in den Kühlschrank hinein, schnappte sich die Wurst und rannte damit - so schnell ihn seine kurzen Beinchen tragen konnten - aus dem Zimmer. Ich fiel vor Schreck auf meinen Hintern und blieb vor dem offenen Kühlschrank sitzen.

„Was machst du denn da, Tim?“, hörte ich meine Mutter hinter mir. „Du sollst doch den Kühlschrank nicht so lange offen stehen lassen! Das kostet doch viel zu viel Energie. Tim, dass du so unvernünftig bist!“

Anscheinend war der Dokumentarfilm mit dem dummen Mann, der nicht wusste, wo die Kinder herkamen, zu Ende gegangen. Mich hätte schon interessiert, ob er letztlich doch noch erfahren hätte, wie es passierte, dass man Kinder bekam, doch das traute ich mich Mutter nicht zu fragen. Die war jetzt ohnehin damit beschäftigt, den Inhalt des Kühlschranks zu inspizieren. „Wo ist denn die Fleischwurst geblieben?“, fragte wie argwöhnisch. „Hast du das ganze Stück gegessen?“

„Nein“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „Das war der Hund.“

Meine Mutter lachte schrill und es klang wie das Lachen zuvor im Fernseher. Allerdings sagte sie nichts davon, dass sie ein Kind bekäme, sondern bemerkte kopfschüttelnd: „Der Hund? Tim, du willst mich wohl für dumm verkaufen? Fang noch an zu bellen und ich glaube dir!“

„Wau wau“, machte es in diesem Moment hinter ihr und meine Mutter blickte sich irritiert um.

„Iiiih, was ist das denn?“

„Ein Hund“, erklärte ich. „Um es genauer zu sagen: Der Hund, der die Wurst gefressen hat.“

„Das ist ja ein Mops, igitt“, kreischte meine Mutter jetzt und schlug in dem Moment die Kühlschranktüre zu, als der Hund zum Sprung ansetzte. Vielleicht wollte er sich das Stück Käse noch holen. Jedenfalls knallte der Köter mit dem Kopf gegen die Türe und rollte sich jaulend ab. „Wo hast du den denn her, Tim? Du weißt doch, dass du keine Hunde mit nach Hause bringen sollst ...“

„Das ist nicht mein Hund“, erklärte ich beleidigt. Wie konnte meine Mutter annehmen, dass ich so eine hässliche Kreatur hierhin mitbringen würde? „Der gehört Steffi.“

Meine Mutter drehte sich zur Tür und brüllte durch das Haus: „Stefanie. Komm sofort her.“

Einige Minuten später trottete meine Schwester heran, sah den Mops und grinste glücklich. „Hier bist du, ich habe dich schon gesucht.“

Mutter zeigte auf den Hund. „Erklär mir das Mal, Stefanie!“

„Das ist ein Hund“, meinte meine Schwester und streichelte den Mops, der immer noch vor dem Kühlschrank lag, Entweder war der Hund ein hervorragender Schauspieler, oder er hatte sich bei dem Sprung gegen die Tür ernsthaft verletzt.

„Dass das ein Hund ist, sehe ich selbst. Wo kommt das Tier plötzlich her?“ Meine Mutter hatte definitiv schlechte Laune und ich überlegte, ob ich irgendwie in mein Zimmer entkommen konnte. Doch das hier war bald schon so interessant, wie der kurze Dialog im Fernsehen, den ich vorhin mitbekommen hatte.

„Den hat Papa aus einem Busch gerettet.“

Wieder drehte sich meine Mutter zur Tür. „Thoooomas, komm sofort her.“

Zwei Sekunden später stand mein Vater in der Küchentür. Er war noch nass vom Duschen und trug ein Handtuch um die Hüften. „Sabine, was ist los? Ist irgendetwas passiert?“

„Das da.“ Meine Mutter zeigte auf den Hund. „Trägst du dafür die Verantwortung?“

„Also ... hmm ... eigentlich ...“

„Hast du das Vieh ins Haus geschleppt?“ Der Ton meiner Mutter wurde immer bedrohlicher. „Wo kommt das überhaupt her?“

„Von draußen. Es saß da so ... traurig unter einem Busch.“

Jetzt sah ihn meine Mutter genauer an. „Thomas, was ist mit deinem Gesicht los? Und mit deinen Händen? Hast du vielleicht wieder versucht, dich nass zu rasieren?“

Vater hob abwehrend die Hände. „Nein, nein, das waren die Dornen. Von dem Busch. Als ich den Hund gerettet habe.“

„Der Hund verschwindet. Sofort!“, schrie meine Mutter. „Bring ihn dahin zurück, wo du ihn herhast. Auf der Stelle!“

„Ja aber ...“ Vater sah an sich herunter und blickte auf das Handtuch. „So?“

„Das ist mir vollkommen egal. Ich will in meinem Haus keinen dieser Flohtaxis haben.“

Jetzt fing Steffi laut an zu weinen. Sie hielt den Mops im Arm und streichelte ihn unentwegt. „Mein Hund hat keine Flöhe“, jammerte sie und drückte den Köter fest an sich. „Papa hat ihn vor dem Erfrieren gerettet! Papiii ...“

„Der Hund hat keine Flöhe“, echote mein Vater hilflos und zupfte an dem Handtuch, das allmählich zu rutschen begann. Zu seinen Füßen bildete sich eine Wasserlache, die sich mit der, die der Mops vorhin produziert hatte, verband. „Das geht ja bei dem kurzen Fell auch gar nicht.“

„Alle Hunde haben Flöhe“, bestimmte Mutter. „Wie konntet ihr mir das antun?“

„Wir bringen ihn morgen zum Tierheim“, ließ sich mein Vater lahm vernehmen. „Sobald ich von der Arbeit heimgekehrt bin.“

„Nein, der Hund kommt jetzt weg. Sofort! Oder ich gehe.“

Ich versuchte, ein Grinsen zu unterdrücken. Das hier war wesentlich besser, als die Sache mit dem blöden Mann im Fernsehen. Rasch überlegte ich, welche Nachteile wir dadurch bekommen würden, wenn Mutter uns wirklich verließ. Vielleicht war da der Hund die bessere Alternative. Aber - mein rationales Denken gewann die Oberhand - der Hund wäre vermutlich nicht in der Lage, uns ein Mittagessen zu kochen. Und er fraß uns ja auch die Wurst weg.

„Was gibt es da zu lachen, Tim?“, grollte Mutter, die ihre Augen natürlich überall hatte. „Du nimmst dir jetzt deinen Vater und dann bringt ihr beide diesen dämlichen Köter dahin zurück, wo ihr ihn herhabt.“ Mutter nahm den Mops am Nacken hoch und drückte ihn meinem Vater in die Hand. Der hielt mit der anderen sein Handtuch fest und sah hilflos von meiner Schwester zu mir.

„Und jetzt raus mit dem Vieh!“ Mutter drängte meinen Vater samt Hund zur Haustür. „Los Tim, du gehst mit!“ Sie schob uns auf den Gehweg hinaus und warf hinter uns die Tür ins Schloss.

Vater trottete los, in Richtung der Laterne mit dem Busch, wobei er mit einer Hand das Handtuch festhielt. Ich folgte ihm, versuchte aber möglichst nicht aufzufallen. Am Ende hätte ich den Mops noch tragen dürfen.

Da es immer noch in Strömen regnete, erreichten wir schließlich unbehelligt die Laterne. „Unter den Busch krieche ich auf keinen Fall noch einmal“, grunzte Vater zu sich selbst und wickelte den Strick um die Laterne. Da er dazu beide Hände benötigte, rutschte das Handtuch nun endgültig herunter. Er wollte gerade das Seil verknoten, als ein Schatten auf uns fiel.

Ein Mann mit einem schwarzen Regenmantel, einem Schirm in der Hand und einem großen Hund an der Leine trat zu uns. „Was machen sie denn da? Und warum sind sie nackt?“ Er schien die Situation sofort zu erfassen und fuhr fort: „Wollen sie das arme Tier etwa aussetzen?“ Schon hielt er ein Handy in der Hand, während mein Vater das Handtuch verschämt vor sich hielt. „Ich werde die Polizei rufen. Ein nackter Mann, der seinen Hund aussetzen will ... Wo gibt es denn so etwas?“

„Ich bin nicht nackt“, stammelte mein Vater und wickelte die Leine wieder von der Laterne los. „Außerdem wollte ich den Hund nicht aussetzen, sondern nur kurz mit ihm Gassi gehen. Das Tier musste so dringend. Tim, sag doch auch etwas ...“

Ich sah den Mann mit dem Schirm an und nickte. „Der Hund musste so dringend. Mein Vater wollte ihn bestimmt nicht aussetzen.“ So viel dazu, dass man nicht lügen sollte ...

„Wo wohnen sie überhaupt? Gehen sie mal voran, ich begleite sie.“

Kurze Zeit später betraten Vater und ich wieder unser Haus. Und der Mops. Zum Glück hatte ich meinen Haustürschlüssel mitgenommen. Der Mann mit dem Schirm zog zufrieden von dannen, notierte sich zuvor aber deutlich sichtbar unsere Adresse. Wenigstens hatte er nicht die Polizei gerufen.

„Morgen bringe ich den Köter ins Tierheim“, grollte mein Vater, setzte den Mops auf den Boden und verschwand mit dem Handtuch in der Hand im Badezimmer. Aus dem Wohnzimmer drangen Stimmen einer weiteren ‚Dokumentarsendung‘. „Bin ich dir denn nicht genug?“, sagte eine weinerliche Frauenstimme. „Musst du auch noch mit anderen vögeln?“

Der Begriff ‚vögeln‘ schien in diesen Sendungen einen recht hohen Stellenwert zu haben. „Es ist nicht meine Schuld“, antwortete ein Mann. „ich weiß nicht, wie das passieren konnte ...“

Ich schlich an der Wohnzimmertüre vorbei in mein Zimmer. Für heute war mein Bedarf an solchen Dialogen gedeckt. Wenige Minuten später vernahm ich aus Steffis Zimmer einen freudigen Aufschrei. „Da bist du ja wieder. Jetzt wird alles gut. Komme her, mein Schatz, du bist ja ganz nass ...“

Ich legte mich - so nass ich war - auf mein Bett und schlief ein.

Am nächsten Morgen erwachte ich frierend und mit Kopfschmerzen. Auf dem Küchentisch fand ich einen Zettel von Mutter, in dem sie uns erklärte, dass sie unterwegs sei, um einzukaufen und wir uns unser Frühstück selber machen sollten. Wenige Minuten später schlurfte Steffi im Schlafanzug herein und sah sich suchend um. „Wo ist Mutter?“, fragte sie leise.

„Einkaufen. Wir sollen uns das Frühstück selber machen.“

„Au fein.“ Schon plünderte sie den Kühlschrank und zog wieder davon. Ich hätte schwören können, dass sie die Wurstscheiben, die sie davontrug, an den Mops verfüttern würde. Achselzuckend nahm ich einen kräftigen Schluck aus der Milchdose und kleckerte dabei auf mein T-Shirt, das immer noch feucht vom gestrigen Abend war. Ich fror und nahm mir vor, ausgiebig heiß zu duschen.

Doch dazu kam es zunächst nicht, da Steffi wieder einmal das Bad blockierte. Dafür strich der Mops plötzlich durch die Küche, suchte sich eine passende Stelle und hob diesmal das Bein am Kühlschrank.

„Papi ist wirklich so ein Schatz“, begrüßte mich Steffi, die sich frisch geduscht und jetzt endlich angezogen an den Tisch setzte.

„Dir auch einen guten Morgen“, knurrte ich. „Warum sagst du das?“

„Was?“

„Dass Vater so ein Schatz ist.“

„Na, weil er Mopsi wieder zurückgebracht hat.“

Ich sah sie an. „Mopsi? Du willst den Hund Mopsi nennen?“

„Mir fiel nichts Besseres ein. Wie würdest du ihn denn nennen?“

Ich überlegte und dachte an meinen Freund, mit dem ich auf seinem Computer ein Spiel gespielt hatte, dass mir besonders gefiel. ‚Duke Nukem‘ war der Titel und das Geballere auf Außerirdische hatte uns beiden einen Heidenspaß gemacht. „Ich würde ihn ‚Nukem‘ nennen“, verkündete ich, doch dann fiel mir noch etwas Besseres ein: „Nein, ‚Duke‘ wäre doch ganz toll.“ Ich dachte an die fetten, schleimigen Monster in dem Spiel und bekräftigte: „Genau, Duke. Ein wirklich feiner Name.“

„Djuhck? Das hört sich ... komisch an.“ Steffi überlegte einen Moment. „Doch ... ja. Djuhck klingt eigentlich ganz schön.“

„Duke“, erklärte ich. „Das ist Englisch. D-u-k-e.“

„Duke? Was heißt denn das?“

„Keine Ahnung. Irgendwas mit Außerirdischen. Der Mops sieht doch so süß aus, wie ein Außerirdischer.“ Ich verschwieg ihr, dass ich dabei an die schleimigen, einäugigen Monster dachte.

„Ja, Duke gefällt mir. Duke, komm doch mal her.“ Doch der Mops reagierte nicht und Steffi lief durch die Küche hinter ihm her, bis sie ihn eingefangen hatte. „Du heißt jetzt Duke. Duke, verstehst du?“ Der Hund leckte ihr über das Gesicht, was die Namensgebung wohl besiegeln sollte.

Als wir hörten, wie die Haustür aufgeschlossen wurde, verschwand Steffi mit dem Hund in ihrem Zimmer.

„Hallo Tim“, begrüßte mich meine Mutter und stellte mehrere Tüten auf den Küchentisch. „Räum das doch bitte mal in den Kühlschrank. Wo ist denn deine Schwester?“

„Auf ihrem Zimmer. Ich glaube, sie wollte noch etwas für die Schule tun.“ Ich wurde im Lügen immer besser.

„Jetzt? In den Ferien? Na ja, Steffi war schon immer sehr strebsam. Ich werde mal nach ihr sehen.“

Eigentlich hätte es mir ja egal sein können, doch nachdem der Hund nun nach einer Idee von mir benannt worden war, fühlte ich so etwas wie Verantwortung. Außerdem hätte Mutter vermutlich mich wieder mit dem Köter losgeschickt, um ihn an der Laterne anzubinden. „Das ist vielleicht keine so gute Idee“, gab ich zu bedenken. „Steffi will doch beim Lernen nicht gestört werden ...“

„Ach Quatsch. Was du auch wieder redest, Tim.“ Schon war sie verschwunden.

Ich wartete auf das schrille Gekreische, das aus dem Zimmer meiner Schwester dringen musste, doch überraschenderweise blieb alles ruhig. Kurze Zeit später kehrte Mutter wieder in die Küche zurück.

„Steffi hat nur gelesen“, verkündete sie lächelnd. „Sie war sogar froh, dass ich kurz zu ihr kam.“ Meine Mutter sah mich an. „Du solltest dir auch mal wieder ein Buch vornehmen, Tim. Lesen bildet. Du kannst doch nicht den lieben langen Tag hier in der Küche herumgammeln. Nimm dir mal lieber ein Beispiel an deiner Schwester. Außerdem muss ich gleich Mittagessen kochen.“

„Was gibt es denn?“

„Spaghetti, die esst ihr doch so gerne.“

Im Prinzip stimmte das schon. Doch leider gab es während der Woche - zumindest jetzt in den Schulferien - jeden Tag Spaghetti. Mal mit Tomatensoße, mal mit einer ekligen Pilzsoße. Mir hingen die Nudeln langsam zum Hals heraus. „Au prima“, nickte ich wenig begeistert und überlegte, ob mein Taschengeld noch für eine Currywurst reichen würde.

Ich hatte Langeweile und wollte auch nicht in meinem Zimmer bleiben, also ging ich zu Steffi.

„Kannst du nicht anklopfen?“, meckerte sie. „Das gehört sich doch so.“

„Du klopfst doch bei mir auch nie an.“

„Das ist etwas anderes. Was willst du, Tim?“

„Mutter war doch gerade hier. Hat sie Duke nicht entdeckt? Wo steckt der überhaupt?“

Steffi lachte und zeigte auf ihren Kleiderschrank. „Ich habe ihn dort versteckt. Wenn Mutter ihn sieht, dann müssen wir ihn bestimmt wieder wegbringen. Und ich möchte meinen kleinen Duke doch soooo gerne behalten ...“

„Wir sollten das heute Abend mit Vater besprechen, wenn er nach Hause kommt. Ewig kannst du den Hund ja nicht verstecken. Er muss auch mal raus und wir brauchen auch noch Hundefutter.“

„Ja“, strahlte meine Schwester, „Papi wird das schon regeln. Er kann ja mal ein Machtwort sprechen.“

Das bezweifelte ich zwar, doch ich nickte Steffi freundlich zu. Bei Mutter gelangte selbst unser Vater schnell an seine Grenzen.

Die Spaghetti gab es heute einmal ‚auf chinesische Art‘, wie Mutter sich ausdrückte. Das bedeutete aber nichts anderes, als dass sie etwas Gemüse daruntergemischt hatte und die ganze Pampe ziemlich fad schmeckte. Steffi stocherte in ihrem Essen herum und täuschte nach einiger Zeit Bauchschmerzen vor. Zu Mutters Überraschung nahm sie aber den Teller mit auf ihr Zimmer.

„Steffi, du musst nicht aufessen, wenn dir schlecht ist“, rief Mutter ihr hinterher.

„Doch doch, sobald es mir wieder etwas besser geht. Das schmeckt doch so lecker!“

Ich glaubte nicht, dass Duke die Nudeln mit dem Gemüse fressen würde.

Vater kam am Abend zur gewohnten Zeit nach Hause. Er schlich in die Küche, um Mutter bei ihrer fortbildenden Dokumentation nicht zu stören und wärmte sich sein Essen in der Mikrowelle auf. Steffi und ich hatten schon auf ihn gewartet und stürmten zusammen in die Küche.

„Papiii“, krähte die Kleine, „da bist du ja endlich.“ Sie sprang meinem Vater, der am Tisch saß und sich gerade ein Glas Bier eingeschüttet hatte, auf den Schoß und legte die Arme um ihn. Ich setzte mich ihm gegenüber und nickte meinem Vater zu.

Der lachte: „Ihr wollt doch etwas von mir. Sonst bekomme ich doch nie so ein Begrüßungskommando.“

Aus der Mikrowelle quoll Rauch und ich sprang schnell auf und stellte das Ding ab. Mein Vater schien mit der Technik auf Kriegsfuß zu stehen und die eingestellten zehn Minuten waren definitiv zu viel. Ich nahm mir einen Topflappen und zog den Teller mit den verbrannten Nudeln und schwarzem Gemüse aus dem Gerät. Dann stellte ich es vor meinen Vater, der immer noch mit Steffi knuddelte, auf den Tisch.

Entgeistert blickte er auf. „Was ist das denn, Tim? Wieso hast du das Essen anbrennen lassen?“

„Das warst du selbst“, gab ich trotzig zurück. Keine gute Basis für unser Gespräch wegen Duke. „Ich habe nicht die Uhr an der Mikrowelle eingestellt.“

„Sind denn die zehn Minuten schon um?“

„Nein, nur acht. Und das ist schon zu lang. Zwei oder drei hätten vollkommen genügt.“

Mein Vater grinste und trank einen Schluck Bier. Dann meinte er: „Tim, du wirst bestimmt eines Tages Koch werden. Was du jetzt schon alles weißt ...“

„Und was werde ich, Papi?“, krähte meine kleine Schwester, die sich darum sorgte, einmal nicht im Mittelpunkt zu stehen. „Papiii, sag doch!“

„Hmm“, brummte mein Vater und überlegte. „Prinzessin bist du ja schon, meine Prinzessin. Was würdest du denn gerne einmal werden?“

Jetzt überlegte Steffi und kniff dabei die Augen fest zusammen. „Ärztin oder Pilotin oder ...“ Mehr fiel ihr anscheinend nicht ein, doch dann fügte sie hinzu: „Tierpflegerin. Oh Papi, ich komme doch so gut mit Tieren zurecht.“

„Du kannst Tierärztin werden, mein Schatz. Da hast du auch mit Tieren zu tun und es ist allemal besser als Pflegerin und du verdienst auch mehr.“ Mein Vater dachte halt praktisch und an den Geldbeutel.

„Au ja, Papi. Tierarztpflegerin. Ich kann ja schon einmal üben, ich habe doch Duke. Papiii? Dürfen wir Duke behalten?“

Mein Vater sah sie irritiert an. „Duke? Was für ein Duke? Was soll das heißen ‚Duke‘?“

Entweder hatte er den Mops völlig aus seinen Gedanken verdrängt, oder er konnte dem Hund lediglich den Namen nicht zuordnen.

„Na Duke eben, Tim sagt, das ist so ein Außerirdischer. Ich finde den Namen schön.“ Steffi legte beide Arme erneut um den Hals meines Vaters und gab ihm einen schmatzenden Kuss. „Bitte sag, dass wir Duke behalten dürfen. Ich muss doch üben, für meine Tierärztinpflege.“

„Ein Außerirdischer? Hier in meinem Haus?“

„Der Mops“, stellte ich klar und fragte mich, ob der Hund immer noch in dem Kleiderschrank saß. Oder auch lag, man wusste ja nie.

„Der Mops, natürlich.“ Mein Vater schlug sich mit dem Handrücken gegen die Stirn und traf in der Bewegung das Bierglas, das scheppernd umfiel. Gut, dass es nur noch halbvoll gewesen war. „Den hatte ich ja völlig vergessen. Was hat denn Mutter dazu gesagt?“

Ich wollte schon bemerken: ‚Noch gar nichts, sie weiß ja nichts davon‘, doch dazu kam ich nicht mehr, denn plötzlich stand Mutter im Türrahmen. So als hätte ihre Erwähnung sie herbeigezaubert.

„Was habe ich wozu gesagt?“, fragte sie auch sofort. Offensichtlich hatte meine Mutter die letzten Worte mitbekommen.

Wir schwiegen.

„Thomas! Ich erwarte eine Antwort. Sofort!“

Mein Vater wischte mit der Handfläche das verschüttete Bier über die Tischkante zurück in sein Glas. Ein Teil landete auf dem Boden, doch er beschäftigte sich intensiv damit, die Flüssigkeit vom Tisch zu wischen.

„Tim, worum geht es?“ Meine Mutter drohte jetzt mit dem Zeigefinger. Mir wurde ziemlich unbehaglich zumute.

„Nun, das ist ... also.“ Dann kam mir die Erleuchtung. „Wegen Duke. Wir wollten dich fragen, was du von dem Namen hältst.“

„Duke? Wer soll Duke heißen? Ein ziemlich komischer Name ...“

„Das sind Außerirdische“, ließ sich meine Schwester vernehmen. „Papi, sag doch auch etwas!“

Mein Vater stellte das Glas auf den Tisch und nickte. „Ja, das sind Außerirdische ...“

„Thomaaas! Wenn ich nicht sofort erfahre, worum es hier geht, dann gibt es ein Donnerwetter! Also raus mit der Sprache.“

Steffi und ich schwiegen, wir waren ja auch nicht gefragt worden.

„Ja, also, hmm. Erinnerst du dich an den Mops?“

„Und ob!“, krähte meine Mutter und es klang wirklich bedrohlich. „Den habt ihr doch gestern wieder zurückgebracht zu seiner Laterne. Oder etwa nicht?“

Vater war ziemlich bleich um die Nase herum. „Nun, also ... das wollte ich dir doch erklären. Ich hatte vor ...“

„Papi hat gesagt, wir dürfen Duke behalten“, unterbrach ihn Steffi und drückte meinem Vater wieder einen feuchten Kuss auf die Wange. „Nicht wahr, Papiii?“

„Thomas“, donnerte meine Mutter, „erzähl mir nicht, dass dieses schreckliche Vieh noch in meinem Haus ist! Wo hast du es versteckt?“

„Ich überhaupt nicht“, gab mein Vater kleinlaut von sich. Bei dem Ton meiner Mutter könnte es darauf hinauslaufen, dass er den Hund wieder an der Laterne anbinden musste und sich selbst direkt daneben. „Sabine, lass mich doch erklären: Gestern hatten Tim und ich den Hund ja zurückgebracht und ihn gerade festgebunden, doch dann war da plötzlich so ein Mann, der uns dabei sah und die Polizei rufen wollte. Weil wir den Hund ja angeblich aussetzen wollten. Was sollte ich denn machen?“ Vater stöhnte und warf einen sehnsuchtsvollen Blick auf das Bierglas, in dem sich das gerettete Bier befand. Viel war das allerdings nicht.

„Dass ihr mich so hintergehen könnt ...“ Mutter wechselte den Tonfall von aggressiv zu wehleidig. „Wie kann mir meine eigene Familie das antun? Wo ist der Köter denn jetzt?“

Wir schwiegen.

Der Ton änderte sich wieder in aggressiv: „Hallo? Redet mal jemand mit mir? Thomas, wo ist das Tier?“

„Ich weiß es nicht.“

Stefanie war von den Knien meines Vaters geklettert. Vermutlich hatte sie von ihrem ‚Papiii‘ mehr Einsatzbereitschaft erwartet. „Bei mir im Kleiderschrank“, verkündete sie schließlich und stemmte die Fäuste in die Hüften. Mit einem letzten, verzweifelten Versuch hoffte sie meinen Vater doch noch in die Pflicht zu nehmen: „Papi hat gesagt, wir dürfen ihn behalten.“

„Das habe ich nie gesagt“, gab mein Vater von sich. „Jedenfalls nicht so.“

Doch Mutter bekam seine lahme Entschuldigung nicht mehr mit, denn sie befand sich schon auf dem Weg in Steffis Zimmer. Meine Schwester und ich folgten ihr. Steffi, um ihren Hund zu verteidigen und ich, weil ich nichts verpassen wollte. Sekunden später gesellte sich auch noch mein Vater zu uns.

Mutter riss den Kleiderschrank auf und fuhr erschrocken zurück, als ein dunkles Bündel an ihr vorbeirauschte und durch die Tür in den Flur lief. Im selben Moment erfüllte ein furchtbarer Gestank nach Hundekot das Zimmer. Ich reckte den Hals, um einen Blick in den Schrank werfen zu können und entdeckte dort den Teller mit Nudeln, sowie - direkt daneben - den Hundehaufen.

„Iiiih“, schrie Steffi und stürzte aus dem Zimmer. Ich wollte ihr hinterher, doch die unerbittliche Stimme meiner Mutter hielt mich zurück.

„Tim Amadeus Förger, was habt ihr euch da bloß wieder bei gedacht?“

Nun kannte ich das nicht, dass mich meine Mutter im Plural ansprach, schon gar nicht in der zweiten Person, doch darüber blieb mir jetzt keine Zeit, nachzudenken. „Ich habe nichts damit zu tun“, protestierte ich schwach.

„Du holst dir jetzt eine Tüte, einen Lappen und einen Eimer und machst die Schweinerei weg. Sofort!“, bestimmte meine Mutter und sah mich böse an.

„Aber da habe ich doch nichts mit zu tun. Das ist Steffis Angelegenheit.“ Ich konnte auch hartnäckig sein.

„Papperlapapp. Du hast den Hund gestern wieder zurück ins Haus gebracht, jetzt wirst du auch die Konsequenzen tragen. Wenn ich bis drei zählen muss, dann setzt es aber was!“

Natürlich wollte ich nicht, dass meine Mutter bis drei zählen musste und so warf ich meine Hartnäckigkeit über Bord und verschwand in der Küche, wo ich auf Steffi mit Duke traf. Die beiden saßen vor dem offenen Kühlschrank und probierten die Wurst, die Mutter heute Vormittag mitgebracht hatte.

„Du sollst den Hundehaufen wegmachen“, versuchte ich die Aufgabe auf meine Schwester abzuwälzen.

„Nein, das solltest du tun. Das habe ich genau gehört.“

„Du hast gelauscht!“

„N...ein. Nur ein bisschen.“

Ich seufzte und sammelte die benötigten Utensilien zusammen. Eine Tüte war schnell gefunden, der Eimer stand unter der Spüle und ein Lappen lag sogar darin. Dann schleppte ich alles in Steffis Zimmer, wo meine Mutter es schaffte, mich wirklich zu überraschen.

„Gib alles deinem Vater“, grollte sie und sah den armen Kerl böse an. „Der macht das weg!“

Natürlich ließ ich mir das nicht zweimal sagen und verdrückte mich anschließend zur Tür, von wo aus ich meinen Vater bei seinen Reinigungsarbeiten beobachtete. Ein paar Minuten später gesellte sich Steffi zu mir. Sie hielt den zufrieden grunzenden Mops auf dem Arm und beobachtete mit großen Augen, wie unser Vater auf den Knien rutschend den Schrankboden schrubbte.

Meine Mutter betrachtete ihn eine Weile und aus ihrem Blick sprach eine gewisse Genugtuung. „Das Tier kommt weg, Thomas“, ließ sie sich dann vernehmen. „Und ich will kein Widerwort hören. Was du damit machst, ist mir vollkommen egal. Bind es an der Laterne an oder bring es ins Tierheim.“

Mittlerweile hatte mein Vater seine Arbeit beendet und wir folgten ihm in die Küche. Er warf einen Blick auf die Wanduhr und meinte: „Das Tierheim wird schon geschlossen sein. Und an der Laterne kann ich den Hund nicht mehr anbinden, dann ruft der Mann von gestern die Polizei. Ich wette, der kontrolliert dort genau, ob ich den Hund wieder angebunden habe. Außerdem weiß der, wo wir wohnen.“

„Dann lass dir etwas anderes einfallen. Du bist schließlich der Mann im Haus, Thomas. Und du hast das Vieh angeschleppt.“

Steffi trug immer noch den Hund herum, der ihr unablässig durchs Gesicht leckte. Wenn das nicht wahre Hundeliebe war, was dann? „Papi, wir wollen Duke behalten. Der gehört doch jetzt zur Familie. Papiii.“

Doch ‚Papiii‘ ignorierte die Worte seiner Lieblingstochter. Er hatte schon genug Ärger und setzte sich seufzend vor den Teller mit den verbrannten Nudeln. Dann griff er zum Bierglas und trank den kargen Rest in einem Zug aus.

„Sabine, das ist nicht so einfach. Was soll ich denn machen? Ich kann das arme Tier doch nicht ertränken.“

Steffi kreischte ängstlich auf. „Papiii!“, schrie sie, „du würdest den Duke ertränken?“

„Niemals, mein Schatz. Das weißt du doch.“

Eine kurze Weile schwiegen wir alle, dann blickte Mutter auf die Uhr. „Thomas, du denkst dir jetzt eine Lösung aus. In fünf Minuten beginnt die nächste wichtige Dokumentation im Fernsehen, die darf ich nicht verpassen. Wehe der Köter ist noch im Haus, wenn sie zu Ende ist ...“

Sie wollte gerade ins Wohnzimmer gehen, als es an der Haustüre klingelte. „Wer ist das denn schon wieder? Hat man denn nicht eine Minute Ruhe, sich ein wenig fortzubilden?“ Mutter rauschte durch den Flur und wir folgten ihr neugierig. Selbst Vater kam mit, nahm aber vorher zur Stärkung noch einen tiefen Schluck aus der Bierflasche.

„Guten Abend“, hörte ich eine männliche Stimme zu meiner Mutter sagen. „Sind sie die Frau Förger?“

„Das bin ich. Worum geht es denn?“

„Mein Name ist Johann Härtzer. Ich gehöre dem hiesigen Tierschutzverein an und wollte mich nach seinem Wohlergehen erkundigen.“

„Das ist aber nett“, ließ sich meine Mutter vernehmen, die jetzt in Gedanken schon bei ihrer Lernsendung war. „Es geht ihm ausgezeichnet. Sonst noch etwas?“

„Ich würde mich gerne selbst von seinem Zustand überzeugen“, ließ der Mann Härtzer nicht locker. „Kann ich ihn einmal sehen?“

Meine Mutter stöhnte. Dann drehte sie sich um und rief: „Thoomaaaas. Komm mal schnell, hier ist ein Mann, der dich sehen will.“

Mein Vater schob sich nach vorne. „Guten Tag, sie wollen mich sprechen?“

„Mein Name ist Johann Härtzer“, wiederholte sich die Person an der Türe. „Ich gehöre dem hiesigen Tierschutzverein an und wollte mich nach seinem Wohlergehen erkundigen.“

Jetzt kreischte meine Mutter dazwischen, die die Sache endlich beenden wollte: „Das ist er doch. Jetzt sehen sie, dass es Thomas gut geht. Auf Wiedersehen!“

„Nein, nein. Sie haben mich missverstanden“, der Mann lachte meckernd, so als fände er die ganze Sache besonders lustig. „Es geht um den kleinen Hund, den Mops. Wir wurden informiert, dass sie das Tier gestern augenscheinlich aussetzen wollten und dazu an einer Straßenlaterne festgebunden haben.“

„Wir haben den Hund dort gefunden“, erklärte mein Vater. „Augenscheinlich.“

„Oder so“, meinte der Tierschutzmann ungerührt. „Jedenfalls machen wir uns Sorgen um den kleinen Kerl. Deswegen kontrollieren wir ja auch regelmäßig, ob die Tiere, die sich in auffälligen Familien befinden, korrekt behandelt werden. Wir sind schließlich der Tierschutzverein.“

„Auffällige Familie?“, echote mein Vater matt. „Wieso auffällig?“

„Na, wenn ein nackter Mann einen kleinen, wehrlosen Hund nachts an einer Straßenlaterne anbindet, dann ist das schon auffällig. Aber ich nehme an, dass sie mir den Hund gar nicht zeigen können, oder?“

„Nun zeig ihm den Köter doch, Thomas“, mischte sich meine Mutter ein, deren Lernsendung jetzt seit fünf Minuten lief.

Steffi drängte sich zur Tür vor und präsentierte den Mops. „Das ist Duke. Duke bedeutet Außerirdischer oder so.“ Sie warf mir einen Blick über ihre Schulter zu. „Das sagt jedenfalls mein Bruder Tim.“

Der Mann vom Tierschutz betrachtete den Mops, nickte zufrieden und verabschiedete sich. „Gut, augenscheinlich ist ja alles in Ordnung. Wir werden jetzt hin und wieder kontrollieren kommen, ob es dem Tier auch gut geht. Ich wünsche ihnen einen schönen Abend.“ Er drehte sich um und ging davon.

Nachdem die Tür ins Schloss gefallen war, sahen wir uns ratlos an. „Und was jetzt?“, fragte mein Vater. „Wir können doch den Hund nun nicht mehr einfach fortgeben? Wenn der Mann uns regelmäßig kontrollieren kommt.“

„Dann bleibt Duke jetzt bei uns“, krähte Steffi und drückte das Tier noch fester an sich, was es mit einem lautstarken Rülpsen kommentierte.

„Ja, das denke ich“, überlegte mein Vater. „Sabine, sag du doch auch etwas!“

„Macht doch was ihr wollt. Aber ich sage euch gleich, dass ich mich nicht um das Tier kümmern werde. Das müsst ihr schon unter euch ausmachen.“ Sie drehte sich ohne ein weiteres Wort um und rannte ins Wohnzimmer.

„Papiii, du bist der beste Papiii der Welt“, säuselte Steffi, während eine Frauenstimme aus dem Fernseher im Wohnzimmer klang: „Du willst dich scheiden lassen? Niemals mein Lieber, niemals und weißt du auch warum?“

„Nein, woher sollte ich das wissen?“

„Weil wir gar nicht verheiratet sind, deswegen!“

„Aber du bekommst doch ein Kind von mir ... Und das, obwohl wir nicht einmal verheiratet sind? Wie konnte das passieren?“

Ende

Danke Duke!

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