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Seemann mit Leib und Leben

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Günter Schröder (†) wurde am 1. Mai 1940 in Bresinke in Hinterpommern geboren. Eigentlich hätte er Hoferbe werden sollen, nachdem der Vater nach drei Töchtern endlich seinen Stammhalter bekam. Aber Hitlers verlorener Krieg bestimmte ihm einen anderen Weg mit Flucht und Verlust der Heimat. Nach dem Besuch der Volksschule erlernte er den Kochberuf. Um die Jahreswende 1957/58 kam Günter nach Hamburg, um zur See zu fahren. Er wohnte vorübergehend bei Verwandten: Sein Vetter fuhr damals als 1.Nautischer Offizier zur See. „Da ich von der „Kocherei“ die Schnauze voll hatte, wollte ich, wie mein Cousin, ebenfalls die Deckslaufbahn einschlagen und stieg also auf einem Kümo als Deckmoses ein. Auf diesen kleinen Schiffen war es immer so, dass der Moses die Kombüsenarbeit machen musste. Auf den Küstenmotorschiffen konnten von den etwa sechs Crewmitgliedern alle schlecht und recht ein Essen zusammenschustern. Bereits damals gab es also schon so etwas wie Mehrzweckeinsatz, denn auch Kapitän, Steuermann und Matrose mussten neben ihrer Brücken- oder Deckarbeit auch ohne entsprechende Ausbildung die Maschine warten können. Durch meine Fachkenntnisse als Koch war ich sozusagen „King“ auf diesem „Schlickrutscher“, denn es kam wohl kaum mal vor, dass ein anmusternder Moses gelernter Koch war. Nach der ersten Fahrzeit auf besagtem Kümo wohnte ich in Hamburg-Altona in der Großen Elbstraße nahe am berühmten Fischmarkt im Seemannsheim. Dort ganz in der Nähe war damals noch der Fischereihafen. Eines Tages, es war im Jahre 1958, kam Seemannspastor Kiseritzky zu mir, und besabbelte mich, auf einem Fischereifahrzeug vom Typ „Seitenklatscher“, wie die Seeleute ihn nannten, als jüngster Vollkoch der deutschen Flotte einzusteigen. Diese Schiffstypen, bei denen die Scheerblöcke und das Netz auf der Steuerbordseite weggehievt wurden, sind schon lange ausgestorben, man findet sie heute nicht mal mehr in Schiffsmuseen.

Mir war damals schon bekannt, dass die „Fischdampferfahrer“ nicht mit Frachtschiffseeleuten zu vergleichen waren und ein besonders raues „Volk“ darstellten. Man muss aber wissen, dass es an Bord dieser Fischereischiffe arbeitsmäßig sehr sehr hart zuging. Ich kam also mit gemischten Gefühlen und zitternden Knien an Bord und blieb dort auch nicht lange, aber über diese Zeit könnte ich ein kleines Buch schreiben! Die Fahrt ging also zu den Fangplätzen. Auf Herings- oder Frischfischfang wurde Tag und Nacht gearbeitet, bis das Schiff voll beladen war. Ich habe selbst gesehen, wie Matrosen, aber auch die Brückenwache, Kapitän und Steuermann vor Müdigkeit plötzlich umkippten. Erst bei der Heimreise konnte sich die Besatzung, mit Ausnahme der Wachgänger, die im Vierstundenrhythmus arbeiteten, wieder richtig ausschlafen. Für mich als Koch, aber auch für meinen Kochsmaaten begann nun neben dem täglichen Kochen ein besonderes „Klar-Schiff“ -Machen. Auf der Elbe verteilte der 1.Steuermann dann den jedem Besatzungsmitglied als Deputat zustehenden „Korb“ Fisch. Auf den Fischdampfern wurde die Ladekapazität nicht nach „Tonnen“, sondern nach „Korb“ gerechnet. Sofort nach dem Festmachen erschienen gewisse Fischaufkäufer, um der Besatzung ihr Deputat abzukaufen. Man bekam damals für seinen „Korb“ etwa 30,- DM. Einige Leute nahmen ihren Fisch auch mit nach Hause. Am besten war es immer, wenn der Dampfer erst nach 19 Uhr einlief. Mit dem Verkaufserlös des Deputats gingen die Männer dann meistens gleich zum zehn Minuten entfernten St. Pauli. Damals lagen die Fischereifahrzeuge in der Regel zwei Tage lang bis zum nächsten Auslaufen in Altona. So lange hatten die Besatzungsmitglieder bis auf einige wenige Ausnahmen Landgang. Nach dem Einlaufen war die ganze erste Nacht lang an Bord „der Teufel los“: Die Ladung wurde sofort gelöscht. Am nächsten Morgen fand dann in der Halle die Fischauktion statt und wir konnten uns in der Zahlstelle im Hafen einen Abschlag von unserem Fanganteil auszahlen lassen. Was sich dann auf der Zahlstelle zutrug, wäre ein besonderes Kapitel wert. Als Koch hatte ich an diesen zwei Tagen als einziger von der Besatzung nicht ganz frei, denn ich musste die Schiffshändler aufsuchen, um für die nächste Reise Proviant zu bestellen. Das war gar nicht so einfach, denn es wurde scharf gerechnet. Der Dampfer musste außer Proviant auch noch Eis für den Fisch laden. Mein Kühlraum wurde während der dreiwöchigen Reise mit Eis gekühlt. Es war tatsächlich noch ein alter Kohlendampfer mit Heizern und Trimmern! Mir kam das später bei den Kollegen zugute, weil keiner vom „Pferd“ erzählen konnte. Für mich als „Neuer“ war das sowieso anstrengend, aber die Händler unterstützten mich tatkräftig. Für die Matrosen war ich wegen meines jugendlichen Alters quasi das Maskottchen. Ich musste immer mit in die Nuttenkneipen. Von diesen Lokalen, in die sie mich schleppten, existiert heute noch unverändert der „Silbersack“. Er erinnert mich immer wieder an die guten alten, unwiderruflich vergangenen Seefahrtzeiten.


In den Jahren 1959/60 fuhr ich 13 Monate an einem Stück mit 15 Mann Besatzung auf dem damals größten deutschen Handelsschiff, dem 33.000-Tonnen-Tanker „BERGELAND“. Der Kasten hatte noch keine Klimaanlage. Was das bei Fahrten via Suezkanal in den Persischen Golf bedeutete, weiß nur, wer das selber erlebt hat! Wir fuhren mit dem Schiff aber auch zwischen den USA und Kolumbien hin und her. Der Ladungshafen hieß Covenas. Es war allerdings gar kein richtiger Hafen. Wir lagen immer auf Reede vor Anker. Zum Laden wurde eine Pipeline aus dem Wasser gehievt, an unsere Rohre angeschlossen und dann wurde das Rohöl in unsere Tanks gepumpt. Das benötigte zu unserem Glück viel Zeit, und so kamen wir abends auf jeden Fall zum Landgang.

Der Kapitän bestellte eine Barkasse, mit der wir an Land fuhren. Dort wartete bereits ein Trupp von Pferden auf uns, die uns auf Trampelpfaden durch den Busch ins nächste Dorf brachten, wo bereits viele junge Frauen auf uns warteten. In einem Hof waren Bänke und Stühle aufgestellt, darüber leuchteten bunte Glühbirnen. Aus einem Grammophon ertönte südamerikanische Musik. Ringsherum waren viele kleine Räumlichkeiten, wohin man ab und zu mit seiner "Schönen" verschwinden konnte! Wir mussten leider immer um Mitternacht zurück an Bord. Man kann sich vorstellen, wie sich der Heimritt durch stockdunkle Nacht in mehr oder weniger angetrunkenem Zustand auf den Gäulen gestaltete. Zum Glück kannten die Pferde den Weg besser als wir und brachten uns sicher ans Ziel. Es waren auch immer einheimische Organisatoren dabei. Gerade in Mittel- und Südamerika konnte man ähnliche Begebenheiten erleben.

In Emden wurden wir abgelöst und fuhren mit dem Bus nach Hamburg, wo wir nachts ankamen. Unser "Leithammel" meinte, jetzt habe es noch keinen Zweck, sich ein Zimmer im Seemannsheim zu besorgen. Also fuhren wir zur Reeperbahn. Dort sind wir dann in einer Kneipe bei hübschen Mädchen hängen geblieben. In den Jahren 1957 bis 1960 schwirrten in St. Pauli sehr viele Mädchen herum, die von zu Hause oder aus Erziehungsheimen weggelaufen waren. Man konnte mit diesen Mädchen einen ganzen Urlaub verbringen oder, wenn ich gewollt hätte, auch leicht eine Frau zum heiraten finden, aber das nur, wenn Schröder nicht Schröder gewesen wäre. Mit 21 Jahren dachte ich noch nicht, wie andere meiner Altersgenossen damals, ans Heiraten.

In den 1960er und 70er Jahren verbrachte ich meinen sogenannten "Urlaub" nach dem Abmustern fast immer in Hamburg auf St. Pauli. Ich war bei weitem nicht der einzige Seemann, der das tat. Nicht umsonst gab es auf der Reeperbahn und den Nebenstraßen so viele Seemannskneipen, die man auch als Nuttenkneipen bezeichnen könnte. Heute hat sich das gewandelt. Die Frauen stehen jetzt entweder auf der Straße oder sitzen im Bordell. Wenn der Seemann auf dem "Kietz" sein Geld einigermaßen einteilte, konnte er dort längere Zeit seinen "Urlaub" verleben. Viele Kollegen wohnten nicht in den Seemannsheimen, sondern in den Absteigen. Das sind kleine Hotels auf dem Kietz. Man lernte dort an der Bar schnell eine junge Frau kennen, die froh war, zu fortgeschrittener Stunde einen Mann zu finden, der gleich im Hause ein Zimmer hatte. Mancher Seemann hatte auf St. Pauli eine feste "Freundin", die nach seiner Abmusterung nur für ihn da war. Es gab auch "Bräute", die fuhren ihrem Seemann nach, wenn das Schiff statt nach Hamburg, nach Bremen, Emden oder Rotterdam kam.

Wir fuhren in Charter für die Ost-Afrika-Linie. Der erste Hafen lag meistens in Süd-West-Afrika. Es folgten dann fast alle Häfen längs der Küsten von Süd- und Ost-Afrika. Zurück ging es durch den Suezkanal und das Mittelmeer. Besonders begehrt war bei den Leuten Laurenco Marques in Mocambique (damals noch portugiesische Kolonie). Anfang 1964 kamen wir von großer Fahrt zurück und ich ging mit zwei Kumpels, die ihre "Bräute" in der "Dakota-Bar" hatten. Diese Bräute waren auch gerade anwesend, was nicht immer auf Anhieb der Fall war. Nach einem Begrüßungs-Umtrunk ging es dann ab an Bord, denn morgens begann wieder ein harter Arbeitstag. Wir wollten aber vorher noch den "Hormonspiegel" abbauen. Die Liegezeiten waren damals noch erheblich länger als heute, denn es gab noch keine oder noch ganz wenige Container. Nach einigen Tagen hatten wir natürlich wieder Lust, an Land zu gehen, um einen zu trinken. Die Frauen hatten aber keinen Bock darauf und sagten, wir sollten alleine gehen, denn sie wollten sich mal wieder richtig erholen. Was gibt es schöneres für einen in seiner Hafenkneipe sitzenden Seemann, wenn er weiß, dass er an Bord gleich zu seiner Braut in seine warme Koje kriechen kann. Zu dumm nur, dass der Boss der Kneipe damit gar nicht einverstanden war, dass seine drei Starfrauen nicht bei uns waren, denn diese sehr gut aussehenden "Damen" waren bei sehr vielen Seeleuten und auch bei Landratten gut bekannt. Die Kundschaft vermisste sie und ging ein Haus weiter. Man braucht gar nicht denken, dass schon alle Leute mit diesen Puppen zusammen in der Koje waren, nein, es waren einfach gute Bekannte. Es kam auch vor, was auch ich zum Glück mehrmals erlebt habe, dass, wenn man einmal schlecht bei Kasse war und noch kein neues Schiff hatte, eben diese Frauen einem mit etwas Geld aushalfen. Später wurde es selbstverständlich zurückgezahlt. Das kam, nebenbei bemerkt, sehr oft in den Häfen der Länder vor, die wir zur "dritten Welt" zählen.

Einmal besuchte ich eine Bekannte, die in einem Striplokal an der Bar arbeitete. Das Lokal machte am frühen Morgen dicht. Ich war todmüde, hatte aber noch keine Bleibe. Da sagte meine Bekannte: "Du kannst bei meiner Freundin, der Stripperin, in deren Wohnung übernachten, aber lass sie in Ruhe, sonst schmeißt sie dich gleich raus!" Man stelle sich mal vor: Du hast nach monatelanger Seefahrt eine junge Frau die ganze Nacht splitternackt tanzen gesehen, bist bei ihr zu Hause und nichts...!

Bei fast allen Seeleuten waren die Reisen zu den Karibischen Inseln und Westindien sowie Mittelamerika am beliebtesten. Auf der Hitliste standen Trinidad, Barbados, Dominikanische Republik mit Santo Domingo, Jamaika und vor Fidel Castros Ära natürlich Kuba! Auf der mittelamerikanischen Landbrücke waren alle Länder gefragt: Panama, Costa Rica, Nicaragua, Honduras, El Salvador und Guatemala. In den 1960er und 70er Jahren war das Leben dort noch spottbillig. Was konnte man da noch für 10 bis 20 Dollar bekommen?! Man hatte in diesen Ländern nie das Gefühl, mit einer Prostituierten zu gehen. Das zählt auch für Mexiko und die südamerikanischen Länder, ebenso für Südostasien. Die "Damen" sind dort besonders temperamentvoll. Fast immer war bei den Frauen eine gewisse Sympathie uns Seeleuten gegenüber im Spiel. Das Geld, das sie von uns erhielten, spielte nicht die Hauptrolle. Oft entwickelte sich aus den flüchtigen Begegnungen richtige Liebe. Wenn das Schiff auslief, standen die Mädchen oft mit Abschiedstränen an der Pier. Die in ihrer Gesellschaft erlebten Begebenheiten gehörten zur Seefahrt. An den alten Seemannsschnulzen ist sehr viel Wahres dran. Aus den schönen alten Zeiten stammt auch der Begriff "achtern raus segeln", wenn man wegen seiner Braut das Schiff verpasst, was ich auch selbst einmal miterlebt habe. Das wurde immer zum teuren Spaß, wenn man Hotelunterkunft und Flugticket bis zum nächsten Hafen selber zahlen musste. Nicht selten sorgten die Mädchen bewusst dafür, dass Hein Seemann sein Schiff verpasste. Diese Frauen hatten oft einen heißen Draht und wussten genau, wann das Schiff auslief.

Was ich über das Verhältnis der Seeleute zu Frauen berichte, trifft natürlich nur für ledige Seeleute zu. Die Ehemänner waren immer treu und gingen mit einem Heiligenschein überm Kopf in den Hafenstädten nur spazieren. Was denn sonst?

Ich war fast elf Jahre lang für Orion, Reith & Co. tätig. Darüber waren viele meiner Kollegen erstaunt, und ich musste mir manchmal böse Beleidigungen anhören. Natürlich war bei Orion nicht alles rosig, besonders in punkto Ausrüstung und Geldüberweisungen, aber ich habe in meiner „Orion-Zeit“ noch die „echte“ Seefahrt kennen gelernt, zumal ich fast immer auf „wilder Fahrt“ war. Über eine Reise in den frühen siebziger Jahren möchte ich berichten, weil da gleich mehrere ernsthafte, aber auch amüsante Geschichten passierten. Das Schiff war in Puerto Plata in der Dominikanischen Republik fertig gelöscht, und der Kapitän hatte noch keine neue Order. Der Agent, der wusste, dass wir von der Besatzung alle unsere Bräute im Hafen hatten, bot dem Kapitän weiteres kostenloses Warten in diesem Hafen an. Aber so etwas kam für unseren Kapitän nicht in Betracht, also: Leinen los und bei den Bahamas vor Anker! Jetzt begann meine typische Orion-Koch-Story: Der Kapitän kam später zu mir in die Kombüse und fragte mich, ob ich noch bis New York, wo wir Ladung nehmen sollten, mit dem Proviant auskommen würde. Ich entgegnete, ich würde das wohl, wie gewohnt, hinkriegen. Als wir dann schon stundenlang auf Fahrt waren, erfuhr ich, dass die neue Order nach Brasilien zur Amazonasmündung lautete. Dort werden alle Schiffe, die flussaufwärts gehen, auf Belem-Reede einklariert. Mit den Behördenvertretern kam auch ein Boot mit genau 18 Mädchen. Der Käptn sah das alles von seinem Salonfenster aus und gab dem 1. Offizier sofort die Order, die Mädchen zu zählen, damit keine an Bord verblieb. Ein Matrose war aber schneller, hatte sich sofort eine der Frauen „ausgeschaut“ und war mit ihr auf Nimmerwiedersehen unter Deck verschwunden. Ich wurde natürlich zwecks Verpflegung eingeweiht. Für diese Reise hatten wir zwei Lotsen und einen Supercargo mit. Als wir dann später wieder mit Vollschiff nach Belem-Reede zurückkamen, musste - wie der Teufel es will - der Alte wieder zum Deck herunterschauen. Und wen sieht er da mit den anderen Brasilianern von Bord gehen, natürlich diese überzählige junge Schöne. Daraufhin schimpfte er wie ein Rohrspatz auf die doch so frechen Einheimischen.


Auf dieser Reise bemerkte ich, dass mir langsam das Brot ausging. Ich hatte wohl noch Mehl, jedoch kaum noch Hefe. Der Zufall wollte es, dass wir bei einem kleinen Urwald-Hüttendorf lagen, um die weltbekannten Edelhölzer an Bord zu nehmen. Frühmorgens ging ich sorgenvoll an Deck hin und her und beobachtete von oben, dass unten zwischen den Häuschen offenbar eine Bäckerei war. Ich ging sofort zu unserem von den Kapverden stammenden Matrosen Vicente und machte ihn darauf aufmerksam. Er mit seiner portugiesischen Muttersprache und gleicher Hautfarbe sorgte im Handumdrehen dafür, dass ich mit dem mir verbliebenen restlichen brasilianischen Geld schnellstens den Brotvorrat auffüllen konnte. Später stellte sich heraus, dass das nur ein Brotdepot für den täglichen Bedarf des Dorfes war. Das tat mir natürlich schrecklich leid.

Einige Tage später waren wir wieder bei so einem kleinen Hüttendorf. Abends ging ich mit einigen anderen Seeleuten an Land, um mal wieder ordentlich einen zur Brust zu nehmen. Das taten wir dann auch reichlich, und als ich mal wieder mit meinem „dicken Kopf“ vor der Kneipentür stand, bemerkte ich ein paar kleine schwarze Schweine, die da herumrannten. Schon erinnerte ich mich daran, dass ich fast kein Fleisch mehr an Bord hatte. Schnell kam ich mit dem Wirt, dem die netten Tierchen gehörten, ins Geschäft. Ich konnte es von meinen restlichen Dollars bezahlen. Er brachte mir eines ausgeschlachtet an Bord. So konnte ich davon einen gut gewürzten kräftigen Gulasch und einige kraftvolle Saucen machen, denn für etwas anderes war das Fleisch nicht zu gebrauchen.

Wer von den Hamburg-Touristen oder den verbliebenen wenigen jüngeren Seeleuten weiß heute noch, dass dort, wo jetzt am Hamburger Hafen hoch über den Landungsbrücken das moderne Hotel „Hafen Hamburg“ prangt, sich noch der alte Bau des Hamburger Seemannshauses befindet, von den Seeleuten das „weiße Haus“ genannt, in dem sich jahrzehntelang der „Heuerstall“ für die „große Fahrt“ befand. Darin residierte der Heuerbaas „Max“, der Inbegriff der Heuervermittlung für die Mannschaftsdienstgrade ganzer Seemannsgenerationen. Auch die „kleine Heuerstelle“ in der Großen Elbstraße für die Küstenfahrt und die Fischerei-Heuerstelle am Fischmarkt waren für uns wichtig. Wie hilfreich war es für viele „abgebrannte“ Seeleute damals, dass vor der Tür der Heuerstelle oft ein Händler für Seemannsklamotten stand, bei dem sie, wenn sie glücklich mit einem Heuerschein herauskamen, mit diesem Händler mitfahren und erst einmal „auf Kreide“ auf Grund des Heuerscheines einkaufen konnten. Aber wir haben uns damals nicht nur auf Max und seinen Heuerstall verlassen, sondern haben die Reedereikontore abgeklappert. Nur ein Teil der Reedereien residierte um den Baumwall, Vorsetzen, Cremon und die Mattentwiete herum. Oft musste man erhebliche Strecken zu Fuß oder mit der Hochbahn zurücklegen. Zwar kam man sich dabei oft wie ein Bettler vor, aber ein guter Personalchef wusste durchaus die Eigeninitiative bei der Jobsuche zu würdigen. Die beiden Kneipen im „weißen Haus“ waren, soweit man noch „Mäuse“ hatte, beliebter Seemannstreff.

Als ich mal wieder bei „Orion“ vorbeischaute, wollte mir das Personalbüro eine Freude bereiten und mich damit überraschen, mir den Job als Koch im Yachtclub in Travemünde anzubieten. Man war dann entsetzt, als ich diesen aus deren Sicht lukrativen Landjob ablehnte und lieber weiterhin den nervenaufreibenden Einsatz auf ihren Schiffen wollte. Ich war nun mal 35 Jahre lang mit Leib und Seele Seemann.“

Günter wohnte zwischen Anfang 1961 und 1984 fünfmal im Seemannsheim am Krayenkamp in Hamburg.

„Das alles gehört heute der Vergangenheit an. Es ist Schluss mit der echten alten romantischen Seefahrt!" Seit 1995 ist er Rentner und lebt in Trier. Er unternimmt im Sommerhalbjahr monatelange Radtouren durch die Gegend.


Im Frühjahr und Sommer 1996 legte er mit seinem Drahtesel mit über 100 kg Gepäck „an Bord“ eine Europarundtour zurück: Seine Reise führte ihn von Trier über den Pfälzer Wald, Straßburg und das Elsass nach Freiburg. Von dort aus ging es in die Schweiz nach Basel und dann quer durch Frankreich bis nach Séte am Mittelmeer. Von nun an radelte Schröder die Küste entlang. Auf diese Weise umrundete er die Iberische Halbinsel mit Spanien und Portugal. Gibraltar, das er bislang nur von See her kannte, wollte er sich einmal von Land aus ansehen. Auf der Atlantikseite kehrte Schröder über Biaritz und Lourdes auf Zwischenstationen, wie Metz und Luxemburg nach Trier zurück. Anschließend radelte er nach Polen, wo er in Hinterpommern Verwandte besuchte. „Ich habe in diesem Jahr auf 77 europäischen Campingplätzen geschlafen.“

Im Frühjahr 1998 unternahm Günter Schröder wieder eine große Tour und radelte von Trier aus über Frankreich und durch Italien bis Brindisi, setze dort mit der Fähre nach Griechenland über und wollte in Piräus die Station der Deutschen Seemannsmission besuchen. Seine Enttäuschung war groß, dass ihm das Haus verschlossen blieb und er dort den ihm bekannten langjährigen Stationsleiter, Diakon Walter Bott, nicht mehr antraf, dem er mehrfach von Bord aus begegnet war.


Seemannsschicksale 1 – Begegnungen im Seemannsheim

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