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ОглавлениеDie Lebenserinnerungen des Kapitäns Johannes Hubert
Johannes Hubert – ein Kapitän aus Estebrügge im Alten Land
Veröffentlichung im Buch mit Genehmigung der Erben
In diesem Beitrag lesen Sie:
Prolog: Die Herkunftsfamilie Hubert:
1. Heimat an Este und Elbe
2. Das Elternhaus
3. Kindheit und Schulzeit
4. Beginn einer Karriere: Schiffsjunge auf großer Fahrt
5. Schiffbruch vor Brasilien
6. Die erste Liebe
7. Als Leichtmatrose Richtung Heimat
8. Wieder daheim
9. Auf See zu neue Ufern
10. Asien
11. Vollmatrose auf der "PAMELIA"
12. Mit Passagieren nach Levante
13. Steuermann auf großer Fahrt und Einjähriger
14. Bei H. M. Gehrkens auf Finnlandfahrt
15. Der erste Weltkrieg
16. Schmerzlicher Abschied von der Kriegsmarine
17. Zwischen den Weltkriegen bei H.M.G. – Mittelmeer
18. Mit der "WANDRAHM" auf stürmischer Fahrt
19. Finnland / Russland
20. Das Funkpatent
21. Der zweite Weltkrieg
22. Wiederbeginn nach dem Krieg
Die Herkunftsfamilie Hubert (Prolog)
Heimat an Este und Elbe
(Auszug aus Drestedter Courier, Hauszeitschrift der Ernst F. Hubert KG, 13.11.1953)
Die Familie Hubert entstammt dem Alten Land. Zwischen Buxtehude und Cranz, an der Elbe, wo einmal holländische Siedler und Deichbauer den Estefluss überschritten und die Estebrücke erbauten, liegt das Fischerdorf Estebrügge. Dort sind die Bartels und Behrends, die Feindt und Hauschildt, die Köpcke und Pickenpack, Palm, Quast und Wegener zu Hause. Hier und in Cranz, wo die Este in die Elbe mündet und ihre Schifffahrt den Kontakt mit der weiten Welt fand, ist die Heimat der Familie Hubert. Immer wieder im Laufe der Jahrhunderte durchbrachen Sturmfluten die Deiche und zerstörten die mühselig gepflegten Gärten der Obstbauern. Immer wieder stieß aber auch die Kühnheit dieser Menschen hinter sicheren Deichen hervor auf die freie See, um den unermesslichen Reichtum des Meeres zu ernten. Kampf um das stets bedrohte Land, Kampf gegen Sturm und See, Bewährung in hundert Gefahren. Kaufmännisches Abwägen, beharrliche Bestellung des Bodens, verwegene Ausfahrt in alle Meere, gefahrvolles Bauern- und Seefahrerleben bildeten den Menschenschlag, der in Estebrügge und Cranz unter den hohen Fachwerkgiebeln mit den Schwanenköpfen wie unter den roten Dächern engstehender Schifferhäuser auf den Deichen zu Hause ist. Die Seefahrtgeschichte der Huberts begann mit hartem Seemannslos und Witwentrauer. Paul Hubert aus Estebrügge verließ seinen Handwerksberuf, um Schiffer zu werden. Vom Streben erfüllt, sich in der Welt zu erproben, kaufte er sich einen Ewer und fuhr Fracht nach England. Er taufte ihn auf den Namen seiner Frau "MARIA", einer geborenen Kordes aus Estebrügge. Sein Lebensschicksal wird durch eine zierliche Bleistiftnotiz in einem Familienbuch der Huberts festgehalten: Paul Hubert, geboren am 14. Januar 1811, am 29. November 1852 vom Hause gegangen, verloren Dezember 1852. Im Alter von 41 Jahren blieb Paul Hubert auf See, die sein Schiff mit Mann und Maus schluckte.
Die 37jährige Witwe und sieben unmündige Kinder blieben allein zurück. Aus eigener Kraft musste Mutter Maria sie nähren, kleiden und zu ordentlichen Menschen erziehen. Wie sie das machte, erscheint auch heute noch fast wie ein Wunder. Mit der Herstellung von Wachskerzen konnte sie sich ein großes Vermögen erwerben.
Schon 1854 gehörte ihr ein Schiff „MARIA 2", dem später die Schiffe „SIDONIE", „IMMANUEL" und „JOHANNA" folgten.
Trotz ihrem Kinderreichtum hatte sie es zu einem solchen Wohlstand gebracht, dass sie bei ihrem Tode am 4. August 1889 jedem ihrer sieben Kinder eine Erbschaft von 14.000 Mark hinterließ. Lange hieß es noch voll Bewunderung im Familienkreis „Hut ab vor Mutter Hubert", wenn man von der großen, blonden Frau sprach, deren Bild in der guten Stube der Cranzer Wohnung hing, eine ernste, energische Frau im schwarzseidenen Staat der Altländer Bauerntracht. Als in jenen traurigen Weihnachtstagen des Jahres 1852 Mutter Hubert vor dem Nichts stand, war das Haus voller Kinder, die alle ihrer Hilfe bedurften. Ihr ältester Sohn Johann war gerade erst vierzehn, das jüngste Kind sieben Monate alt. Johann - oder wie man ihn kurz nannte - Jan, fühlte Mitverantwortung, empfand die Schwere des Schicksals, das über die Mutter und die Kinder hereingebrochen war. Und Jan wollte mitverdienen, um es der Mutter leichter zu machen. So kam Jan mit vierzehn Jahren zu seinem Onkel in Neuhaus in die Lehre. Aber, wie der Vater, hielt auch er es bei dem biederen Handwerk nicht lange aus.
Er ging zur Seefahrt über, und mit 22 Jahren führte er als Kapitän selbständig das erste Schiff seiner Mutter. Zwei Jahre später heiratete er die Tochter des angesehenen Cranzer Schiffsreeders und Kapitäns Nikolaus Wettern. Jan Hubert und seine jungvermählte Frau Engel machten ihre Hochzeitsreise auf dem Schiff "JOHANNA". In Genua konnte der junge Kapitän seiner Frau etwas von der Schönheit der Welt zeigen, von der alle jungen Herzen hinter den Este- und Elbdeichen träumten. Der welterfahrene Schwiegervater mochte dem jungen Jan Hubert einen guten Start ins Leben gegeben haben, denn schon bald stand Jan am Steuer seines dritten Schiffes, der schnellen "ANTELOPE", die er lange auf Südamerikafahrt führte und deren Besitzer und Reeder er als Partenreeder mit seinem Schwiegervater zusammen war. Die ANETOLE wird damals eines der schnellsten Schiffe der Cranzer Flotte gewesen sein und segelte regelmäßig auf der Linie Hamburg – Rio.
Nach der Hochzeitsreise begleitete Engel ihren Mann nicht mehr auf seinen Fahrten; denn nach Rückkehr von der ersten Reise nach Südamerika kam schon eine kleine Maria in dem Hause in Cranz an, das Schwiegervater Wettern 1851 gebaut hatte und in dem Jan und Engel nun wohnten. Ihre erste Tochter nannten sie Maria nach Jans tüchtiger Mutter, wenig später folgten Emma, dann Pauline. Erst das vierte Kind wurde ein Junge: Ernst Franz, der 1903 eine Tranfabrik in Drestedt bei Hollenstedt gründete. Ihm folgten noch zwei Brüder: Johannes und Gustav. Johannes wurde Kapitän bei der Reederei H. M. Gehrkens und ist die Person, um deren Autobiographie es hier geht, Gustav ging als Exportkaufmann nach Südamerika (Bolivien).
Mit zunehmender Kinderschar und wachsendem Wohlstand betrieb Jan Hubert dann ab 1875 seine Partenreederei von Cranz aus und sorgte dafür, dass die um viele weitere Neubauten vermehrte Flotte gut ausgerüstet und richtig eingesetzt wurde. "MAGNET" – "WILHELMINE" – "ALLEMANIA" – "AXEL" – "J.G.FICHTE" – "HINRICH" – "ALWINE" – "GOTTLIEB" –
"EMILIE HESSENMÜLLER" hießen die Schiffe der Reederei Hubert, und Kapitän Jan selbst setzte den Dampfer "ESTE" für den Passagier- und Frachtverkehr auf der Elbe und Unterelbe in Betrieb, den sein Schwiegervater Nikolaus Wettern zusammen mit Kapitän Behr 1859 in London gekauft hatte.
In dem kinderreichen Cranzer Hause Jan Huberts herrschte in jenen blühenden Jahren reges Leben. Alle Hände von Groß und Klein wurden gebraucht, wenn eines der vielen Segelschiffe eine Reise antreten sollte. Bei der Verproviantierung der eigenen Schiffe musste die ganze Familie des Schiffsreeders mithelfen. In dem Schuppen hinter dem Wohnhaus und auf dem gepflasterten Hofplatz saßen die Frauen und Mädchen und schnitten Bohnen, hobelten Weißkohl und salzten das Gemüse ein oder bereiteten Sauerkohl. Ochsen wurden geschlachtet und das Fleisch in große Pökelfässer eingesalzen. Dann kam der Küper aus Neuenfelde herüber und verschloss die Fässer, damit sie in den Provianträumen an Bord verstaut werden konnten. Diese Vorräte mussten für lange Reisen ausreichen, dauerte eine Reise nach Südamerika doch mit dem Segelschiff zwei bis drei Monate. Gepökeltes, Sauerkohl, Salzbohnen und Schiffszwieback - daraus konnte der Smuttje keinen abwechslungsreichen Speisezettel an Bord zusammenstellen. Gemüse, vitaminreiche Frischkost hatte er nicht zur Verfügung, und so stellten sich damals leicht Nahrungsschäden wie Skorbut ein, wenn die Männer auf langen Seereisen unterwegs waren. Gerade in der Seefahrt hat man deshalb zuerst erkannt, was für eine wichtige Rolle die Vitamine für die menschliche Ernährung spielen.
Wenn die Brüder von ihren Reisen zurückkehrten, füllte sich die kleine Wohnung in Cranz mit allerlei exotischen Erinnerungen aus fremden Ländern. Manches Abenteuer, manch schwierige Lage wurde nach der Heimkehr getreulich berichtet.
Das Jahr 1888 bedeutet für die Cranzer Kapitäne und Reeder ebenso wie für die deutsche Hochseefischerei eine Wende. In diesem Jahr gründeten 17 Cranzer Kapitäne eine „Gesellschaft zwecks Beschaffung eines Fischdampfschiffes, womit Seefischerei betrieben resp. der Transport von in der Cranzer Fischerkasse versicherten Fischkuttern oder Ewern gefangenen Fischen zum Markt geschehen soll".
Bis dahin waren die Finkenwerder und Blankeneser Fischkutter in der Hochseefischerei führend. Aber sie konnten ihre Fänge nicht so schnell auf den Fischmarkt bringen wie die schnellen, vom Wind unabhängigen Fischdampfer, die zuerst in England gebaut wurden und dann nach Deutschland kamen. Wenn die Dampfer bereits ihre Ladung gelöscht hatten, kreuzten die Fischkutter noch gegen den Elbwind stromauf und lieferten ihre Fänge auf dem Fischmarkt ab, nachdem sie viele Tage, fast Wochen in der Bünn gelagert hatten.
So wurden der Kaufmann August Bröhan in Cranz und dessen nächste Anverwandte, alte Segelschiffkapitäne und Seefahrer, die sich mit der Fischerei nie abgegeben hatten, Gründer der ersten Fischdampferreederei an der Niederelbe, und lange noch haben die niederelbischen Kutterfischer in einer Mischung aus Neid und Hochachtung die Cranzer Fischdampfer spöttisch die "Bauerndampfer" genannt, weil die Besitzer keine Leute "vom Fach" waren. Aber die Cranzer gingen mit solcher Tatkraft an die neue Aufgabe, dass sie schon bald keine Fischmeister mehr an Bord brauchten, die sie anfangs noch einstellen mussten.
Einer der führenden Leute der Cranzer Dampffischerei war von Anfang an Jan Hubert. Zusammen mit dem alten Cranzer Segelschiffkapitän Hein Fock und dem jungen Gemeindevorsteher August Bröhan gehörte er zum Kreise der Bevollmächtigten, die den Bau des ersten Fischdampfers in Auftrag geben und überwachen sollten. Der schon bald nach der Probefahrt des ersten bei Jürgens & Co. auf Steinwerder erbaute zweite Fischdampfer erhielt auch dann den Namen der beiden Mitbegründer der Fischdampfergesellschaft "Fock und Hubert". Es kam die "WITT" und "BARTELS" dazu. Die beiden Dampfer hatten jeweils 115.000,- Mark gekostet. Das konnte in so kurzer Zeit gemacht werden, weil in dieser Zeit die Dampfer nie unter 20% Dividende abwarfen.
Jan Hubert hat sich als Vorstandsmitglied der Cranzer Fischdampfergesellschaft bis zu seinem Tod dem Bau neuer Fischdampfer und der Geschäftsführung der Gesellschaft gewidmet. Nach 17jähriger Vorstandstätigkeit starb er im Alter von 67 Jahren auf einer Inspektionsreise nach Geestemünde, wo er die Bauarbeiten an dem Neubau des Fischdampfers "NEUENFELDE" beaufsichtigen wollte.
Das Elternhaus (Autobiographie Johannes Hubert)
Als siebentes Kind des Reeders und Kapitäns Johann Hubert und seiner Ehefrau Engel, geb. Wettern, wurde ich am 16.10.l879 in Cranz an der Elbe geboren.
Ob es stimmt, weiß ich nicht, aber noch heute behaupten alle Geschwister, ich sei der Liebling und Verzug der ganzen Familie gewesen, obwohl ich nicht einmal das Nesthäkchen war. Ich selber hatte aber niemals den Eindruck, besonders bevorzugt behandelt worden zu sein.
Meine Eltern hatten im Alten Lande ein schönes großes Haus direkt am Elbe- und Estedeich gelegen. Der Obstgarten, aber besonders die Este und Elbe, waren für uns Kinder die Quellen vieler Erlebnisse.
Mein Vater, früher Seekapitän, fuhr auf den damals doch recht kleinen Seglern von Hamburg nach Brasilien, Argentinien, Südafrika, China usw. Die Schiffchen hatten durchschnittlich eine Größe von zirka 300 Ladetonnen. Meine Mutter machte Fahrten nach Brasilien und China mit, und wenn man sich heute die Bilder der Schiffe ansieht, muss man den Mut dieser Frau bewundern.
Später blieb mein Vater dann an Land und gründete mit einigen Freunden eine Segelschiffreederei, deren Schiffe ungefähr 300 Ladetonnen groß waren. Alle Erdteile wurden mit diesen kleinen Nussschalen angelaufen. Einen kleinen Raddampfer hatte mein Vater auch noch, er hieß "ESTE" und machte Passagierfahrten zwischen Cranz und Buxtehude sowie zwischen Cranz und Hamburg. Anscheinend lohnten sich diese Fahrten, sie brachten Geld ein, und das Finanzamt hatte damals bescheidenere Ansprüche, so konnten dann später noch zwei Ziegeleien ins Leben gerufen und ein Eisschuppen gebaut werden. 500 Tonnen Eis fasste der Schuppen, und die Hamburger Fischdampfer waren dankbare Abnehmer. Das Eis wurde von einem abgeteilten Land der Ziegeleien abgenommen, nachdem dort im Herbst Wasser eingefüllt worden und es dann gefroren war. Der Eisschuppen wurde 1920 abgebaut, da sich durch das Aufkommen des Kunsteises dieses Geschäft nicht mehr lohnte. Die Ziegeleien wurden 1904 stillgelegt, weil nicht mehr genug Land zur Verfügung stand. Die ESTE wurde 1910 verschrottet.
Einige unserer Schiffe gingen im Laufe der Jahre auf See verloren, so z.B. die ALEMANIA, die auf einer Reise von La Plata nach Valparaiso bei Kap Horn unterging. Von deren Besatzung hat man nie wieder etwas gehört. Man hatte ja früher keine Funkgeräte und konnte so in Seenot keine Hilfe anfordern.
Die JOHANNA verscholl auf einer Reise von Italien nach Hamburg und die AXEL strandete 1895 vor Macao (Brasilien) und wurde schwer havariert nach Macao gebracht. Man erklärte das Schiff dort für reparaturunfähig, und mein Vater verkaufte es dann für 4.000 Mark.
Die ANTELOPE blieb für einen Kaufpreis von 24.000 Mark in Brasilien. WILHELMINE wurde in Deutschland für 32.000 Mark verkauft, MAGNET in England für 12.000 Mark und EMILIE HESSENMÜLLER wechselte in Deutschland für 52.000 Mark den Besitzer. J.G. FICHTE ist dann später auch verschollen.
Die Segelschifffahrt lohnte sich auch in der Zeit schon nicht mehr, man musste sich umstellen, denn von den neuzeitlichen Dampfern konnte man mehr erwarten. So fing man nun an, Fischdampfer zu bauen. Auf einer Fahrt nach Bremerhaven, wo mein Vater gerade wieder einen Fischdampfer bestellt hatte, wurde er von einem Herzschlag ereilt und starb einige Stunden später. Meine Mutter starb am 21.11.1931 drei Tage vor ihrem 90. Geburtstag. Meine Schwester Maria Catherina heiratete den Kapitän Ulrich, Emma Anna blieb unverheiratet, Pauline ehelichte Heinrich Popp. Mein Bruder Ernst heiratete Lissy Fock und mein Bruder Gustav Käte Röhrs.
Kindheit und Schulzeit
Aber ich will ja meine Lebenserinnerungen schreiben, da muss ich dann wohl erst mal bei der Schulzeit beginnen. Zunächst besuchte ich die Schule in Cranz, und wenn ich heute meine Zeugnisse betrachte, muss ich feststellen, dass ich eigentlich ein ganz guter Schüler war, mein Sohn darf sich ruhig die Zeugnisse seines Vaters ansehen.
Als Kinder und noch dazu als Seemannskinder, zog es uns natürlich in jeder freien Minute ans Wasser, und es gab dort nichts, was uns nicht interessiert hätte, alles musste untersucht werden. An irgendwelche Gefahren dachte keiner von uns Buttjes, wir fühlten uns schon als Kapitäne auf großer Fahrt, jede Planke war uns recht, und die Ufer der Este und Elbe waren für uns damals die große Welt. Im Winter, wenn die Elbe zugefroren war, zogen wir schon frühmorgens los, schlugen Löcher ins Eis und setzten Quappenangeln aus. Leckerbissen für die Quappen waren kleine Aalstückchen, die wir kunstgerecht an den Angelhaken befestigten; nachmittags wurde dann die Beute eingeholt - es lohnte sich immer, und Mutter freute sich dann über den Fischsegen. Bei starkem Frost war dieser Angelsport ohne Gefahr, aber welcher Junge versucht nicht, auch dann noch aufs Eis zu gehen, wenn es schon so brüchig ist und so schön gefährlich knistert. Wir wagten da oft allerhand, und Mutter hätte vorzeitig graue Haare bekommen, wenn sie gewusst hätte, was ihre Buben da unten am Wasser für gefährliche Spiele trieben.
Eines Tages war es dann auch so weit. Tauwetter hatte eingesetzt, und wir wollten unsere kostbaren Angeln nicht opfern. Also betraten wir die schon sehr brüchige Eisfläche und tasteten uns Schritt für Schritt auf unser Jagdgebiet zu. Es knackte hie, es knackte dort, und ehe wir uns versahen, hatte sich eine Scholle gelöst - natürlich gerade die, auf der wir standen - und trieb ab. Es war uns nun gar nicht mehr wohl, die Freude am gefährlichen Spiel erschien uns nun doch recht zweifelhaft. Wir trieben mit der tückischen Scholle elbabwärts und wussten nicht, wie wir wieder an Land kommen sollten. Wie richtige Schiffbrüchige kamen wir uns vor, und an Rettung glaubten wir auch nicht mehr. Nachdem wir ungefähr 6 Kilometer abgetrieben waren, lief unsere Scholle an ein Stack, das bei Hinterbrack in die Elbe hinausgebaut war. Das war unsere Rettung. Jetzt aber hieß es, ungesehen nach Hause zu kommen, denn jetzt steckte jedem von uns so eine kleine Angst vor dem häuslichen Ungewitter in den Gliedern und ließ uns die ausgestandene Angst vergessen.
Zu Hause angekommen, erzählten wir natürlich nichts von unserem großen Abenteuer, aber im Dorf hatte sich unsere Schollentour doch herumgesprochen, und die Jungens, die nicht mit von der Partie waren, machten auch gleich Spottverse auf unsere Reise. Sie sangen bei jeder Gelegenheit hinter uns her:
„Hannes Hubert is met de Elv wegdreben, widewidewitt bum bum,
han we ihn nu nich wädder dregen, widewidewitt bum bum,
wör de uns ganz nach Stad' hindreben, widewidewitt bum bum.“
Dieses Erlebnis hielt uns natürlich nicht davon ab, bei nächster Gelegenheit wieder Quappen zu fischen. Der Seemannsberuf steckte wohl in besonderem Maße bei mir im Blut, denn als einziger meiner Brüder beschloss ich, Seemann zu werden. Meinen Vater freute das sehr, und er meinte zu meinem Entschluss, da müsse ich erst einmal eine Ausbildung im Segelnähen bekommen, damit ich auch später Segel flicken könnte. So hatte ich mir das eigentlich nicht gedacht, aber wenn mein Vater das meinte, musste es sicher dazugehören. So erlernte ich das Segelnähen beim Segelmacher Köster in Cranz. In der Freizeit war ich meistens unten am Wasser und träumte von den zukünftigen großen Erlebnissen, die ich sicher haben würde.
Eines Tages - es war um die Mittagszeit - hörte ich lautes Geschrei von mehreren Kindern, die schrieen "Hilfe, Hilfe, he verdrinkt!" Ich rannte hin und sah noch gerade, wie ein siebenjähriger Junge in der Este wegsackte. Schnell hatte ich meine Schuhe ausgezogen, meine Jacke flog im hohen Bogen durch die Gegend und ich sprang ins Wasser. Der Junge kam zum Glück noch einmal hoch, ich bekam ihn zu fassen und schwamm mit ihm an das Ufer. Ich fühlte mich als Lebensretter richtig glücklich, und die Mutter freute sich sehr, ihren Jungen wieder lebendig im Arm halten zu können.