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Vier Monate Stippvisite in der Seefahrt


Karlheinz Franke berichtet über sich: „Am 6.4.1930 wurde ich in Frankfurt an der Oder geboren. Wie meine Mutter immer wieder betonte, war ich ein Sonntagskind, sollte also besonders viel Glück im Leben zu erwarten haben.

Kindheit und Jugend

Meine jüngere Jugend, verlebte ich zunächst in Küstrin, dann ab meinem dritten Lebensjahr bis zu meiner Einschulung bei Tante und Onkel in Köslin in Pommern. Mit Schulbeginn in der Volksschule in Küstrin kehrte ich zu meinen Eltern zurück. Dafür erhielt ich das Versprechen, in jedem Jahr meine Sommerferien in Köslin verbringen zu dürfen. Das erste Schuljahr habe ich nicht unbedingt ernst genommen. Wir mussten jeden Tag Schiefertafel, Schwamm und Griffel mit zur Schule schleppen und lernten noch zwei Jahre lang die altdeutsche Sütterlinschrift: Auf , ab, auf, Pünktchen drauf, fertig ist das i. Als wir später auf Schreibhefte und Tintenfederhalter umstiegen, gab es schon manche Ohrfeige wegen der Kleckse. Unser Lehrer Zimmermann hat uns getreulich die vier Grundschuljahre hindurchgeleitet: streng, aber gerecht. Anschließend besuchte ich die Mittelschule. Im November 1941 zogen meine Eltern mit mir nach Gnesen um. Ich kam in Gnesen wieder auf die Mittelschule, später aufs Gymnasium. Meine Lieblingsfächer waren Deutsch, Geschichte, Erdkunde, Physik und Chemie.

Da sich die Ostfront allmählich auf Richtung Heimat zu bewegte, häuften sich die Verwundeten in den Lazaretten und unsere Schulen wurden geräumt, um als Hilfslazarette zu dienen. Unsere Klasse wurde geteilt und der Unterricht in Gaststätten, Gemeinderäumen und Bahnhofswartesälen abgehalten. Unsere Lehrer, meist alte Damen und Herren aus der Kaiserzeit, mussten in den Pausen quer durch die Stadt rasen. War nachts Fliegeralarm, brauchten wir am nächsten Morgen erst zwei Stunden später zum Unterricht kommen.

Zum Herbst 1944 gab es dann keine Siegesmeldungen im Radio mehr, nur noch Nachrichten über strategische Absetzbewegungen. Bis zum 19. Januar hatten wir noch geregelten Schulunterricht, obwohl schon einige Mitschüler aus den Dörfern fehlten. Dann hieß es plötzlich: „Gnesen muss geräumt werden.“ So packten wir einige Taschen und gingen zum Bahnhof. Ich hatte meinen Tornister mit Karabinermunition gefüllt und darum vorschriftsmäßig eine Decke gerollt. Meine Tante Trudchen hat dann die Munition ausgeschüttet und dafür Wäsche eingepackt. Ich zog die langen Stiefel meines Vaters an und den Pelzmantel von Onkel Fritz. Auf dem Bahnhof stand ein Zug mit offenen Güterwagen, der schon fast besetzt war. Die Neuankömmlinge haben dann einfach Gepäckstücke rausgeworfen nach dem Motto: Erst kommen die Menschen mit! Ich fand einen Platz in einem leeren Bremserhäuschen, wo ich und jugendlicher Heldenmanier glaubte, den Zug gegen Partisanen und Tiefflieger verteidigen zu müssen. Als der Zug sich in Bewegung setzte, waren die Russen schon vor Posen und wir fuhren einen Umweg nach Süden über Schlesien, von Glogau an dann wieder nordwärts in Richtung Berlin. Die Reise dauerte bei 20 ° Kälte mit Unterbrechungen zwei Tage und zwei Nächte. Kurz vor Berlin türmten der polnische Heizer und Lockführer, obwohl der Bewacher noch hinterhergeschossen hatte. Unser Zug wurde dann von einer Werkslokomotive der Schwarzkopfwerke auf ein Werkgleis in Wildau gezogen und wir in Holzbaracken untergebracht. Nachts haben wir meistens im Keller oder im kurz zuvor erbauten Luftschutzstollen geschlafen, da in und um Berlin herum viele Bomben abgeworfen wurden. Am 2. April hörten wir dann das Donnern der nähekommenden Kanonen und Panzer und gingen in den Stollen, 40 Meter tief unter der Erde.

So nahte auch jener Wonnemonat Mai, in welchem wir von den siegreich vordringenden Truppen der heldenhaften Roten Armee befreit wurden. Bald darauf kam ein Trupp deutscher Soldaten durch den Stollen, und meine Tante sagte zu ihnen: „Macht, dass ihr wegkommt, die Russen sind schon da.“ Aber ein Soldat erwiderte: „Wir sind SS und keine Wehrmacht, wir kennen keine Angst.“ Kurz darauf kamen dann die Russen und trieben uns nach draußen. Da wurden alle Männer aussortiert. Mich wollten sie auch mitnehmen, aber meine Mutter schimpfte auf Polnisch mit ihnen, dass ich noch ein Kind sei, da ließen sie mich bei ihr. Meine Tante Irma und meine Mutter beschlossen, nach Frankfurt/Oder zu ziehen, wo sie hofften, bei Verwandten unterzukommen. Wir fuhren die 80 km in zwei Tagen und eine Nacht auf einem Güterzug, der mit demontierten Maschinen in Richtung Sowjetunion rollte und wurden unterwegs ständig von plündernden Polen und Russen belästigt, die meine Mutter mit polnischen Schimpfwörtern verscheuchte. Im Juli 1945 kamen wir in Müllrose an, einer märkischen Kleinstadt südlich von Frankfurt von etwa 2.000 Einwohnern. Bei einer Schwester meines Vaters, die zwei kleine Kinder hatte, fanden wir eine Unterkunft. So wohnten wir mit acht Personen in zwei Zimmern und Küche. Es gab kein Vieh und keine Lebensmittel für die allmählich zurückflutende Bevölkerung. Glücklicherweise wuchs in den Gärten schon etwas Gemüse und aus den umliegenden Wäldern sammelten wir Blaubeeren und Pilze, die meine Tante Anni dann bei den Bauern gegen Getreide eintauschte. Das Korn haben wir in der Kaffeemühle zu Schrot für eine Suppe gemahlen. Die Stadt lag an der Reichsstraße von Frankfurt/Oder nach Beeskow und wimmelte von durchziehenden Menschen. Meistens waren es entlassene deutsche Kriegsgefangene, die zu Fuß nach Hause wollten, aber auch Flüchtlinge, die glaubten, wieder in ihre Heimat jenseits der Oder zurückkehren zu können. Ich war damit auch von den Sorgen des weiteren Oberschulbesuchs befreit, zumal wir kein Geld mehr hatten. So erlernte ich dann traditionsgemäß das Tischlerhandwerk, weil mein Großvater und Vater es auch getan haben. Nach der Gesellenprüfung in Müllrose in der Mark Brandenburg setzte ich mich zusammen mit einem Freund strategisch gegen Westen ab. Da sich für mich keine Möglichkeit ergab, eine Stelle in meinem Beruf als Tischler zu finden, verdingte ich mich zusammen mit meinem Freund bei einem Bauern im Dorf Oberdrees im Rheinland.

Inzwischen hatten wir uns aus alten Teilen ein Fahrrad zusammengebaut und beschlossen, an den Rhein zu fahren. Wir landeten in Remagen, wo mehrere Rheinschiffe am Ufer lagen und auf Schleppdampfer warteten. Ich fragte einen Schiffer, ob er nicht einen Matrosen gebrauchen könne. Er sagte ja, aber dann müsse ich spätestens in zwei Tagen anfangen, weil dann der Dampfer käme. Auch für Freund Edgar war auf dem Nachbarschiff eine Stelle frei geworden, und wir fuhren glücklich nach Oberdrees zurück. Als ich kündigte, gab es mit Jupp Kleefuß, meinem Chef, eine handgreifliche Auseinandersetzung, die seine Mutter aber dann schlichtete. Ich nahm Abschied von meiner Kammer mit den russischen und polnischen Beschriftungen an der Holzwand und schrieb an einer freien Stelle das Goethe-Zitat hinzu: „Wer mit dem Leben spielt, kommt nie zurecht, wer sich nicht selbst befiehlt, bleibt immer Knecht.“ Dann fuhren wir mit dem Bus nach Remagen, weil Jupp mir das Rad weggenommen hatte.

Meine Zeit als Rheinschiffer

Mein Schiff hieß „Helene“, war etwa 70 Jahre alt und konnte 1.200 Tonnen laden. Da es mehrere Helenen gab, musste der Heimathafen Altrip, ein kleines Dorf am Oberrhein, hinzugefügt werden. Es gehörte einem Reeder in Gernsheim, der es von seiner Mutter Helene geerbt hatte. Diese Schiffseigner nannte man im Gegensatz zu den großen Reedereien mit mehreren Schiffen Partikuliere. Im hinteren Teil des Schleppkahns wohnte Schiffmann Otto Müßig aus Hasmersheim am Neckar mit seiner Frau, und vorne wohnte ich zusammen mit dem Matrosen Wilhelm Trunk aus Bad Dürkheim, wo auch seine Familie lebte. Die Arbeit war sehr vielseitig, und ich habe viel Neues hinzugelernt. Wir kochten beide immer wöchentlich abwechselnd. Ich wurde wegen der Größe des Schiffes zwar als Matrose geführt, bekam aber nur den Lohn eines Schiffsjungen. Die erste Zeit gab es noch Lebensmittelmarken, aber bald konnte man alles frei kaufen – wenn man Geld genug hatte. Ich war ein Jahr auf der „HELENE“ und bin siebenmal den Rhein rauf und runter gefahren und interessierte mich für alle Städte und Burgen, die ich vom Schiff aus sah. Wir haben in Duisburg oder manchmal auch in einem Kanalhafen Kohle geladen. Öfter mussten wir wegen der niedrigen Brücken das Steuerhaus abbauen. Es waren schlechte Zeiten für die Schiffer, und wir haben oft drei Wochen auf Ladung gewartet. Dann wurden wir von einem kleinen Hafendampfer auf den Rhein geschleppt und haben dort Anker geworfen, bis genügend Schiffe für einen Schleppzug beisammen waren. Es kam dann der Raddampfer vorbei und gab jedem Schiff ein Schleppseil, das an den vorderen Pollern festgemacht wurde. Wenn der Dampfer dreimal tutete, ging die Fahrt los, und wir mussten den Anker hochwinden. Nachts ruhte der Verkehr auf dem Rhein. Tagsüber musste ich entweder steuern, anstreichen oder zusammen mit dem Matrosen mit Hilfe eines Eimers an einer Leine und eines Schrubbers das Deck waschen. Ich lernte Backbord und Steuerbord zu unterscheiden, in Steuerbord ist ein r enthalten, also rechts in Fahrtrichtung mit grünem Licht. Außerdem war der Schlager populär: „Das rote Licht an Backbord ist die Liebe, das grüne Licht an Steuerbord das Glück“ So ging die Fahrt bis St. Goar, wo wegen der Hungersteine im Fahrwasser ein Lotse an Bord kommen musste. Er fuhr bis Kaub mit, wo durch das Binger Loch ein anderer Lotse an Bord kam. Dabei erfuhren wir immer Neuigkeiten, da wir an Bord weder Zeitungen noch Radio hatten. Es waren 1949 und 1950 sehr heiße Sommer und der Rhein führte wenig Wasser, so dass wir das Schiff nicht voll beladen konnten. Normalerweise hat der Rhein auf 100 m einen Meter Gefälle. Im Binger Loch beträgt das Gefälle jedoch auf zehn Meter einen Meter. Da wurde der Schleppzug aus etwa sechs Schiffen geteilt, oder wir bekamen einen zweiten Dampfer als Vorspann. In die zwei Felsbarrieren beim Mäuseturm am Binger Loch hat man für die Bergfahrt zwei Löcher von 10 m Breite gesprengt. Die Talfahrt ging nebenan durch das „Neue Fahrwasser“, wegen der besseren Steuerungsmöglichkeit immer mit vier Schiffen gleichzeitig, jeweils zwei parallel aneinander vertäut. Einmal hatte sich das Schiff vor uns losgerissen, weil sich ein Seil in unsichtbaren Brückentürmen verfangen hatte. Unser Kahn bekam am Bug eine Beule und musste für mehrere Wochen in eine Werft. Im Winter hatten wir immer genug Kohle zum Brennen an Bord. Manchmal tauschten wir auch welche bei Winzern gegen Wein ein. Neujahr lagen wir in Gernsheim, und ein Matrose von einem anderen Schiff unseres Reeders nahm mich mit zu sich nach Hause. Dort gab es Wellwurst und jungen Wein, dessen Wirkung ich noch nicht kannte. Es ist mir heute noch ein Rätsel, wie ich die schmale Planke ohne Geländer wieder heil an Bord gekommen bin. Da wir wegen des Eisgangs nicht fahren konnten, musste ich draußen bei 10° Kälte Rost klopfen. Ich lebte sehr sparsam und wollte mir endlich meinen ersten Anzug kaufen. Da das Geld aber nicht reichte, gab mir der Schiffsmann einen Vorschuss, den ersten in meinem Leben. Ich hatte zeitweilig auch einen Hund zu versorgen, der mir zugelaufen war, aber eines Tages auch wieder verschwand. Bei einem Gespräch mit dem Schiffer eines in Duisburg neben unserem liegenden Schiffes bot der mir höheren Lohn an. Der Schiffer der HELENE meinte, ich müsse erst noch die Reise bis Ludwigshafen mitmachen, weil er so schnell keinen Ersatz bekomme. Von Ludwigshafen aus bin ich dann mit dem Zug nach Duisburg zurückgefahren und musste auch noch für meinen Hund den halben Fahrpreis entrichten. Dort sagte mir dann jeder Schiffer, dass er mich nun so schnell doch noch nicht gebrauchen könne. Da stand ich nun ohne Wohnung und ohne Arbeit. Einige Nächte kam ich bei Verwandten eines Matrosen auf dem Sofa in der Küche unter. Dann lernte ich einen Matrosen kennen, der beschlagnahmte belgische Schiffe in einem abgelegenen Hafenbecken bewachte. Der bot mir an, dass ich auf einem dieser Schiffe übernachten könne, wenn ich ihm etwas bei seiner Arbeit hülfe. Ich ging jeden Tag zum Arbeitsamt und fragte nach einer freien Stelle.

Eines Tages hatte ich Glück und konnte auf dem Hafendampfer „LUISE“ von Ruhrort anfangen, einem schon reichlich betagten Schiff von etwa 80 Jahren. Es gehörte dem Reeder Hermann Kawater. Der stand den ganzen Tag zusammen mit anderen Reedern vor dem Haus des Schifferbetriebsverbandes und wartete auf eine Schleppfahrt. Vorne im Schiff war die Kapitänskajüte des Kapitäns Laux. Er benutzte sie aber nur zur Mittagsruhe, da er nachts zu Hause schlief und jeden Morgen mit dicker Aktentasche an Bord kam. In der Tasche hatte er sein Kochgeschirr und die Brote für den Tag. Man nannte diese Sorte Schiffsführer immer etwas herablassend „Henkelmannkapitäne“. Ansonsten saß er fast den ganzen Tag zusammen mit anderen Kapitänen in einem der Steuerhäuser und diskutierte. Wir beide hatten öfter Meinungsverschiedenheiten, da mir sein herablassender Kommisston nicht gefiel. Mit dem Maschinisten Grundmann verstand ich mich gut. Er war früher auf großen Dampfern in der ganzen Welt herumgekommen und konnte spannend erzählen. Er wohnte außerhalb von Duisburg und kam jeden Tag mit einem Moped zur Arbeit. Am Markttag hatte er einen Anhänger mit Gemüse dahinter und brachte auch seine Frau mit, denn sie hatten zu Hause eine Gärtnerei. Der Maschinist erklärte mir die vielen Leitungen und Ventile, und einmal haben wir eine Nacht lang die ganze Dampfmaschine auseinandergenommen, weil ein Lager erneuert werden sollte. Am nächsten Tage musste das Schiff ja wieder fahrbereit sein. Meine Aufgabe war es, die Kohle zu beiden Seiten des Kessels vorzuholen und ins Feuerloch zu werfen, damit immer genug Dampf vorhanden war. Eine Toilette gab es auf der LUISE nicht. Das Geschäft wurde auf der Kohlenschippe erledigt und dann ins Feuer geworfen. Wenn wir im Hafen lagen, musste ich das Schiff mit Schrubber und Wassereimer waschen oder mit Teer oder Farbe streichen. Wenn wir schleppten, musste ich die Schleppseile einhängen, beim Steuern helfen und vor den Brücken den Schornstein schnell umlegen und anschließend wieder hochziehen, damit nicht zu viel Rauch ins Steuerhaus kam. Viel zu fahren gab es in den ersten Nachkriegsjahren nicht, gelegentlich mal ein Kiesschiff von der anderen Rheinseite oder ein Kohleschiff aus den Rheinhäfen. Unseren größten Auftrag hatten wir in Wesel, so wir den Engländern beim Manöver halfen, als sie eine Pontonbrücke über den Rhein bauten. Als an einem Sonntag die Arbeit ruhte, packte mich die Abenteuerlust, und ich bin über den Rhein geschwommen, der hier bei Wesel ziemlich breit war und eine starke Strömung hatte. Bei Mainz hatte ich den Rhein schon einmal schwimmend überquert. Die Abende alleine an Bord waren ziemlich öde für mich. Ich bin dann manchmal nach Duisburg gelaufen und habe mir Schaufenster angesehen und mir ein Bier getrunken.

Nach einem Jahr Arbeit auf Rheinschiffen ging ich per Fahrrad auf die Walz und fand nach einer Rundfahrt durch den Norden Deutschlands eine Stelle als Tischler in Altenhagen I im Südhannoverschen. Nach einem Unfall wurde ich entlassen und diente danach vorübergehend Vater Staat als Kostgänger.

Seefahrt

Die kurze Zeit meiner Seefahrt vom 19.03.1952 bis zum 22.07.1952 reichte aus, um mich zum Altersrentner der Seekasse zu machen. Das kam so:

Eines Tages verspürte ich mal wieder Fernweh und sattelte meinen Drahtesel. Es sollte nach Bremen gehen, das ich noch nicht kannte. Die Stadt war schwer zerstört, aber schon wieder gut aufgeräumt. Ich suchte mir eine Unterkunft in der Jugendherberge, die damals auf dem Segelschulschiff DEUTSCHLAND im Europahafen untergebracht war. Ich sah, dass an Bord viele Leute rumwerkelten, einige auch in richtigen Matrosenanzügen, wie ich sie als kleiner Junge getragen hatte. Ich fragte dann Kapitän Hattendorf, ob er mich nicht auch als Schiffszimmermann gebrauchen könne. Er meinte dann, dass es wohl etwas zu hoch gegriffen sei, aber als Schiffsjunge könne ich anfangen. So ging ich zum Amtsarzt, machte die nötigen Untersuchungen durch und holte mir vom Seemannsamt mein Seefahrtbuch. Soweit ich mich erinnern kann, bekam ich neben Unterkunft und Verpflegung 50 DM im Monat. Die Verpflegung erhielten wir zusammen mit den Jugendherbergsgästen, mal mehr, mal weniger. Da mussten dann immer Tische und Bänke aufgestellt und wieder weggeräumt werden. Nachts wurde der Raum als Schlafsaal benutzt, wozu die Hängematten an der Decke befestigt wurden. Manchmal kamen auch größere Gruppen zu Gast, und auch wir Schiffsjungen erhielten Zuwachs, einmal vier Kadetten vom Norddeutschen Lloyd, die bei uns Seemannsbeine bekommen sollten.

Die Stammbesatzung bestand aus Kapitän Hattendorf, der aber zu Hause bei seiner Frau wohnte und an Bord den Salon und die Kapitänskajüte im Achterschiff hatte, alles in feinstem Mahagoniholz getäfelt. Außerdem gehörten zur Stammbesatzung noch der Segelmacher, ein Freiherr von Kieseritzky, der in seiner Jugend von seinem polnischen Gut getürmt war und schon viele Fahrten der DEUTSCHLAND mitgemacht hatte, die 1927 bei Blohm & Voss erbaut worden war. Da gab es noch den Maschinisten Gerdes aus der Braker Gegend, der für Technik und Elektrik zuständig war. Da das Schiff mit einem Elektroaggregat für 110-Volt-Spannung eingerichtet war, wir aber den Strom vom Elektrizitätswerk von Land mit 220-Volt-Spannung bekamen, musste man bei den elektrischen Geräten immer aufpassen, wenn umgeschaltet wurde. Außerdem war da noch der Bootsmann, der aus Cuxhaven stammte und die Köchin für die Jugendherberge, eine Kriegerwitwe mit ihrem Sohn. Sie alle wohnten im Achterschiff in den Offizierskammern.


Wir Jungen konnten jetzt in die sogenannten Unteroffizierskammern mit mehreren doppelstöckigen Kojen in einem Raum im Vorderschiff einziehen. Zu unserer Gruppe gehörten Pidder, der Maler, ein Hilfsarbeiter und die vier Kadetten vom Norddeutschen Lloyd. Neben mir gab es noch einen Tischler, Dietmar Wolff, der aber zu Hause in der Neustadt wohnte.

Wir hatten eine kleine Werkstatt mit Hobelbank und führten kleinere Holzreparaturen durch. Wir beiden Tischler haben uns gut verstanden. Dietmar hat später noch ein Studium aufgenommen und wurde Geschäftsführer der Handwerkskammer in Hoya und später in Wiesbaden.

Gelegentlich musste ich zusammen mit den Kadetten bei der Decksarbeit helfen. Da mussten wir mit Ziegelsteinen, sogenannten „Gesangbüchern“ – weil früher bei dieser Arbeit gesungen wurde - das Teakholzdeck scheuern. Später kam ein Linoleumbelag darauf und heute ist es durch ein völlig neues Teakholzdeck ersetzt. Wir wurden auch in die 30 m hohen Masten und in die Rahen gejagt, und ich lernte den Unterschied zwischen Wanten und Pardunen, sowie die Namen der Masten: Fock-, Groß- und Kreuzmast, denn die DEUTSCHLAND war ein Vollschiff ohne eigenen Besanmast. Auch Spleißen und Knoten machten mir Spaß. Aber das konnte ich ja alles schon von meiner Rheinschifffahrtszeit, obwohl die Seeleute etwas verächtlich von den Süßwassermatrosen sprechen. Ich wollte aber gerne richtig zur See fahren und andere Länder sehen.

Ich sprach mit Kapitän Hattendorf darüber, zu dem ich ein gutes Verhältnis hatte, das auch später noch viele Jahrzehnte anhielt, als er Werftkapitän bei Stülken in Hamburg war und ich im Rauhen Haus studierte und als er Geschäftsführer des Deutschen Schulschiffsvereins wurde und ich wenige Straßen weiter beim Diakonischen Werk in Bremen arbeitete. Der Kapitän versprach mir, dass er sich mal umhören wolle, denn es gab damals nur eine Handvoll deutscher Schiffe.


Nicht weit von uns entfernt lag die PAMIR, ein stolzer Viermaster. Ich hatte gehört, dass dort ein zweiter Schiffszimmermann gesucht werde. Aber als ich nachfragte, war die Stelle gerade zwei Stunden vorher besetzt worden und mein Traum zerplatzt. Später dachte ich manchmal daran, wozu es gut war, denn es war die letzte Fahrt der PAMIR und nur wenige der Besatzung haben überlebt.

Eines Tages rief mich Kapitän Hattendorf und sagte zu mir: „Seemann, ich habe ein Schiff für dich, du musst dich aber beeilen, die wollen bald auslaufen.“ Es war die „ANTON WILHELM“, ein fast neues Küstenmotorschiff mit 500 BRT und fünf Mann Besatzung im Vorschiff. Im Achterschiff wohnten der Eigner und Kapitän Wilhelm Boyksen sowie der Steuermann. Ich war mit 22 Jahren der „jüngste Moses“, da ich noch keine Fahrzeiten in meinem Seefahrtbuch hatte, obwohl ich älter war als die anderen Schiffsjungen und Matrosen. So wurde ich erst mal in die Kombüse geschickt und sollte für die Besatzung kochen. Der Steuermann hatte Buttermilchsuppe angeordnet, aber die zerrann und wollte nicht dick werden. Als er zur Kontrolle kam, hat er sie über Bord gegossen, und ich musste zusehen, wie er so etwas kochte.

Das Schiff wurde von einem Kran mit Paletten voller Kartons mit Becksbierdosen beladen, die für die belgischen Kolonien bestimmt waren. Die Ladearbeiten verrichteten die Schauerleute. Wir mussten nur aufpassen, dass keine Schäden am Schiff entstanden.

Mit ablaufendem Wasser ging die Fahrt weserabwärts und dann nach Antwerpen, wo die Fracht in große belgische Schiffe umgeladen wurde. Da pulsierte das Leben im Hafen. Leider bin ich aber nicht in die Stadt gekommen. Ganz in unserer Nähe lag das katholische Seemannsheim „Stella Maris“, wo man ein Bier trinken und auch nach Schallplattenmusik mit den Mädchen tanzen konnte. Leider wurde die nette Stimmung durch einen betrunkenen norwegischen Seemann gestört, der unbedingt eine Schlägerei anfangen wollte, als er hörte, dass wir deutsch sprachen. Es war schon spät geworden, und ich hatte mich im Hafen verlaufen. Da sah ich an der gegenüberliegenden Kaimauer unser Schiff liegen. Da ich nicht noch einmal das ganze Hafenbecken zurücklaufen wollte, zog ich mich aus, nahm meine Kleidung als Bündel über den Kopf und schwamm auf die andere Seite.

Leider war in Antwerpen keine Fracht zu bekommen, und so fuhren wir mit dem leeren Schiff nach Hamburg. Unterwegs gerieten wir in einen schweren Sturm mit Windstärke 10. Da hat sogar der Kapitän die Fische gefüttert. Ich musste dann hinterher alles aufwischen, obwohl mir selber hundeübel war. Ich bekam allerhand Ratschläge gegen die Seekrankheit, wie z. B. Brot mit Rum. Als wir die Elbe hochfuhren, sagte ich zum Kapitän, dass es wohl doch nicht der richtige Beruf für mich sei, wofür er auch Verständnis hatte. Die anderen Besatzungsmitglieder sagten etwas traurig zu mir: „Du hast wenigsten schon einen richtigen Beruf, in dem du an Land Arbeit findest, aber wir müssen auf Gedeih und Verderb durchhalten.“

Ich brachte meine Seekiste, die ich mir auf der DEUTSCHLAND gebaut hatte, mit meinem Werkzeug zum Güterbahnhof und fuhr mit dem Rad wieder in mein Zuhause nach Altenhagen I und meldete mich tags darauf wieder beim Arbeitsamt.

Gott ist Sonne und Wind, doch das Steuern, dass ihr den Hafen gewinnt, ist euer!

Als sich später herausstellte, dass es nicht mehr genügend deutsche Seeleute gibt, die den Bestand der Seekasse als Rentenversicherungsträger garantieren können, wurden alle Leute, die irgend wann, wenn auch nur kurz, einmal zur See gefahren waren, in die Zuständigkeit der SBG gegeben, so dass ich heute von dort mein Altersruhegeld beziehe und dadurch immer wieder an meine kurze viermonatige Seefahrtzeit erinnert werde.

Weitere Stationen meines Lebens waren Arbeit im Zentralheizungsbau und im Kohlebergbau unter Tage. Auf Umwegen kam ich dann nach Hermannsburg in der Lüneburger Heide an die evangelische Volkshochschule. Hier bekam mein Leben eine christliche Prägung, und ich wurde sogar mit 10 Jahren Verspätung konfirmiert. So wuchs in mir der Entschluss, zur Diakonenausbildung ins Rauhe Haus einzutreten. Bevor ich aber den Schritt in die vierjährige Ehelosigkeit und Armut auf Zeit tat, lieferte ich meine Ersparnisse anlässlich einer Abschlussreise der Kursteilnehmer der Volkshochschule nach Venedig in den Kunsttempeln Italiens ab. Von dieser Reise habe ich mir ein lebendiges Andenken mitgebracht, das mir auch in der Zukunft treu bleiben sollte, meine spätere liebe Frau. Per Anhalter und ohne Geld traf ich am 9.04.1954 im Rauhen Haus ein.“




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Karlheinz Frankes weitere Lebensweg: Praktikum auf dem Brüderhof, einer landwirtschaftlichen Zweigeinrichtung des Rauhen Hauses, im Lehrlingsheim in Cuxhaven und bei der Flussschiffermission in Hamburg. Unterrichtsbeginn im Rauhen Haus am 22.8.1955. 23. März 1956: „schulwissenschaftliche“ Prüfung, die statt des Mittelschulabschlusses die Fachschulreife bescheinigte. Am 18. März 1958 bestand Karl-Heinz Franke das Wohlfahrtspflegerexamen im Hauptfach Jugendwohlfahrtspflege und Sozialpädagogik, am 2. März 1959 das Diakonenexamen. Nach der Diakonenausbildung heiratete er Ilse Cohrs, mit der er drei Kinder großzog.

Ab 1959 war er zunächst als Hausvater im Lehrlingsheim der Evangelischen Kirchengemeinde Schwelm in Westfalen, später als Heimleiter in einem Mütter- und Kindererholungsheim in Bad Rothenfelde, in Altersheimen in Hamburg-Rahlstedt, in Boppard am Rhein, und in Wildeshausen tätig. Seine letzte Stelle als Diakon und Sozialarbeiter beim Diakonischen Werk in Bremen beendete er 1990 mit Eintritt in den Ruhestand. Am 24.11.1989 verwitwete Karlheinz Franke. Jetzt verlebt er seit Jahren als Rentner der Seekasse seinen Lebensabend in seinem eigenen Haus in Wildeshausen.

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Die ausführliche Autobiographie des Karlheinz Franke ist als 108-Seiten-Extraband beim Herausgeber dieses Buches zu beziehen. – Siehe letzte Seite!


Karlheinz Franke zusammen mit dem Herausgeber Jürgen Ruszkowski

http://rauheshausbruder.klack.org/seite2.html


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